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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Veränderte Politik der beiden Großmächte.
schleifen und jetzt noch für die Errichtung eines stehenden Bundesgerichts
wirken, die Lebensfragen seines Verkehrs, die ganze Zukunft der deutschen
Handelspolitik den unberechenbaren Aussprüchen eines Tribunals unter-
werfen, bei dem die Kleinstaaten den Ausschlag gaben? Sobald Harden-
berg eines der großen Probleme der praktischen deutschen Einheit ernstlich
ins Auge faßte, führte ihn die Natur der Dinge zurück zu jener nüch-
ternen Auffassung des Bundesrechts, welche sich Humboldt schon bei der
Eröffnung des Bundestags gebildet hatte;*) er erkannte, daß die wirth-
schaftlichen Interessen der Nation nur unabhängig vom Bunde, allein durch
Verhandlungen zwischen den einzelnen Höfen gefördert werden konnten.

Eine starke, das innere Leben der Einzelstaaten meisternde Bundes-
gewalt, wie er sie noch auf dem Wiener Congresse erstrebt, erschien ihm
nunmehr weder möglich noch wünschenswerth, nachdem der Bund "eine
andere Organisation und Entwicklung als wir dabei vorausgesetzt," er-
halten hatte. Die Bundesverfassung, wie sie war, beruhte auf der Sou-
veränität der Einzelstaaten; nur wenn man diesen Grundsatz rückhaltlos
anerkannte, versprachen die Wiener Verhandlungen irgend ein Ergebniß.
Daher wiederholte der Staatskanzler zwar nachdrücklich die alte Forde-
rung Preußens, daß die Bundeskriegsverfassung endlich geregelt würde;
er wollte auch die Karlsbader Beschlüsse als Nothgesetze für wenige Jahre
unverbrüchlich festhalten, aber eine noch stärkere Einwirkung auf die inneren
Angelegenheiten der Einzelstaaten dachte er dem Bunde nicht einzuräumen.
Also kein ständiges Bundesgericht, auch keine definitive Executionsordnung,
so lange die provisorische noch nicht erprobt sei. Selbst die verfassungs-
mäßige Einstimmigkeit bei allen Beschlüssen über organische Einrichtungen
wollte Hardenberg jetzt nicht mehr beseitigen, da die kleinen Staaten eine
gerechtere Stimmenvertheilung am Bundestage doch niemals bewilligen
würden. Ueber den Art. 13 der Bundesakte äußerte er nur einige un-
maßgebliche Wünsche und meinte schließlich trocken: am rathsamsten viel-
leicht, "man ließe es ganz bei den allgemeinen Erinnerungen des Präsi-
dialvortrags in der letzten Bundestagssitzung bewenden."**)

Auch Metternich begann bereits vorsichtig einzulenken. Prahlerisch
genug schrieb er freilich kurz vor Eröffnung der Conferenzen an den ge-
treuen Berstett: "Zählen Sie auf uns. Zählen Sie auf den festen
Gang Preußens, ich bürge Ihnen dafür. Zählen Sie endlich auf die
ungeheure Mehrheit der deutschen Regierungen und vor Allem auf Sich
selbst. Sie werden mich hier wieder finden, wie Sie mich am letzten
Tage in Karlsbad verlassen haben, Sie werden außerdem den Kaiser fin-
den, sicherlich eine ungeheure moralische Macht!"***) Indeß fühlte er
wohl, daß er jetzt nicht wieder, wie in jenen böhmischen Siegestagen, als

*) S. o. II. 144.
**) Instruktion für Bernstorff, 10. Nov. 1819.
***) Metternich an Berstett, 30. Okt. 1819.

Veränderte Politik der beiden Großmächte.
ſchleifen und jetzt noch für die Errichtung eines ſtehenden Bundesgerichts
wirken, die Lebensfragen ſeines Verkehrs, die ganze Zukunft der deutſchen
Handelspolitik den unberechenbaren Ausſprüchen eines Tribunals unter-
werfen, bei dem die Kleinſtaaten den Ausſchlag gaben? Sobald Harden-
berg eines der großen Probleme der praktiſchen deutſchen Einheit ernſtlich
ins Auge faßte, führte ihn die Natur der Dinge zurück zu jener nüch-
ternen Auffaſſung des Bundesrechts, welche ſich Humboldt ſchon bei der
Eröffnung des Bundestags gebildet hatte;*) er erkannte, daß die wirth-
ſchaftlichen Intereſſen der Nation nur unabhängig vom Bunde, allein durch
Verhandlungen zwiſchen den einzelnen Höfen gefördert werden konnten.

Eine ſtarke, das innere Leben der Einzelſtaaten meiſternde Bundes-
gewalt, wie er ſie noch auf dem Wiener Congreſſe erſtrebt, erſchien ihm
nunmehr weder möglich noch wünſchenswerth, nachdem der Bund „eine
andere Organiſation und Entwicklung als wir dabei vorausgeſetzt,“ er-
halten hatte. Die Bundesverfaſſung, wie ſie war, beruhte auf der Sou-
veränität der Einzelſtaaten; nur wenn man dieſen Grundſatz rückhaltlos
anerkannte, verſprachen die Wiener Verhandlungen irgend ein Ergebniß.
Daher wiederholte der Staatskanzler zwar nachdrücklich die alte Forde-
rung Preußens, daß die Bundeskriegsverfaſſung endlich geregelt würde;
er wollte auch die Karlsbader Beſchlüſſe als Nothgeſetze für wenige Jahre
unverbrüchlich feſthalten, aber eine noch ſtärkere Einwirkung auf die inneren
Angelegenheiten der Einzelſtaaten dachte er dem Bunde nicht einzuräumen.
Alſo kein ſtändiges Bundesgericht, auch keine definitive Executionsordnung,
ſo lange die proviſoriſche noch nicht erprobt ſei. Selbſt die verfaſſungs-
mäßige Einſtimmigkeit bei allen Beſchlüſſen über organiſche Einrichtungen
wollte Hardenberg jetzt nicht mehr beſeitigen, da die kleinen Staaten eine
gerechtere Stimmenvertheilung am Bundestage doch niemals bewilligen
würden. Ueber den Art. 13 der Bundesakte äußerte er nur einige un-
maßgebliche Wünſche und meinte ſchließlich trocken: am rathſamſten viel-
leicht, „man ließe es ganz bei den allgemeinen Erinnerungen des Präſi-
dialvortrags in der letzten Bundestagsſitzung bewenden.“**)

Auch Metternich begann bereits vorſichtig einzulenken. Prahleriſch
genug ſchrieb er freilich kurz vor Eröffnung der Conferenzen an den ge-
treuen Berſtett: „Zählen Sie auf uns. Zählen Sie auf den feſten
Gang Preußens, ich bürge Ihnen dafür. Zählen Sie endlich auf die
ungeheure Mehrheit der deutſchen Regierungen und vor Allem auf Sich
ſelbſt. Sie werden mich hier wieder finden, wie Sie mich am letzten
Tage in Karlsbad verlaſſen haben, Sie werden außerdem den Kaiſer fin-
den, ſicherlich eine ungeheure moraliſche Macht!“***) Indeß fühlte er
wohl, daß er jetzt nicht wieder, wie in jenen böhmiſchen Siegestagen, als

*) S. o. II. 144.
**) Inſtruktion für Bernſtorff, 10. Nov. 1819.
***) Metternich an Berſtett, 30. Okt. 1819.
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[5/0021] Veränderte Politik der beiden Großmächte. ſchleifen und jetzt noch für die Errichtung eines ſtehenden Bundesgerichts wirken, die Lebensfragen ſeines Verkehrs, die ganze Zukunft der deutſchen Handelspolitik den unberechenbaren Ausſprüchen eines Tribunals unter- werfen, bei dem die Kleinſtaaten den Ausſchlag gaben? Sobald Harden- berg eines der großen Probleme der praktiſchen deutſchen Einheit ernſtlich ins Auge faßte, führte ihn die Natur der Dinge zurück zu jener nüch- ternen Auffaſſung des Bundesrechts, welche ſich Humboldt ſchon bei der Eröffnung des Bundestags gebildet hatte; *) er erkannte, daß die wirth- ſchaftlichen Intereſſen der Nation nur unabhängig vom Bunde, allein durch Verhandlungen zwiſchen den einzelnen Höfen gefördert werden konnten. Eine ſtarke, das innere Leben der Einzelſtaaten meiſternde Bundes- gewalt, wie er ſie noch auf dem Wiener Congreſſe erſtrebt, erſchien ihm nunmehr weder möglich noch wünſchenswerth, nachdem der Bund „eine andere Organiſation und Entwicklung als wir dabei vorausgeſetzt,“ er- halten hatte. Die Bundesverfaſſung, wie ſie war, beruhte auf der Sou- veränität der Einzelſtaaten; nur wenn man dieſen Grundſatz rückhaltlos anerkannte, verſprachen die Wiener Verhandlungen irgend ein Ergebniß. Daher wiederholte der Staatskanzler zwar nachdrücklich die alte Forde- rung Preußens, daß die Bundeskriegsverfaſſung endlich geregelt würde; er wollte auch die Karlsbader Beſchlüſſe als Nothgeſetze für wenige Jahre unverbrüchlich feſthalten, aber eine noch ſtärkere Einwirkung auf die inneren Angelegenheiten der Einzelſtaaten dachte er dem Bunde nicht einzuräumen. Alſo kein ſtändiges Bundesgericht, auch keine definitive Executionsordnung, ſo lange die proviſoriſche noch nicht erprobt ſei. Selbſt die verfaſſungs- mäßige Einſtimmigkeit bei allen Beſchlüſſen über organiſche Einrichtungen wollte Hardenberg jetzt nicht mehr beſeitigen, da die kleinen Staaten eine gerechtere Stimmenvertheilung am Bundestage doch niemals bewilligen würden. Ueber den Art. 13 der Bundesakte äußerte er nur einige un- maßgebliche Wünſche und meinte ſchließlich trocken: am rathſamſten viel- leicht, „man ließe es ganz bei den allgemeinen Erinnerungen des Präſi- dialvortrags in der letzten Bundestagsſitzung bewenden.“ **) Auch Metternich begann bereits vorſichtig einzulenken. Prahleriſch genug ſchrieb er freilich kurz vor Eröffnung der Conferenzen an den ge- treuen Berſtett: „Zählen Sie auf uns. Zählen Sie auf den feſten Gang Preußens, ich bürge Ihnen dafür. Zählen Sie endlich auf die ungeheure Mehrheit der deutſchen Regierungen und vor Allem auf Sich ſelbſt. Sie werden mich hier wieder finden, wie Sie mich am letzten Tage in Karlsbad verlaſſen haben, Sie werden außerdem den Kaiſer fin- den, ſicherlich eine ungeheure moraliſche Macht!“ ***) Indeß fühlte er wohl, daß er jetzt nicht wieder, wie in jenen böhmiſchen Siegestagen, als *) S. o. II. 144. **) Inſtruktion für Bernſtorff, 10. Nov. 1819. ***) Metternich an Berſtett, 30. Okt. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/21>, abgerufen am 25.11.2024.