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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Verfassungsänderung in Baden.
behielt: Föhrenbach, Grimm und der Freiburger Professor Duttlinger, ein
gewiegter Kenner des Verfassungsrechts.

Gleichzeitig hatte der vielgewandte Günstling des Großherzogs, Major
Hennenhofer an den Drähten gezogen, die er über alle Ecken des Länd-
chens ausgespannt hielt. Die Lorbeeren von Wolfenweiler und Schall-
stadt ließen ihn nicht schlafen. Mit einem male kamen aus zahlreichen
Ortschaften Adressen an den Großherzog, allesammt mit der Bitte um
Aufhebung der Verfassung. Mit erwartungsvoller Freude blickten Met-
ternich's Getreue nach Karlsruhe, wo sie an dem k. k. Gesandten Hruby
einen verschlagenen, einflußreichen Helfer besaßen. Hatzfeldt vermaß sich
schon: "ich werde nicht eher an die Ruhe und das Glück Deutschlands
glauben, als bis die letzte dieser Verfassungen und Alles was ihnen
ähnelt von seinem Boden verschwunden ist."*) Unmöglich schien es nicht,
bei der gefügigen neuen Kammer eine radikale Veränderung des Grund-
gesetzes zu erzwingen. Aber zu so kühnen Entschließungen war Berstett
nicht der Mann, wenn er sich nicht auf den Bund stützen konnte, und im
Ministerrathe saßen außer seinem Gesinnungsgenossen Berckheim auch die
beiden verfassungstreuen Staatsräthe Böckh und Ludwig Winter. Auf
Winter's Antrag wurden die unterthänigen Adressenschreiber abgewiesen,
und statt einer umfassenden Verfassungsrevision begnügte man sich mit
dem Vorschlage, daß fortan das Budget auf drei Jahre bewilligt und die
Kammer aller sechs Jahre vollständig neugewählt werden solle.

Wider den Inhalt des Vorschlags ließ sich wenig einwenden: das
dreijährige Budget konnte dem Lande manchen unnützen Wortkampf er-
sparen, und die neue Wahlordnung war unverkennbar zweckmäßiger als
die bisher übliche Viertels-Erneuerung der Kammer. Gleichwohl erregte
die Vorlage tiefen und berechtigten Unmuth unter den treuen An-
hängern der Verfassung; auch Winter selbst hatte ihr nur um Aergeres
zu verhindern, widerwillig zugestimmt. Dies kaum erst geschaffene Grund-
gesetz schon wieder abändern, die Vorschriften über das Budget zurück-
nehmen noch bevor jemals ein ordnungsmäßiges Budget zu Stande ge-
kommen war -- das hieß mit der Verfassung spielen. Doch was galten
Gründe in diesem unterthänigen Hause? Der junge Heidelberger Pro-
fessor Roßhirt, eine Leuchte der werdenden ultramontanen Partei, er-
stattete einen empfehlenden Bericht, und die Abgeordneten stimmten zu --
bis auf jene tapferen Drei. Auch die erste Kammer trat bei, obgleich
Wessenberg sie an "die jungfräuliche Unverletzlichkeit" des Staatsgrund-
gesetzes erinnerte. Mit diesem kleinmüthigen Beschlusse war die Lebens-
kraft des Karlsruher Landtags auf lange hinaus gelähmt. Matt und
kleinlaut schleppten sich die Verhandlungen zu Ende; auch der kurze Land-

*) Hatzfeldt's Bericht, 24. Jan. 1825.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 23

Verfaſſungsänderung in Baden.
behielt: Föhrenbach, Grimm und der Freiburger Profeſſor Duttlinger, ein
gewiegter Kenner des Verfaſſungsrechts.

Gleichzeitig hatte der vielgewandte Günſtling des Großherzogs, Major
Hennenhofer an den Drähten gezogen, die er über alle Ecken des Länd-
chens ausgeſpannt hielt. Die Lorbeeren von Wolfenweiler und Schall-
ſtadt ließen ihn nicht ſchlafen. Mit einem male kamen aus zahlreichen
Ortſchaften Adreſſen an den Großherzog, alleſammt mit der Bitte um
Aufhebung der Verfaſſung. Mit erwartungsvoller Freude blickten Met-
ternich’s Getreue nach Karlsruhe, wo ſie an dem k. k. Geſandten Hruby
einen verſchlagenen, einflußreichen Helfer beſaßen. Hatzfeldt vermaß ſich
ſchon: „ich werde nicht eher an die Ruhe und das Glück Deutſchlands
glauben, als bis die letzte dieſer Verfaſſungen und Alles was ihnen
ähnelt von ſeinem Boden verſchwunden iſt.“*) Unmöglich ſchien es nicht,
bei der gefügigen neuen Kammer eine radikale Veränderung des Grund-
geſetzes zu erzwingen. Aber zu ſo kühnen Entſchließungen war Berſtett
nicht der Mann, wenn er ſich nicht auf den Bund ſtützen konnte, und im
Miniſterrathe ſaßen außer ſeinem Geſinnungsgenoſſen Berckheim auch die
beiden verfaſſungstreuen Staatsräthe Böckh und Ludwig Winter. Auf
Winter’s Antrag wurden die unterthänigen Adreſſenſchreiber abgewieſen,
und ſtatt einer umfaſſenden Verfaſſungsreviſion begnügte man ſich mit
dem Vorſchlage, daß fortan das Budget auf drei Jahre bewilligt und die
Kammer aller ſechs Jahre vollſtändig neugewählt werden ſolle.

Wider den Inhalt des Vorſchlags ließ ſich wenig einwenden: das
dreijährige Budget konnte dem Lande manchen unnützen Wortkampf er-
ſparen, und die neue Wahlordnung war unverkennbar zweckmäßiger als
die bisher übliche Viertels-Erneuerung der Kammer. Gleichwohl erregte
die Vorlage tiefen und berechtigten Unmuth unter den treuen An-
hängern der Verfaſſung; auch Winter ſelbſt hatte ihr nur um Aergeres
zu verhindern, widerwillig zugeſtimmt. Dies kaum erſt geſchaffene Grund-
geſetz ſchon wieder abändern, die Vorſchriften über das Budget zurück-
nehmen noch bevor jemals ein ordnungsmäßiges Budget zu Stande ge-
kommen war — das hieß mit der Verfaſſung ſpielen. Doch was galten
Gründe in dieſem unterthänigen Hauſe? Der junge Heidelberger Pro-
feſſor Roßhirt, eine Leuchte der werdenden ultramontanen Partei, er-
ſtattete einen empfehlenden Bericht, und die Abgeordneten ſtimmten zu —
bis auf jene tapferen Drei. Auch die erſte Kammer trat bei, obgleich
Weſſenberg ſie an „die jungfräuliche Unverletzlichkeit“ des Staatsgrund-
geſetzes erinnerte. Mit dieſem kleinmüthigen Beſchluſſe war die Lebens-
kraft des Karlsruher Landtags auf lange hinaus gelähmt. Matt und
kleinlaut ſchleppten ſich die Verhandlungen zu Ende; auch der kurze Land-

*) Hatzfeldt’s Bericht, 24. Jan. 1825.
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[353/0369] Verfaſſungsänderung in Baden. behielt: Föhrenbach, Grimm und der Freiburger Profeſſor Duttlinger, ein gewiegter Kenner des Verfaſſungsrechts. Gleichzeitig hatte der vielgewandte Günſtling des Großherzogs, Major Hennenhofer an den Drähten gezogen, die er über alle Ecken des Länd- chens ausgeſpannt hielt. Die Lorbeeren von Wolfenweiler und Schall- ſtadt ließen ihn nicht ſchlafen. Mit einem male kamen aus zahlreichen Ortſchaften Adreſſen an den Großherzog, alleſammt mit der Bitte um Aufhebung der Verfaſſung. Mit erwartungsvoller Freude blickten Met- ternich’s Getreue nach Karlsruhe, wo ſie an dem k. k. Geſandten Hruby einen verſchlagenen, einflußreichen Helfer beſaßen. Hatzfeldt vermaß ſich ſchon: „ich werde nicht eher an die Ruhe und das Glück Deutſchlands glauben, als bis die letzte dieſer Verfaſſungen und Alles was ihnen ähnelt von ſeinem Boden verſchwunden iſt.“ *) Unmöglich ſchien es nicht, bei der gefügigen neuen Kammer eine radikale Veränderung des Grund- geſetzes zu erzwingen. Aber zu ſo kühnen Entſchließungen war Berſtett nicht der Mann, wenn er ſich nicht auf den Bund ſtützen konnte, und im Miniſterrathe ſaßen außer ſeinem Geſinnungsgenoſſen Berckheim auch die beiden verfaſſungstreuen Staatsräthe Böckh und Ludwig Winter. Auf Winter’s Antrag wurden die unterthänigen Adreſſenſchreiber abgewieſen, und ſtatt einer umfaſſenden Verfaſſungsreviſion begnügte man ſich mit dem Vorſchlage, daß fortan das Budget auf drei Jahre bewilligt und die Kammer aller ſechs Jahre vollſtändig neugewählt werden ſolle. Wider den Inhalt des Vorſchlags ließ ſich wenig einwenden: das dreijährige Budget konnte dem Lande manchen unnützen Wortkampf er- ſparen, und die neue Wahlordnung war unverkennbar zweckmäßiger als die bisher übliche Viertels-Erneuerung der Kammer. Gleichwohl erregte die Vorlage tiefen und berechtigten Unmuth unter den treuen An- hängern der Verfaſſung; auch Winter ſelbſt hatte ihr nur um Aergeres zu verhindern, widerwillig zugeſtimmt. Dies kaum erſt geſchaffene Grund- geſetz ſchon wieder abändern, die Vorſchriften über das Budget zurück- nehmen noch bevor jemals ein ordnungsmäßiges Budget zu Stande ge- kommen war — das hieß mit der Verfaſſung ſpielen. Doch was galten Gründe in dieſem unterthänigen Hauſe? Der junge Heidelberger Pro- feſſor Roßhirt, eine Leuchte der werdenden ultramontanen Partei, er- ſtattete einen empfehlenden Bericht, und die Abgeordneten ſtimmten zu — bis auf jene tapferen Drei. Auch die erſte Kammer trat bei, obgleich Weſſenberg ſie an „die jungfräuliche Unverletzlichkeit“ des Staatsgrund- geſetzes erinnerte. Mit dieſem kleinmüthigen Beſchluſſe war die Lebens- kraft des Karlsruher Landtags auf lange hinaus gelähmt. Matt und kleinlaut ſchleppten ſich die Verhandlungen zu Ende; auch der kurze Land- *) Hatzfeldt’s Bericht, 24. Jan. 1825. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 23

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/369>, abgerufen am 24.11.2024.