gutherzigen Vaters obenauf kommen würde? Der junge Fürst war ein entschiedener Gegner der Karlsbader Beschlüsse; sein ganzes Wesen em- pörte sich dawider, die "freisinnige, volksthümliche, teutsche" Gesinnung, deren er sich so gern rühmte, und der Stolz auf die Souveränität des Hauses Wittelsbach. Man wußte in Berlin, daß Baiern und Württem- berg fortan auf der Hut waren; beide Höfe hatten ihren Bevollmäch- tigten die Weisung ertheilt, auf den bevorstehenden Wiener Ministerbe- rathungen nichts zu bewilligen, was der Landesverfassung zuwiderliefe.*) Das rücksichtslose Gebahren der beiden Großmächte in Karlsbad hatte selbst die hochconservativen kleinen Höfe des Nordens verstimmt; sogar der greise, dem Hause Oesterreich so treu ergebene König von Sachsen äußerte sich unzufrieden über die geringschätzige Behandlung des Bundestags. Das Alles mahnte zur Vorsicht, und obgleich Hardenberg die Angriffe des Grafen Kapodistrias glücklich abgeschlagen hatte, so hielt er doch für rath- sam, den Argwohn der russischen Staatsmänner nicht noch mehr zu reizen, ihnen keinen Vorwand für geheime Zettelungen in Deutschland zu bieten. Sobald General Schöler meldete, daß der Petersburger Hof den Wiener Ministerberathungen mit lebhafter Besorgniß entgegensehe, ließ Bernstorff sogleich begütigend antworten, man beabsichtige in Wien durchaus keine Aenderung, sondern nur die Ausführung und Entwicklung der Bundes- akte.**)
Aber auch Preußens eigenes Interesse schien dem Staatskanzler nach den Erfahrungen der jüngsten Wochen ernstlich gefährdet, wenn man den in Teplitz eingeschlagenen Weg weiter verfolgte. Dort hatte Hardenberg die Hand geboten zu einer Erweiterung der Befugnisse des Bundes, welche dem völkerrechtlichen Charakter der Bundesverfassung zuwiderlief und ohne eine selbständige Centralgewalt sich kaum behaupten ließ. In- zwischen war er zu der Einsicht gelangt, daß er selbst die nächste und wichtigste Aufgabe seiner deutschen Politik, die Aufrechterhaltung des neuen Zollsystems nur durchführen konnte, wenn ihn die Bundesgewalt nicht durch willkürliche Eingriffe störte. "Besonders -- so schrieb er, als er dem Grafen Bernstorff mit Genehmigung des Königs seine Weisungen für die Wiener Versammlung ertheilte -- besonders sind es die kleinen Staaten, welche oft, von einem falschen und anmaßlichen Gefühl ihrer Souveränität verleitet, in nothwendigen Einrichtungen der großen Staaten eine Verletzung ihrer Gerechtsame finden." Der erste bescheidene Versuch das preußische Zollgebiet zu erweitern hatte die kleinen Nachbarn alle- sammt in Harnisch gebracht; kein Zweifel, daß sie in Wien versuchen würden, durch einen Beschluß der Bundesgesammtheit das preußische Zoll- gesetz zu vernichten. Durfte Preußen diesen Gegnern selber die Waffen
gutherzigen Vaters obenauf kommen würde? Der junge Fürſt war ein entſchiedener Gegner der Karlsbader Beſchlüſſe; ſein ganzes Weſen em- pörte ſich dawider, die „freiſinnige, volksthümliche, teutſche“ Geſinnung, deren er ſich ſo gern rühmte, und der Stolz auf die Souveränität des Hauſes Wittelsbach. Man wußte in Berlin, daß Baiern und Württem- berg fortan auf der Hut waren; beide Höfe hatten ihren Bevollmäch- tigten die Weiſung ertheilt, auf den bevorſtehenden Wiener Miniſterbe- rathungen nichts zu bewilligen, was der Landesverfaſſung zuwiderliefe.*) Das rückſichtsloſe Gebahren der beiden Großmächte in Karlsbad hatte ſelbſt die hochconſervativen kleinen Höfe des Nordens verſtimmt; ſogar der greiſe, dem Hauſe Oeſterreich ſo treu ergebene König von Sachſen äußerte ſich unzufrieden über die geringſchätzige Behandlung des Bundestags. Das Alles mahnte zur Vorſicht, und obgleich Hardenberg die Angriffe des Grafen Kapodiſtrias glücklich abgeſchlagen hatte, ſo hielt er doch für rath- ſam, den Argwohn der ruſſiſchen Staatsmänner nicht noch mehr zu reizen, ihnen keinen Vorwand für geheime Zettelungen in Deutſchland zu bieten. Sobald General Schöler meldete, daß der Petersburger Hof den Wiener Miniſterberathungen mit lebhafter Beſorgniß entgegenſehe, ließ Bernſtorff ſogleich begütigend antworten, man beabſichtige in Wien durchaus keine Aenderung, ſondern nur die Ausführung und Entwicklung der Bundes- akte.**)
Aber auch Preußens eigenes Intereſſe ſchien dem Staatskanzler nach den Erfahrungen der jüngſten Wochen ernſtlich gefährdet, wenn man den in Teplitz eingeſchlagenen Weg weiter verfolgte. Dort hatte Hardenberg die Hand geboten zu einer Erweiterung der Befugniſſe des Bundes, welche dem völkerrechtlichen Charakter der Bundesverfaſſung zuwiderlief und ohne eine ſelbſtändige Centralgewalt ſich kaum behaupten ließ. In- zwiſchen war er zu der Einſicht gelangt, daß er ſelbſt die nächſte und wichtigſte Aufgabe ſeiner deutſchen Politik, die Aufrechterhaltung des neuen Zollſyſtems nur durchführen konnte, wenn ihn die Bundesgewalt nicht durch willkürliche Eingriffe ſtörte. „Beſonders — ſo ſchrieb er, als er dem Grafen Bernſtorff mit Genehmigung des Königs ſeine Weiſungen für die Wiener Verſammlung ertheilte — beſonders ſind es die kleinen Staaten, welche oft, von einem falſchen und anmaßlichen Gefühl ihrer Souveränität verleitet, in nothwendigen Einrichtungen der großen Staaten eine Verletzung ihrer Gerechtſame finden.“ Der erſte beſcheidene Verſuch das preußiſche Zollgebiet zu erweitern hatte die kleinen Nachbarn alle- ſammt in Harniſch gebracht; kein Zweifel, daß ſie in Wien verſuchen würden, durch einen Beſchluß der Bundesgeſammtheit das preußiſche Zoll- geſetz zu vernichten. Durfte Preußen dieſen Gegnern ſelber die Waffen
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III. 1. Die Wiener Conferenzen.
gutherzigen Vaters obenauf kommen würde? Der junge Fürſt war ein
entſchiedener Gegner der Karlsbader Beſchlüſſe; ſein ganzes Weſen em-
pörte ſich dawider, die „freiſinnige, volksthümliche, teutſche“ Geſinnung,
deren er ſich ſo gern rühmte, und der Stolz auf die Souveränität des
Hauſes Wittelsbach. Man wußte in Berlin, daß Baiern und Württem-
berg fortan auf der Hut waren; beide Höfe hatten ihren Bevollmäch-
tigten die Weiſung ertheilt, auf den bevorſtehenden Wiener Miniſterbe-
rathungen nichts zu bewilligen, was der Landesverfaſſung zuwiderliefe. *)
Das rückſichtsloſe Gebahren der beiden Großmächte in Karlsbad hatte ſelbſt
die hochconſervativen kleinen Höfe des Nordens verſtimmt; ſogar der greiſe,
dem Hauſe Oeſterreich ſo treu ergebene König von Sachſen äußerte ſich
unzufrieden über die geringſchätzige Behandlung des Bundestags. Das
Alles mahnte zur Vorſicht, und obgleich Hardenberg die Angriffe des
Grafen Kapodiſtrias glücklich abgeſchlagen hatte, ſo hielt er doch für rath-
ſam, den Argwohn der ruſſiſchen Staatsmänner nicht noch mehr zu reizen,
ihnen keinen Vorwand für geheime Zettelungen in Deutſchland zu bieten.
Sobald General Schöler meldete, daß der Petersburger Hof den Wiener
Miniſterberathungen mit lebhafter Beſorgniß entgegenſehe, ließ Bernſtorff
ſogleich begütigend antworten, man beabſichtige in Wien durchaus keine
Aenderung, ſondern nur die Ausführung und Entwicklung der Bundes-
akte. **)
Aber auch Preußens eigenes Intereſſe ſchien dem Staatskanzler nach
den Erfahrungen der jüngſten Wochen ernſtlich gefährdet, wenn man den
in Teplitz eingeſchlagenen Weg weiter verfolgte. Dort hatte Hardenberg
die Hand geboten zu einer Erweiterung der Befugniſſe des Bundes,
welche dem völkerrechtlichen Charakter der Bundesverfaſſung zuwiderlief
und ohne eine ſelbſtändige Centralgewalt ſich kaum behaupten ließ. In-
zwiſchen war er zu der Einſicht gelangt, daß er ſelbſt die nächſte und
wichtigſte Aufgabe ſeiner deutſchen Politik, die Aufrechterhaltung des neuen
Zollſyſtems nur durchführen konnte, wenn ihn die Bundesgewalt nicht
durch willkürliche Eingriffe ſtörte. „Beſonders — ſo ſchrieb er, als er
dem Grafen Bernſtorff mit Genehmigung des Königs ſeine Weiſungen
für die Wiener Verſammlung ertheilte — beſonders ſind es die kleinen
Staaten, welche oft, von einem falſchen und anmaßlichen Gefühl ihrer
Souveränität verleitet, in nothwendigen Einrichtungen der großen Staaten
eine Verletzung ihrer Gerechtſame finden.“ Der erſte beſcheidene Verſuch
das preußiſche Zollgebiet zu erweitern hatte die kleinen Nachbarn alle-
ſammt in Harniſch gebracht; kein Zweifel, daß ſie in Wien verſuchen
würden, durch einen Beſchluß der Bundesgeſammtheit das preußiſche Zoll-
geſetz zu vernichten. Durfte Preußen dieſen Gegnern ſelber die Waffen
*) Zaſtrow’s Bericht, München 17. Nov.; Küſter’s Bericht, Stuttgart 29. Nov. 1819.
**) Bernſtorff an Ancillon, 7. Dec. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/20>, abgerufen am 16.07.2024.
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