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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die See auf, sie rennt gegen ihn." Dieser hohle Dünkel, der in den
Kämpfen des Völkerlebens immer nur die kleinen Menschen, niemals die
treibenden Kräfte sah, stand der elementarischen Macht der griechischen
Revolution bald rathlos gegenüber, um so rathloser, da Metternich zwar
den Czaren mißbrauchen und über Rußlands natürliche Interessen täuschen,
aber um keinen Preis mit ihm brechen wollte; denn ein europäischer Krieg,
das blieb in der Hofburg Glaubenssatz, mußte die allgemeine Revolution
entfesseln.

Einige diplomatische Eintagserfolge vermochte Metternich's Gewandtheit
noch zu erringen. Tatistscheff, der russische Gesandte in Wien, wurde gänz-
lich in die Irre geführt und gelangte erst nach Jahren zu der bescheidenen
Erkenntniß, daß Oesterreichs und Rußlands Ansichten doch nicht vollständig
übereinstimmten. Im Oktober 1823, auf einer Zusammenkunft der bei-
den Kaiser in Czernowitz, sprach der Czar seinen Widerwillen gegen die
griechischen Rebellen nochmals lebhaft aus; doch zugleich nöthigte er das
österreichische Cabinet, über die Zukunft der Hellenen mindestens ernstlich
zu berathschlagen, und am 9. Jan. 1824 stellte er die Forderung auf,
daß die griechischen Landschaften fortan drei halbsouveräne Fürstenthümer
unter türkischer Oberhoheit bilden sollten. Ueber dies russische Programm
beriethen die Mächte viele Monate hindurch auf einer Conferenz in Peters-
burg. Metternich vollzog dabei wieder einen glücklichen Schachzug; er
ließ durch Lebzeltern erklären, daß der Wiener Hof, wenn die Unterwer-
fung der Griechen unmöglich sei, am liebsten ihre vollständige Unabhängig-
keit anerkennen würde, und zwang dadurch die russischen Diplomaten zu
der Antwort, Rußland könne diese Unabhängigkeit nicht zugeben. Dies
Geständniß Nesselrode's war allerdings von hohem Werthe; die Welt wußte
nunmehr, daß der Petersburger Hof die Eroberungspläne Katharina's
noch nicht aufgegeben hatte, und die Griechen wendeten sich alsbald von Ruß-
land ab um fortan in England Hilfe zu suchen. Mit alledem wurde eine
Entscheidung noch nicht erreicht. Die Petersburger Conferenz blieb ohne
jedes Ergebniß. Denn die Pforte konnte auf Oesterreichs Freundschaft
zählen und wußte wohl, daß keine der anderen Mächte ihre Wünsche mit
dem Schwerte unterstützen wollte; sie war entschlossen die Empörung nie-
derzuwerfen und sendete darum auf alle Ermahnungen der gründlich
verachteten dummen Franken nur das bekannte "mit Honig beschriebene
Papier", die leeren Redensarten, in denen die schlauen Effendis des Di-
vans von jeher Meister waren, oder sie hüllte sich gar in verächtliches
Stillschweigen.

Indessen raste der Kampf weiter. Zweimal brach im Lager der Rebellen
selber der Bürgerkrieg aus; einer ihrer Führer, Odysseus ward zum Ver-
räther. Alles schien verloren, als im Jahre 1824 Sultan Machmud seinen
gefährlichen Vasallen Mehemed Ali zur Hilfe aufbot und nun die ägyp-
tischen Regimenter Ibrahim Paschas alle Schrecken abendländischer Kriegs-

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die See auf, ſie rennt gegen ihn.“ Dieſer hohle Dünkel, der in den
Kämpfen des Völkerlebens immer nur die kleinen Menſchen, niemals die
treibenden Kräfte ſah, ſtand der elementariſchen Macht der griechiſchen
Revolution bald rathlos gegenüber, um ſo rathloſer, da Metternich zwar
den Czaren mißbrauchen und über Rußlands natürliche Intereſſen täuſchen,
aber um keinen Preis mit ihm brechen wollte; denn ein europäiſcher Krieg,
das blieb in der Hofburg Glaubensſatz, mußte die allgemeine Revolution
entfeſſeln.

Einige diplomatiſche Eintagserfolge vermochte Metternich’s Gewandtheit
noch zu erringen. Tatiſtſcheff, der ruſſiſche Geſandte in Wien, wurde gänz-
lich in die Irre geführt und gelangte erſt nach Jahren zu der beſcheidenen
Erkenntniß, daß Oeſterreichs und Rußlands Anſichten doch nicht vollſtändig
übereinſtimmten. Im Oktober 1823, auf einer Zuſammenkunft der bei-
den Kaiſer in Czernowitz, ſprach der Czar ſeinen Widerwillen gegen die
griechiſchen Rebellen nochmals lebhaft aus; doch zugleich nöthigte er das
öſterreichiſche Cabinet, über die Zukunft der Hellenen mindeſtens ernſtlich
zu berathſchlagen, und am 9. Jan. 1824 ſtellte er die Forderung auf,
daß die griechiſchen Landſchaften fortan drei halbſouveräne Fürſtenthümer
unter türkiſcher Oberhoheit bilden ſollten. Ueber dies ruſſiſche Programm
beriethen die Mächte viele Monate hindurch auf einer Conferenz in Peters-
burg. Metternich vollzog dabei wieder einen glücklichen Schachzug; er
ließ durch Lebzeltern erklären, daß der Wiener Hof, wenn die Unterwer-
fung der Griechen unmöglich ſei, am liebſten ihre vollſtändige Unabhängig-
keit anerkennen würde, und zwang dadurch die ruſſiſchen Diplomaten zu
der Antwort, Rußland könne dieſe Unabhängigkeit nicht zugeben. Dies
Geſtändniß Neſſelrode’s war allerdings von hohem Werthe; die Welt wußte
nunmehr, daß der Petersburger Hof die Eroberungspläne Katharina’s
noch nicht aufgegeben hatte, und die Griechen wendeten ſich alsbald von Ruß-
land ab um fortan in England Hilfe zu ſuchen. Mit alledem wurde eine
Entſcheidung noch nicht erreicht. Die Petersburger Conferenz blieb ohne
jedes Ergebniß. Denn die Pforte konnte auf Oeſterreichs Freundſchaft
zählen und wußte wohl, daß keine der anderen Mächte ihre Wünſche mit
dem Schwerte unterſtützen wollte; ſie war entſchloſſen die Empörung nie-
derzuwerfen und ſendete darum auf alle Ermahnungen der gründlich
verachteten dummen Franken nur das bekannte „mit Honig beſchriebene
Papier“, die leeren Redensarten, in denen die ſchlauen Effendis des Di-
vans von jeher Meiſter waren, oder ſie hüllte ſich gar in verächtliches
Stillſchweigen.

Indeſſen raſte der Kampf weiter. Zweimal brach im Lager der Rebellen
ſelber der Bürgerkrieg aus; einer ihrer Führer, Odyſſeus ward zum Ver-
räther. Alles ſchien verloren, als im Jahre 1824 Sultan Machmud ſeinen
gefährlichen Vaſallen Mehemed Ali zur Hilfe aufbot und nun die ägyp-
tiſchen Regimenter Ibrahim Paſchas alle Schrecken abendländiſcher Kriegs-

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[358/0374] III. 5. Die Großmächte und die Trias. die See auf, ſie rennt gegen ihn.“ Dieſer hohle Dünkel, der in den Kämpfen des Völkerlebens immer nur die kleinen Menſchen, niemals die treibenden Kräfte ſah, ſtand der elementariſchen Macht der griechiſchen Revolution bald rathlos gegenüber, um ſo rathloſer, da Metternich zwar den Czaren mißbrauchen und über Rußlands natürliche Intereſſen täuſchen, aber um keinen Preis mit ihm brechen wollte; denn ein europäiſcher Krieg, das blieb in der Hofburg Glaubensſatz, mußte die allgemeine Revolution entfeſſeln. Einige diplomatiſche Eintagserfolge vermochte Metternich’s Gewandtheit noch zu erringen. Tatiſtſcheff, der ruſſiſche Geſandte in Wien, wurde gänz- lich in die Irre geführt und gelangte erſt nach Jahren zu der beſcheidenen Erkenntniß, daß Oeſterreichs und Rußlands Anſichten doch nicht vollſtändig übereinſtimmten. Im Oktober 1823, auf einer Zuſammenkunft der bei- den Kaiſer in Czernowitz, ſprach der Czar ſeinen Widerwillen gegen die griechiſchen Rebellen nochmals lebhaft aus; doch zugleich nöthigte er das öſterreichiſche Cabinet, über die Zukunft der Hellenen mindeſtens ernſtlich zu berathſchlagen, und am 9. Jan. 1824 ſtellte er die Forderung auf, daß die griechiſchen Landſchaften fortan drei halbſouveräne Fürſtenthümer unter türkiſcher Oberhoheit bilden ſollten. Ueber dies ruſſiſche Programm beriethen die Mächte viele Monate hindurch auf einer Conferenz in Peters- burg. Metternich vollzog dabei wieder einen glücklichen Schachzug; er ließ durch Lebzeltern erklären, daß der Wiener Hof, wenn die Unterwer- fung der Griechen unmöglich ſei, am liebſten ihre vollſtändige Unabhängig- keit anerkennen würde, und zwang dadurch die ruſſiſchen Diplomaten zu der Antwort, Rußland könne dieſe Unabhängigkeit nicht zugeben. Dies Geſtändniß Neſſelrode’s war allerdings von hohem Werthe; die Welt wußte nunmehr, daß der Petersburger Hof die Eroberungspläne Katharina’s noch nicht aufgegeben hatte, und die Griechen wendeten ſich alsbald von Ruß- land ab um fortan in England Hilfe zu ſuchen. Mit alledem wurde eine Entſcheidung noch nicht erreicht. Die Petersburger Conferenz blieb ohne jedes Ergebniß. Denn die Pforte konnte auf Oeſterreichs Freundſchaft zählen und wußte wohl, daß keine der anderen Mächte ihre Wünſche mit dem Schwerte unterſtützen wollte; ſie war entſchloſſen die Empörung nie- derzuwerfen und ſendete darum auf alle Ermahnungen der gründlich verachteten dummen Franken nur das bekannte „mit Honig beſchriebene Papier“, die leeren Redensarten, in denen die ſchlauen Effendis des Di- vans von jeher Meiſter waren, oder ſie hüllte ſich gar in verächtliches Stillſchweigen. Indeſſen raſte der Kampf weiter. Zweimal brach im Lager der Rebellen ſelber der Bürgerkrieg aus; einer ihrer Führer, Odyſſeus ward zum Ver- räther. Alles ſchien verloren, als im Jahre 1824 Sultan Machmud ſeinen gefährlichen Vaſallen Mehemed Ali zur Hilfe aufbot und nun die ägyp- tiſchen Regimenter Ibrahim Paſchas alle Schrecken abendländiſcher Kriegs-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/374>, abgerufen am 18.05.2024.