der unzufriedenen diplomatie volante, den Süddeutschen ein lebendiger Beweis preußischer Regierungswillkür.
Schon vorher, im Mai, hatte der Preßausschuß seine Thätigkeit wie- der aufgenommen und alsbald den Stuttgarter Deutschen Beobachter unterdrückt. Wie fühlte der Referent Blittersdorff sich geehrt, da ihm beschieden ward "den Stier bei den Hörnern zu packen." In seinem Eifer verleugnete er sogar seine Eitelkeit und verstand sich dazu, eine unge- heure Denkschrift, die ihm aus der Hofburg zugesandt worden, für sein eigenes Werk auszugeben. Sie brandmarkte das revolutionäre "Delirium" des unheimlichen schwäbischen Blattes und mit besonderem Ingrimm jenen Lindner'schen Artikel "die Diplomaten". "Obwohl es scheinen möchte als spräche der Ausschuß hier in eigener Sache". gelangte er doch zu dem einleuchtenden Schlusse, daß die Sicherheit des Bundes gefährdet sei, wenn "diese angesehene Klasse von Beamten" unanständig behandelt würde. Bald darauf wurde F. Murhard aus Frankfurt ausgewiesen; Nassau und die beiden Hessen mußten sich verpflichten, ihn in ihren Ländern, so nahe der Bundesstadt, nicht zu dulden. Lindner wagte sich in einer Sammlung seiner "Geheimen Papiere" gegen Blittersdorff sehr zahm zu vertheidigen und beschleunigte dadurch nur seine Verbannung aus Württemberg.
Während die Bundesversammlung also unter den liberalen Schrift- stellern aufräumte, bereitete ihr der bairische Kammerredner Hornthal mit orientalischer Dreistigkeit eine schmerzliche Ueberraschung. Er widmete ihr ehrfurchtsvoll seine neueste Schrift: "Werden die deutschen Bundesfürsten am Kriege gegen Spanien theilnehmen?" -- ein Büchlein, das die freien Spanier mit phrasenreichen Lobsprüchen überschüttete. Um solchem Aerger- niß für immer vorzubeugen, beschloß die Bundesversammlung, daß ihr fortan Niemand mehr ohne besondere Erlaubniß ein Buch widmen dürfe; auch Büchergeschenke wollte sie nur dann annehmen, wenn der Verfasser sein Werk vorher dem Bundesgesandten seines Souveräns überreichte und dieser seinen Segen dazu gab. Dergestalt war den demagogischen Ideen jeder Zu- gang zu der Bücherei des Taxis'schen Palastes versperrt, und damit auch die Akten des Bundestags vor der Einschleppung des Krankheitsstoffes bewahrt blieben, beschloß die Versammlung am 15. Jan. 1824, daß alle Eingaben an den Bund, sofern sie gedruckt würden, vorher der Censur unterliegen sollten. Also selbst das bescheidenste aller staatsbürgerlichen Rechte das Recht der Bitte, das den Russen und den Chinesen ungeschmälert blieb, wurde unserem Volke verkümmert; die verhüllte Fremdherrschaft, die auf Deutschland lastete, setzte sich ein Denkmal ohne Gleichen. Den Anlaß zu dem unglaublichen Beschlusse hatte die holsteinische Ritterschaft gegeben mit ihren Bitten um Herstellung der alten Landesverfassung, die natürlich schroff abgewiesen wurden.
Nach Alledem war es nur folgerecht, daß der Bundestag seine Ver- handlungen fortan geheim hielt, wie Metternich schon auf der Wiener
Reaktion am Bundestage.
der unzufriedenen diplomatie volante, den Süddeutſchen ein lebendiger Beweis preußiſcher Regierungswillkür.
Schon vorher, im Mai, hatte der Preßausſchuß ſeine Thätigkeit wie- der aufgenommen und alsbald den Stuttgarter Deutſchen Beobachter unterdrückt. Wie fühlte der Referent Blittersdorff ſich geehrt, da ihm beſchieden ward „den Stier bei den Hörnern zu packen.“ In ſeinem Eifer verleugnete er ſogar ſeine Eitelkeit und verſtand ſich dazu, eine unge- heure Denkſchrift, die ihm aus der Hofburg zugeſandt worden, für ſein eigenes Werk auszugeben. Sie brandmarkte das revolutionäre „Delirium“ des unheimlichen ſchwäbiſchen Blattes und mit beſonderem Ingrimm jenen Lindner’ſchen Artikel „die Diplomaten“. „Obwohl es ſcheinen möchte als ſpräche der Ausſchuß hier in eigener Sache“. gelangte er doch zu dem einleuchtenden Schluſſe, daß die Sicherheit des Bundes gefährdet ſei, wenn „dieſe angeſehene Klaſſe von Beamten“ unanſtändig behandelt würde. Bald darauf wurde F. Murhard aus Frankfurt ausgewieſen; Naſſau und die beiden Heſſen mußten ſich verpflichten, ihn in ihren Ländern, ſo nahe der Bundesſtadt, nicht zu dulden. Lindner wagte ſich in einer Sammlung ſeiner „Geheimen Papiere“ gegen Blittersdorff ſehr zahm zu vertheidigen und beſchleunigte dadurch nur ſeine Verbannung aus Württemberg.
Während die Bundesverſammlung alſo unter den liberalen Schrift- ſtellern aufräumte, bereitete ihr der bairiſche Kammerredner Hornthal mit orientaliſcher Dreiſtigkeit eine ſchmerzliche Ueberraſchung. Er widmete ihr ehrfurchtsvoll ſeine neueſte Schrift: „Werden die deutſchen Bundesfürſten am Kriege gegen Spanien theilnehmen?“ — ein Büchlein, das die freien Spanier mit phraſenreichen Lobſprüchen überſchüttete. Um ſolchem Aerger- niß für immer vorzubeugen, beſchloß die Bundesverſammlung, daß ihr fortan Niemand mehr ohne beſondere Erlaubniß ein Buch widmen dürfe; auch Büchergeſchenke wollte ſie nur dann annehmen, wenn der Verfaſſer ſein Werk vorher dem Bundesgeſandten ſeines Souveräns überreichte und dieſer ſeinen Segen dazu gab. Dergeſtalt war den demagogiſchen Ideen jeder Zu- gang zu der Bücherei des Taxis’ſchen Palaſtes verſperrt, und damit auch die Akten des Bundestags vor der Einſchleppung des Krankheitsſtoffes bewahrt blieben, beſchloß die Verſammlung am 15. Jan. 1824, daß alle Eingaben an den Bund, ſofern ſie gedruckt würden, vorher der Cenſur unterliegen ſollten. Alſo ſelbſt das beſcheidenſte aller ſtaatsbürgerlichen Rechte das Recht der Bitte, das den Ruſſen und den Chineſen ungeſchmälert blieb, wurde unſerem Volke verkümmert; die verhüllte Fremdherrſchaft, die auf Deutſchland laſtete, ſetzte ſich ein Denkmal ohne Gleichen. Den Anlaß zu dem unglaublichen Beſchluſſe hatte die holſteiniſche Ritterſchaft gegeben mit ihren Bitten um Herſtellung der alten Landesverfaſſung, die natürlich ſchroff abgewieſen wurden.
Nach Alledem war es nur folgerecht, daß der Bundestag ſeine Ver- handlungen fortan geheim hielt, wie Metternich ſchon auf der Wiener
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0345"n="329"/><fwplace="top"type="header">Reaktion am Bundestage.</fw><lb/>
der unzufriedenen <hirendition="#aq">diplomatie volante,</hi> den Süddeutſchen ein lebendiger<lb/>
Beweis preußiſcher Regierungswillkür.</p><lb/><p>Schon vorher, im Mai, hatte der Preßausſchuß ſeine Thätigkeit wie-<lb/>
der aufgenommen und alsbald den Stuttgarter Deutſchen Beobachter<lb/>
unterdrückt. Wie fühlte der Referent Blittersdorff ſich geehrt, da ihm<lb/>
beſchieden ward „den Stier bei den Hörnern zu packen.“ In ſeinem Eifer<lb/>
verleugnete er ſogar ſeine Eitelkeit und verſtand ſich dazu, eine unge-<lb/>
heure Denkſchrift, die ihm aus der Hofburg zugeſandt worden, für ſein<lb/>
eigenes Werk auszugeben. Sie brandmarkte das revolutionäre „Delirium“<lb/>
des unheimlichen ſchwäbiſchen Blattes und mit beſonderem Ingrimm jenen<lb/>
Lindner’ſchen Artikel „die Diplomaten“. „Obwohl es ſcheinen möchte als<lb/>ſpräche der Ausſchuß hier in eigener Sache“. gelangte er doch zu dem<lb/>
einleuchtenden Schluſſe, daß die Sicherheit des Bundes gefährdet ſei, wenn<lb/>„dieſe angeſehene Klaſſe von Beamten“ unanſtändig behandelt würde. Bald<lb/>
darauf wurde F. Murhard aus Frankfurt ausgewieſen; Naſſau und die<lb/>
beiden Heſſen mußten ſich verpflichten, ihn in ihren Ländern, ſo nahe der<lb/>
Bundesſtadt, nicht zu dulden. Lindner wagte ſich in einer Sammlung<lb/>ſeiner „Geheimen Papiere“ gegen Blittersdorff ſehr zahm zu vertheidigen<lb/>
und beſchleunigte dadurch nur ſeine Verbannung aus Württemberg.</p><lb/><p>Während die Bundesverſammlung alſo unter den liberalen Schrift-<lb/>ſtellern aufräumte, bereitete ihr der bairiſche Kammerredner Hornthal mit<lb/>
orientaliſcher Dreiſtigkeit eine ſchmerzliche Ueberraſchung. Er widmete ihr<lb/>
ehrfurchtsvoll ſeine neueſte Schrift: „Werden die deutſchen Bundesfürſten<lb/>
am Kriege gegen Spanien theilnehmen?“— ein Büchlein, das die freien<lb/>
Spanier mit phraſenreichen Lobſprüchen überſchüttete. Um ſolchem Aerger-<lb/>
niß für immer vorzubeugen, beſchloß die Bundesverſammlung, daß ihr fortan<lb/>
Niemand mehr ohne beſondere Erlaubniß ein Buch widmen dürfe; auch<lb/>
Büchergeſchenke wollte ſie nur dann annehmen, wenn der Verfaſſer ſein<lb/>
Werk vorher dem Bundesgeſandten ſeines Souveräns überreichte und dieſer<lb/>ſeinen Segen dazu gab. Dergeſtalt war den demagogiſchen Ideen jeder Zu-<lb/>
gang zu der Bücherei des Taxis’ſchen Palaſtes verſperrt, und damit auch die<lb/>
Akten des Bundestags vor der Einſchleppung des Krankheitsſtoffes bewahrt<lb/>
blieben, beſchloß die Verſammlung am 15. Jan. 1824, daß alle Eingaben<lb/>
an den Bund, ſofern ſie gedruckt würden, vorher der Cenſur unterliegen<lb/>ſollten. Alſo ſelbſt das beſcheidenſte aller ſtaatsbürgerlichen Rechte das<lb/>
Recht der Bitte, das den Ruſſen und den Chineſen ungeſchmälert blieb,<lb/>
wurde unſerem Volke verkümmert; die verhüllte Fremdherrſchaft, die auf<lb/>
Deutſchland laſtete, ſetzte ſich ein Denkmal ohne Gleichen. Den Anlaß zu<lb/>
dem unglaublichen Beſchluſſe hatte die holſteiniſche Ritterſchaft gegeben mit<lb/>
ihren Bitten um Herſtellung der alten Landesverfaſſung, die natürlich<lb/>ſchroff abgewieſen wurden.</p><lb/><p>Nach Alledem war es nur folgerecht, daß der Bundestag ſeine Ver-<lb/>
handlungen fortan geheim hielt, wie Metternich ſchon auf der Wiener<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[329/0345]
Reaktion am Bundestage.
der unzufriedenen diplomatie volante, den Süddeutſchen ein lebendiger
Beweis preußiſcher Regierungswillkür.
Schon vorher, im Mai, hatte der Preßausſchuß ſeine Thätigkeit wie-
der aufgenommen und alsbald den Stuttgarter Deutſchen Beobachter
unterdrückt. Wie fühlte der Referent Blittersdorff ſich geehrt, da ihm
beſchieden ward „den Stier bei den Hörnern zu packen.“ In ſeinem Eifer
verleugnete er ſogar ſeine Eitelkeit und verſtand ſich dazu, eine unge-
heure Denkſchrift, die ihm aus der Hofburg zugeſandt worden, für ſein
eigenes Werk auszugeben. Sie brandmarkte das revolutionäre „Delirium“
des unheimlichen ſchwäbiſchen Blattes und mit beſonderem Ingrimm jenen
Lindner’ſchen Artikel „die Diplomaten“. „Obwohl es ſcheinen möchte als
ſpräche der Ausſchuß hier in eigener Sache“. gelangte er doch zu dem
einleuchtenden Schluſſe, daß die Sicherheit des Bundes gefährdet ſei, wenn
„dieſe angeſehene Klaſſe von Beamten“ unanſtändig behandelt würde. Bald
darauf wurde F. Murhard aus Frankfurt ausgewieſen; Naſſau und die
beiden Heſſen mußten ſich verpflichten, ihn in ihren Ländern, ſo nahe der
Bundesſtadt, nicht zu dulden. Lindner wagte ſich in einer Sammlung
ſeiner „Geheimen Papiere“ gegen Blittersdorff ſehr zahm zu vertheidigen
und beſchleunigte dadurch nur ſeine Verbannung aus Württemberg.
Während die Bundesverſammlung alſo unter den liberalen Schrift-
ſtellern aufräumte, bereitete ihr der bairiſche Kammerredner Hornthal mit
orientaliſcher Dreiſtigkeit eine ſchmerzliche Ueberraſchung. Er widmete ihr
ehrfurchtsvoll ſeine neueſte Schrift: „Werden die deutſchen Bundesfürſten
am Kriege gegen Spanien theilnehmen?“ — ein Büchlein, das die freien
Spanier mit phraſenreichen Lobſprüchen überſchüttete. Um ſolchem Aerger-
niß für immer vorzubeugen, beſchloß die Bundesverſammlung, daß ihr fortan
Niemand mehr ohne beſondere Erlaubniß ein Buch widmen dürfe; auch
Büchergeſchenke wollte ſie nur dann annehmen, wenn der Verfaſſer ſein
Werk vorher dem Bundesgeſandten ſeines Souveräns überreichte und dieſer
ſeinen Segen dazu gab. Dergeſtalt war den demagogiſchen Ideen jeder Zu-
gang zu der Bücherei des Taxis’ſchen Palaſtes verſperrt, und damit auch die
Akten des Bundestags vor der Einſchleppung des Krankheitsſtoffes bewahrt
blieben, beſchloß die Verſammlung am 15. Jan. 1824, daß alle Eingaben
an den Bund, ſofern ſie gedruckt würden, vorher der Cenſur unterliegen
ſollten. Alſo ſelbſt das beſcheidenſte aller ſtaatsbürgerlichen Rechte das
Recht der Bitte, das den Ruſſen und den Chineſen ungeſchmälert blieb,
wurde unſerem Volke verkümmert; die verhüllte Fremdherrſchaft, die auf
Deutſchland laſtete, ſetzte ſich ein Denkmal ohne Gleichen. Den Anlaß zu
dem unglaublichen Beſchluſſe hatte die holſteiniſche Ritterſchaft gegeben mit
ihren Bitten um Herſtellung der alten Landesverfaſſung, die natürlich
ſchroff abgewieſen wurden.
Nach Alledem war es nur folgerecht, daß der Bundestag ſeine Ver-
handlungen fortan geheim hielt, wie Metternich ſchon auf der Wiener
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/345>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.