sich von Amtswegen verpflichtet, zugleich die Stimmung am Rhein und im Süden polizeilich zu überwachen, wobei ihm sein gewandter Sekretär Kelchner mit uneigennützigem Amtseifer zur Hand ging.
So bewältigte er viele Jahre hindurch mit wunderbarem Fleiße die Ge- schäfte des Generalpostmeisters, des Diplomaten, des freiwilligen Polizei- ministers, beständig unterwegs auf der großen Berlin-Frankfurter Land- straße, wo alle Posthalter stets bereit standen, ihre vier besten Rosse dem Gefürchteten vor seinen Extrapostwagen zu spannen -- immer im Dienst, immer mit Arbeiten überladen; kaum daß er noch einige Stunden frei behielt für die Pflege seiner schönen Kunstsammlungen. Er geizte mit jeder Silbe, jeder Minute, schrieb seine Depeschen mit dem denkbar geringsten Aufwand an Worten, aber immer wirksam und das Wesentliche treffend, und begnügte sich in seinen Privatbriefen mit wenigen abgerissenen Sätzen, die in ihrer trockenen Kürze oft brutal und cynisch wurden. Als ihm sein treuer Kelchner einmal vorhielt, daß der verzweifelte Demagog Kombst sich vielleicht bei der Verhaftung selbst entleiben könne, da antwortete Nagler einfach: "der Selbstmord ist seine Sache."
Der bebänderte und besternte Großwürdenträger erschien den gemüth- lichen kleinen Leuten des Bundestags ganz unausstehlich mit seiner ab- sprechenden Schroffheit, mit seiner feierlichen Amtsmiene, die nur auf Augenblicke einer pfiffig herablassenden Freundlichkeit wich; die Frankfurter sahen in diesem Franken die Verkörperung alles dessen, was am nord- deutschen Wesen verrufen war, und unzweifelhaft hat sein langer Aufent- halt am Main viel dazu beigetragen, die süddeutschen Vorurtheile gegen das preußische Beamtenthum zu nähren. Nagler erfreute sich der beson- deren Gunst Metternich's und wirkte bei Allem was die Hofburg für die Sicherung der Ruhe plante freudig mit. Und doch war er auf seine Weise ein stolzer preußischer Patriot. Nicht um Oesterreichs willen, son- dern nach seinen eigenen starren absolutistischen Grundsätzen unterstützte er die Maßregeln der k. k. Bundespolizei, und niemals vergaß er, daß sein König, den er abgöttisch verehrte, ihm bei der Abreise nach Frankfurt ein- geschärft hatte, zwar das Bündniß mit Oesterreich nicht zu vernachlässigen, aber auch dem preußischen Staate nichts zu vergeben. Schon seine hart- protestantische Gesinnung, die überall jesuitische Umtriebe witterte, stimmte ihn mißtrauisch gegen die Hofburg, und als er dann bemerkte, wie Oester- reich in allen militärischen und wirthschaftlichen Machtfragen dem preu- ßischen Bundesgenossen insgeheim entgegenarbeitete, da setzte er sich sofort zur Wehre. Münch mußte bald fühlen, daß mit diesem strammen Reak- tionär noch schwerer auszukommen war als mit seinem milderen Vor- gänger. Persönlich konnten sich die Zwei, anspruchsvoll und ungemüth- lich wie sie Beide waren, ohnehin nicht vertragen. Schon bald nach Nag- ler's Eintritt begannen geheime Zwistigkeiten, die seitdem fast alljährlich wiederkehrten und immer wieder durch Metternich's Vermittlung, meist zu
Nagler.
ſich von Amtswegen verpflichtet, zugleich die Stimmung am Rhein und im Süden polizeilich zu überwachen, wobei ihm ſein gewandter Sekretär Kelchner mit uneigennützigem Amtseifer zur Hand ging.
So bewältigte er viele Jahre hindurch mit wunderbarem Fleiße die Ge- ſchäfte des Generalpoſtmeiſters, des Diplomaten, des freiwilligen Polizei- miniſters, beſtändig unterwegs auf der großen Berlin-Frankfurter Land- ſtraße, wo alle Poſthalter ſtets bereit ſtanden, ihre vier beſten Roſſe dem Gefürchteten vor ſeinen Extrapoſtwagen zu ſpannen — immer im Dienſt, immer mit Arbeiten überladen; kaum daß er noch einige Stunden frei behielt für die Pflege ſeiner ſchönen Kunſtſammlungen. Er geizte mit jeder Silbe, jeder Minute, ſchrieb ſeine Depeſchen mit dem denkbar geringſten Aufwand an Worten, aber immer wirkſam und das Weſentliche treffend, und begnügte ſich in ſeinen Privatbriefen mit wenigen abgeriſſenen Sätzen, die in ihrer trockenen Kürze oft brutal und cyniſch wurden. Als ihm ſein treuer Kelchner einmal vorhielt, daß der verzweifelte Demagog Kombſt ſich vielleicht bei der Verhaftung ſelbſt entleiben könne, da antwortete Nagler einfach: „der Selbſtmord iſt ſeine Sache.“
Der bebänderte und beſternte Großwürdenträger erſchien den gemüth- lichen kleinen Leuten des Bundestags ganz unausſtehlich mit ſeiner ab- ſprechenden Schroffheit, mit ſeiner feierlichen Amtsmiene, die nur auf Augenblicke einer pfiffig herablaſſenden Freundlichkeit wich; die Frankfurter ſahen in dieſem Franken die Verkörperung alles deſſen, was am nord- deutſchen Weſen verrufen war, und unzweifelhaft hat ſein langer Aufent- halt am Main viel dazu beigetragen, die ſüddeutſchen Vorurtheile gegen das preußiſche Beamtenthum zu nähren. Nagler erfreute ſich der beſon- deren Gunſt Metternich’s und wirkte bei Allem was die Hofburg für die Sicherung der Ruhe plante freudig mit. Und doch war er auf ſeine Weiſe ein ſtolzer preußiſcher Patriot. Nicht um Oeſterreichs willen, ſon- dern nach ſeinen eigenen ſtarren abſolutiſtiſchen Grundſätzen unterſtützte er die Maßregeln der k. k. Bundespolizei, und niemals vergaß er, daß ſein König, den er abgöttiſch verehrte, ihm bei der Abreiſe nach Frankfurt ein- geſchärft hatte, zwar das Bündniß mit Oeſterreich nicht zu vernachläſſigen, aber auch dem preußiſchen Staate nichts zu vergeben. Schon ſeine hart- proteſtantiſche Geſinnung, die überall jeſuitiſche Umtriebe witterte, ſtimmte ihn mißtrauiſch gegen die Hofburg, und als er dann bemerkte, wie Oeſter- reich in allen militäriſchen und wirthſchaftlichen Machtfragen dem preu- ßiſchen Bundesgenoſſen insgeheim entgegenarbeitete, da ſetzte er ſich ſofort zur Wehre. Münch mußte bald fühlen, daß mit dieſem ſtrammen Reak- tionär noch ſchwerer auszukommen war als mit ſeinem milderen Vor- gänger. Perſönlich konnten ſich die Zwei, anſpruchsvoll und ungemüth- lich wie ſie Beide waren, ohnehin nicht vertragen. Schon bald nach Nag- ler’s Eintritt begannen geheime Zwiſtigkeiten, die ſeitdem faſt alljährlich wiederkehrten und immer wieder durch Metternich’s Vermittlung, meiſt zu
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Nagler.
ſich von Amtswegen verpflichtet, zugleich die Stimmung am Rhein und
im Süden polizeilich zu überwachen, wobei ihm ſein gewandter Sekretär
Kelchner mit uneigennützigem Amtseifer zur Hand ging.
So bewältigte er viele Jahre hindurch mit wunderbarem Fleiße die Ge-
ſchäfte des Generalpoſtmeiſters, des Diplomaten, des freiwilligen Polizei-
miniſters, beſtändig unterwegs auf der großen Berlin-Frankfurter Land-
ſtraße, wo alle Poſthalter ſtets bereit ſtanden, ihre vier beſten Roſſe dem
Gefürchteten vor ſeinen Extrapoſtwagen zu ſpannen — immer im Dienſt,
immer mit Arbeiten überladen; kaum daß er noch einige Stunden frei
behielt für die Pflege ſeiner ſchönen Kunſtſammlungen. Er geizte mit jeder
Silbe, jeder Minute, ſchrieb ſeine Depeſchen mit dem denkbar geringſten
Aufwand an Worten, aber immer wirkſam und das Weſentliche treffend,
und begnügte ſich in ſeinen Privatbriefen mit wenigen abgeriſſenen Sätzen,
die in ihrer trockenen Kürze oft brutal und cyniſch wurden. Als ihm
ſein treuer Kelchner einmal vorhielt, daß der verzweifelte Demagog Kombſt
ſich vielleicht bei der Verhaftung ſelbſt entleiben könne, da antwortete Nagler
einfach: „der Selbſtmord iſt ſeine Sache.“
Der bebänderte und beſternte Großwürdenträger erſchien den gemüth-
lichen kleinen Leuten des Bundestags ganz unausſtehlich mit ſeiner ab-
ſprechenden Schroffheit, mit ſeiner feierlichen Amtsmiene, die nur auf
Augenblicke einer pfiffig herablaſſenden Freundlichkeit wich; die Frankfurter
ſahen in dieſem Franken die Verkörperung alles deſſen, was am nord-
deutſchen Weſen verrufen war, und unzweifelhaft hat ſein langer Aufent-
halt am Main viel dazu beigetragen, die ſüddeutſchen Vorurtheile gegen
das preußiſche Beamtenthum zu nähren. Nagler erfreute ſich der beſon-
deren Gunſt Metternich’s und wirkte bei Allem was die Hofburg für die
Sicherung der Ruhe plante freudig mit. Und doch war er auf ſeine
Weiſe ein ſtolzer preußiſcher Patriot. Nicht um Oeſterreichs willen, ſon-
dern nach ſeinen eigenen ſtarren abſolutiſtiſchen Grundſätzen unterſtützte er
die Maßregeln der k. k. Bundespolizei, und niemals vergaß er, daß ſein
König, den er abgöttiſch verehrte, ihm bei der Abreiſe nach Frankfurt ein-
geſchärft hatte, zwar das Bündniß mit Oeſterreich nicht zu vernachläſſigen,
aber auch dem preußiſchen Staate nichts zu vergeben. Schon ſeine hart-
proteſtantiſche Geſinnung, die überall jeſuitiſche Umtriebe witterte, ſtimmte
ihn mißtrauiſch gegen die Hofburg, und als er dann bemerkte, wie Oeſter-
reich in allen militäriſchen und wirthſchaftlichen Machtfragen dem preu-
ßiſchen Bundesgenoſſen insgeheim entgegenarbeitete, da ſetzte er ſich ſofort
zur Wehre. Münch mußte bald fühlen, daß mit dieſem ſtrammen Reak-
tionär noch ſchwerer auszukommen war als mit ſeinem milderen Vor-
gänger. Perſönlich konnten ſich die Zwei, anſpruchsvoll und ungemüth-
lich wie ſie Beide waren, ohnehin nicht vertragen. Schon bald nach Nag-
ler’s Eintritt begannen geheime Zwiſtigkeiten, die ſeitdem faſt alljährlich
wiederkehrten und immer wieder durch Metternich’s Vermittlung, meiſt zu
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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