Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. cale Partei der neuen Machtmittel, welche ihr die revolutionäre Gesetz-gebung darbot. Die Vereine und die Zeitungen, beide hundertmal von der Curie verflucht, wurden bald zu furchtbaren Waffen in der Hand der ultramontanen Propaganda. In dem bigotten dreizehnten Jahrhundert hatte Rom die Bettelorden gegründet um die Massen an sich zu ketten; jetzt, in dem verweltlichten Zeitalter der Revolutionen erstand die neue Größe der ultramontanen Presse und erfüllte die Pflichten des kirchlichen Demagogenthums mit der gleichen Rührigkeit und dem gleichen Erfolg. Der erste Anstoß kam aus Frankreich. In Paris bestanden, mittelbar oder unmittelbar durch die Jesuiten geleitet, drei große clericale Gesell- schaften, die im Volksmunde mit dem Gesammtnamen der Congregation bezeichnet wurden. Aus diesen Kreisen empfing die Presse der Ultras ihre Weisungen, und zu den royalistischen Clericalen gesellte sich jetzt ein rein kirchlicher Publicist, der in der Politik seines eigenen Weges ging, aber die kirchlichen Forderungen der Congregation fast noch überbot, der Bretone Lamennais. Ein glänzender Redner, ganz durchglüht von dem katholischen Glaubenseifer seiner keltischen Heimath, verlangte er in seiner Schrift über die religiöse Gleichgiltigkeit kurzerhand die Unterwerfung der Fürsten unter den Papst, denn nur in der unfehlbaren Kirche offenbare sich die göttliche Vernunft gegenüber dem Wahnsinn der individuellen Ver- nunft, und nur dann gebühre der weltlichen Gewalt Gehorsam, wenn sie sich dem göttlichen Gesetze unterordne. Da und dort tauchten auch bereits einzelne liberale Ultramontane auf, da die römische Kirche in allen welt- lich-politischen Fragen grundsätzlich grundsatzlos verfährt, und der ritter- liche junge Graf Montalembert wählte sich schon damals den Wahlspruch für sein Leben: Dieu et liberte. In Deutschland wurde Mainz die Heimath der clericalen Presse. Dort Dem Staate gegenüber benutzte die Partei zwei neue Schlagworte: III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. cale Partei der neuen Machtmittel, welche ihr die revolutionäre Geſetz-gebung darbot. Die Vereine und die Zeitungen, beide hundertmal von der Curie verflucht, wurden bald zu furchtbaren Waffen in der Hand der ultramontanen Propaganda. In dem bigotten dreizehnten Jahrhundert hatte Rom die Bettelorden gegründet um die Maſſen an ſich zu ketten; jetzt, in dem verweltlichten Zeitalter der Revolutionen erſtand die neue Größe der ultramontanen Preſſe und erfüllte die Pflichten des kirchlichen Demagogenthums mit der gleichen Rührigkeit und dem gleichen Erfolg. Der erſte Anſtoß kam aus Frankreich. In Paris beſtanden, mittelbar oder unmittelbar durch die Jeſuiten geleitet, drei große clericale Geſell- ſchaften, die im Volksmunde mit dem Geſammtnamen der Congregation bezeichnet wurden. Aus dieſen Kreiſen empfing die Preſſe der Ultras ihre Weiſungen, und zu den royaliſtiſchen Clericalen geſellte ſich jetzt ein rein kirchlicher Publiciſt, der in der Politik ſeines eigenen Weges ging, aber die kirchlichen Forderungen der Congregation faſt noch überbot, der Bretone Lamennais. Ein glänzender Redner, ganz durchglüht von dem katholiſchen Glaubenseifer ſeiner keltiſchen Heimath, verlangte er in ſeiner Schrift über die religiöſe Gleichgiltigkeit kurzerhand die Unterwerfung der Fürſten unter den Papſt, denn nur in der unfehlbaren Kirche offenbare ſich die göttliche Vernunft gegenüber dem Wahnſinn der individuellen Ver- nunft, und nur dann gebühre der weltlichen Gewalt Gehorſam, wenn ſie ſich dem göttlichen Geſetze unterordne. Da und dort tauchten auch bereits einzelne liberale Ultramontane auf, da die römiſche Kirche in allen welt- lich-politiſchen Fragen grundſätzlich grundſatzlos verfährt, und der ritter- liche junge Graf Montalembert wählte ſich ſchon damals den Wahlſpruch für ſein Leben: Dieu et liberté. In Deutſchland wurde Mainz die Heimath der clericalen Preſſe. Dort Dem Staate gegenüber benutzte die Partei zwei neue Schlagworte: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0226" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.</fw><lb/> cale Partei der neuen Machtmittel, welche ihr die revolutionäre Geſetz-<lb/> gebung darbot. Die Vereine und die Zeitungen, beide hundertmal von<lb/> der Curie verflucht, wurden bald zu furchtbaren Waffen in der Hand der<lb/> ultramontanen Propaganda. In dem bigotten dreizehnten Jahrhundert<lb/> hatte Rom die Bettelorden gegründet um die Maſſen an ſich zu ketten;<lb/> jetzt, in dem verweltlichten Zeitalter der Revolutionen erſtand die neue<lb/> Größe der ultramontanen Preſſe und erfüllte die Pflichten des kirchlichen<lb/> Demagogenthums mit der gleichen Rührigkeit und dem gleichen Erfolg.<lb/> Der erſte Anſtoß kam aus Frankreich. In Paris beſtanden, mittelbar<lb/> oder unmittelbar durch die Jeſuiten geleitet, drei große clericale Geſell-<lb/> ſchaften, die im Volksmunde mit dem Geſammtnamen der Congregation<lb/> bezeichnet wurden. Aus dieſen Kreiſen empfing die Preſſe der Ultras<lb/> ihre Weiſungen, und zu den royaliſtiſchen Clericalen geſellte ſich jetzt ein<lb/> rein kirchlicher Publiciſt, der in der Politik ſeines eigenen Weges ging,<lb/> aber die kirchlichen Forderungen der Congregation faſt noch überbot, der<lb/> Bretone Lamennais. Ein glänzender Redner, ganz durchglüht von dem<lb/> katholiſchen Glaubenseifer ſeiner keltiſchen Heimath, verlangte er in ſeiner<lb/> Schrift über die religiöſe Gleichgiltigkeit kurzerhand die Unterwerfung der<lb/> Fürſten unter den Papſt, denn nur in der unfehlbaren Kirche offenbare<lb/> ſich die göttliche Vernunft gegenüber dem Wahnſinn der individuellen Ver-<lb/> nunft, und nur dann gebühre der weltlichen Gewalt Gehorſam, wenn ſie<lb/> ſich dem göttlichen Geſetze unterordne. Da und dort tauchten auch bereits<lb/> einzelne liberale Ultramontane auf, da die römiſche Kirche in allen welt-<lb/> lich-politiſchen Fragen grundſätzlich grundſatzlos verfährt, und der ritter-<lb/> liche junge Graf Montalembert wählte ſich ſchon damals den Wahlſpruch<lb/> für ſein Leben: <hi rendition="#aq">Dieu et liberté.</hi></p><lb/> <p>In Deutſchland wurde Mainz die Heimath der clericalen Preſſe. Dort<lb/> ließen zwei junge Geiſtliche, Weis und Räß, der ſpätere Straßburger Biſchof,<lb/> ſeit 1820 die Zeitſchrift „der Katholik“ erſcheinen, ein gut geſchriebenes<lb/> Blatt, das den Kampf wider den ſouveränen Staat und den Proteſtantis-<lb/> mus mit wachſender Aufrichtigkeit führte. Eine ganze Schule ſtreitbarer<lb/> Theologen verdiente ſich in dieſen Spalten die Sporen, Alle überragend<lb/> der junge Johannes Geißel. Auch Görres wirkte mit und Chriſtian Bren-<lb/> tano, der Bruder des Dichters, ein frommes Gemüth, das freilich die flie-<lb/> gende Hitze des Brentano-Blutes nicht verleugnen konnte. Görres ver-<lb/> focht jetzt die Anſicht, daß der Staat in der Kirche ſtehe, als dienendes<lb/> Organ ihrer höheren Zwecke; er hatte ſich bereits ſo tief in den kirchlichen<lb/> Haß verbiſſen, daß er nach ſeiner phantaſtiſchen Art das heliocentriſche katho-<lb/> liſche Syſtem dem geocentriſchen Syſtem des dem Erdgeiſt verwandten<lb/> Proteſtantismus entgegenſtellte. Vom Erdgeiſt zum Satan war der Weg<lb/> nicht mehr weit.</p><lb/> <p>Dem Staate gegenüber benutzte die Partei zwei neue Schlagworte:<lb/> Duldung und Kirchenfreiheit. Beide Gedanken waren erſt auf dem Bo-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0226]
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
cale Partei der neuen Machtmittel, welche ihr die revolutionäre Geſetz-
gebung darbot. Die Vereine und die Zeitungen, beide hundertmal von
der Curie verflucht, wurden bald zu furchtbaren Waffen in der Hand der
ultramontanen Propaganda. In dem bigotten dreizehnten Jahrhundert
hatte Rom die Bettelorden gegründet um die Maſſen an ſich zu ketten;
jetzt, in dem verweltlichten Zeitalter der Revolutionen erſtand die neue
Größe der ultramontanen Preſſe und erfüllte die Pflichten des kirchlichen
Demagogenthums mit der gleichen Rührigkeit und dem gleichen Erfolg.
Der erſte Anſtoß kam aus Frankreich. In Paris beſtanden, mittelbar
oder unmittelbar durch die Jeſuiten geleitet, drei große clericale Geſell-
ſchaften, die im Volksmunde mit dem Geſammtnamen der Congregation
bezeichnet wurden. Aus dieſen Kreiſen empfing die Preſſe der Ultras
ihre Weiſungen, und zu den royaliſtiſchen Clericalen geſellte ſich jetzt ein
rein kirchlicher Publiciſt, der in der Politik ſeines eigenen Weges ging,
aber die kirchlichen Forderungen der Congregation faſt noch überbot, der
Bretone Lamennais. Ein glänzender Redner, ganz durchglüht von dem
katholiſchen Glaubenseifer ſeiner keltiſchen Heimath, verlangte er in ſeiner
Schrift über die religiöſe Gleichgiltigkeit kurzerhand die Unterwerfung der
Fürſten unter den Papſt, denn nur in der unfehlbaren Kirche offenbare
ſich die göttliche Vernunft gegenüber dem Wahnſinn der individuellen Ver-
nunft, und nur dann gebühre der weltlichen Gewalt Gehorſam, wenn ſie
ſich dem göttlichen Geſetze unterordne. Da und dort tauchten auch bereits
einzelne liberale Ultramontane auf, da die römiſche Kirche in allen welt-
lich-politiſchen Fragen grundſätzlich grundſatzlos verfährt, und der ritter-
liche junge Graf Montalembert wählte ſich ſchon damals den Wahlſpruch
für ſein Leben: Dieu et liberté.
In Deutſchland wurde Mainz die Heimath der clericalen Preſſe. Dort
ließen zwei junge Geiſtliche, Weis und Räß, der ſpätere Straßburger Biſchof,
ſeit 1820 die Zeitſchrift „der Katholik“ erſcheinen, ein gut geſchriebenes
Blatt, das den Kampf wider den ſouveränen Staat und den Proteſtantis-
mus mit wachſender Aufrichtigkeit führte. Eine ganze Schule ſtreitbarer
Theologen verdiente ſich in dieſen Spalten die Sporen, Alle überragend
der junge Johannes Geißel. Auch Görres wirkte mit und Chriſtian Bren-
tano, der Bruder des Dichters, ein frommes Gemüth, das freilich die flie-
gende Hitze des Brentano-Blutes nicht verleugnen konnte. Görres ver-
focht jetzt die Anſicht, daß der Staat in der Kirche ſtehe, als dienendes
Organ ihrer höheren Zwecke; er hatte ſich bereits ſo tief in den kirchlichen
Haß verbiſſen, daß er nach ſeiner phantaſtiſchen Art das heliocentriſche katho-
liſche Syſtem dem geocentriſchen Syſtem des dem Erdgeiſt verwandten
Proteſtantismus entgegenſtellte. Vom Erdgeiſt zum Satan war der Weg
nicht mehr weit.
Dem Staate gegenüber benutzte die Partei zwei neue Schlagworte:
Duldung und Kirchenfreiheit. Beide Gedanken waren erſt auf dem Bo-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |