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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
schon fortbeständen, beantragen solle. Im Einzelnen forderte Zentner
namentlich die Aufrechterhaltung des monarchischen Princips bei der Aus-
führung des Artikels 13 der Bundesakte. Im Deutschen Bunde können
"keine von dem ursprünglichen landständischen Charakter gänzlich abweichen-
den Formen und Grundsätze geduldet werden", darum müssen alle die
Bundesstaaten, welche ihren Ständen öffentliche Verhandlungen gestatten,
womöglich nach gemeinsamer Verabredung, strenge Geschäftsordnungen ein-
führen. Mit der Fortdauer der Gesetze wider die Universitäten und die
Presse erklärte sich der bairische Minister ganz einverstanden, obwohl er
hinzufügte, daß man in Baiern durch Bücherverbote ebenso viel, ja sogar
noch mehr erreicht habe als anderwärts durch die Büchercensur. Von
einem Vorbehalte der bairischen Souveränität und Verfassung war gar keine
Rede mehr. Also schien der Vater der bairischen Constitution mit fliegen-
den Fahnen in das österreichische Lager hinüberzuziehen, und Metternich
beschloß sofort, diese Denkschrift Zentner's für seine eigenen Anträge am
Bundestage zur Grundlage zu nehmen. Er wollte, so gestand er seinem
Kaiser, "Baiern compromittiren", dem unzuverlässigen Münchener Hof
jeden Rückzug versperren. Hochbefriedigt verließ er Tegernsee am 2. Juni,
um dann auf dem Johannisberge seine Vertrauten um sich zu versammeln.
Sie Alle begrüßten die bairische Denkschrift als einen großen Erfolg. Der
preußische Bundesgesandte meinte schadenfroh: "Zentner schien sein eignes
Kind für ungerathen zu erklären und ging auf einen Erleuchtungspunkt
über, der von seinen früheren Ansichten als Illuminat, Professor und Con-
stitutionsverfasser sehr verschieden ist."*)

Ganz so schlimm stand es denn doch nicht. Der kluge bairische
Staatsmann hielt, obgleich er den Wünschen Oesterreichs sehr weit ent-
gegenkam, noch immer an den Grundsätzen fest, welche er auf der Wiener
Conferenz mit Bernstorff's Unterstützung vertheidigt hatte; er wollte kein
Eingreifen des Bundes in die Landesverfassungen. Und sah man schärfer
hin, so enthielt Zentner's Denkschrift nicht einmal das unzweideutige Ver-
sprechen, daß Baiern selber fortan das Karlsbader Preßgesetz buchstäblich
befolgen und, seinen Verfassungsgesetzen zuwider, die Büchercensur ein-
führen wolle. Wenn er eine scharfe Geschäftsordnung für die Landtage
wünschte, so war auch dies kein neues Zugeständniß, sondern lediglich eine
Umschreibung der in Art. 59 der Schlußakte bereits gegebenen Vorschrift.
Metternich wußte auch sehr wohl, daß die Gefügigkeit des Münchener
Hofes ihre Grenzen hatte. Als Berstett jetzt auf dem Johannisberge er-
schien um wieder einmal die Hilfe des Bundes anzurufen und wieder
einmal in einer langen Blittersdorffischen Denkschrift die bedrängte Lage
Badens darzustellen,**) da erwiderte ihm der Oesterreicher achselzuckend:
möge man in Karlsruhe zusehen, wie man aus eigener Kraft mit den

*) Nagler's Bericht, 19. Juli 1824.
**) Blittersdorff, Denkschrift über die Lage Badens, Johannisberg, Juli 1824.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
ſchon fortbeſtänden, beantragen ſolle. Im Einzelnen forderte Zentner
namentlich die Aufrechterhaltung des monarchiſchen Princips bei der Aus-
führung des Artikels 13 der Bundesakte. Im Deutſchen Bunde können
„keine von dem urſprünglichen landſtändiſchen Charakter gänzlich abweichen-
den Formen und Grundſätze geduldet werden“, darum müſſen alle die
Bundesſtaaten, welche ihren Ständen öffentliche Verhandlungen geſtatten,
womöglich nach gemeinſamer Verabredung, ſtrenge Geſchäftsordnungen ein-
führen. Mit der Fortdauer der Geſetze wider die Univerſitäten und die
Preſſe erklärte ſich der bairiſche Miniſter ganz einverſtanden, obwohl er
hinzufügte, daß man in Baiern durch Bücherverbote ebenſo viel, ja ſogar
noch mehr erreicht habe als anderwärts durch die Büchercenſur. Von
einem Vorbehalte der bairiſchen Souveränität und Verfaſſung war gar keine
Rede mehr. Alſo ſchien der Vater der bairiſchen Conſtitution mit fliegen-
den Fahnen in das öſterreichiſche Lager hinüberzuziehen, und Metternich
beſchloß ſofort, dieſe Denkſchrift Zentner’s für ſeine eigenen Anträge am
Bundestage zur Grundlage zu nehmen. Er wollte, ſo geſtand er ſeinem
Kaiſer, „Baiern compromittiren“, dem unzuverläſſigen Münchener Hof
jeden Rückzug verſperren. Hochbefriedigt verließ er Tegernſee am 2. Juni,
um dann auf dem Johannisberge ſeine Vertrauten um ſich zu verſammeln.
Sie Alle begrüßten die bairiſche Denkſchrift als einen großen Erfolg. Der
preußiſche Bundesgeſandte meinte ſchadenfroh: „Zentner ſchien ſein eignes
Kind für ungerathen zu erklären und ging auf einen Erleuchtungspunkt
über, der von ſeinen früheren Anſichten als Illuminat, Profeſſor und Con-
ſtitutionsverfaſſer ſehr verſchieden iſt.“*)

Ganz ſo ſchlimm ſtand es denn doch nicht. Der kluge bairiſche
Staatsmann hielt, obgleich er den Wünſchen Oeſterreichs ſehr weit ent-
gegenkam, noch immer an den Grundſätzen feſt, welche er auf der Wiener
Conferenz mit Bernſtorff’s Unterſtützung vertheidigt hatte; er wollte kein
Eingreifen des Bundes in die Landesverfaſſungen. Und ſah man ſchärfer
hin, ſo enthielt Zentner’s Denkſchrift nicht einmal das unzweideutige Ver-
ſprechen, daß Baiern ſelber fortan das Karlsbader Preßgeſetz buchſtäblich
befolgen und, ſeinen Verfaſſungsgeſetzen zuwider, die Büchercenſur ein-
führen wolle. Wenn er eine ſcharfe Geſchäftsordnung für die Landtage
wünſchte, ſo war auch dies kein neues Zugeſtändniß, ſondern lediglich eine
Umſchreibung der in Art. 59 der Schlußakte bereits gegebenen Vorſchrift.
Metternich wußte auch ſehr wohl, daß die Gefügigkeit des Münchener
Hofes ihre Grenzen hatte. Als Berſtett jetzt auf dem Johannisberge er-
ſchien um wieder einmal die Hilfe des Bundes anzurufen und wieder
einmal in einer langen Blittersdorffiſchen Denkſchrift die bedrängte Lage
Badens darzuſtellen,**) da erwiderte ihm der Oeſterreicher achſelzuckend:
möge man in Karlsruhe zuſehen, wie man aus eigener Kraft mit den

*) Nagler’s Bericht, 19. Juli 1824.
**) Blittersdorff, Denkſchrift über die Lage Badens, Johannisberg, Juli 1824.
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[336/0352] III. 5. Die Großmächte und die Trias. ſchon fortbeſtänden, beantragen ſolle. Im Einzelnen forderte Zentner namentlich die Aufrechterhaltung des monarchiſchen Princips bei der Aus- führung des Artikels 13 der Bundesakte. Im Deutſchen Bunde können „keine von dem urſprünglichen landſtändiſchen Charakter gänzlich abweichen- den Formen und Grundſätze geduldet werden“, darum müſſen alle die Bundesſtaaten, welche ihren Ständen öffentliche Verhandlungen geſtatten, womöglich nach gemeinſamer Verabredung, ſtrenge Geſchäftsordnungen ein- führen. Mit der Fortdauer der Geſetze wider die Univerſitäten und die Preſſe erklärte ſich der bairiſche Miniſter ganz einverſtanden, obwohl er hinzufügte, daß man in Baiern durch Bücherverbote ebenſo viel, ja ſogar noch mehr erreicht habe als anderwärts durch die Büchercenſur. Von einem Vorbehalte der bairiſchen Souveränität und Verfaſſung war gar keine Rede mehr. Alſo ſchien der Vater der bairiſchen Conſtitution mit fliegen- den Fahnen in das öſterreichiſche Lager hinüberzuziehen, und Metternich beſchloß ſofort, dieſe Denkſchrift Zentner’s für ſeine eigenen Anträge am Bundestage zur Grundlage zu nehmen. Er wollte, ſo geſtand er ſeinem Kaiſer, „Baiern compromittiren“, dem unzuverläſſigen Münchener Hof jeden Rückzug verſperren. Hochbefriedigt verließ er Tegernſee am 2. Juni, um dann auf dem Johannisberge ſeine Vertrauten um ſich zu verſammeln. Sie Alle begrüßten die bairiſche Denkſchrift als einen großen Erfolg. Der preußiſche Bundesgeſandte meinte ſchadenfroh: „Zentner ſchien ſein eignes Kind für ungerathen zu erklären und ging auf einen Erleuchtungspunkt über, der von ſeinen früheren Anſichten als Illuminat, Profeſſor und Con- ſtitutionsverfaſſer ſehr verſchieden iſt.“ *) Ganz ſo ſchlimm ſtand es denn doch nicht. Der kluge bairiſche Staatsmann hielt, obgleich er den Wünſchen Oeſterreichs ſehr weit ent- gegenkam, noch immer an den Grundſätzen feſt, welche er auf der Wiener Conferenz mit Bernſtorff’s Unterſtützung vertheidigt hatte; er wollte kein Eingreifen des Bundes in die Landesverfaſſungen. Und ſah man ſchärfer hin, ſo enthielt Zentner’s Denkſchrift nicht einmal das unzweideutige Ver- ſprechen, daß Baiern ſelber fortan das Karlsbader Preßgeſetz buchſtäblich befolgen und, ſeinen Verfaſſungsgeſetzen zuwider, die Büchercenſur ein- führen wolle. Wenn er eine ſcharfe Geſchäftsordnung für die Landtage wünſchte, ſo war auch dies kein neues Zugeſtändniß, ſondern lediglich eine Umſchreibung der in Art. 59 der Schlußakte bereits gegebenen Vorſchrift. Metternich wußte auch ſehr wohl, daß die Gefügigkeit des Münchener Hofes ihre Grenzen hatte. Als Berſtett jetzt auf dem Johannisberge er- ſchien um wieder einmal die Hilfe des Bundes anzurufen und wieder einmal in einer langen Blittersdorffiſchen Denkſchrift die bedrängte Lage Badens darzuſtellen, **) da erwiderte ihm der Oeſterreicher achſelzuckend: möge man in Karlsruhe zuſehen, wie man aus eigener Kraft mit den *) Nagler’s Bericht, 19. Juli 1824. **) Blittersdorff, Denkſchrift über die Lage Badens, Johannisberg, Juli 1824.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/352>, abgerufen am 22.11.2024.