Württemberg verlassen, und von geheimnißvollen Stuttgarter Manifesten erfuhr die Welt nichts mehr. --
Derweil diese schwäbische Tragikomödie sich langsam abspielte, wurde die Epuration des Bundestags vollendet, das einzige Ergebniß der un- fruchtbaren Wiener Conferenz. Im April 1823 erschien der neue Bun- despräsidialgesandte Frhr. v. Münch-Bellinghausen in Frankfurt, ein noch junger Mann, der sich bei den Elbschifffahrts-Verhandlungen durch diplo- matische Gewandtheit ausgezeichnet und bald Metternich's volles Ver- trauen gewonnen hatte, herrschsüchtig, aufgeblasen, gemüthlos, überall unbeliebt, aber weit geschickter als sein Vorgänger. Die Schmiegsamkeit der kleinstaatlichen Diplomatie verstand er bald schmeichelnd, bald drohend trefflich zu behandeln. Metternich sagte von ihm: "er ist ganz mein Mann." Seine Instruktion wies ihn an, die Geschäftsordnung unnachsichtlich zu handhaben und auch einige der Vorschläge, welche Metternich auf der Wiener Conferenz nicht zum Abschluß gebracht hatte, vornehmlich die Heim- lichkeit der Bundesverhandlungen durchzusetzen; kein Wunder, daß Berstett diese Weisungen mit wahrer Wonne las. Als Münch sein Amt antrat, war er noch Neuling genug um zu glauben, daß der Bundestag doch irgend einen Zweck haben müsse, und klagte dem beflissenen Blittersdorff, der sich sogleich an ihn herandrängte: hundertmal habe er in Wien seinen hohen Gönner gefragt, was man eigentlich aus dem Bunde machen wolle, aber niemals eine bestimmte Antwort erhalten.*) Nach kurzer Frist hatte er diese jugendlichen Irrthümer gründlich abgethan; er lebte sich ein in den beschäftigten Müßiggang der Eschenheimer Gasse und fand es ganz in der Ordnung, daß außer der Abwandelung von Demagogen und Zeitungen eigentlich nichts weiter mehr vorkam als Instruktionseinholungen und In- competenzerklärungen. Nachdem er diesem Treiben ein viertel Jahrhundert hindurch vorgestanden hatte, erschien er der Nation wie die Verkörperung der höheren Bundespolizei.
Noch bevor Münch eintrat und bevor Oesterreich in Darmstadt drohend mahnte, wurde Harnier von seinem Posten abberufen. Dann folgte Wan- genheim's Sturz. Am längsten unter den drei Führern der Opposition hielt der Kurhesse Lepel aus, obwohl Metternich seine Abberufung mehrmals verlangt und endlich sogar den diplomatischen Verkehr mit dem Kasseler Hofe auf das geringste Maß beschränkt hatte. Der Kurfürst blieb dabei, ihm habe Niemand etwas zu befehlen. Doch aus dem Kasseler Glashause ließ sich's schlecht mit Steinen werfen. Als der Kurfürst im September böhmische Landgüter für seine Maitresse zu erwerben wünschte, da erwiderte ihm Metternich trocken: einem Fürsten, der einen so schlechtgesinnten Bun- desgesandten halte, könne der Kaiser keine Gnade erweisen. Nun war
*) Allgemeine und Special-Instruktion für Frhr. v. Münch-Bellinghausen. Ber- stett an Metternich, 30. April; Blittersdorff's Bericht, 18. April 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Württemberg verlaſſen, und von geheimnißvollen Stuttgarter Manifeſten erfuhr die Welt nichts mehr. —
Derweil dieſe ſchwäbiſche Tragikomödie ſich langſam abſpielte, wurde die Epuration des Bundestags vollendet, das einzige Ergebniß der un- fruchtbaren Wiener Conferenz. Im April 1823 erſchien der neue Bun- despräſidialgeſandte Frhr. v. Münch-Bellinghauſen in Frankfurt, ein noch junger Mann, der ſich bei den Elbſchifffahrts-Verhandlungen durch diplo- matiſche Gewandtheit ausgezeichnet und bald Metternich’s volles Ver- trauen gewonnen hatte, herrſchſüchtig, aufgeblaſen, gemüthlos, überall unbeliebt, aber weit geſchickter als ſein Vorgänger. Die Schmiegſamkeit der kleinſtaatlichen Diplomatie verſtand er bald ſchmeichelnd, bald drohend trefflich zu behandeln. Metternich ſagte von ihm: „er iſt ganz mein Mann.“ Seine Inſtruktion wies ihn an, die Geſchäftsordnung unnachſichtlich zu handhaben und auch einige der Vorſchläge, welche Metternich auf der Wiener Conferenz nicht zum Abſchluß gebracht hatte, vornehmlich die Heim- lichkeit der Bundesverhandlungen durchzuſetzen; kein Wunder, daß Berſtett dieſe Weiſungen mit wahrer Wonne las. Als Münch ſein Amt antrat, war er noch Neuling genug um zu glauben, daß der Bundestag doch irgend einen Zweck haben müſſe, und klagte dem befliſſenen Blittersdorff, der ſich ſogleich an ihn herandrängte: hundertmal habe er in Wien ſeinen hohen Gönner gefragt, was man eigentlich aus dem Bunde machen wolle, aber niemals eine beſtimmte Antwort erhalten.*) Nach kurzer Friſt hatte er dieſe jugendlichen Irrthümer gründlich abgethan; er lebte ſich ein in den beſchäftigten Müßiggang der Eſchenheimer Gaſſe und fand es ganz in der Ordnung, daß außer der Abwandelung von Demagogen und Zeitungen eigentlich nichts weiter mehr vorkam als Inſtruktionseinholungen und In- competenzerklärungen. Nachdem er dieſem Treiben ein viertel Jahrhundert hindurch vorgeſtanden hatte, erſchien er der Nation wie die Verkörperung der höheren Bundespolizei.
Noch bevor Münch eintrat und bevor Oeſterreich in Darmſtadt drohend mahnte, wurde Harnier von ſeinem Poſten abberufen. Dann folgte Wan- genheim’s Sturz. Am längſten unter den drei Führern der Oppoſition hielt der Kurheſſe Lepel aus, obwohl Metternich ſeine Abberufung mehrmals verlangt und endlich ſogar den diplomatiſchen Verkehr mit dem Kaſſeler Hofe auf das geringſte Maß beſchränkt hatte. Der Kurfürſt blieb dabei, ihm habe Niemand etwas zu befehlen. Doch aus dem Kaſſeler Glashauſe ließ ſich’s ſchlecht mit Steinen werfen. Als der Kurfürſt im September böhmiſche Landgüter für ſeine Maitreſſe zu erwerben wünſchte, da erwiderte ihm Metternich trocken: einem Fürſten, der einen ſo ſchlechtgeſinnten Bun- desgeſandten halte, könne der Kaiſer keine Gnade erweiſen. Nun war
*) Allgemeine und Special-Inſtruktion für Frhr. v. Münch-Bellinghauſen. Ber- ſtett an Metternich, 30. April; Blittersdorff’s Bericht, 18. April 1823.
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Württemberg verlaſſen, und von geheimnißvollen Stuttgarter Manifeſten
erfuhr die Welt nichts mehr. —
Derweil dieſe ſchwäbiſche Tragikomödie ſich langſam abſpielte, wurde
die Epuration des Bundestags vollendet, das einzige Ergebniß der un-
fruchtbaren Wiener Conferenz. Im April 1823 erſchien der neue Bun-
despräſidialgeſandte Frhr. v. Münch-Bellinghauſen in Frankfurt, ein noch
junger Mann, der ſich bei den Elbſchifffahrts-Verhandlungen durch diplo-
matiſche Gewandtheit ausgezeichnet und bald Metternich’s volles Ver-
trauen gewonnen hatte, herrſchſüchtig, aufgeblaſen, gemüthlos, überall
unbeliebt, aber weit geſchickter als ſein Vorgänger. Die Schmiegſamkeit
der kleinſtaatlichen Diplomatie verſtand er bald ſchmeichelnd, bald drohend
trefflich zu behandeln. Metternich ſagte von ihm: „er iſt ganz mein Mann.“
Seine Inſtruktion wies ihn an, die Geſchäftsordnung unnachſichtlich zu
handhaben und auch einige der Vorſchläge, welche Metternich auf der
Wiener Conferenz nicht zum Abſchluß gebracht hatte, vornehmlich die Heim-
lichkeit der Bundesverhandlungen durchzuſetzen; kein Wunder, daß Berſtett
dieſe Weiſungen mit wahrer Wonne las. Als Münch ſein Amt antrat,
war er noch Neuling genug um zu glauben, daß der Bundestag doch
irgend einen Zweck haben müſſe, und klagte dem befliſſenen Blittersdorff,
der ſich ſogleich an ihn herandrängte: hundertmal habe er in Wien ſeinen
hohen Gönner gefragt, was man eigentlich aus dem Bunde machen wolle,
aber niemals eine beſtimmte Antwort erhalten. *) Nach kurzer Friſt hatte
er dieſe jugendlichen Irrthümer gründlich abgethan; er lebte ſich ein in den
beſchäftigten Müßiggang der Eſchenheimer Gaſſe und fand es ganz in der
Ordnung, daß außer der Abwandelung von Demagogen und Zeitungen
eigentlich nichts weiter mehr vorkam als Inſtruktionseinholungen und In-
competenzerklärungen. Nachdem er dieſem Treiben ein viertel Jahrhundert
hindurch vorgeſtanden hatte, erſchien er der Nation wie die Verkörperung
der höheren Bundespolizei.
Noch bevor Münch eintrat und bevor Oeſterreich in Darmſtadt drohend
mahnte, wurde Harnier von ſeinem Poſten abberufen. Dann folgte Wan-
genheim’s Sturz. Am längſten unter den drei Führern der Oppoſition hielt
der Kurheſſe Lepel aus, obwohl Metternich ſeine Abberufung mehrmals
verlangt und endlich ſogar den diplomatiſchen Verkehr mit dem Kaſſeler
Hofe auf das geringſte Maß beſchränkt hatte. Der Kurfürſt blieb dabei,
ihm habe Niemand etwas zu befehlen. Doch aus dem Kaſſeler Glashauſe
ließ ſich’s ſchlecht mit Steinen werfen. Als der Kurfürſt im September
böhmiſche Landgüter für ſeine Maitreſſe zu erwerben wünſchte, da erwiderte
ihm Metternich trocken: einem Fürſten, der einen ſo ſchlechtgeſinnten Bun-
desgeſandten halte, könne der Kaiſer keine Gnade erweiſen. Nun war
*) Allgemeine und Special-Inſtruktion für Frhr. v. Münch-Bellinghauſen. Ber-
ſtett an Metternich, 30. April; Blittersdorff’s Bericht, 18. April 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/340>, abgerufen am 22.11.2024.
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