Köthen, mit dem ganzen Dünkel Berlinischer Allwissenheit verdammte. Auch in den Massen bestand viel stiller Mißmuth: die Zeiten waren zu schlecht, die Steuern hoch, der Erwerb kläglich. Da die auf dem Aachener Congresse erlangten Entschädigungsgelder nicht entfernt ausreichten, so hofften viele arme Leute vergeblich auf Ersatz ihrer Kriegsschäden, und die ärgsten Lügen fanden bei den Enttäuschten Glauben: allgemein ward er- zählt, das Kronfideicommiß sei aus den französischen Geldern gebildet worden -- ein Märchen, das noch heute hier und da fortspukt. Gleichwohl blieb die alte Königstreue der Preußen unerschütterlich. Ein Aufstandsversuch, den ein westpreußischer Oberförster v. Hedemann im Sommer 1821 unter- nahm, war so offenbar das Werk eines Tollkopfs, daß selbst am Hofe der Schrecken nicht lange anhielt.
Im November 1822 wurde der Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen Regierung Friedrich Wilhelm's fast überall mit dankbarer Freude gefeiert. In Berlin freilich verlief das Fest ohne besonderen Prunk, denn der König weilte in Italien, froh, den Huldigungen daheim entronnen zu sein. Von der Verfassung sprach Niemand. Nur der Historiker Friedrich v. Raumer wagte in akademischer Festrede vor dem Kronprinzen auszusprechen, daß die alte Zusage noch nicht eingelöst sei und Provinzialstände ohne Reichs- tag einem Körper ohne Haupt glichen. Seitdem begannen die akademischen Festlichkeiten der Hauptstadt eine politische Bedeutung zu erlangen; das Katheder rückte zuweilen an die Stelle, welche der parlamentarischen Redner- bühne gebührte. Forderungen, die sich in der Presse nicht herauswagen durften, wurden hier mit Freimuth geäußert, doch immer mit Maß und Würde; in die Niederungen der Parteileidenschaft sank die Berliner Uni- versität nie herab. Der König nahm die Festrede freundlich auf; das Obercensurcollegium aber, zu dessen Mitgliedern Raumer selbst gehörte, verweigerte seine Erlaubniß, und die Rede wurde erst ein Jahr später in Leipzig gedruckt.
Mittlerweile ging es rasch abwärts mit der Lebenskraft und dem Ansehen des greisen Kanzlers. Seit dem Scheitern seines Verfassungs- planes war seine politische Rolle ausgespielt. Er wollte zwar die Hoff- nung noch immer nicht aufgeben und begegnete seinen Feinden, trotz Allem was geschehen, mit zuversichtlicher Heiterkeit. Aber von der Verfassungsbe- rathung hatte er sich selber ausgeschlossen. Das Wenige was er in seiner Schwäche noch arbeitete, galt der Verwaltungsreform; wenn ihm dies Werk noch gelinge, sagte er zu Witzleben, dann wolle er sich zurückziehen und nur noch die Geschäfte, welche der König ihm ausdrücklich auftrage, erledigen. In jedem bewegten Menschenleben erscheint ein Zeitpunkt, da die Folgen alter Fehler sich mit einem male über dem Haupte des Schuldigen ent- laden. Solche Tage mußte Hardenberg noch dicht am Rande des Grabes erleben. Er büßte schwer, fast allzu schwer; denn die persönlichen Schwä- chen öffentlicher Charaktere sind nur dann unverzeihlich, wenn der Staat
Hardenberg’s letzte Tage.
Köthen, mit dem ganzen Dünkel Berliniſcher Allwiſſenheit verdammte. Auch in den Maſſen beſtand viel ſtiller Mißmuth: die Zeiten waren zu ſchlecht, die Steuern hoch, der Erwerb kläglich. Da die auf dem Aachener Congreſſe erlangten Entſchädigungsgelder nicht entfernt ausreichten, ſo hofften viele arme Leute vergeblich auf Erſatz ihrer Kriegsſchäden, und die ärgſten Lügen fanden bei den Enttäuſchten Glauben: allgemein ward er- zählt, das Kronfideicommiß ſei aus den franzöſiſchen Geldern gebildet worden — ein Märchen, das noch heute hier und da fortſpukt. Gleichwohl blieb die alte Königstreue der Preußen unerſchütterlich. Ein Aufſtandsverſuch, den ein weſtpreußiſcher Oberförſter v. Hedemann im Sommer 1821 unter- nahm, war ſo offenbar das Werk eines Tollkopfs, daß ſelbſt am Hofe der Schrecken nicht lange anhielt.
Im November 1822 wurde der Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen Regierung Friedrich Wilhelm’s faſt überall mit dankbarer Freude gefeiert. In Berlin freilich verlief das Feſt ohne beſonderen Prunk, denn der König weilte in Italien, froh, den Huldigungen daheim entronnen zu ſein. Von der Verfaſſung ſprach Niemand. Nur der Hiſtoriker Friedrich v. Raumer wagte in akademiſcher Feſtrede vor dem Kronprinzen auszuſprechen, daß die alte Zuſage noch nicht eingelöſt ſei und Provinzialſtände ohne Reichs- tag einem Körper ohne Haupt glichen. Seitdem begannen die akademiſchen Feſtlichkeiten der Hauptſtadt eine politiſche Bedeutung zu erlangen; das Katheder rückte zuweilen an die Stelle, welche der parlamentariſchen Redner- bühne gebührte. Forderungen, die ſich in der Preſſe nicht herauswagen durften, wurden hier mit Freimuth geäußert, doch immer mit Maß und Würde; in die Niederungen der Parteileidenſchaft ſank die Berliner Uni- verſität nie herab. Der König nahm die Feſtrede freundlich auf; das Obercenſurcollegium aber, zu deſſen Mitgliedern Raumer ſelbſt gehörte, verweigerte ſeine Erlaubniß, und die Rede wurde erſt ein Jahr ſpäter in Leipzig gedruckt.
Mittlerweile ging es raſch abwärts mit der Lebenskraft und dem Anſehen des greiſen Kanzlers. Seit dem Scheitern ſeines Verfaſſungs- planes war ſeine politiſche Rolle ausgeſpielt. Er wollte zwar die Hoff- nung noch immer nicht aufgeben und begegnete ſeinen Feinden, trotz Allem was geſchehen, mit zuverſichtlicher Heiterkeit. Aber von der Verfaſſungsbe- rathung hatte er ſich ſelber ausgeſchloſſen. Das Wenige was er in ſeiner Schwäche noch arbeitete, galt der Verwaltungsreform; wenn ihm dies Werk noch gelinge, ſagte er zu Witzleben, dann wolle er ſich zurückziehen und nur noch die Geſchäfte, welche der König ihm ausdrücklich auftrage, erledigen. In jedem bewegten Menſchenleben erſcheint ein Zeitpunkt, da die Folgen alter Fehler ſich mit einem male über dem Haupte des Schuldigen ent- laden. Solche Tage mußte Hardenberg noch dicht am Rande des Grabes erleben. Er büßte ſchwer, faſt allzu ſchwer; denn die perſönlichen Schwä- chen öffentlicher Charaktere ſind nur dann unverzeihlich, wenn der Staat
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Hardenberg’s letzte Tage.
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Auch in den Maſſen beſtand viel ſtiller Mißmuth: die Zeiten waren zu
ſchlecht, die Steuern hoch, der Erwerb kläglich. Da die auf dem Aachener
Congreſſe erlangten Entſchädigungsgelder nicht entfernt ausreichten, ſo
hofften viele arme Leute vergeblich auf Erſatz ihrer Kriegsſchäden, und
die ärgſten Lügen fanden bei den Enttäuſchten Glauben: allgemein ward er-
zählt, das Kronfideicommiß ſei aus den franzöſiſchen Geldern gebildet worden
— ein Märchen, das noch heute hier und da fortſpukt. Gleichwohl blieb die
alte Königstreue der Preußen unerſchütterlich. Ein Aufſtandsverſuch, den
ein weſtpreußiſcher Oberförſter v. Hedemann im Sommer 1821 unter-
nahm, war ſo offenbar das Werk eines Tollkopfs, daß ſelbſt am Hofe der
Schrecken nicht lange anhielt.
Im November 1822 wurde der Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen
Regierung Friedrich Wilhelm’s faſt überall mit dankbarer Freude gefeiert.
In Berlin freilich verlief das Feſt ohne beſonderen Prunk, denn der König
weilte in Italien, froh, den Huldigungen daheim entronnen zu ſein. Von
der Verfaſſung ſprach Niemand. Nur der Hiſtoriker Friedrich v. Raumer
wagte in akademiſcher Feſtrede vor dem Kronprinzen auszuſprechen, daß
die alte Zuſage noch nicht eingelöſt ſei und Provinzialſtände ohne Reichs-
tag einem Körper ohne Haupt glichen. Seitdem begannen die akademiſchen
Feſtlichkeiten der Hauptſtadt eine politiſche Bedeutung zu erlangen; das
Katheder rückte zuweilen an die Stelle, welche der parlamentariſchen Redner-
bühne gebührte. Forderungen, die ſich in der Preſſe nicht herauswagen
durften, wurden hier mit Freimuth geäußert, doch immer mit Maß und
Würde; in die Niederungen der Parteileidenſchaft ſank die Berliner Uni-
verſität nie herab. Der König nahm die Feſtrede freundlich auf; das
Obercenſurcollegium aber, zu deſſen Mitgliedern Raumer ſelbſt gehörte,
verweigerte ſeine Erlaubniß, und die Rede wurde erſt ein Jahr ſpäter in
Leipzig gedruckt.
Mittlerweile ging es raſch abwärts mit der Lebenskraft und dem
Anſehen des greiſen Kanzlers. Seit dem Scheitern ſeines Verfaſſungs-
planes war ſeine politiſche Rolle ausgeſpielt. Er wollte zwar die Hoff-
nung noch immer nicht aufgeben und begegnete ſeinen Feinden, trotz Allem
was geſchehen, mit zuverſichtlicher Heiterkeit. Aber von der Verfaſſungsbe-
rathung hatte er ſich ſelber ausgeſchloſſen. Das Wenige was er in ſeiner
Schwäche noch arbeitete, galt der Verwaltungsreform; wenn ihm dies Werk
noch gelinge, ſagte er zu Witzleben, dann wolle er ſich zurückziehen und nur
noch die Geſchäfte, welche der König ihm ausdrücklich auftrage, erledigen.
In jedem bewegten Menſchenleben erſcheint ein Zeitpunkt, da die Folgen
alter Fehler ſich mit einem male über dem Haupte des Schuldigen ent-
laden. Solche Tage mußte Hardenberg noch dicht am Rande des Grabes
erleben. Er büßte ſchwer, faſt allzu ſchwer; denn die perſönlichen Schwä-
chen öffentlicher Charaktere ſind nur dann unverzeihlich, wenn der Staat
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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