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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
zu einem gemeinsamen Trauerfalle für das civilisirte Europa."*) Gleich
darauf ward in London eine unheimliche Verschwörung entdeckt, der Auf-
ruhr überfluthete ganz Spanien, riß auch Portugal in seine Wirbel hin-
ein. An allen Ecken und Enden erhob die Revolution wieder ihr Haupt;
um so fester stand in Wien der Entschluß, der Mitte Europas die Ruhe
zu bewahren. Die Conservativen aller Länder richteten ihre hoffenden
Blicke auf die Versammlung der deutschen Staatsmänner; "die Wiener
Conferenzen sind der Anker der Rettung", sagte Richelieu zu einem Be-
vollmächtigten des Kaisers Franz, "an sie wird sich mit Gottes Hilfe die
Erhaltung der socialen Ordnung anschließen".**)

Trotzdem bewahrte auch die Verhandlung über die Landstände das
Gepräge jener vermittelnden Bedachtsamkeit, welche die Wiener Bera-
thungen durchweg auszeichnete. Nur die beiden Ultras Berstett und Mar-
schall verlangten eine umfassende Auslegung des Art. 13 im Sinne des
Absolutismus.***) Bernstorff dagegen gab zu erwägen, daß mehrere der
deutschen Fürsten bereits durch feierliche Verpflichtungen gebunden seien;
Zentner wies jede Aenderung der bairischen Verfassung von vornherein
zurück; auch der König von Dänemark, der schon längst die altständischen
Institutionen Schleswigholsteins zu beseitigen hoffte, ließ sofort erklären,
als souveräner Fürst halte er sich berechtigt die Form seiner Landstände
selber zu bestimmen. So geschah es, daß Metternich auf seine Karlsbader
Stände-Doctrin nicht zurückzukommen wagte. "Wir erneuern hier nicht", so
tröstete er einen Vertrauten, "wir bauen auf, nous ne revenons pas sur
nos pas.
" An Rechberg schrieb er schon im Januar: es sei unmöglich, die
Formen wieder umzustoßen, welche unglücklicherweise in den letzten drei
Jahren nach Deutschland verpflanzt worden; so möge denn -- meinte er
mit einem Humor, der die üble Laune kaum verbarg -- Württemberg
zur Strafe seine Verfassung behalten!

Die Versammlung fühlte, daß man die Nation mindestens über die
ehrliche Erfüllung des Art. 13 endlich beruhigen müsse. Daher beantragte
Preußen, der Bund solle eine allgemeine Gewährleistung für die land-
ständischen Verfassungen übernehmen. Berstett aber widersprach; der eifrige
Centralist fand diesmal die Erweiterung der Bundesgewalt bedenklich,
weil sie den Rechten der Nation zu gute kommen sollte. Da auch die
meisten anderen Höfe die Mediatisirung der Nation streng aufrecht halten,
jede unmittelbare Berührung zwischen dem Bunde und ihren Unterthanen
sorgsam verhindern wollten, so begnügte man sich mit der unbestimmten Vor-
schrift (Art. 54): der Bundestag habe darüber zu wachen, daß der Art. 13
in keinem Bundesstaate unerfüllt bleibe; indeß ward jedem Bundesgliede

*) Reinhard, Note an den Bundespräsidialgesandten, 18. Febr., Antwort des Bun-
destags, 19. Febr. 1820.
**) Krusemark's Bericht, 27. März 1820.
***) Bernstorff's Bericht, 25. Dec. 1819.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
zu einem gemeinſamen Trauerfalle für das civiliſirte Europa.“*) Gleich
darauf ward in London eine unheimliche Verſchwörung entdeckt, der Auf-
ruhr überfluthete ganz Spanien, riß auch Portugal in ſeine Wirbel hin-
ein. An allen Ecken und Enden erhob die Revolution wieder ihr Haupt;
um ſo feſter ſtand in Wien der Entſchluß, der Mitte Europas die Ruhe
zu bewahren. Die Conſervativen aller Länder richteten ihre hoffenden
Blicke auf die Verſammlung der deutſchen Staatsmänner; „die Wiener
Conferenzen ſind der Anker der Rettung“, ſagte Richelieu zu einem Be-
vollmächtigten des Kaiſers Franz, „an ſie wird ſich mit Gottes Hilfe die
Erhaltung der ſocialen Ordnung anſchließen“.**)

Trotzdem bewahrte auch die Verhandlung über die Landſtände das
Gepräge jener vermittelnden Bedachtſamkeit, welche die Wiener Bera-
thungen durchweg auszeichnete. Nur die beiden Ultras Berſtett und Mar-
ſchall verlangten eine umfaſſende Auslegung des Art. 13 im Sinne des
Abſolutismus.***) Bernſtorff dagegen gab zu erwägen, daß mehrere der
deutſchen Fürſten bereits durch feierliche Verpflichtungen gebunden ſeien;
Zentner wies jede Aenderung der bairiſchen Verfaſſung von vornherein
zurück; auch der König von Dänemark, der ſchon längſt die altſtändiſchen
Inſtitutionen Schleswigholſteins zu beſeitigen hoffte, ließ ſofort erklären,
als ſouveräner Fürſt halte er ſich berechtigt die Form ſeiner Landſtände
ſelber zu beſtimmen. So geſchah es, daß Metternich auf ſeine Karlsbader
Stände-Doctrin nicht zurückzukommen wagte. „Wir erneuern hier nicht“, ſo
tröſtete er einen Vertrauten, „wir bauen auf, nous ne revenons pas sur
nos pas.
“ An Rechberg ſchrieb er ſchon im Januar: es ſei unmöglich, die
Formen wieder umzuſtoßen, welche unglücklicherweiſe in den letzten drei
Jahren nach Deutſchland verpflanzt worden; ſo möge denn — meinte er
mit einem Humor, der die üble Laune kaum verbarg — Württemberg
zur Strafe ſeine Verfaſſung behalten!

Die Verſammlung fühlte, daß man die Nation mindeſtens über die
ehrliche Erfüllung des Art. 13 endlich beruhigen müſſe. Daher beantragte
Preußen, der Bund ſolle eine allgemeine Gewährleiſtung für die land-
ſtändiſchen Verfaſſungen übernehmen. Berſtett aber widerſprach; der eifrige
Centraliſt fand diesmal die Erweiterung der Bundesgewalt bedenklich,
weil ſie den Rechten der Nation zu gute kommen ſollte. Da auch die
meiſten anderen Höfe die Mediatiſirung der Nation ſtreng aufrecht halten,
jede unmittelbare Berührung zwiſchen dem Bunde und ihren Unterthanen
ſorgſam verhindern wollten, ſo begnügte man ſich mit der unbeſtimmten Vor-
ſchrift (Art. 54): der Bundestag habe darüber zu wachen, daß der Art. 13
in keinem Bundesſtaate unerfüllt bleibe; indeß ward jedem Bundesgliede

*) Reinhard, Note an den Bundespräſidialgeſandten, 18. Febr., Antwort des Bun-
destags, 19. Febr. 1820.
**) Kruſemark’s Bericht, 27. März 1820.
***) Bernſtorff’s Bericht, 25. Dec. 1819.
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[20/0036] III. 1. Die Wiener Conferenzen. zu einem gemeinſamen Trauerfalle für das civiliſirte Europa.“ *) Gleich darauf ward in London eine unheimliche Verſchwörung entdeckt, der Auf- ruhr überfluthete ganz Spanien, riß auch Portugal in ſeine Wirbel hin- ein. An allen Ecken und Enden erhob die Revolution wieder ihr Haupt; um ſo feſter ſtand in Wien der Entſchluß, der Mitte Europas die Ruhe zu bewahren. Die Conſervativen aller Länder richteten ihre hoffenden Blicke auf die Verſammlung der deutſchen Staatsmänner; „die Wiener Conferenzen ſind der Anker der Rettung“, ſagte Richelieu zu einem Be- vollmächtigten des Kaiſers Franz, „an ſie wird ſich mit Gottes Hilfe die Erhaltung der ſocialen Ordnung anſchließen“. **) Trotzdem bewahrte auch die Verhandlung über die Landſtände das Gepräge jener vermittelnden Bedachtſamkeit, welche die Wiener Bera- thungen durchweg auszeichnete. Nur die beiden Ultras Berſtett und Mar- ſchall verlangten eine umfaſſende Auslegung des Art. 13 im Sinne des Abſolutismus. ***) Bernſtorff dagegen gab zu erwägen, daß mehrere der deutſchen Fürſten bereits durch feierliche Verpflichtungen gebunden ſeien; Zentner wies jede Aenderung der bairiſchen Verfaſſung von vornherein zurück; auch der König von Dänemark, der ſchon längſt die altſtändiſchen Inſtitutionen Schleswigholſteins zu beſeitigen hoffte, ließ ſofort erklären, als ſouveräner Fürſt halte er ſich berechtigt die Form ſeiner Landſtände ſelber zu beſtimmen. So geſchah es, daß Metternich auf ſeine Karlsbader Stände-Doctrin nicht zurückzukommen wagte. „Wir erneuern hier nicht“, ſo tröſtete er einen Vertrauten, „wir bauen auf, nous ne revenons pas sur nos pas.“ An Rechberg ſchrieb er ſchon im Januar: es ſei unmöglich, die Formen wieder umzuſtoßen, welche unglücklicherweiſe in den letzten drei Jahren nach Deutſchland verpflanzt worden; ſo möge denn — meinte er mit einem Humor, der die üble Laune kaum verbarg — Württemberg zur Strafe ſeine Verfaſſung behalten! Die Verſammlung fühlte, daß man die Nation mindeſtens über die ehrliche Erfüllung des Art. 13 endlich beruhigen müſſe. Daher beantragte Preußen, der Bund ſolle eine allgemeine Gewährleiſtung für die land- ſtändiſchen Verfaſſungen übernehmen. Berſtett aber widerſprach; der eifrige Centraliſt fand diesmal die Erweiterung der Bundesgewalt bedenklich, weil ſie den Rechten der Nation zu gute kommen ſollte. Da auch die meiſten anderen Höfe die Mediatiſirung der Nation ſtreng aufrecht halten, jede unmittelbare Berührung zwiſchen dem Bunde und ihren Unterthanen ſorgſam verhindern wollten, ſo begnügte man ſich mit der unbeſtimmten Vor- ſchrift (Art. 54): der Bundestag habe darüber zu wachen, daß der Art. 13 in keinem Bundesſtaate unerfüllt bleibe; indeß ward jedem Bundesgliede *) Reinhard, Note an den Bundespräſidialgeſandten, 18. Febr., Antwort des Bun- destags, 19. Febr. 1820. **) Kruſemark’s Bericht, 27. März 1820. ***) Bernſtorff’s Bericht, 25. Dec. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/36>, abgerufen am 29.03.2024.