einst in den Tagen des heiligen Reichs, die zornige Frage: ob dieser Staat die lähmende Fessel, die ihn an den Leichnam des deutschen Gesammt- staates kettete, nicht gänzlich abschütteln müsse? Nagler selbst erklärte seinen Frankfurter Genossen aufrichtig: nach meiner Meinung sollte Preußen eine Institution, von der doch kein Heil zu erwarten ist, ihrem Schicksal überlassen. Alles was in Deutschland noch lebendig war fühlte sich ge- hemmt durch den Druck, der auf dem Bunde lag. Für die jungen Ver- fassungen des Südens kam jetzt erst die schwerste Zeit. Die Gefahr war größer als sie im Jahre 1819 gewesen; denn die jugendliche Begeisterung, welche damals noch die neuen Grundgesetze begrüßte, hatte sich längst ab- gekühlt, die Entmuthigung war so allgemein, daß selbst der ängstliche Gentz gestehen mußte, die Stimmung der gefährlichen Mittelklassen habe sich erheblich gebessert. Die Massen vollends hatten von den Früchten der neuen Freiheit bisher wenig mehr genossen als erhöhte Steuerlast, und manches wackere Bäuerlein hörte schon begierig zu, wenn der Kaplan oder der Amtmann auf die Ducatenmänner schalt -- so hießen die Abgeord- neten von wegen ihrer fünf Gulden Tagegeld.
In den neuen bairischen Landtag, der im März 1825 zusammentrat, war Hornthal nicht wieder gewählt; Behr und einige andere liberale Beamte mußten fern bleiben, weil die Regierung ihr Recht der Urlaubsverweige- rung unerbittlich handhabte. Dafür traten mehrere neue Talente auf, alle überragend der junge Ignaz Rudhart, ein Franke aus den Stifts- landen, der schon in frühen Jahren als Professor und Schriftsteller seine tüchtige Gelehrsamkeit, nachher als Verwaltungsbeamter eine noch größere praktische Begabung bewährt hatte und jetzt der anerkannt erste Redner Baierns wurde, ein makelloser, groß angelegter Charakter. Es war eine Lust, den jugendkräftigen Mann mit den ehrlichen, herzgewinnenden Augen so frisch von der Leber weg sprechen zu hören, immer ganz frei -- was da- mals noch eine Seltenheit war -- etwas pathetischer als es die kurz an- gebundene Gegenwart liebt, aber stets mit gründlicher Sachkenntniß, auf- richtig und doch klug, gedankenreich und doch volksthümlich einfach. Bei all seiner Unfertigkeit besaß das junge constitutionelle Leben des Südens den großen Vorzug, daß solche Naturen sich auf seinem Boden frei ent- falten konnten; der preußische Beamtenstaat hatte für sie noch keinen Raum. Gleich allen Liberalen jener Tage hegte Rudhart anfangs etwas überspannte Vorstellungen von der Macht der neuen Landtage; aber früher als die Anderen lernte er sich bescheiden und erkannte die Schranken, welche dem Parlamentarismus durch Deutschlands monarchische Geschichte gesetzt sind; und weil er seine Hoffnungen nicht auf das Unmögliche richtete, darum bewahrte er sich auch in den Tagen allgemeiner Abspan- nung jene fröhliche, mannhafte Zuversicht, welche seinen Reden noch heute einen eigenen Zauber giebt. Neben ihm that sich durch seine Kenntniß der Volkswirthschaft Utzschneider hervor, ein Industrieller großen Stiles,
Bairiſcher Landtag. J. Rudhart.
einſt in den Tagen des heiligen Reichs, die zornige Frage: ob dieſer Staat die lähmende Feſſel, die ihn an den Leichnam des deutſchen Geſammt- ſtaates kettete, nicht gänzlich abſchütteln müſſe? Nagler ſelbſt erklärte ſeinen Frankfurter Genoſſen aufrichtig: nach meiner Meinung ſollte Preußen eine Inſtitution, von der doch kein Heil zu erwarten iſt, ihrem Schickſal überlaſſen. Alles was in Deutſchland noch lebendig war fühlte ſich ge- hemmt durch den Druck, der auf dem Bunde lag. Für die jungen Ver- faſſungen des Südens kam jetzt erſt die ſchwerſte Zeit. Die Gefahr war größer als ſie im Jahre 1819 geweſen; denn die jugendliche Begeiſterung, welche damals noch die neuen Grundgeſetze begrüßte, hatte ſich längſt ab- gekühlt, die Entmuthigung war ſo allgemein, daß ſelbſt der ängſtliche Gentz geſtehen mußte, die Stimmung der gefährlichen Mittelklaſſen habe ſich erheblich gebeſſert. Die Maſſen vollends hatten von den Früchten der neuen Freiheit bisher wenig mehr genoſſen als erhöhte Steuerlaſt, und manches wackere Bäuerlein hörte ſchon begierig zu, wenn der Kaplan oder der Amtmann auf die Ducatenmänner ſchalt — ſo hießen die Abgeord- neten von wegen ihrer fünf Gulden Tagegeld.
In den neuen bairiſchen Landtag, der im März 1825 zuſammentrat, war Hornthal nicht wieder gewählt; Behr und einige andere liberale Beamte mußten fern bleiben, weil die Regierung ihr Recht der Urlaubsverweige- rung unerbittlich handhabte. Dafür traten mehrere neue Talente auf, alle überragend der junge Ignaz Rudhart, ein Franke aus den Stifts- landen, der ſchon in frühen Jahren als Profeſſor und Schriftſteller ſeine tüchtige Gelehrſamkeit, nachher als Verwaltungsbeamter eine noch größere praktiſche Begabung bewährt hatte und jetzt der anerkannt erſte Redner Baierns wurde, ein makelloſer, groß angelegter Charakter. Es war eine Luſt, den jugendkräftigen Mann mit den ehrlichen, herzgewinnenden Augen ſo friſch von der Leber weg ſprechen zu hören, immer ganz frei — was da- mals noch eine Seltenheit war — etwas pathetiſcher als es die kurz an- gebundene Gegenwart liebt, aber ſtets mit gründlicher Sachkenntniß, auf- richtig und doch klug, gedankenreich und doch volksthümlich einfach. Bei all ſeiner Unfertigkeit beſaß das junge conſtitutionelle Leben des Südens den großen Vorzug, daß ſolche Naturen ſich auf ſeinem Boden frei ent- falten konnten; der preußiſche Beamtenſtaat hatte für ſie noch keinen Raum. Gleich allen Liberalen jener Tage hegte Rudhart anfangs etwas überſpannte Vorſtellungen von der Macht der neuen Landtage; aber früher als die Anderen lernte er ſich beſcheiden und erkannte die Schranken, welche dem Parlamentarismus durch Deutſchlands monarchiſche Geſchichte geſetzt ſind; und weil er ſeine Hoffnungen nicht auf das Unmögliche richtete, darum bewahrte er ſich auch in den Tagen allgemeiner Abſpan- nung jene fröhliche, mannhafte Zuverſicht, welche ſeinen Reden noch heute einen eigenen Zauber giebt. Neben ihm that ſich durch ſeine Kenntniß der Volkswirthſchaft Utzſchneider hervor, ein Induſtrieller großen Stiles,
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Bairiſcher Landtag. J. Rudhart.
einſt in den Tagen des heiligen Reichs, die zornige Frage: ob dieſer Staat
die lähmende Feſſel, die ihn an den Leichnam des deutſchen Geſammt-
ſtaates kettete, nicht gänzlich abſchütteln müſſe? Nagler ſelbſt erklärte ſeinen
Frankfurter Genoſſen aufrichtig: nach meiner Meinung ſollte Preußen
eine Inſtitution, von der doch kein Heil zu erwarten iſt, ihrem Schickſal
überlaſſen. Alles was in Deutſchland noch lebendig war fühlte ſich ge-
hemmt durch den Druck, der auf dem Bunde lag. Für die jungen Ver-
faſſungen des Südens kam jetzt erſt die ſchwerſte Zeit. Die Gefahr war
größer als ſie im Jahre 1819 geweſen; denn die jugendliche Begeiſterung,
welche damals noch die neuen Grundgeſetze begrüßte, hatte ſich längſt ab-
gekühlt, die Entmuthigung war ſo allgemein, daß ſelbſt der ängſtliche Gentz
geſtehen mußte, die Stimmung der gefährlichen Mittelklaſſen habe ſich
erheblich gebeſſert. Die Maſſen vollends hatten von den Früchten der
neuen Freiheit bisher wenig mehr genoſſen als erhöhte Steuerlaſt, und
manches wackere Bäuerlein hörte ſchon begierig zu, wenn der Kaplan oder
der Amtmann auf die Ducatenmänner ſchalt — ſo hießen die Abgeord-
neten von wegen ihrer fünf Gulden Tagegeld.
In den neuen bairiſchen Landtag, der im März 1825 zuſammentrat,
war Hornthal nicht wieder gewählt; Behr und einige andere liberale Beamte
mußten fern bleiben, weil die Regierung ihr Recht der Urlaubsverweige-
rung unerbittlich handhabte. Dafür traten mehrere neue Talente auf,
alle überragend der junge Ignaz Rudhart, ein Franke aus den Stifts-
landen, der ſchon in frühen Jahren als Profeſſor und Schriftſteller ſeine
tüchtige Gelehrſamkeit, nachher als Verwaltungsbeamter eine noch größere
praktiſche Begabung bewährt hatte und jetzt der anerkannt erſte Redner
Baierns wurde, ein makelloſer, groß angelegter Charakter. Es war eine
Luſt, den jugendkräftigen Mann mit den ehrlichen, herzgewinnenden Augen
ſo friſch von der Leber weg ſprechen zu hören, immer ganz frei — was da-
mals noch eine Seltenheit war — etwas pathetiſcher als es die kurz an-
gebundene Gegenwart liebt, aber ſtets mit gründlicher Sachkenntniß, auf-
richtig und doch klug, gedankenreich und doch volksthümlich einfach. Bei
all ſeiner Unfertigkeit beſaß das junge conſtitutionelle Leben des Südens
den großen Vorzug, daß ſolche Naturen ſich auf ſeinem Boden frei ent-
falten konnten; der preußiſche Beamtenſtaat hatte für ſie noch keinen
Raum. Gleich allen Liberalen jener Tage hegte Rudhart anfangs etwas
überſpannte Vorſtellungen von der Macht der neuen Landtage; aber früher
als die Anderen lernte er ſich beſcheiden und erkannte die Schranken,
welche dem Parlamentarismus durch Deutſchlands monarchiſche Geſchichte
geſetzt ſind; und weil er ſeine Hoffnungen nicht auf das Unmögliche
richtete, darum bewahrte er ſich auch in den Tagen allgemeiner Abſpan-
nung jene fröhliche, mannhafte Zuverſicht, welche ſeinen Reden noch heute
einen eigenen Zauber giebt. Neben ihm that ſich durch ſeine Kenntniß
der Volkswirthſchaft Utzſchneider hervor, ein Induſtrieller großen Stiles,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/363>, abgerufen am 24.11.2024.
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