Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Inzwischen fühlte Wangenheim schon wie der Boden unter seinen
Füßen schwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkschrift über
den Bundestag nach Wien gesendet hatte, welche von der Partei des
Württembergers ein wenig schmeichelhaftes Bild entwarf.*) Sofort ant-
wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er
selber eine falsche "Langenau'sche Denkschrift" verfertigte, die unter der
Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Presse
fand und, obwohl sie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der
Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein
Probstück österreichischer Tücke galt. Der württembergische Schalk legte hier
dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund,
denn währe die Opposition in Frankfurt noch länger, dann würden "die
Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß sie ein Volk werden
könnten." Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf-
sässigen Bundesgesandten erzwänge, so würden die anderen, "um sich in
ihren einträglichen und zugleich ruhigen Posten zu befestigen, selbst dazu
mitwirken, ihre Höfe den österreichischen, also auch den preußischen An-
und Absichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiserhaus entgegen-
zuführen". So sicher sah der wunderliche Hitzkopf seinen Sturz voraus,
und doch konnte er es nicht lassen, recht eigentlich den Teufel an die
Wand zu malen.

Alle Rücksichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachsucht des
Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder
Zusammenkunft mußte er wissen, wie wenig er auf die Hilfe seines russi-
schen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch diesen Mißerfolg
nur in seinem Uebermuthe bestärkt: Europa sollte wissen, daß Württem-
berg auch allein stark genug sei den Kampf gegen die großen Mächte auf-
zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe allesammt das Veroneser
Rundschreiben der drei Ostmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf-
nahmen, befahl König Wilhelm seinem Minister eine feierliche Verwah-
rung dawider einzulegen. Umsonst hielt ihm Wintzingerode die offenbare
Unklugheit eines solchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneser
Erklärung durch ihren diktatorischen Ton das Selbstgefühl der kleinen
Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt sie nicht, am wenigsten
ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutschen Angelegenheiten
waren in Verona, allerdings gegen Metternich's ursprüngliche Absicht, gar
nicht zur Sprache gekommen, und zur Verständigung über die Bundes-
politik hatten Oesterreich und Preußen soeben die größeren deutschen Re-
gierungen, auch die Württembergische, freundnachbarlich nach Wien ein-
geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die

*) Blittersdorff's Bericht, 28. Juni; dessen Denkschrift über die deutsche Politik,
18. Febr. 1822.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Inzwiſchen fühlte Wangenheim ſchon wie der Boden unter ſeinen
Füßen ſchwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkſchrift über
den Bundestag nach Wien geſendet hatte, welche von der Partei des
Württembergers ein wenig ſchmeichelhaftes Bild entwarf.*) Sofort ant-
wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er
ſelber eine falſche „Langenau’ſche Denkſchrift“ verfertigte, die unter der
Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Preſſe
fand und, obwohl ſie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der
Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein
Probſtück öſterreichiſcher Tücke galt. Der württembergiſche Schalk legte hier
dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund,
denn währe die Oppoſition in Frankfurt noch länger, dann würden „die
Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß ſie ein Volk werden
könnten.“ Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf-
ſäſſigen Bundesgeſandten erzwänge, ſo würden die anderen, „um ſich in
ihren einträglichen und zugleich ruhigen Poſten zu befeſtigen, ſelbſt dazu
mitwirken, ihre Höfe den öſterreichiſchen, alſo auch den preußiſchen An-
und Abſichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiſerhaus entgegen-
zuführen“. So ſicher ſah der wunderliche Hitzkopf ſeinen Sturz voraus,
und doch konnte er es nicht laſſen, recht eigentlich den Teufel an die
Wand zu malen.

Alle Rückſichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachſucht des
Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder
Zuſammenkunft mußte er wiſſen, wie wenig er auf die Hilfe ſeines ruſſi-
ſchen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch dieſen Mißerfolg
nur in ſeinem Uebermuthe beſtärkt: Europa ſollte wiſſen, daß Württem-
berg auch allein ſtark genug ſei den Kampf gegen die großen Mächte auf-
zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe alleſammt das Veroneſer
Rundſchreiben der drei Oſtmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf-
nahmen, befahl König Wilhelm ſeinem Miniſter eine feierliche Verwah-
rung dawider einzulegen. Umſonſt hielt ihm Wintzingerode die offenbare
Unklugheit eines ſolchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneſer
Erklärung durch ihren diktatoriſchen Ton das Selbſtgefühl der kleinen
Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt ſie nicht, am wenigſten
ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutſchen Angelegenheiten
waren in Verona, allerdings gegen Metternich’s urſprüngliche Abſicht, gar
nicht zur Sprache gekommen, und zur Verſtändigung über die Bundes-
politik hatten Oeſterreich und Preußen ſoeben die größeren deutſchen Re-
gierungen, auch die Württembergiſche, freundnachbarlich nach Wien ein-
geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die

*) Blittersdorff’s Bericht, 28. Juni; deſſen Denkſchrift über die deutſche Politik,
18. Febr. 1822.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0328" n="312"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 5. Die Großmächte und die Trias.</fw><lb/>
          <p>Inzwi&#x017F;chen fühlte Wangenheim &#x017F;chon wie der Boden unter &#x017F;einen<lb/>
Füßen &#x017F;chwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denk&#x017F;chrift über<lb/>
den Bundestag nach Wien ge&#x017F;endet hatte, welche von der Partei des<lb/>
Württembergers ein wenig &#x017F;chmeichelhaftes Bild entwarf.<note place="foot" n="*)">Blittersdorff&#x2019;s Bericht, 28. Juni; de&#x017F;&#x017F;en Denk&#x017F;chrift über die deut&#x017F;che Politik,<lb/>
18. Febr. 1822.</note> Sofort ant-<lb/>
wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er<lb/>
&#x017F;elber eine fal&#x017F;che &#x201E;Langenau&#x2019;&#x017F;che Denk&#x017F;chrift&#x201C; verfertigte, die unter der<lb/>
Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Pre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
fand und, obwohl &#x017F;ie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der<lb/>
Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein<lb/>
Prob&#x017F;tück ö&#x017F;terreichi&#x017F;cher Tücke galt. Der württembergi&#x017F;che Schalk legte hier<lb/>
dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund,<lb/>
denn währe die Oppo&#x017F;ition in Frankfurt noch länger, dann würden &#x201E;die<lb/>
Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß &#x017F;ie ein Volk werden<lb/>
könnten.&#x201C; Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf-<lb/>
&#x017F;ä&#x017F;&#x017F;igen Bundesge&#x017F;andten erzwänge, &#x017F;o würden die anderen, &#x201E;um &#x017F;ich in<lb/>
ihren einträglichen und zugleich ruhigen Po&#x017F;ten zu befe&#x017F;tigen, &#x017F;elb&#x017F;t dazu<lb/>
mitwirken, ihre Höfe den ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen, al&#x017F;o auch den preußi&#x017F;chen An-<lb/>
und Ab&#x017F;ichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kai&#x017F;erhaus entgegen-<lb/>
zuführen&#x201C;. So &#x017F;icher &#x017F;ah der wunderliche Hitzkopf &#x017F;einen Sturz voraus,<lb/>
und doch konnte er es nicht la&#x017F;&#x017F;en, recht eigentlich den Teufel an die<lb/>
Wand zu malen.</p><lb/>
          <p>Alle Rück&#x017F;ichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rach&#x017F;ucht des<lb/>
Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder<lb/>
Zu&#x017F;ammenkunft mußte er wi&#x017F;&#x017F;en, wie wenig er auf die Hilfe &#x017F;eines ru&#x017F;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch die&#x017F;en Mißerfolg<lb/>
nur in &#x017F;einem Uebermuthe be&#x017F;tärkt: Europa &#x017F;ollte wi&#x017F;&#x017F;en, daß Württem-<lb/>
berg auch allein &#x017F;tark genug &#x017F;ei den Kampf gegen die großen Mächte auf-<lb/>
zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe alle&#x017F;ammt das Verone&#x017F;er<lb/>
Rund&#x017F;chreiben der drei O&#x017F;tmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf-<lb/>
nahmen, befahl König Wilhelm &#x017F;einem Mini&#x017F;ter eine feierliche Verwah-<lb/>
rung dawider einzulegen. Um&#x017F;on&#x017F;t hielt ihm Wintzingerode die offenbare<lb/>
Unklugheit eines &#x017F;olchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Verone&#x017F;er<lb/>
Erklärung durch ihren diktatori&#x017F;chen Ton das Selb&#x017F;tgefühl der kleinen<lb/>
Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt &#x017F;ie nicht, am wenig&#x017F;ten<lb/>
ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deut&#x017F;chen Angelegenheiten<lb/>
waren in Verona, allerdings gegen Metternich&#x2019;s ur&#x017F;prüngliche Ab&#x017F;icht, gar<lb/>
nicht zur Sprache gekommen, und zur Ver&#x017F;tändigung über die Bundes-<lb/>
politik hatten Oe&#x017F;terreich und Preußen &#x017F;oeben die größeren deut&#x017F;chen Re-<lb/>
gierungen, auch die Württembergi&#x017F;che, freundnachbarlich nach Wien ein-<lb/>
geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[312/0328] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Inzwiſchen fühlte Wangenheim ſchon wie der Boden unter ſeinen Füßen ſchwankte. Er erfuhr, daß General Langenau eine Denkſchrift über den Bundestag nach Wien geſendet hatte, welche von der Partei des Württembergers ein wenig ſchmeichelhaftes Bild entwarf. *) Sofort ant- wortete er dem mächtigen Gegner mit boshafter Verhöhnung, indem er ſelber eine falſche „Langenau’ſche Denkſchrift“ verfertigte, die unter der Hand am Bundestage verbreitet, nachher auch den Weg in die Preſſe fand und, obwohl ſie den Stempel der Erfindung unverkennbar an der Stirn trug, doch zwei Jahrzehnte hindurch in der liberalen Welt als ein Probſtück öſterreichiſcher Tücke galt. Der württembergiſche Schalk legte hier dem k. k. General den Plan der Epuration des Bundestags in den Mund, denn währe die Oppoſition in Frankfurt noch länger, dann würden „die Völklein endlich an die Möglichkeit glauben, daß ſie ein Volk werden könnten.“ Wenn man auch nur die Abberufung eines einzigen der auf- ſäſſigen Bundesgeſandten erzwänge, ſo würden die anderen, „um ſich in ihren einträglichen und zugleich ruhigen Poſten zu befeſtigen, ſelbſt dazu mitwirken, ihre Höfe den öſterreichiſchen, alſo auch den preußiſchen An- und Abſichten aus treuer Anhänglichkeit an das alte Kaiſerhaus entgegen- zuführen“. So ſicher ſah der wunderliche Hitzkopf ſeinen Sturz voraus, und doch konnte er es nicht laſſen, recht eigentlich den Teufel an die Wand zu malen. Alle Rückſichten der Klugheit geboten dem Könige, der Rachſucht des Wiener Hofes jetzt keine Blöße mehr zu geben. Seit der Mittenwalder Zuſammenkunft mußte er wiſſen, wie wenig er auf die Hilfe ſeines ruſſi- ſchen Schwagers zählen konnte. Er aber ward durch dieſen Mißerfolg nur in ſeinem Uebermuthe beſtärkt: Europa ſollte wiſſen, daß Württem- berg auch allein ſtark genug ſei den Kampf gegen die großen Mächte auf- zunehmen. Während die anderen kleinen Höfe alleſammt das Veroneſer Rundſchreiben der drei Oſtmächte mit der gewohnten Unterthänigkeit auf- nahmen, befahl König Wilhelm ſeinem Miniſter eine feierliche Verwah- rung dawider einzulegen. Umſonſt hielt ihm Wintzingerode die offenbare Unklugheit eines ſolchen Unterfangens vor. Wohl mußte die Veroneſer Erklärung durch ihren diktatoriſchen Ton das Selbſtgefühl der kleinen Staaten kränken, aber eine Rechtsverletzung enthielt ſie nicht, am wenigſten ein Unrecht gegen Württemberg. Denn die deutſchen Angelegenheiten waren in Verona, allerdings gegen Metternich’s urſprüngliche Abſicht, gar nicht zur Sprache gekommen, und zur Verſtändigung über die Bundes- politik hatten Oeſterreich und Preußen ſoeben die größeren deutſchen Re- gierungen, auch die Württembergiſche, freundnachbarlich nach Wien ein- geladen; ihre Schuld war es doch nicht, daß der Stuttgarter Hof die *) Blittersdorff’s Bericht, 28. Juni; deſſen Denkſchrift über die deutſche Politik, 18. Febr. 1822.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/328
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/328>, abgerufen am 22.11.2024.