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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
Grundsatz der wirthschaftlichen Freiheit aufzuopfern. Damit war das
Ziel der neuen deutschen Gewerbepolitik richtig erkannt, das schwierige
Problem war gestellt, zu dem unsere Gesetzgebung seitdem immer von Neuem
zurückgekehrt ist. Begreiflich also, daß der erste Versuch der Lösung sehr
langwierige Vorarbeiten erforderte, die überdies durch die widersprechenden
Gutachten der Provinziallandtage noch erschwert wurden. Mittlerweile
blieb die Gewerbefreiheit, mit Ausnahme der kursächsischen und schwedi-
schen Landestheile, im ganzen Bereiche der Monarchie ungestört, der alte
Unterschied von Handwerk und Fabrik wurde durch den überhandnehmen-
den Großbetrieb mehr und mehr verwischt, die von den Altständischen er-
hoffte Rückkehr zu den alten Zuständen erwies sich bald als unmöglich.

Fast noch härter bekundete sich die conservative Gesinnung der Pro-
vinzialstände gegenüber den Juden. Das befreiende Edikt vom 11. März
1812 war in den neuen Provinzen noch nicht eingeführt, nur seine Vor-
schriften über den Staatsdienst galten selbstverständlich für den gesammten
Staat und wurden überall streng eingehalten: auch in den Rheinlanden,
wo man einige von Frankreich übernommene jüdische Subalternbeamte
in der Stille pensionirte.*) Nach dem Kriege bemühte sich Hardenberg
mehrmals, den jüdischen Freiwilligen, zumal den Rittern des eisernen
Kreuzes, eine Anstellung oder doch eine Entschädigung zu erwirken; jedoch
das gesammte Staatsministerium, allein Bülow ausgenommen, wollte von
dem harten Buchstaben des Gesetzes nicht abweichen, da den Juden be-
reits "ohne alle Aufopferung die früheren Rechte so bedeutend erweitert"
worden seien, und einigte sich schließlich zu dem Beschlusse, daß jüdischen
Soldaten niemals ein Civilversorgungsschein gegeben werden dürfe, nur
in besonderen Fällen Unterstützung oder Pension.**) Der König hegte,
wie den Ministern wohl bekannt war, im Grunde seines Herzens eine
ebenso lebhafte Abneigung gegen das Judenthum wie einst Friedrich der
Große. Auswärtigen Juden ertheilte er das Staatsbürgerrecht nur selten
und nach sorgfältiger Prüfung.***) Er hoffte durch die religiöse Bekehrung
den alten Gegensatz allmählich verschwinden zu sehen und schenkte seine
besondere Gunst dem neuen Vereine "zur Verbreitung des Christenthums
unter den Juden", der von Witzleben geleitet, von der vornehmen Welt
und Theologen verschiedener Richtung eifrig gepflegt, allerdings im Jahre
1824 mehrere hundert Bekehrungen verzeichnen konnte, doch gegen den
Stamm des strengen Altjudenthums nichts ausrichtete. Indeß von dem

*) Hardenberg an die Regierung zu Cleve, 7. Febr. 1817.
**) Bülow's Antrag an das Staatsministerium, 16. Dec.; Vota von Kircheisen,
Wittgenstein, Beyme, 23., 26., 29. Dec. 1815. -- Hardenberg an Boyen, 1. Dec. 1817;
Boyen's Antwort 7. Febr. 1817. -- Hardenberg an das Staatsministerium, 20. Juli;
Bericht des Staatsministeriums an den Staatskanzler, 18. Nov. 1818.
***) Cabinetsordres an Schuckmann, 28. Aug. 1827, an Minister v. Brenn, 5. Mai
1831 u. s. w.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
Grundſatz der wirthſchaftlichen Freiheit aufzuopfern. Damit war das
Ziel der neuen deutſchen Gewerbepolitik richtig erkannt, das ſchwierige
Problem war geſtellt, zu dem unſere Geſetzgebung ſeitdem immer von Neuem
zurückgekehrt iſt. Begreiflich alſo, daß der erſte Verſuch der Löſung ſehr
langwierige Vorarbeiten erforderte, die überdies durch die widerſprechenden
Gutachten der Provinziallandtage noch erſchwert wurden. Mittlerweile
blieb die Gewerbefreiheit, mit Ausnahme der kurſächſiſchen und ſchwedi-
ſchen Landestheile, im ganzen Bereiche der Monarchie ungeſtört, der alte
Unterſchied von Handwerk und Fabrik wurde durch den überhandnehmen-
den Großbetrieb mehr und mehr verwiſcht, die von den Altſtändiſchen er-
hoffte Rückkehr zu den alten Zuſtänden erwies ſich bald als unmöglich.

Faſt noch härter bekundete ſich die conſervative Geſinnung der Pro-
vinzialſtände gegenüber den Juden. Das befreiende Edikt vom 11. März
1812 war in den neuen Provinzen noch nicht eingeführt, nur ſeine Vor-
ſchriften über den Staatsdienſt galten ſelbſtverſtändlich für den geſammten
Staat und wurden überall ſtreng eingehalten: auch in den Rheinlanden,
wo man einige von Frankreich übernommene jüdiſche Subalternbeamte
in der Stille penſionirte.*) Nach dem Kriege bemühte ſich Hardenberg
mehrmals, den jüdiſchen Freiwilligen, zumal den Rittern des eiſernen
Kreuzes, eine Anſtellung oder doch eine Entſchädigung zu erwirken; jedoch
das geſammte Staatsminiſterium, allein Bülow ausgenommen, wollte von
dem harten Buchſtaben des Geſetzes nicht abweichen, da den Juden be-
reits „ohne alle Aufopferung die früheren Rechte ſo bedeutend erweitert“
worden ſeien, und einigte ſich ſchließlich zu dem Beſchluſſe, daß jüdiſchen
Soldaten niemals ein Civilverſorgungsſchein gegeben werden dürfe, nur
in beſonderen Fällen Unterſtützung oder Penſion.**) Der König hegte,
wie den Miniſtern wohl bekannt war, im Grunde ſeines Herzens eine
ebenſo lebhafte Abneigung gegen das Judenthum wie einſt Friedrich der
Große. Auswärtigen Juden ertheilte er das Staatsbürgerrecht nur ſelten
und nach ſorgfältiger Prüfung.***) Er hoffte durch die religiöſe Bekehrung
den alten Gegenſatz allmählich verſchwinden zu ſehen und ſchenkte ſeine
beſondere Gunſt dem neuen Vereine „zur Verbreitung des Chriſtenthums
unter den Juden“, der von Witzleben geleitet, von der vornehmen Welt
und Theologen verſchiedener Richtung eifrig gepflegt, allerdings im Jahre
1824 mehrere hundert Bekehrungen verzeichnen konnte, doch gegen den
Stamm des ſtrengen Altjudenthums nichts ausrichtete. Indeß von dem

*) Hardenberg an die Regierung zu Cleve, 7. Febr. 1817.
**) Bülow’s Antrag an das Staatsminiſterium, 16. Dec.; Vota von Kircheiſen,
Wittgenſtein, Beyme, 23., 26., 29. Dec. 1815. — Hardenberg an Boyen, 1. Dec. 1817;
Boyen’s Antwort 7. Febr. 1817. — Hardenberg an das Staatsminiſterium, 20. Juli;
Bericht des Staatsminiſteriums an den Staatskanzler, 18. Nov. 1818.
***) Cabinetsordres an Schuckmann, 28. Aug. 1827, an Miniſter v. Brenn, 5. Mai
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[378/0394] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. Grundſatz der wirthſchaftlichen Freiheit aufzuopfern. Damit war das Ziel der neuen deutſchen Gewerbepolitik richtig erkannt, das ſchwierige Problem war geſtellt, zu dem unſere Geſetzgebung ſeitdem immer von Neuem zurückgekehrt iſt. Begreiflich alſo, daß der erſte Verſuch der Löſung ſehr langwierige Vorarbeiten erforderte, die überdies durch die widerſprechenden Gutachten der Provinziallandtage noch erſchwert wurden. Mittlerweile blieb die Gewerbefreiheit, mit Ausnahme der kurſächſiſchen und ſchwedi- ſchen Landestheile, im ganzen Bereiche der Monarchie ungeſtört, der alte Unterſchied von Handwerk und Fabrik wurde durch den überhandnehmen- den Großbetrieb mehr und mehr verwiſcht, die von den Altſtändiſchen er- hoffte Rückkehr zu den alten Zuſtänden erwies ſich bald als unmöglich. Faſt noch härter bekundete ſich die conſervative Geſinnung der Pro- vinzialſtände gegenüber den Juden. Das befreiende Edikt vom 11. März 1812 war in den neuen Provinzen noch nicht eingeführt, nur ſeine Vor- ſchriften über den Staatsdienſt galten ſelbſtverſtändlich für den geſammten Staat und wurden überall ſtreng eingehalten: auch in den Rheinlanden, wo man einige von Frankreich übernommene jüdiſche Subalternbeamte in der Stille penſionirte. *) Nach dem Kriege bemühte ſich Hardenberg mehrmals, den jüdiſchen Freiwilligen, zumal den Rittern des eiſernen Kreuzes, eine Anſtellung oder doch eine Entſchädigung zu erwirken; jedoch das geſammte Staatsminiſterium, allein Bülow ausgenommen, wollte von dem harten Buchſtaben des Geſetzes nicht abweichen, da den Juden be- reits „ohne alle Aufopferung die früheren Rechte ſo bedeutend erweitert“ worden ſeien, und einigte ſich ſchließlich zu dem Beſchluſſe, daß jüdiſchen Soldaten niemals ein Civilverſorgungsſchein gegeben werden dürfe, nur in beſonderen Fällen Unterſtützung oder Penſion. **) Der König hegte, wie den Miniſtern wohl bekannt war, im Grunde ſeines Herzens eine ebenſo lebhafte Abneigung gegen das Judenthum wie einſt Friedrich der Große. Auswärtigen Juden ertheilte er das Staatsbürgerrecht nur ſelten und nach ſorgfältiger Prüfung. ***) Er hoffte durch die religiöſe Bekehrung den alten Gegenſatz allmählich verſchwinden zu ſehen und ſchenkte ſeine beſondere Gunſt dem neuen Vereine „zur Verbreitung des Chriſtenthums unter den Juden“, der von Witzleben geleitet, von der vornehmen Welt und Theologen verſchiedener Richtung eifrig gepflegt, allerdings im Jahre 1824 mehrere hundert Bekehrungen verzeichnen konnte, doch gegen den Stamm des ſtrengen Altjudenthums nichts ausrichtete. Indeß von dem *) Hardenberg an die Regierung zu Cleve, 7. Febr. 1817. **) Bülow’s Antrag an das Staatsminiſterium, 16. Dec.; Vota von Kircheiſen, Wittgenſtein, Beyme, 23., 26., 29. Dec. 1815. — Hardenberg an Boyen, 1. Dec. 1817; Boyen’s Antwort 7. Febr. 1817. — Hardenberg an das Staatsminiſterium, 20. Juli; Bericht des Staatsminiſteriums an den Staatskanzler, 18. Nov. 1818. ***) Cabinetsordres an Schuckmann, 28. Aug. 1827, an Miniſter v. Brenn, 5. Mai 1831 u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/394>, abgerufen am 24.11.2024.