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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
lich erworbenen Besitzungen wiederhergestellt. Diese Verordnung, schrieb
er zufrieden, "ist wesentlich antirevolutionär und restaurirend, eine Rück-
kehr zur natürlichen Ordnung der Dinge." Niebuhr's geistvoller Freund
Deserre aber meinte bedenklich: wie seltsam, daß die jüngste der großen
Monarchien ihre Provinzialstände freiwillig wiederherstelle, während sie fast
in allen andern Großstaaten untergegangen seien! Und in der That stand
es in grellem Widerspruche mit allen Traditionen Preußens, daß dieser
Staat, der sich immer nur durch das kräftige Zusammenfassen seiner Macht
hatte behaupten können, jetzt einer romantischen Doctrin zu Liebe seine
centrifugalen Kräfte selber wach rief. Gleichwohl erwiesen sich die Hoff-
nungen der Altständischen bald als ebenso irrig, wie die Schadenfreude
jener föderalistischen Thoren, die schon den Tag kommen sahen, da der
künstliche Bau des preußischen Staates wieder urwüchsiger Zersplitterung
anheimfallen würde. Was war denn im Grunde das Ergebniß dieser
langen Kämpfe? Der Versuch, den in der Verwaltung schon vollendeten
Einheitsstaat auch in die Verfassung einzuführen, war einfach gescheitert.
Das alte Verhältniß, das schon im 18. Jahrhundert bestanden, stellte sich
in modernen Formen vorläufig wieder her: in den Provinzen ständische
Körper ohne Macht und Leben, über ihnen eine Staatsgewalt, die alle
aufstrebenden Kräfte des Gemeinwesens in sich vereinigte. Die errungene
Staatseinheit ward mit nichten aufgelockert, es gelang nur für diesmal
nicht, sie zu verstärken. Ein Gewirr halbselbständiger Kronländer, wie in
dem belobten Oesterreich, konnte in diesem Staatsbau, der durch die festen
Klammern moderner Verwaltung zusammengehalten wurde, unmöglich
entstehen. Die ohnmächtigen Provinziallandtage vermochten nur wenig
zu leisten, aber auch den Werdegang der praktischen deutschen Einheit nicht
zu hemmen. Die unverwüstliche Gesundheit dieses Staates ließ das Fieber
des Partikularismus nicht aufkommen. Verwaltung und Wehrpflicht,
Verkehr und Unterricht verbanden die Bewohner der Monarchie zu treuer
Gemeinschaft, zerstörten in stiller Arbeit alle die Kräfte des Widerstandes,
welche der Einheit des deutschen Staates noch im Wege standen. Als end-
lich nach einem Vierteljahrhundert die Provinzialstände zum Vereinigten
Landtag zusammentraten, da versammelten sich um den Thron nicht die
Vertreter von acht Provinzen, sondern die Bürger eines Staates, die
Söhne eines Volkes. Der alte Haß der Landschaften war vernichtet. --

Während dieser Verhandlungen blieb die Nation stumm und gleich-
giltig. Nur die Sache der Altständischen fand noch dann und wann
einen Vertheidiger in der Presse. Unter den Verfassungsfreunden herrschte
allgemeine Entmuthigung; auch Gneisenau war von den Hoffnungen
früherer Tage so weit zurückgekommen, daß er jetzt die Berufung der
Reichsstände entschieden widerrieth. Wohl schlich und zischelte in den
Salons der Hauptstadt noch eine gehässige Opposition, die jeden Schritt
des Königs, selbst seine besterwogenen Entschlüsse, selbst den Zollkrieg gegen

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
lich erworbenen Beſitzungen wiederhergeſtellt. Dieſe Verordnung, ſchrieb
er zufrieden, „iſt weſentlich antirevolutionär und reſtaurirend, eine Rück-
kehr zur natürlichen Ordnung der Dinge.“ Niebuhr’s geiſtvoller Freund
Deſerre aber meinte bedenklich: wie ſeltſam, daß die jüngſte der großen
Monarchien ihre Provinzialſtände freiwillig wiederherſtelle, während ſie faſt
in allen andern Großſtaaten untergegangen ſeien! Und in der That ſtand
es in grellem Widerſpruche mit allen Traditionen Preußens, daß dieſer
Staat, der ſich immer nur durch das kräftige Zuſammenfaſſen ſeiner Macht
hatte behaupten können, jetzt einer romantiſchen Doctrin zu Liebe ſeine
centrifugalen Kräfte ſelber wach rief. Gleichwohl erwieſen ſich die Hoff-
nungen der Altſtändiſchen bald als ebenſo irrig, wie die Schadenfreude
jener föderaliſtiſchen Thoren, die ſchon den Tag kommen ſahen, da der
künſtliche Bau des preußiſchen Staates wieder urwüchſiger Zerſplitterung
anheimfallen würde. Was war denn im Grunde das Ergebniß dieſer
langen Kämpfe? Der Verſuch, den in der Verwaltung ſchon vollendeten
Einheitsſtaat auch in die Verfaſſung einzuführen, war einfach geſcheitert.
Das alte Verhältniß, das ſchon im 18. Jahrhundert beſtanden, ſtellte ſich
in modernen Formen vorläufig wieder her: in den Provinzen ſtändiſche
Körper ohne Macht und Leben, über ihnen eine Staatsgewalt, die alle
aufſtrebenden Kräfte des Gemeinweſens in ſich vereinigte. Die errungene
Staatseinheit ward mit nichten aufgelockert, es gelang nur für diesmal
nicht, ſie zu verſtärken. Ein Gewirr halbſelbſtändiger Kronländer, wie in
dem belobten Oeſterreich, konnte in dieſem Staatsbau, der durch die feſten
Klammern moderner Verwaltung zuſammengehalten wurde, unmöglich
entſtehen. Die ohnmächtigen Provinziallandtage vermochten nur wenig
zu leiſten, aber auch den Werdegang der praktiſchen deutſchen Einheit nicht
zu hemmen. Die unverwüſtliche Geſundheit dieſes Staates ließ das Fieber
des Partikularismus nicht aufkommen. Verwaltung und Wehrpflicht,
Verkehr und Unterricht verbanden die Bewohner der Monarchie zu treuer
Gemeinſchaft, zerſtörten in ſtiller Arbeit alle die Kräfte des Widerſtandes,
welche der Einheit des deutſchen Staates noch im Wege ſtanden. Als end-
lich nach einem Vierteljahrhundert die Provinzialſtände zum Vereinigten
Landtag zuſammentraten, da verſammelten ſich um den Thron nicht die
Vertreter von acht Provinzen, ſondern die Bürger eines Staates, die
Söhne eines Volkes. Der alte Haß der Landſchaften war vernichtet. —

Während dieſer Verhandlungen blieb die Nation ſtumm und gleich-
giltig. Nur die Sache der Altſtändiſchen fand noch dann und wann
einen Vertheidiger in der Preſſe. Unter den Verfaſſungsfreunden herrſchte
allgemeine Entmuthigung; auch Gneiſenau war von den Hoffnungen
früherer Tage ſo weit zurückgekommen, daß er jetzt die Berufung der
Reichsſtände entſchieden widerrieth. Wohl ſchlich und ziſchelte in den
Salons der Hauptſtadt noch eine gehäſſige Oppoſition, die jeden Schritt
des Königs, ſelbſt ſeine beſterwogenen Entſchlüſſe, ſelbſt den Zollkrieg gegen

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[248/0264] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. lich erworbenen Beſitzungen wiederhergeſtellt. Dieſe Verordnung, ſchrieb er zufrieden, „iſt weſentlich antirevolutionär und reſtaurirend, eine Rück- kehr zur natürlichen Ordnung der Dinge.“ Niebuhr’s geiſtvoller Freund Deſerre aber meinte bedenklich: wie ſeltſam, daß die jüngſte der großen Monarchien ihre Provinzialſtände freiwillig wiederherſtelle, während ſie faſt in allen andern Großſtaaten untergegangen ſeien! Und in der That ſtand es in grellem Widerſpruche mit allen Traditionen Preußens, daß dieſer Staat, der ſich immer nur durch das kräftige Zuſammenfaſſen ſeiner Macht hatte behaupten können, jetzt einer romantiſchen Doctrin zu Liebe ſeine centrifugalen Kräfte ſelber wach rief. Gleichwohl erwieſen ſich die Hoff- nungen der Altſtändiſchen bald als ebenſo irrig, wie die Schadenfreude jener föderaliſtiſchen Thoren, die ſchon den Tag kommen ſahen, da der künſtliche Bau des preußiſchen Staates wieder urwüchſiger Zerſplitterung anheimfallen würde. Was war denn im Grunde das Ergebniß dieſer langen Kämpfe? Der Verſuch, den in der Verwaltung ſchon vollendeten Einheitsſtaat auch in die Verfaſſung einzuführen, war einfach geſcheitert. Das alte Verhältniß, das ſchon im 18. Jahrhundert beſtanden, ſtellte ſich in modernen Formen vorläufig wieder her: in den Provinzen ſtändiſche Körper ohne Macht und Leben, über ihnen eine Staatsgewalt, die alle aufſtrebenden Kräfte des Gemeinweſens in ſich vereinigte. Die errungene Staatseinheit ward mit nichten aufgelockert, es gelang nur für diesmal nicht, ſie zu verſtärken. Ein Gewirr halbſelbſtändiger Kronländer, wie in dem belobten Oeſterreich, konnte in dieſem Staatsbau, der durch die feſten Klammern moderner Verwaltung zuſammengehalten wurde, unmöglich entſtehen. Die ohnmächtigen Provinziallandtage vermochten nur wenig zu leiſten, aber auch den Werdegang der praktiſchen deutſchen Einheit nicht zu hemmen. Die unverwüſtliche Geſundheit dieſes Staates ließ das Fieber des Partikularismus nicht aufkommen. Verwaltung und Wehrpflicht, Verkehr und Unterricht verbanden die Bewohner der Monarchie zu treuer Gemeinſchaft, zerſtörten in ſtiller Arbeit alle die Kräfte des Widerſtandes, welche der Einheit des deutſchen Staates noch im Wege ſtanden. Als end- lich nach einem Vierteljahrhundert die Provinzialſtände zum Vereinigten Landtag zuſammentraten, da verſammelten ſich um den Thron nicht die Vertreter von acht Provinzen, ſondern die Bürger eines Staates, die Söhne eines Volkes. Der alte Haß der Landſchaften war vernichtet. — Während dieſer Verhandlungen blieb die Nation ſtumm und gleich- giltig. Nur die Sache der Altſtändiſchen fand noch dann und wann einen Vertheidiger in der Preſſe. Unter den Verfaſſungsfreunden herrſchte allgemeine Entmuthigung; auch Gneiſenau war von den Hoffnungen früherer Tage ſo weit zurückgekommen, daß er jetzt die Berufung der Reichsſtände entſchieden widerrieth. Wohl ſchlich und ziſchelte in den Salons der Hauptſtadt noch eine gehäſſige Oppoſition, die jeden Schritt des Königs, ſelbſt ſeine beſterwogenen Entſchlüſſe, ſelbſt den Zollkrieg gegen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/264>, abgerufen am 22.11.2024.