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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Die österreichischen Staatsmänner erwarteten "goldene Früchte" von
der Versammlung. Aber die Tage ihrer ungetrübten Erfolge gingen zu
Ende, der glanzvollste Fürstentag der großen Allianz ward unter allen der
unfruchtbarste. In Troppau und Laibach war Metternich mit festen Plänen
siegreich vor die schwankenden Großmächte getreten; über die spanische Frage,
die jetzt alle anderen Streitfragen in den Hintergrund drängte, hatte er sich
selbst noch keine bestimmte Meinung gebildet. Er wollte weder einen franzö-
sischen Kreuzzug noch einen Coalitionskrieg gegen die spanischen Rebellen,
und doch wünschte er dringend, die revolutionäre Regierung in Madrid
feierlich aus der Gemeinschaft der legitimen Mächte auszustoßen und da-
durch vielleicht die gutgesinnten Spanier zur Befreiung ihres Königs zu er-
muthigen. So gerieth der Rathlose bald zwischen die beiden harten Mühl-
steine der russischen und der englischen Politik, die er in seinem Hochmuth
beide nach seinem Willen zu bewegen gehofft hatte. Wohl besaß er jetzt das
Ohr Alexanders, jedoch er konnte diesen schwer errungenen Einfluß nur
behaupten, wenn er den Launen des Kaisers mindestens zu folgen schien;
welch ein Unheil für Oesterreich, wenn der Czar sich enttäuscht aus den
Händeln des Westens zurückzog, um den besten Freund der Hofburg, den
Sultan aufs Neue zu bedrängen! Von allen Seiten als "der Wohlthäter
Europas" begrüßt und mit schmeichelhaften Versicherungen der Dankbarkeit
überschüttet, wollte Alexander jetzt auch die Früchte der Großmuth, die er im
Oriente bewährt, genießen und die Revolution im Westen für immer nieder-
schmettern. Mit wachsender Ungeduld verlangte er den allgemeinen Krieg
wider die spanischen Rebellen; mochten immerhin die Franzosen, denen er
selbst keineswegs traute, den Vortritt nehmen, ein russisches Heer stand schon
an der polnischen Grenze zum Nachrücken bereit. Diesen kühnen Entwürfen
trat nun Wellington entgegen, trocken, bitter, griesgrämisch, mit einem
steifen Dünkel, der auf der weiten Welt kein Interesse neben dem englischen
gelten ließ; jedes seiner Worte verrieth den stillen Groll der Torys wider
Rußland und bestärkte den Czaren nur in seinem Eifer. Bei dem eisernen
Herzog richteten Metternich's Vermittlungskünste nichts aus; er vollführte
mit soldatischer Strammheit die Befehle seines Cabinets, und da seine
hochconservative Gesinnung außer allem Zweifel stand, so war er auch
gepanzert gegen den Vorwurf, daß er die Revolution begünstige. Der
schroffe Gegensatz der englischen und der russischen Politik bestimmte, wie
Bernstorff bald bemerkte, den Gang der Verhandlungen und ihr allen
Parteien unerwartetes Ergebniß.*)

Um dem Czaren seine gute Gesinnung zu erweisen, theilte Metternich
am 18. Oktbr., noch bevor der Congreß förmlich eröffnet war, eine Denk-
schrift mit, die sich im Eingang sehr scharf wider die spanischen Rebellen
aussprach: das Ziel der Allianz bleibe die Vernichtung der Revolution,

*) Bernstorff an Ancillon, 15. Nov. 1822, 21. Jan. 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Die öſterreichiſchen Staatsmänner erwarteten „goldene Früchte“ von
der Verſammlung. Aber die Tage ihrer ungetrübten Erfolge gingen zu
Ende, der glanzvollſte Fürſtentag der großen Allianz ward unter allen der
unfruchtbarſte. In Troppau und Laibach war Metternich mit feſten Plänen
ſiegreich vor die ſchwankenden Großmächte getreten; über die ſpaniſche Frage,
die jetzt alle anderen Streitfragen in den Hintergrund drängte, hatte er ſich
ſelbſt noch keine beſtimmte Meinung gebildet. Er wollte weder einen franzö-
ſiſchen Kreuzzug noch einen Coalitionskrieg gegen die ſpaniſchen Rebellen,
und doch wünſchte er dringend, die revolutionäre Regierung in Madrid
feierlich aus der Gemeinſchaft der legitimen Mächte auszuſtoßen und da-
durch vielleicht die gutgeſinnten Spanier zur Befreiung ihres Königs zu er-
muthigen. So gerieth der Rathloſe bald zwiſchen die beiden harten Mühl-
ſteine der ruſſiſchen und der engliſchen Politik, die er in ſeinem Hochmuth
beide nach ſeinem Willen zu bewegen gehofft hatte. Wohl beſaß er jetzt das
Ohr Alexanders, jedoch er konnte dieſen ſchwer errungenen Einfluß nur
behaupten, wenn er den Launen des Kaiſers mindeſtens zu folgen ſchien;
welch ein Unheil für Oeſterreich, wenn der Czar ſich enttäuſcht aus den
Händeln des Weſtens zurückzog, um den beſten Freund der Hofburg, den
Sultan aufs Neue zu bedrängen! Von allen Seiten als „der Wohlthäter
Europas“ begrüßt und mit ſchmeichelhaften Verſicherungen der Dankbarkeit
überſchüttet, wollte Alexander jetzt auch die Früchte der Großmuth, die er im
Oriente bewährt, genießen und die Revolution im Weſten für immer nieder-
ſchmettern. Mit wachſender Ungeduld verlangte er den allgemeinen Krieg
wider die ſpaniſchen Rebellen; mochten immerhin die Franzoſen, denen er
ſelbſt keineswegs traute, den Vortritt nehmen, ein ruſſiſches Heer ſtand ſchon
an der polniſchen Grenze zum Nachrücken bereit. Dieſen kühnen Entwürfen
trat nun Wellington entgegen, trocken, bitter, griesgrämiſch, mit einem
ſteifen Dünkel, der auf der weiten Welt kein Intereſſe neben dem engliſchen
gelten ließ; jedes ſeiner Worte verrieth den ſtillen Groll der Torys wider
Rußland und beſtärkte den Czaren nur in ſeinem Eifer. Bei dem eiſernen
Herzog richteten Metternich’s Vermittlungskünſte nichts aus; er vollführte
mit ſoldatiſcher Strammheit die Befehle ſeines Cabinets, und da ſeine
hochconſervative Geſinnung außer allem Zweifel ſtand, ſo war er auch
gepanzert gegen den Vorwurf, daß er die Revolution begünſtige. Der
ſchroffe Gegenſatz der engliſchen und der ruſſiſchen Politik beſtimmte, wie
Bernſtorff bald bemerkte, den Gang der Verhandlungen und ihr allen
Parteien unerwartetes Ergebniß.*)

Um dem Czaren ſeine gute Geſinnung zu erweiſen, theilte Metternich
am 18. Oktbr., noch bevor der Congreß förmlich eröffnet war, eine Denk-
ſchrift mit, die ſich im Eingang ſehr ſcharf wider die ſpaniſchen Rebellen
ausſprach: das Ziel der Allianz bleibe die Vernichtung der Revolution,

*) Bernſtorff an Ancillon, 15. Nov. 1822, 21. Jan. 1823.
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[272/0288] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Die öſterreichiſchen Staatsmänner erwarteten „goldene Früchte“ von der Verſammlung. Aber die Tage ihrer ungetrübten Erfolge gingen zu Ende, der glanzvollſte Fürſtentag der großen Allianz ward unter allen der unfruchtbarſte. In Troppau und Laibach war Metternich mit feſten Plänen ſiegreich vor die ſchwankenden Großmächte getreten; über die ſpaniſche Frage, die jetzt alle anderen Streitfragen in den Hintergrund drängte, hatte er ſich ſelbſt noch keine beſtimmte Meinung gebildet. Er wollte weder einen franzö- ſiſchen Kreuzzug noch einen Coalitionskrieg gegen die ſpaniſchen Rebellen, und doch wünſchte er dringend, die revolutionäre Regierung in Madrid feierlich aus der Gemeinſchaft der legitimen Mächte auszuſtoßen und da- durch vielleicht die gutgeſinnten Spanier zur Befreiung ihres Königs zu er- muthigen. So gerieth der Rathloſe bald zwiſchen die beiden harten Mühl- ſteine der ruſſiſchen und der engliſchen Politik, die er in ſeinem Hochmuth beide nach ſeinem Willen zu bewegen gehofft hatte. Wohl beſaß er jetzt das Ohr Alexanders, jedoch er konnte dieſen ſchwer errungenen Einfluß nur behaupten, wenn er den Launen des Kaiſers mindeſtens zu folgen ſchien; welch ein Unheil für Oeſterreich, wenn der Czar ſich enttäuſcht aus den Händeln des Weſtens zurückzog, um den beſten Freund der Hofburg, den Sultan aufs Neue zu bedrängen! Von allen Seiten als „der Wohlthäter Europas“ begrüßt und mit ſchmeichelhaften Verſicherungen der Dankbarkeit überſchüttet, wollte Alexander jetzt auch die Früchte der Großmuth, die er im Oriente bewährt, genießen und die Revolution im Weſten für immer nieder- ſchmettern. Mit wachſender Ungeduld verlangte er den allgemeinen Krieg wider die ſpaniſchen Rebellen; mochten immerhin die Franzoſen, denen er ſelbſt keineswegs traute, den Vortritt nehmen, ein ruſſiſches Heer ſtand ſchon an der polniſchen Grenze zum Nachrücken bereit. Dieſen kühnen Entwürfen trat nun Wellington entgegen, trocken, bitter, griesgrämiſch, mit einem ſteifen Dünkel, der auf der weiten Welt kein Intereſſe neben dem engliſchen gelten ließ; jedes ſeiner Worte verrieth den ſtillen Groll der Torys wider Rußland und beſtärkte den Czaren nur in ſeinem Eifer. Bei dem eiſernen Herzog richteten Metternich’s Vermittlungskünſte nichts aus; er vollführte mit ſoldatiſcher Strammheit die Befehle ſeines Cabinets, und da ſeine hochconſervative Geſinnung außer allem Zweifel ſtand, ſo war er auch gepanzert gegen den Vorwurf, daß er die Revolution begünſtige. Der ſchroffe Gegenſatz der engliſchen und der ruſſiſchen Politik beſtimmte, wie Bernſtorff bald bemerkte, den Gang der Verhandlungen und ihr allen Parteien unerwartetes Ergebniß. *) Um dem Czaren ſeine gute Geſinnung zu erweiſen, theilte Metternich am 18. Oktbr., noch bevor der Congreß förmlich eröffnet war, eine Denk- ſchrift mit, die ſich im Eingang ſehr ſcharf wider die ſpaniſchen Rebellen ausſprach: das Ziel der Allianz bleibe die Vernichtung der Revolution, *) Bernſtorff an Ancillon, 15. Nov. 1822, 21. Jan. 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/288>, abgerufen am 25.11.2024.