Inzwischen fühlte Wangenheim schon wie der Boden unter seinen Füßen schwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkschrift über den Bundestag nach Wien gesendet hatte, welche von der Partei des Württembergers ein wenig schmeichelhaftes Bild entwarf.*) Sofort ant- wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er selber eine falsche "Langenau'sche Denkschrift" verfertigte, die unter der Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Presse fand und, obwohl sie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein Probstück österreichischer Tücke galt. Der württembergische Schalk legte hier dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund, denn währe die Opposition in Frankfurt noch länger, dann würden "die Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß sie ein Volk werden könnten." Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf- sässigen Bundesgesandten erzwänge, so würden die anderen, "um sich in ihren einträglichen und zugleich ruhigen Posten zu befestigen, selbst dazu mitwirken, ihre Höfe den österreichischen, also auch den preußischen An- und Absichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiserhaus entgegen- zuführen". So sicher sah der wunderliche Hitzkopf seinen Sturz voraus, und doch konnte er es nicht lassen, recht eigentlich den Teufel an die Wand zu malen.
Alle Rücksichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachsucht des Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder Zusammenkunft mußte er wissen, wie wenig er auf die Hilfe seines russi- schen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch diesen Mißerfolg nur in seinem Uebermuthe bestärkt: Europa sollte wissen, daß Württem- berg auch allein stark genug sei den Kampf gegen die großen Mächte auf- zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe allesammt das Veroneser Rundschreiben der drei Ostmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf- nahmen, befahl König Wilhelm seinem Minister eine feierliche Verwah- rung dawider einzulegen. Umsonst hielt ihm Wintzingerode die offenbare Unklugheit eines solchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneser Erklärung durch ihren diktatorischen Ton das Selbstgefühl der kleinen Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt sie nicht, am wenigsten ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutschen Angelegenheiten waren in Verona, allerdings gegen Metternich's ursprüngliche Absicht, gar nicht zur Sprache gekommen, und zur Verständigung über die Bundes- politik hatten Oesterreich und Preußen soeben die größeren deutschen Re- gierungen, auch die Württembergische, freundnachbarlich nach Wien ein- geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die
*) Blittersdorff's Bericht, 28. Juni; dessen Denkschrift über die deutsche Politik, 18. Febr. 1822.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Inzwiſchen fühlte Wangenheim ſchon wie der Boden unter ſeinen Füßen ſchwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkſchrift über den Bundestag nach Wien geſendet hatte, welche von der Partei des Württembergers ein wenig ſchmeichelhaftes Bild entwarf.*) Sofort ant- wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er ſelber eine falſche „Langenau’ſche Denkſchrift“ verfertigte, die unter der Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Preſſe fand und, obwohl ſie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein Probſtück öſterreichiſcher Tücke galt. Der württembergiſche Schalk legte hier dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund, denn währe die Oppoſition in Frankfurt noch länger, dann würden „die Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß ſie ein Volk werden könnten.“ Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf- ſäſſigen Bundesgeſandten erzwänge, ſo würden die anderen, „um ſich in ihren einträglichen und zugleich ruhigen Poſten zu befeſtigen, ſelbſt dazu mitwirken, ihre Höfe den öſterreichiſchen, alſo auch den preußiſchen An- und Abſichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiſerhaus entgegen- zuführen“. So ſicher ſah der wunderliche Hitzkopf ſeinen Sturz voraus, und doch konnte er es nicht laſſen, recht eigentlich den Teufel an die Wand zu malen.
Alle Rückſichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachſucht des Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder Zuſammenkunft mußte er wiſſen, wie wenig er auf die Hilfe ſeines ruſſi- ſchen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch dieſen Mißerfolg nur in ſeinem Uebermuthe beſtärkt: Europa ſollte wiſſen, daß Württem- berg auch allein ſtark genug ſei den Kampf gegen die großen Mächte auf- zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe alleſammt das Veroneſer Rundſchreiben der drei Oſtmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf- nahmen, befahl König Wilhelm ſeinem Miniſter eine feierliche Verwah- rung dawider einzulegen. Umſonſt hielt ihm Wintzingerode die offenbare Unklugheit eines ſolchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneſer Erklärung durch ihren diktatoriſchen Ton das Selbſtgefühl der kleinen Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt ſie nicht, am wenigſten ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutſchen Angelegenheiten waren in Verona, allerdings gegen Metternich’s urſprüngliche Abſicht, gar nicht zur Sprache gekommen, und zur Verſtändigung über die Bundes- politik hatten Oeſterreich und Preußen ſoeben die größeren deutſchen Re- gierungen, auch die Württembergiſche, freundnachbarlich nach Wien ein- geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die
*) Blittersdorff’s Bericht, 28. Juni; deſſen Denkſchrift über die deutſche Politik, 18. Febr. 1822.
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Inzwiſchen fühlte Wangenheim ſchon wie der Boden unter ſeinen
Füßen ſchwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkſchrift über
den Bundestag nach Wien geſendet hatte, welche von der Partei des
Württembergers ein wenig ſchmeichelhaftes Bild entwarf. *) Sofort ant-
wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er
ſelber eine falſche „Langenau’ſche Denkſchrift“ verfertigte, die unter der
Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Preſſe
fand und, obwohl ſie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der
Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein
Probſtück öſterreichiſcher Tücke galt. Der württembergiſche Schalk legte hier
dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund,
denn währe die Oppoſition in Frankfurt noch länger, dann würden „die
Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß ſie ein Volk werden
könnten.“ Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf-
ſäſſigen Bundesgeſandten erzwänge, ſo würden die anderen, „um ſich in
ihren einträglichen und zugleich ruhigen Poſten zu befeſtigen, ſelbſt dazu
mitwirken, ihre Höfe den öſterreichiſchen, alſo auch den preußiſchen An-
und Abſichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiſerhaus entgegen-
zuführen“. So ſicher ſah der wunderliche Hitzkopf ſeinen Sturz voraus,
und doch konnte er es nicht laſſen, recht eigentlich den Teufel an die
Wand zu malen.
Alle Rückſichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachſucht des
Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder
Zuſammenkunft mußte er wiſſen, wie wenig er auf die Hilfe ſeines ruſſi-
ſchen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch dieſen Mißerfolg
nur in ſeinem Uebermuthe beſtärkt: Europa ſollte wiſſen, daß Württem-
berg auch allein ſtark genug ſei den Kampf gegen die großen Mächte auf-
zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe alleſammt das Veroneſer
Rundſchreiben der drei Oſtmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf-
nahmen, befahl König Wilhelm ſeinem Miniſter eine feierliche Verwah-
rung dawider einzulegen. Umſonſt hielt ihm Wintzingerode die offenbare
Unklugheit eines ſolchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneſer
Erklärung durch ihren diktatoriſchen Ton das Selbſtgefühl der kleinen
Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt ſie nicht, am wenigſten
ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutſchen Angelegenheiten
waren in Verona, allerdings gegen Metternich’s urſprüngliche Abſicht, gar
nicht zur Sprache gekommen, und zur Verſtändigung über die Bundes-
politik hatten Oeſterreich und Preußen ſoeben die größeren deutſchen Re-
gierungen, auch die Württembergiſche, freundnachbarlich nach Wien ein-
geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die
*) Blittersdorff’s Bericht, 28. Juni; deſſen Denkſchrift über die deutſche Politik,
18. Febr. 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/328>, abgerufen am 22.11.2024.
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