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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
leuchten zu lassen trieb ihn eine Zeit lang in die Heerschaaren Wangen-
heim's. "Wahrlich, das Geld, das der Staat an mich wendet, soll nicht
verloren sein", schrieb er einmal, und mit frechem Galgenhumor schilderte
er die dialektischen Klopffechterkünste der Opposition, der er sich selber ange-
schlossen hatte, also: "Belehrt durch das Beispiel der großen Höfe, daß man
durch Propositionen, Gegenpropositionen, Dilemmen, Syllogismen, Ketten-
schlüsse, Sorites und wie die ganze Batterie logischer Formeln heißt, jeden
herzhaften Entschluß in der Politik hintertreiben oder wenigstens ajourniren
könne, haben wir uns bemüht, hierin nicht zurückzubleiben, ja vielmehr
die Meister in dieser Kunst wenigstens durch die Ausführlichkeit unserer
Abhandlungen zu überbieten, so daß es beinah unmöglich ist, es in der
Kunst, Alles zu beweisen was man will, weiter zu bringen." Von dieser
dreisten Stirn glitt der Vorwurf der Treulosigkeit ab wie das Wasser von
der Ente. In seiner Jugend ein liederlicher Verschwender, in späteren
Tagen ein geriebener Speculant, beurtheilte er die Welt nach seinem
eigenen Charakter und bekannte sich offen zu dem machiavellistischen Satze,
daß man die Menschen durch Furcht und Hoffnung regieren müsse.*) Trotz
seiner abschreckenden Häßlichkeit war der lange hagere junge Mann ein be-
liebter Gesellschafter, obgleich Niemand diesen gemeinen Zügen recht trauen
wollte; er beobachtete scharf und sicher, so daß seine Berichte dem Kundigen
noch heute reiche Belehrung bieten, und bezauberte Alles durch sein selbst-
bewußtes Auftreten, durch klatschsüchtige Plauderei, durch geistreiche Ein-
fälle sowie durch ein Wissen, das wenig tief, doch immerhin den Kennt-
nissen der meisten anderen Bundesgesandten weit überlegen war. In
der Schule eines ehrenhaften Staatslebens hätte Blittersdorff's Talent
vielleicht zu großem Ehrgeiz erzogen werden können, in diesem Bundes-
tage ward er nur ein Zänker und ein Rabulist.

Das Aergste blieb doch, daß diese wunderliche Oppositionspartei ebenso
haltlos in der Luft schwebte wie die Triasträume Wangenheim's selber.
Sie wurzelte nicht in den Gesinnungen und Interessen der Cabinette,
sondern in den augenblicklichen Stimmungen der Gesandten, die von da-
heim jederzeit eine Zurechtweisung erhalten konnten; und mit vollem
Rechte schrieb die badische Regierung an Blittersdorff: am Bundestage
kann es wohl eine bairische oder württembergische Partei geben, aber nie-
mals eine Partei Aretin oder Wangenheim.**) Aber die Opposition
umfaßte fast alle Talente der Versammlung; in der Debatte war ihr
weder Buol's taktloses Aufbrausen noch Goltz's redliche Gutmüthigkeit
gewachsen. An zuverlässigen Bundesgenossen besaß der Präsidialgesandte nur
zwei: den Nassauer Marschall, der durch seine polternde Anmaßung seine

*) Blittersdorff's Berichte, Frankfurt 10. Juni, 29. Nov. 1821, 27. Mai 1822 ff.
**) Geh.-Rath Jolly, Gutachten zu Blittersdorff's Denkschrift über die deutsche
Politik vom 18. Febr. 1822.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
leuchten zu laſſen trieb ihn eine Zeit lang in die Heerſchaaren Wangen-
heim’s. „Wahrlich, das Geld, das der Staat an mich wendet, ſoll nicht
verloren ſein“, ſchrieb er einmal, und mit frechem Galgenhumor ſchilderte
er die dialektiſchen Klopffechterkünſte der Oppoſition, der er ſich ſelber ange-
ſchloſſen hatte, alſo: „Belehrt durch das Beiſpiel der großen Höfe, daß man
durch Propoſitionen, Gegenpropoſitionen, Dilemmen, Syllogismen, Ketten-
ſchlüſſe, Sorites und wie die ganze Batterie logiſcher Formeln heißt, jeden
herzhaften Entſchluß in der Politik hintertreiben oder wenigſtens ajourniren
könne, haben wir uns bemüht, hierin nicht zurückzubleiben, ja vielmehr
die Meiſter in dieſer Kunſt wenigſtens durch die Ausführlichkeit unſerer
Abhandlungen zu überbieten, ſo daß es beinah unmöglich iſt, es in der
Kunſt, Alles zu beweiſen was man will, weiter zu bringen.“ Von dieſer
dreiſten Stirn glitt der Vorwurf der Treuloſigkeit ab wie das Waſſer von
der Ente. In ſeiner Jugend ein liederlicher Verſchwender, in ſpäteren
Tagen ein geriebener Speculant, beurtheilte er die Welt nach ſeinem
eigenen Charakter und bekannte ſich offen zu dem machiavelliſtiſchen Satze,
daß man die Menſchen durch Furcht und Hoffnung regieren müſſe.*) Trotz
ſeiner abſchreckenden Häßlichkeit war der lange hagere junge Mann ein be-
liebter Geſellſchafter, obgleich Niemand dieſen gemeinen Zügen recht trauen
wollte; er beobachtete ſcharf und ſicher, ſo daß ſeine Berichte dem Kundigen
noch heute reiche Belehrung bieten, und bezauberte Alles durch ſein ſelbſt-
bewußtes Auftreten, durch klatſchſüchtige Plauderei, durch geiſtreiche Ein-
fälle ſowie durch ein Wiſſen, das wenig tief, doch immerhin den Kennt-
niſſen der meiſten anderen Bundesgeſandten weit überlegen war. In
der Schule eines ehrenhaften Staatslebens hätte Blittersdorff’s Talent
vielleicht zu großem Ehrgeiz erzogen werden können, in dieſem Bundes-
tage ward er nur ein Zänker und ein Rabuliſt.

Das Aergſte blieb doch, daß dieſe wunderliche Oppoſitionspartei ebenſo
haltlos in der Luft ſchwebte wie die Triasträume Wangenheim’s ſelber.
Sie wurzelte nicht in den Geſinnungen und Intereſſen der Cabinette,
ſondern in den augenblicklichen Stimmungen der Geſandten, die von da-
heim jederzeit eine Zurechtweiſung erhalten konnten; und mit vollem
Rechte ſchrieb die badiſche Regierung an Blittersdorff: am Bundestage
kann es wohl eine bairiſche oder württembergiſche Partei geben, aber nie-
mals eine Partei Aretin oder Wangenheim.**) Aber die Oppoſition
umfaßte faſt alle Talente der Verſammlung; in der Debatte war ihr
weder Buol’s taktloſes Aufbrauſen noch Goltz’s redliche Gutmüthigkeit
gewachſen. An zuverläſſigen Bundesgenoſſen beſaß der Präſidialgeſandte nur
zwei: den Naſſauer Marſchall, der durch ſeine polternde Anmaßung ſeine

*) Blittersdorff’s Berichte, Frankfurt 10. Juni, 29. Nov. 1821, 27. Mai 1822 ff.
**) Geh.-Rath Jolly, Gutachten zu Blittersdorff’s Denkſchrift über die deutſche
Politik vom 18. Febr. 1822.
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[288/0304] III. 5. Die Großmächte und die Trias. leuchten zu laſſen trieb ihn eine Zeit lang in die Heerſchaaren Wangen- heim’s. „Wahrlich, das Geld, das der Staat an mich wendet, ſoll nicht verloren ſein“, ſchrieb er einmal, und mit frechem Galgenhumor ſchilderte er die dialektiſchen Klopffechterkünſte der Oppoſition, der er ſich ſelber ange- ſchloſſen hatte, alſo: „Belehrt durch das Beiſpiel der großen Höfe, daß man durch Propoſitionen, Gegenpropoſitionen, Dilemmen, Syllogismen, Ketten- ſchlüſſe, Sorites und wie die ganze Batterie logiſcher Formeln heißt, jeden herzhaften Entſchluß in der Politik hintertreiben oder wenigſtens ajourniren könne, haben wir uns bemüht, hierin nicht zurückzubleiben, ja vielmehr die Meiſter in dieſer Kunſt wenigſtens durch die Ausführlichkeit unſerer Abhandlungen zu überbieten, ſo daß es beinah unmöglich iſt, es in der Kunſt, Alles zu beweiſen was man will, weiter zu bringen.“ Von dieſer dreiſten Stirn glitt der Vorwurf der Treuloſigkeit ab wie das Waſſer von der Ente. In ſeiner Jugend ein liederlicher Verſchwender, in ſpäteren Tagen ein geriebener Speculant, beurtheilte er die Welt nach ſeinem eigenen Charakter und bekannte ſich offen zu dem machiavelliſtiſchen Satze, daß man die Menſchen durch Furcht und Hoffnung regieren müſſe. *) Trotz ſeiner abſchreckenden Häßlichkeit war der lange hagere junge Mann ein be- liebter Geſellſchafter, obgleich Niemand dieſen gemeinen Zügen recht trauen wollte; er beobachtete ſcharf und ſicher, ſo daß ſeine Berichte dem Kundigen noch heute reiche Belehrung bieten, und bezauberte Alles durch ſein ſelbſt- bewußtes Auftreten, durch klatſchſüchtige Plauderei, durch geiſtreiche Ein- fälle ſowie durch ein Wiſſen, das wenig tief, doch immerhin den Kennt- niſſen der meiſten anderen Bundesgeſandten weit überlegen war. In der Schule eines ehrenhaften Staatslebens hätte Blittersdorff’s Talent vielleicht zu großem Ehrgeiz erzogen werden können, in dieſem Bundes- tage ward er nur ein Zänker und ein Rabuliſt. Das Aergſte blieb doch, daß dieſe wunderliche Oppoſitionspartei ebenſo haltlos in der Luft ſchwebte wie die Triasträume Wangenheim’s ſelber. Sie wurzelte nicht in den Geſinnungen und Intereſſen der Cabinette, ſondern in den augenblicklichen Stimmungen der Geſandten, die von da- heim jederzeit eine Zurechtweiſung erhalten konnten; und mit vollem Rechte ſchrieb die badiſche Regierung an Blittersdorff: am Bundestage kann es wohl eine bairiſche oder württembergiſche Partei geben, aber nie- mals eine Partei Aretin oder Wangenheim. **) Aber die Oppoſition umfaßte faſt alle Talente der Verſammlung; in der Debatte war ihr weder Buol’s taktloſes Aufbrauſen noch Goltz’s redliche Gutmüthigkeit gewachſen. An zuverläſſigen Bundesgenoſſen beſaß der Präſidialgeſandte nur zwei: den Naſſauer Marſchall, der durch ſeine polternde Anmaßung ſeine *) Blittersdorff’s Berichte, Frankfurt 10. Juni, 29. Nov. 1821, 27. Mai 1822 ff. **) Geh.-Rath Jolly, Gutachten zu Blittersdorff’s Denkſchrift über die deutſche Politik vom 18. Febr. 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/304>, abgerufen am 22.11.2024.