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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Neue Wiener Conferenzen.
nung gewöhnten Bewohnern anderer Bundesstaaten tagtäglich die empö-
rendsten Maximen ungestraft gepredigt würden."

So der neue Staatsstreichsplan Metternich's, die natürliche Folge
der wiederholten Angstrufe aus Baiern und Baden. Auch hier in Wien
noch bot Blittersdorff Alles auf, um eine Auslegung der Schluß-Akte im
Sinne des Absolutismus, den er Ordnung nannte, zu Stande zu brin-
gen; denn daheim in Karlsruhe hatten die Minister soeben wieder einen
schweren parlamentarischen Kampf zu bestehen. Der Führer der badi-
schen Opposition, Liebenstein, war inzwischen in den Dienst des Ministe-
riums eingetreten. Er und Ludwig Winter bewährten als Commissäre
der Regierung jene jugendliche, naturwüchsige Beredsamkeit, welche die
Oberdeutschen immer vor den glätteren und kälteren Rednern des Nordens
ausgezeichnet hat; Liebenstein begeisterte durch sein schwungvolles Pathos,
Winter gewann durch kernigen Mutterwitz und volksthümliche Derbheit.
Im liberalen Lager tauchte ein neues Talent auf: Adam v. Itzstein aus
Mainz, ein feuriger und schlagfertiger Redner, weder durch staatsmänni-
schen Blick noch durch überlegene Sachkenntniß ausgezeichnet, aber rührig
und gewandt. Er wußte seine Leute, die jungen vornehmlich, zusammen-
zuschaaren und bei guter Stimmung zu halten; durch seine gewinnende
Liebenswürdigkeit wurde er bald der Vermittler zwischen den Oppositions-
parteien der süddeutschen Landtage. Auf seinem Landgute Hallgarten im
Rheingau, dicht unter dem Johannisberge, pflegten die Liberalen des
Südens sich zu versammeln; und wie oft, wenn droben auf dem Metter-
nich'schen Schlosse die Diplomaten tagten um dem Bunde, nach Gentz's
Ausdruck, eine neue Portion Karlsbader Wassers einzuflößen, klangen
drunten im Thale die gefüllten Römer zusammen zu einem Pereat auf
den Bundestag. Man nannte Itzstein wohl den liberalen Metternich.
Von diplomatischer Klugheit gab er freilich auf diesem seinem ersten Land-
tage keine Proben; er reizte auf und drängte vorwärts in einem Augen-
blicke, da nur behutsame Mäßigung das junge Verfassungsleben vor einem
zerstörenden Schlage sichern konnte.

Seit jener Zusammenkunft Metternich's und Berstett's trat das neue
"Innsbrucker System" des badischen Hofes immer deutlicher hervor. Man
verhehlte die Sehnsucht nach einem Gewaltstreiche so wenig, daß die preu-
ßische Regierung für nöthig hielt, die reaktionären Heißsporne in Karls-
ruhe zur Besonnenheit zu mahnen. Verfassungsänderungen, schrieb An-
cillon (9. Dec.), könnten nur das Werk der Zeit sein: "bis dahin be-
findet sich die Regierung in der Nothwendigkeit, das sich selbst aufgelegte
Joch mit resignirter Würde und dem Scheine nach freiwillig zu tragen;"
darum darf sie auch nicht "einer in der Natur der Staatsformen begrün-
deten Opposition mit Bitterkeit begegnen."*) Die Liberalen andererseits

*) Ancillon, Weisung an Küster, 9. December 1822.

Neue Wiener Conferenzen.
nung gewöhnten Bewohnern anderer Bundesſtaaten tagtäglich die empö-
rendſten Maximen ungeſtraft gepredigt würden.“

So der neue Staatsſtreichsplan Metternich’s, die natürliche Folge
der wiederholten Angſtrufe aus Baiern und Baden. Auch hier in Wien
noch bot Blittersdorff Alles auf, um eine Auslegung der Schluß-Akte im
Sinne des Abſolutismus, den er Ordnung nannte, zu Stande zu brin-
gen; denn daheim in Karlsruhe hatten die Miniſter ſoeben wieder einen
ſchweren parlamentariſchen Kampf zu beſtehen. Der Führer der badi-
ſchen Oppoſition, Liebenſtein, war inzwiſchen in den Dienſt des Miniſte-
riums eingetreten. Er und Ludwig Winter bewährten als Commiſſäre
der Regierung jene jugendliche, naturwüchſige Beredſamkeit, welche die
Oberdeutſchen immer vor den glätteren und kälteren Rednern des Nordens
ausgezeichnet hat; Liebenſtein begeiſterte durch ſein ſchwungvolles Pathos,
Winter gewann durch kernigen Mutterwitz und volksthümliche Derbheit.
Im liberalen Lager tauchte ein neues Talent auf: Adam v. Itzſtein aus
Mainz, ein feuriger und ſchlagfertiger Redner, weder durch ſtaatsmänni-
ſchen Blick noch durch überlegene Sachkenntniß ausgezeichnet, aber rührig
und gewandt. Er wußte ſeine Leute, die jungen vornehmlich, zuſammen-
zuſchaaren und bei guter Stimmung zu halten; durch ſeine gewinnende
Liebenswürdigkeit wurde er bald der Vermittler zwiſchen den Oppoſitions-
parteien der ſüddeutſchen Landtage. Auf ſeinem Landgute Hallgarten im
Rheingau, dicht unter dem Johannisberge, pflegten die Liberalen des
Südens ſich zu verſammeln; und wie oft, wenn droben auf dem Metter-
nich’ſchen Schloſſe die Diplomaten tagten um dem Bunde, nach Gentz’s
Ausdruck, eine neue Portion Karlsbader Waſſers einzuflößen, klangen
drunten im Thale die gefüllten Römer zuſammen zu einem Pereat auf
den Bundestag. Man nannte Itzſtein wohl den liberalen Metternich.
Von diplomatiſcher Klugheit gab er freilich auf dieſem ſeinem erſten Land-
tage keine Proben; er reizte auf und drängte vorwärts in einem Augen-
blicke, da nur behutſame Mäßigung das junge Verfaſſungsleben vor einem
zerſtörenden Schlage ſichern konnte.

Seit jener Zuſammenkunft Metternich’s und Berſtett’s trat das neue
„Innsbrucker Syſtem“ des badiſchen Hofes immer deutlicher hervor. Man
verhehlte die Sehnſucht nach einem Gewaltſtreiche ſo wenig, daß die preu-
ßiſche Regierung für nöthig hielt, die reaktionären Heißſporne in Karls-
ruhe zur Beſonnenheit zu mahnen. Verfaſſungsänderungen, ſchrieb An-
cillon (9. Dec.), könnten nur das Werk der Zeit ſein: „bis dahin be-
findet ſich die Regierung in der Nothwendigkeit, das ſich ſelbſt aufgelegte
Joch mit reſignirter Würde und dem Scheine nach freiwillig zu tragen;“
darum darf ſie auch nicht „einer in der Natur der Staatsformen begrün-
deten Oppoſition mit Bitterkeit begegnen.“*) Die Liberalen andererſeits

*) Ancillon, Weiſung an Küſter, 9. December 1822.
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[315/0331] Neue Wiener Conferenzen. nung gewöhnten Bewohnern anderer Bundesſtaaten tagtäglich die empö- rendſten Maximen ungeſtraft gepredigt würden.“ So der neue Staatsſtreichsplan Metternich’s, die natürliche Folge der wiederholten Angſtrufe aus Baiern und Baden. Auch hier in Wien noch bot Blittersdorff Alles auf, um eine Auslegung der Schluß-Akte im Sinne des Abſolutismus, den er Ordnung nannte, zu Stande zu brin- gen; denn daheim in Karlsruhe hatten die Miniſter ſoeben wieder einen ſchweren parlamentariſchen Kampf zu beſtehen. Der Führer der badi- ſchen Oppoſition, Liebenſtein, war inzwiſchen in den Dienſt des Miniſte- riums eingetreten. Er und Ludwig Winter bewährten als Commiſſäre der Regierung jene jugendliche, naturwüchſige Beredſamkeit, welche die Oberdeutſchen immer vor den glätteren und kälteren Rednern des Nordens ausgezeichnet hat; Liebenſtein begeiſterte durch ſein ſchwungvolles Pathos, Winter gewann durch kernigen Mutterwitz und volksthümliche Derbheit. Im liberalen Lager tauchte ein neues Talent auf: Adam v. Itzſtein aus Mainz, ein feuriger und ſchlagfertiger Redner, weder durch ſtaatsmänni- ſchen Blick noch durch überlegene Sachkenntniß ausgezeichnet, aber rührig und gewandt. Er wußte ſeine Leute, die jungen vornehmlich, zuſammen- zuſchaaren und bei guter Stimmung zu halten; durch ſeine gewinnende Liebenswürdigkeit wurde er bald der Vermittler zwiſchen den Oppoſitions- parteien der ſüddeutſchen Landtage. Auf ſeinem Landgute Hallgarten im Rheingau, dicht unter dem Johannisberge, pflegten die Liberalen des Südens ſich zu verſammeln; und wie oft, wenn droben auf dem Metter- nich’ſchen Schloſſe die Diplomaten tagten um dem Bunde, nach Gentz’s Ausdruck, eine neue Portion Karlsbader Waſſers einzuflößen, klangen drunten im Thale die gefüllten Römer zuſammen zu einem Pereat auf den Bundestag. Man nannte Itzſtein wohl den liberalen Metternich. Von diplomatiſcher Klugheit gab er freilich auf dieſem ſeinem erſten Land- tage keine Proben; er reizte auf und drängte vorwärts in einem Augen- blicke, da nur behutſame Mäßigung das junge Verfaſſungsleben vor einem zerſtörenden Schlage ſichern konnte. Seit jener Zuſammenkunft Metternich’s und Berſtett’s trat das neue „Innsbrucker Syſtem“ des badiſchen Hofes immer deutlicher hervor. Man verhehlte die Sehnſucht nach einem Gewaltſtreiche ſo wenig, daß die preu- ßiſche Regierung für nöthig hielt, die reaktionären Heißſporne in Karls- ruhe zur Beſonnenheit zu mahnen. Verfaſſungsänderungen, ſchrieb An- cillon (9. Dec.), könnten nur das Werk der Zeit ſein: „bis dahin be- findet ſich die Regierung in der Nothwendigkeit, das ſich ſelbſt aufgelegte Joch mit reſignirter Würde und dem Scheine nach freiwillig zu tragen;“ darum darf ſie auch nicht „einer in der Natur der Staatsformen begrün- deten Oppoſition mit Bitterkeit begegnen.“ *) Die Liberalen andererſeits *) Ancillon, Weiſung an Küſter, 9. December 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/331>, abgerufen am 25.11.2024.