Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 5. Die Großmächte und die Trias. aber in das constitutionelle Wesen konnte sich der alternde König nie rechtfinden, und mit Bangen sah er dem nächsten Landtage entgegen, der ein beträchtliches Deficit decken sollte. Zudem stand die Demagogenverfolgung eben jetzt in voller Blüthe. In München wurden Dr. Eisenmann und einige andere brave junge Männer, auf eine Anzeige aus Berlin, ver- haftet. In Erlangen wollte man bei gefangenen Soldaten einen Plan ent- deckt haben, der darauf hinauslief, den König mitsammt seinen Ministern zu beseitigen oder gar zu erhängen, wie ängstliche Gemüther behaupteten: nur den liberalen Lerchenfeld dachten die jungen Unholde zu verschonen. Die Kinderei machte doch tiefen Eindruck bei Hofe, und dem liberalen Minister gereichte die Verehrung, welche ihm die Demagogen erwiesen, nicht zum Vortheil. Er war schon mehrmals seinem Sturze nahe ge- wesen und hatte es hinnehmen müssen, daß sein geistvoller Freund Ignaz Rudhart, wegen eines freimüthigen Buches über das Bundesrecht, in die Provinz versetzt wurde. Die um den Nuntius geschaarte ultramontane Partei trat täglich kecker auf; in der Frauenkirche hielt Pfarrer Hoek, ge- schützt von seinem Erzbischof, Schmähpredigten wider die Protestanten. Eine Schrift von Alexander Müller "Preußen und Baiern im Concordate mit Rom" wurde verboten, weil sie die alte fridericianische Kirchenpolitik vertheidigte.*) Unheimliche Gerüchte von hierarchischen Umtrieben durch- liefen das Land und beunruhigten die protestantische Bevölkerung. Als der König, um den protestantischen Gemeinden eine größere Selbständig- keit zu geben, die Erwählung von Presbyterien anordnete, da stieß er bei seinen Franken auf zähen Widerstand. Anselm Feuerbach eiferte in leiden- schaftlichen Streitschriften wider den Versuch, die lutherische Freiheit durch calvinische Sittenzucht zu beschränken, er bestritt dem katholischen Landes- herrn die oberstbischöfliche Gewalt, verlangte ein besonderes Cultusmini- sterium für die protestantische Kirche und ließ sich auch nicht beschwichtigen, als Schleiermacher und sogar der Todfeind der Priesterherrschaft, Paulus den offenbar wohlgemeinten Plan des Königs vertheidigten. Das Miß- trauen war unüberwindlich, die Krone mußte nachgeben. Tief erschüttert durch den Tod seines Lieblings Eugen Beauharnais zeigte sich Max Joseph in diesen Tagen noch weicher und lenksamer als sonst. Rechberg stand in höchster Gnade und verstand diese Stimmung zu benutzen. Er wurde nicht müde dem preußischen Gesandten zu versichern, sein König werde sich herzlich freuen, wenn ihm der Bund eine Reform seiner Landes- verfassung ermögliche; der Antrag darauf könne freilich nicht von Baiern, sondern nur von den Großmächten ausgehen.**) In den letzten Maitagen traf Metternich in Tegernsee ein, im Ge- *) Berichte von Zastrow, 26. Febr., von Küster 3., 6. Aug. 1823, 28. April 1824. **) Küster's Berichte, 31. März, 9., 23. Mai 1824.
III. 5. Die Großmächte und die Trias. aber in das conſtitutionelle Weſen konnte ſich der alternde König nie rechtfinden, und mit Bangen ſah er dem nächſten Landtage entgegen, der ein beträchtliches Deficit decken ſollte. Zudem ſtand die Demagogenverfolgung eben jetzt in voller Blüthe. In München wurden Dr. Eiſenmann und einige andere brave junge Männer, auf eine Anzeige aus Berlin, ver- haftet. In Erlangen wollte man bei gefangenen Soldaten einen Plan ent- deckt haben, der darauf hinauslief, den König mitſammt ſeinen Miniſtern zu beſeitigen oder gar zu erhängen, wie ängſtliche Gemüther behaupteten: nur den liberalen Lerchenfeld dachten die jungen Unholde zu verſchonen. Die Kinderei machte doch tiefen Eindruck bei Hofe, und dem liberalen Miniſter gereichte die Verehrung, welche ihm die Demagogen erwieſen, nicht zum Vortheil. Er war ſchon mehrmals ſeinem Sturze nahe ge- weſen und hatte es hinnehmen müſſen, daß ſein geiſtvoller Freund Ignaz Rudhart, wegen eines freimüthigen Buches über das Bundesrecht, in die Provinz verſetzt wurde. Die um den Nuntius geſchaarte ultramontane Partei trat täglich kecker auf; in der Frauenkirche hielt Pfarrer Hoek, ge- ſchützt von ſeinem Erzbiſchof, Schmähpredigten wider die Proteſtanten. Eine Schrift von Alexander Müller „Preußen und Baiern im Concordate mit Rom“ wurde verboten, weil ſie die alte fridericianiſche Kirchenpolitik vertheidigte.*) Unheimliche Gerüchte von hierarchiſchen Umtrieben durch- liefen das Land und beunruhigten die proteſtantiſche Bevölkerung. Als der König, um den proteſtantiſchen Gemeinden eine größere Selbſtändig- keit zu geben, die Erwählung von Presbyterien anordnete, da ſtieß er bei ſeinen Franken auf zähen Widerſtand. Anſelm Feuerbach eiferte in leiden- ſchaftlichen Streitſchriften wider den Verſuch, die lutheriſche Freiheit durch calviniſche Sittenzucht zu beſchränken, er beſtritt dem katholiſchen Landes- herrn die oberſtbiſchöfliche Gewalt, verlangte ein beſonderes Cultusmini- ſterium für die proteſtantiſche Kirche und ließ ſich auch nicht beſchwichtigen, als Schleiermacher und ſogar der Todfeind der Prieſterherrſchaft, Paulus den offenbar wohlgemeinten Plan des Königs vertheidigten. Das Miß- trauen war unüberwindlich, die Krone mußte nachgeben. Tief erſchüttert durch den Tod ſeines Lieblings Eugen Beauharnais zeigte ſich Max Joſeph in dieſen Tagen noch weicher und lenkſamer als ſonſt. Rechberg ſtand in höchſter Gnade und verſtand dieſe Stimmung zu benutzen. Er wurde nicht müde dem preußiſchen Geſandten zu verſichern, ſein König werde ſich herzlich freuen, wenn ihm der Bund eine Reform ſeiner Landes- verfaſſung ermögliche; der Antrag darauf könne freilich nicht von Baiern, ſondern nur von den Großmächten ausgehen.**) In den letzten Maitagen traf Metternich in Tegernſee ein, im Ge- *) Berichte von Zaſtrow, 26. Febr., von Küſter 3., 6. Aug. 1823, 28. April 1824. **) Küſter’s Berichte, 31. März, 9., 23. Mai 1824.
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
aber in das conſtitutionelle Weſen konnte ſich der alternde König nie recht
finden, und mit Bangen ſah er dem nächſten Landtage entgegen, der ein
beträchtliches Deficit decken ſollte. Zudem ſtand die Demagogenverfolgung
eben jetzt in voller Blüthe. In München wurden Dr. Eiſenmann und
einige andere brave junge Männer, auf eine Anzeige aus Berlin, ver-
haftet. In Erlangen wollte man bei gefangenen Soldaten einen Plan ent-
deckt haben, der darauf hinauslief, den König mitſammt ſeinen Miniſtern
zu beſeitigen oder gar zu erhängen, wie ängſtliche Gemüther behaupteten:
nur den liberalen Lerchenfeld dachten die jungen Unholde zu verſchonen.
Die Kinderei machte doch tiefen Eindruck bei Hofe, und dem liberalen
Miniſter gereichte die Verehrung, welche ihm die Demagogen erwieſen,
nicht zum Vortheil. Er war ſchon mehrmals ſeinem Sturze nahe ge-
weſen und hatte es hinnehmen müſſen, daß ſein geiſtvoller Freund Ignaz
Rudhart, wegen eines freimüthigen Buches über das Bundesrecht, in die
Provinz verſetzt wurde. Die um den Nuntius geſchaarte ultramontane
Partei trat täglich kecker auf; in der Frauenkirche hielt Pfarrer Hoek, ge-
ſchützt von ſeinem Erzbiſchof, Schmähpredigten wider die Proteſtanten.
Eine Schrift von Alexander Müller „Preußen und Baiern im Concordate
mit Rom“ wurde verboten, weil ſie die alte fridericianiſche Kirchenpolitik
vertheidigte. *) Unheimliche Gerüchte von hierarchiſchen Umtrieben durch-
liefen das Land und beunruhigten die proteſtantiſche Bevölkerung. Als
der König, um den proteſtantiſchen Gemeinden eine größere Selbſtändig-
keit zu geben, die Erwählung von Presbyterien anordnete, da ſtieß er bei
ſeinen Franken auf zähen Widerſtand. Anſelm Feuerbach eiferte in leiden-
ſchaftlichen Streitſchriften wider den Verſuch, die lutheriſche Freiheit durch
calviniſche Sittenzucht zu beſchränken, er beſtritt dem katholiſchen Landes-
herrn die oberſtbiſchöfliche Gewalt, verlangte ein beſonderes Cultusmini-
ſterium für die proteſtantiſche Kirche und ließ ſich auch nicht beſchwichtigen,
als Schleiermacher und ſogar der Todfeind der Prieſterherrſchaft, Paulus
den offenbar wohlgemeinten Plan des Königs vertheidigten. Das Miß-
trauen war unüberwindlich, die Krone mußte nachgeben. Tief erſchüttert
durch den Tod ſeines Lieblings Eugen Beauharnais zeigte ſich Max Joſeph
in dieſen Tagen noch weicher und lenkſamer als ſonſt. Rechberg ſtand
in höchſter Gnade und verſtand dieſe Stimmung zu benutzen. Er wurde
nicht müde dem preußiſchen Geſandten zu verſichern, ſein König werde
ſich herzlich freuen, wenn ihm der Bund eine Reform ſeiner Landes-
verfaſſung ermögliche; der Antrag darauf könne freilich nicht von Baiern,
ſondern nur von den Großmächten ausgehen. **)
In den letzten Maitagen traf Metternich in Tegernſee ein, im Ge-
folge des Erzherzogs Franz Karl, der ſich dort mit der Tochter des Königs,
*) Berichte von Zaſtrow, 26. Febr., von Küſter 3., 6. Aug. 1823, 28. April 1824.
**) Küſter’s Berichte, 31. März, 9., 23. Mai 1824.
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