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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
selbst im Laufe der Jahre von den Bahnen der Politik Metternich's ent-
fernte, um so lästiger wurde ihm der alte Polterer, der jedes eigenen Ge-
dankens baar, nur wie ein Doppelgänger des österreichischen Gesandten
Zichy erschien und zuletzt seinen vorgesetzten Minister geradezu bekämpfte.
Witzleben aber las die Wiener Gesandtschaftsberichte stets mit Entsetzen und
schrieb sich zuweilen die ärgsten Stellen ab, um den König in vertraulichem
Gespräche vor diesem Uebermaße der Parteiwuth zu warnen. --

Mit Preußen fest verbündet, mit England verständigt, mit Rußland
leidlich ausgesöhnt, konnte Metternich dem vierten Congresse, der nach
neueren Verabredungen in Verona stattfinden sollte, mit einiger Ruhe
entgegensehen; er wußte mindestens, daß die orientalische Frage -- der
Ausdruck kam in diesen Tagen auf -- dort nur geringe Schwierigkeiten
bereiten würde. In Spanien freilich hatte sich die Lage mittlerweile sehr
ernst gestaltet. Der Radikalismus war in beständigem Wachsthum; schon
schritt man zur Aufhebung der Klöster und der Majorate, der katholi-
schen Majestät ins Angesicht brüllte der Pöbel das wilde Hohnlied: tragala
perro,
schling' es nieder du Hund! König Ferdinand sendete insgeheim
flehende Hilferufe an die großen Mächte und wagte endlich im Juli 1822
einen Staatsstreich. Der tückische Anschlag mißlang. Verzweifelnd an der
Treue dieses Fürsten zerstoben die gemäßigten Parteien in alle Winde,
die Radikalen allein behaupteten das Feld in der Hauptstadt, der Bour-
bone war ein Gefangener in seinem Schlosse. In den hartgläubigen
Provinzen des Nordens aber schaarte sich die Partei der Servilen zu-
sammen, Priester und Mönche predigten den Glaubenskrieg wider die
Revolution; in Urgel ward eine Regentschaft eingesetzt, die im Namen
des unfreien Königs zu handeln vorgab und ihre Agenten an alle Höfe
sendete. Der Bürgerkrieg raste dahin, und wie sollte er enden unter
einem Fürsten, der alle Parteien verrathen und mißbraucht hatte? Dieser
König muß fallen, schrieb Bernstorff traurig, er hat alle Eigenschaften sich
zu verderben, keine sich zu retten.*)

Und schon begannen von Frankreich her die ersten leisen Versuche
der Einmischung. Dort war im Dec. 1821 ein Ultra-Ministerium unter
der Führung Villele's gebildet worden. Der Sieg dieser Partei bekundete
sich sogleich in harten Verfolgungen wider die radikalen Geheimbünde;
das ganze nächste Jahr hindurch wurde das Land durch gehässige politische
Processe in Athem gehalten. Zugleich verlangte die Presse der Ultras
mit wachsendem Ungestüm den Krieg wider Spanien: der beleidigte Vetter
des Allerchristlichsten Königs sollte gerächt, das Brutnest der jüngsten
Revolutionen ausgenommen und die bescheidene Rolle, welche Frankreich
während der letzten Jahre in Europa gespielt, durch die glänzenden Er-
folge eines legitimistischen Kreuzzugs gesühnt werden. Wenn der Erbe der

*) Bernstorff an Hatzfeldt, 26. Juli 1822.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
ſelbſt im Laufe der Jahre von den Bahnen der Politik Metternich’s ent-
fernte, um ſo läſtiger wurde ihm der alte Polterer, der jedes eigenen Ge-
dankens baar, nur wie ein Doppelgänger des öſterreichiſchen Geſandten
Zichy erſchien und zuletzt ſeinen vorgeſetzten Miniſter geradezu bekämpfte.
Witzleben aber las die Wiener Geſandtſchaftsberichte ſtets mit Entſetzen und
ſchrieb ſich zuweilen die ärgſten Stellen ab, um den König in vertraulichem
Geſpräche vor dieſem Uebermaße der Parteiwuth zu warnen. —

Mit Preußen feſt verbündet, mit England verſtändigt, mit Rußland
leidlich ausgeſöhnt, konnte Metternich dem vierten Congreſſe, der nach
neueren Verabredungen in Verona ſtattfinden ſollte, mit einiger Ruhe
entgegenſehen; er wußte mindeſtens, daß die orientaliſche Frage — der
Ausdruck kam in dieſen Tagen auf — dort nur geringe Schwierigkeiten
bereiten würde. In Spanien freilich hatte ſich die Lage mittlerweile ſehr
ernſt geſtaltet. Der Radikalismus war in beſtändigem Wachsthum; ſchon
ſchritt man zur Aufhebung der Klöſter und der Majorate, der katholi-
ſchen Majeſtät ins Angeſicht brüllte der Pöbel das wilde Hohnlied: tragala
perro,
ſchling’ es nieder du Hund! König Ferdinand ſendete insgeheim
flehende Hilferufe an die großen Mächte und wagte endlich im Juli 1822
einen Staatsſtreich. Der tückiſche Anſchlag mißlang. Verzweifelnd an der
Treue dieſes Fürſten zerſtoben die gemäßigten Parteien in alle Winde,
die Radikalen allein behaupteten das Feld in der Hauptſtadt, der Bour-
bone war ein Gefangener in ſeinem Schloſſe. In den hartgläubigen
Provinzen des Nordens aber ſchaarte ſich die Partei der Servilen zu-
ſammen, Prieſter und Mönche predigten den Glaubenskrieg wider die
Revolution; in Urgel ward eine Regentſchaft eingeſetzt, die im Namen
des unfreien Königs zu handeln vorgab und ihre Agenten an alle Höfe
ſendete. Der Bürgerkrieg raſte dahin, und wie ſollte er enden unter
einem Fürſten, der alle Parteien verrathen und mißbraucht hatte? Dieſer
König muß fallen, ſchrieb Bernſtorff traurig, er hat alle Eigenſchaften ſich
zu verderben, keine ſich zu retten.*)

Und ſchon begannen von Frankreich her die erſten leiſen Verſuche
der Einmiſchung. Dort war im Dec. 1821 ein Ultra-Miniſterium unter
der Führung Villele’s gebildet worden. Der Sieg dieſer Partei bekundete
ſich ſogleich in harten Verfolgungen wider die radikalen Geheimbünde;
das ganze nächſte Jahr hindurch wurde das Land durch gehäſſige politiſche
Proceſſe in Athem gehalten. Zugleich verlangte die Preſſe der Ultras
mit wachſendem Ungeſtüm den Krieg wider Spanien: der beleidigte Vetter
des Allerchriſtlichſten Königs ſollte gerächt, das Brutneſt der jüngſten
Revolutionen ausgenommen und die beſcheidene Rolle, welche Frankreich
während der letzten Jahre in Europa geſpielt, durch die glänzenden Er-
folge eines legitimiſtiſchen Kreuzzugs geſühnt werden. Wenn der Erbe der

*) Bernſtorff an Hatzfeldt, 26. Juli 1822.
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[262/0278] III. 5. Die Großmächte und die Trias. ſelbſt im Laufe der Jahre von den Bahnen der Politik Metternich’s ent- fernte, um ſo läſtiger wurde ihm der alte Polterer, der jedes eigenen Ge- dankens baar, nur wie ein Doppelgänger des öſterreichiſchen Geſandten Zichy erſchien und zuletzt ſeinen vorgeſetzten Miniſter geradezu bekämpfte. Witzleben aber las die Wiener Geſandtſchaftsberichte ſtets mit Entſetzen und ſchrieb ſich zuweilen die ärgſten Stellen ab, um den König in vertraulichem Geſpräche vor dieſem Uebermaße der Parteiwuth zu warnen. — Mit Preußen feſt verbündet, mit England verſtändigt, mit Rußland leidlich ausgeſöhnt, konnte Metternich dem vierten Congreſſe, der nach neueren Verabredungen in Verona ſtattfinden ſollte, mit einiger Ruhe entgegenſehen; er wußte mindeſtens, daß die orientaliſche Frage — der Ausdruck kam in dieſen Tagen auf — dort nur geringe Schwierigkeiten bereiten würde. In Spanien freilich hatte ſich die Lage mittlerweile ſehr ernſt geſtaltet. Der Radikalismus war in beſtändigem Wachsthum; ſchon ſchritt man zur Aufhebung der Klöſter und der Majorate, der katholi- ſchen Majeſtät ins Angeſicht brüllte der Pöbel das wilde Hohnlied: tragala perro, ſchling’ es nieder du Hund! König Ferdinand ſendete insgeheim flehende Hilferufe an die großen Mächte und wagte endlich im Juli 1822 einen Staatsſtreich. Der tückiſche Anſchlag mißlang. Verzweifelnd an der Treue dieſes Fürſten zerſtoben die gemäßigten Parteien in alle Winde, die Radikalen allein behaupteten das Feld in der Hauptſtadt, der Bour- bone war ein Gefangener in ſeinem Schloſſe. In den hartgläubigen Provinzen des Nordens aber ſchaarte ſich die Partei der Servilen zu- ſammen, Prieſter und Mönche predigten den Glaubenskrieg wider die Revolution; in Urgel ward eine Regentſchaft eingeſetzt, die im Namen des unfreien Königs zu handeln vorgab und ihre Agenten an alle Höfe ſendete. Der Bürgerkrieg raſte dahin, und wie ſollte er enden unter einem Fürſten, der alle Parteien verrathen und mißbraucht hatte? Dieſer König muß fallen, ſchrieb Bernſtorff traurig, er hat alle Eigenſchaften ſich zu verderben, keine ſich zu retten. *) Und ſchon begannen von Frankreich her die erſten leiſen Verſuche der Einmiſchung. Dort war im Dec. 1821 ein Ultra-Miniſterium unter der Führung Villele’s gebildet worden. Der Sieg dieſer Partei bekundete ſich ſogleich in harten Verfolgungen wider die radikalen Geheimbünde; das ganze nächſte Jahr hindurch wurde das Land durch gehäſſige politiſche Proceſſe in Athem gehalten. Zugleich verlangte die Preſſe der Ultras mit wachſendem Ungeſtüm den Krieg wider Spanien: der beleidigte Vetter des Allerchriſtlichſten Königs ſollte gerächt, das Brutneſt der jüngſten Revolutionen ausgenommen und die beſcheidene Rolle, welche Frankreich während der letzten Jahre in Europa geſpielt, durch die glänzenden Er- folge eines legitimiſtiſchen Kreuzzugs geſühnt werden. Wenn der Erbe der *) Bernſtorff an Hatzfeldt, 26. Juli 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/278>, abgerufen am 22.11.2024.