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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Stände gegen die Hardenbergische Gesetzgebung.

Gleich der erste Landtag, der brandenburgische, erhob alsbald heftige
Klagen wider die Neuerungen, welche der sogenannte Zeitgeist einer blutigen
und wildbewegten Zeit hervorgerufen habe. "Der Theorie alter und neuer
Zeit fremd, erklärten die Märker, vermögen wir freilich nichts zu geben
als die Wahrheit der Erfahrung." Die Erfahrung aber lehre, wie Tau-
sende "blos von gehoffter Selbständigkeit geblendet" durch die neue Ge-
werbefreiheit verführt würden und der Landmann "bedrückt von den ver-
derblichen Einflüssen freien Verkehrs auf der Grenze" sich vergeblich nach
Hilfe umsehe.*) Aehnliche Beschwerden erklangen, etwas minder laut,
fast auf allen Landtagen. Der König indeß hatte solchen Wünschen von
vornherein einen Riegel vorgeschoben, indem er der Immediatcommission
die Weisung ertheilte: die Grundsätze der Gesetzgebung von 1810 dürften
nicht umgestoßen werden, denn das hieße "Verhältnisse zerstören, die auf
Grund gesetzlicher Verpflichtungen sich gebildet und mehr oder weniger
Wurzel geschlagen haben"; nur einige Abänderungen im Einzelnen wollte
er gestatten, wenn die Stände sie mit guten Gründen verlangten, doch
auf keinen Fall eine Verminderung der neu gewonnenen Steuereinnahmen,
so lange nicht ein Ersatz gefunden sei.**) Es war allein das Verdienst
des Königthums, daß Hardenberg's Reformen im Wesentlichen aufrecht
erhalten und behutsam in die neuen Provinzen eingeführt wurden. In
den Kleinstaaten war der Berliner Hof als eine Macht der Reaction ver-
rufen, weil der politische Dilettantismus der Deutschen es nicht der Mühe
werth hielt, die Zustände des größten deutschen Staates ernstlich kennen
zu lernen; in Wahrheit dachte und handelte König Friedrich Wilhelm
liberaler als seine getreuen Stände.

Nicht in Allem freilich zeigte sich der Monarch seinen Ständen über-
legen. Die Kreisordnungen, welche er den Landtagen vorlegen ließ, schlossen
sich der mißrathenen Bildung der Provinzialstände würdig an; sie waren
das Werk der Immediatcommission, und dort hatte der Kronprinz den
Ausschlag gegeben. Diesem Prinzen überließ der König auch fernerhin
den Ausbau aller ständischen Institutionen. Er freute sich seinen Thron-
folger so gründlich in alle Einzelheiten der Provinzialverwaltung eindringen
zu sehen, und beklagte oft vor seinen Vertrauten, daß ihm selber diese
Kenntniß fehle, weil Beyme und die anderen Cabinetsräthe in den ersten
Jahren seiner Regierung ihm die Arbeit zu bequem gemacht hätten.***)
Aber bei allem Fleiß konnte der Kronprinz ein lebendiges Bild von den
Bedürfnissen der Kreisverwaltung, das sich nur durch praktische Erfah-
rung erwerben läßt, doch nicht gewinnen, und da sich auch sonst in der
Commission kein schöpferischer Kopf fand, so mißglückte die neue Kreisord-

*) Adresse der brandenburgischen Stände, Dec. 1824.
**) Cabinetsordre an den Kronprinzen, 30. November 1824.
***) Witzleben's Tagebuch 1822.
24*
Die Stände gegen die Hardenbergiſche Geſetzgebung.

Gleich der erſte Landtag, der brandenburgiſche, erhob alsbald heftige
Klagen wider die Neuerungen, welche der ſogenannte Zeitgeiſt einer blutigen
und wildbewegten Zeit hervorgerufen habe. „Der Theorie alter und neuer
Zeit fremd, erklärten die Märker, vermögen wir freilich nichts zu geben
als die Wahrheit der Erfahrung.“ Die Erfahrung aber lehre, wie Tau-
ſende „blos von gehoffter Selbſtändigkeit geblendet“ durch die neue Ge-
werbefreiheit verführt würden und der Landmann „bedrückt von den ver-
derblichen Einflüſſen freien Verkehrs auf der Grenze“ ſich vergeblich nach
Hilfe umſehe.*) Aehnliche Beſchwerden erklangen, etwas minder laut,
faſt auf allen Landtagen. Der König indeß hatte ſolchen Wünſchen von
vornherein einen Riegel vorgeſchoben, indem er der Immediatcommiſſion
die Weiſung ertheilte: die Grundſätze der Geſetzgebung von 1810 dürften
nicht umgeſtoßen werden, denn das hieße „Verhältniſſe zerſtören, die auf
Grund geſetzlicher Verpflichtungen ſich gebildet und mehr oder weniger
Wurzel geſchlagen haben“; nur einige Abänderungen im Einzelnen wollte
er geſtatten, wenn die Stände ſie mit guten Gründen verlangten, doch
auf keinen Fall eine Verminderung der neu gewonnenen Steuereinnahmen,
ſo lange nicht ein Erſatz gefunden ſei.**) Es war allein das Verdienſt
des Königthums, daß Hardenberg’s Reformen im Weſentlichen aufrecht
erhalten und behutſam in die neuen Provinzen eingeführt wurden. In
den Kleinſtaaten war der Berliner Hof als eine Macht der Reaction ver-
rufen, weil der politiſche Dilettantismus der Deutſchen es nicht der Mühe
werth hielt, die Zuſtände des größten deutſchen Staates ernſtlich kennen
zu lernen; in Wahrheit dachte und handelte König Friedrich Wilhelm
liberaler als ſeine getreuen Stände.

Nicht in Allem freilich zeigte ſich der Monarch ſeinen Ständen über-
legen. Die Kreisordnungen, welche er den Landtagen vorlegen ließ, ſchloſſen
ſich der mißrathenen Bildung der Provinzialſtände würdig an; ſie waren
das Werk der Immediatcommiſſion, und dort hatte der Kronprinz den
Ausſchlag gegeben. Dieſem Prinzen überließ der König auch fernerhin
den Ausbau aller ſtändiſchen Inſtitutionen. Er freute ſich ſeinen Thron-
folger ſo gründlich in alle Einzelheiten der Provinzialverwaltung eindringen
zu ſehen, und beklagte oft vor ſeinen Vertrauten, daß ihm ſelber dieſe
Kenntniß fehle, weil Beyme und die anderen Cabinetsräthe in den erſten
Jahren ſeiner Regierung ihm die Arbeit zu bequem gemacht hätten.***)
Aber bei allem Fleiß konnte der Kronprinz ein lebendiges Bild von den
Bedürfniſſen der Kreisverwaltung, das ſich nur durch praktiſche Erfah-
rung erwerben läßt, doch nicht gewinnen, und da ſich auch ſonſt in der
Commiſſion kein ſchöpferiſcher Kopf fand, ſo mißglückte die neue Kreisord-

*) Adreſſe der brandenburgiſchen Stände, Dec. 1824.
**) Cabinetsordre an den Kronprinzen, 30. November 1824.
***) Witzleben’s Tagebuch 1822.
24*
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[371/0387] Die Stände gegen die Hardenbergiſche Geſetzgebung. Gleich der erſte Landtag, der brandenburgiſche, erhob alsbald heftige Klagen wider die Neuerungen, welche der ſogenannte Zeitgeiſt einer blutigen und wildbewegten Zeit hervorgerufen habe. „Der Theorie alter und neuer Zeit fremd, erklärten die Märker, vermögen wir freilich nichts zu geben als die Wahrheit der Erfahrung.“ Die Erfahrung aber lehre, wie Tau- ſende „blos von gehoffter Selbſtändigkeit geblendet“ durch die neue Ge- werbefreiheit verführt würden und der Landmann „bedrückt von den ver- derblichen Einflüſſen freien Verkehrs auf der Grenze“ ſich vergeblich nach Hilfe umſehe. *) Aehnliche Beſchwerden erklangen, etwas minder laut, faſt auf allen Landtagen. Der König indeß hatte ſolchen Wünſchen von vornherein einen Riegel vorgeſchoben, indem er der Immediatcommiſſion die Weiſung ertheilte: die Grundſätze der Geſetzgebung von 1810 dürften nicht umgeſtoßen werden, denn das hieße „Verhältniſſe zerſtören, die auf Grund geſetzlicher Verpflichtungen ſich gebildet und mehr oder weniger Wurzel geſchlagen haben“; nur einige Abänderungen im Einzelnen wollte er geſtatten, wenn die Stände ſie mit guten Gründen verlangten, doch auf keinen Fall eine Verminderung der neu gewonnenen Steuereinnahmen, ſo lange nicht ein Erſatz gefunden ſei. **) Es war allein das Verdienſt des Königthums, daß Hardenberg’s Reformen im Weſentlichen aufrecht erhalten und behutſam in die neuen Provinzen eingeführt wurden. In den Kleinſtaaten war der Berliner Hof als eine Macht der Reaction ver- rufen, weil der politiſche Dilettantismus der Deutſchen es nicht der Mühe werth hielt, die Zuſtände des größten deutſchen Staates ernſtlich kennen zu lernen; in Wahrheit dachte und handelte König Friedrich Wilhelm liberaler als ſeine getreuen Stände. Nicht in Allem freilich zeigte ſich der Monarch ſeinen Ständen über- legen. Die Kreisordnungen, welche er den Landtagen vorlegen ließ, ſchloſſen ſich der mißrathenen Bildung der Provinzialſtände würdig an; ſie waren das Werk der Immediatcommiſſion, und dort hatte der Kronprinz den Ausſchlag gegeben. Dieſem Prinzen überließ der König auch fernerhin den Ausbau aller ſtändiſchen Inſtitutionen. Er freute ſich ſeinen Thron- folger ſo gründlich in alle Einzelheiten der Provinzialverwaltung eindringen zu ſehen, und beklagte oft vor ſeinen Vertrauten, daß ihm ſelber dieſe Kenntniß fehle, weil Beyme und die anderen Cabinetsräthe in den erſten Jahren ſeiner Regierung ihm die Arbeit zu bequem gemacht hätten. ***) Aber bei allem Fleiß konnte der Kronprinz ein lebendiges Bild von den Bedürfniſſen der Kreisverwaltung, das ſich nur durch praktiſche Erfah- rung erwerben läßt, doch nicht gewinnen, und da ſich auch ſonſt in der Commiſſion kein ſchöpferiſcher Kopf fand, ſo mißglückte die neue Kreisord- *) Adreſſe der brandenburgiſchen Stände, Dec. 1824. **) Cabinetsordre an den Kronprinzen, 30. November 1824. ***) Witzleben’s Tagebuch 1822. 24*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/387>, abgerufen am 24.11.2024.