nur dann werden, wenn sie fest zusammenhielten; und daran war nicht zu denken, da ihre mediterranischen Interessen scharf auseinandergingen. Der Zustand blieb wie er in Troppau gewesen: die große Allianz war etwas gelockert, aber keineswegs aufgelöst. Die Ostmächte allein faßten die entscheidenden Beschlüsse, wenngleich sie diesmal, um Frankreich zu schonen, nicht wieder förmliche Conferenzen unter sich abhielten; die Fran- zosen stimmten in der Regel nachträglich zu, und Lord Stewart nahm das Meiste schweigend zu Bericht.
Mit dem Czaren war Metternich allmählich auf vertrauten Fuß ge- kommen; fast jeden Abend trank er bei ihm allein Thee, was als ein besonderes Zeichen kaiserlicher Gunst galt; und obwohl Kapodistrias dem Oesterreicher abermals allerhand Bedenken und Gegenanträge in den Weg schob, so war doch das Gestirn des Griechen ersichtlich im Sinken. Der Freund der Hofburg, Nesselrode, gewann wieder das Ohr des Kaisers, und da auch die Preußen sich in Allem, was ihren Staat nicht unmittel- bar anging, willfährig zeigten, so konnte die Tragikomödie, welche Metter- nich zum Besten des Hauses Bourbon ersonnen, ganz nach dem Plane ihres Dichters über die Bretter gehen.
Der Held des Stückes hatte inzwischen seinen Sohn zum Regenten ernannt und nachdem der Kronprinz ebenfalls mit bourbonischer Gewissens- ruhe die spanische Verfassung noch einmal beschworen, sich von seinem ge- liebten Volke verabschiedet. So lange das Schiff auf hoher See segelte, behielt er die Farben der Carbonari auf der Brust, denn wie leicht konnte ihn ein Sturm wieder an die Küste seines Landes verschlagen! Erst als er sich im Hafen von Livorno geborgen sah, riß er das Abzeichen der Re- volution herunter und trat es mit Füßen. Dann ergoß er die Gefühle seines landesväterlichen Herzens in Briefen an die fünf Monarchen. "End- lich bin ich frei, schrieb er an den König von Preußen, endlich mir selbst zurückgegeben. Ohne Ihren Schutz wäre mein Leben den Gewaltthaten erlegen, welche mich zur Anerkennung von Beschlüssen nöthigten, wogegen ich unaufhörlich vor Gott und vor den Menschen, die mir noch zu nahen wagten, protestirt habe." Indem er seinen Protest hiermit erneuerte, bat er zugleich den Brief noch geheim zu halten, damit nicht seine Kinder der Rachgier einer scheußlichen Sekte zum Opfer fielen.*) Das war der Mann, der zwischen den Großmächten und seinem Volke vermitteln sollte! Der hohe, hagere, sehnige alte Herr machte den Eindruck eines biederen Landedelmannes, und die unschuldige junge Prinzessin Amalie von Sachsen, die ihn auf dieser Reise kennen lernte, erfreute sich herzlich an seiner gut- müthigen Offenheit. Die Staatsmänner in Laibach erschraken doch, als der Bourbone nun vor ihnen erschien, von Neuem gebunden durch heilige Eide, Alles verdammend, Alles beschimpfend was er selber gethan und
*) Schreiben König Ferdinand's an König Friedrich Wilhelm aus Livorno.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 12
König Ferdinand in Laibach.
nur dann werden, wenn ſie feſt zuſammenhielten; und daran war nicht zu denken, da ihre mediterraniſchen Intereſſen ſcharf auseinandergingen. Der Zuſtand blieb wie er in Troppau geweſen: die große Allianz war etwas gelockert, aber keineswegs aufgelöſt. Die Oſtmächte allein faßten die entſcheidenden Beſchlüſſe, wenngleich ſie diesmal, um Frankreich zu ſchonen, nicht wieder förmliche Conferenzen unter ſich abhielten; die Fran- zoſen ſtimmten in der Regel nachträglich zu, und Lord Stewart nahm das Meiſte ſchweigend zu Bericht.
Mit dem Czaren war Metternich allmählich auf vertrauten Fuß ge- kommen; faſt jeden Abend trank er bei ihm allein Thee, was als ein beſonderes Zeichen kaiſerlicher Gunſt galt; und obwohl Kapodiſtrias dem Oeſterreicher abermals allerhand Bedenken und Gegenanträge in den Weg ſchob, ſo war doch das Geſtirn des Griechen erſichtlich im Sinken. Der Freund der Hofburg, Neſſelrode, gewann wieder das Ohr des Kaiſers, und da auch die Preußen ſich in Allem, was ihren Staat nicht unmittel- bar anging, willfährig zeigten, ſo konnte die Tragikomödie, welche Metter- nich zum Beſten des Hauſes Bourbon erſonnen, ganz nach dem Plane ihres Dichters über die Bretter gehen.
Der Held des Stückes hatte inzwiſchen ſeinen Sohn zum Regenten ernannt und nachdem der Kronprinz ebenfalls mit bourboniſcher Gewiſſens- ruhe die ſpaniſche Verfaſſung noch einmal beſchworen, ſich von ſeinem ge- liebten Volke verabſchiedet. So lange das Schiff auf hoher See ſegelte, behielt er die Farben der Carbonari auf der Bruſt, denn wie leicht konnte ihn ein Sturm wieder an die Küſte ſeines Landes verſchlagen! Erſt als er ſich im Hafen von Livorno geborgen ſah, riß er das Abzeichen der Re- volution herunter und trat es mit Füßen. Dann ergoß er die Gefühle ſeines landesväterlichen Herzens in Briefen an die fünf Monarchen. „End- lich bin ich frei, ſchrieb er an den König von Preußen, endlich mir ſelbſt zurückgegeben. Ohne Ihren Schutz wäre mein Leben den Gewaltthaten erlegen, welche mich zur Anerkennung von Beſchlüſſen nöthigten, wogegen ich unaufhörlich vor Gott und vor den Menſchen, die mir noch zu nahen wagten, proteſtirt habe.“ Indem er ſeinen Proteſt hiermit erneuerte, bat er zugleich den Brief noch geheim zu halten, damit nicht ſeine Kinder der Rachgier einer ſcheußlichen Sekte zum Opfer fielen.*) Das war der Mann, der zwiſchen den Großmächten und ſeinem Volke vermitteln ſollte! Der hohe, hagere, ſehnige alte Herr machte den Eindruck eines biederen Landedelmannes, und die unſchuldige junge Prinzeſſin Amalie von Sachſen, die ihn auf dieſer Reiſe kennen lernte, erfreute ſich herzlich an ſeiner gut- müthigen Offenheit. Die Staatsmänner in Laibach erſchraken doch, als der Bourbone nun vor ihnen erſchien, von Neuem gebunden durch heilige Eide, Alles verdammend, Alles beſchimpfend was er ſelber gethan und
*) Schreiben König Ferdinand’s an König Friedrich Wilhelm aus Livorno.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 12
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König Ferdinand in Laibach.
nur dann werden, wenn ſie feſt zuſammenhielten; und daran war nicht
zu denken, da ihre mediterraniſchen Intereſſen ſcharf auseinandergingen.
Der Zuſtand blieb wie er in Troppau geweſen: die große Allianz war
etwas gelockert, aber keineswegs aufgelöſt. Die Oſtmächte allein faßten
die entſcheidenden Beſchlüſſe, wenngleich ſie diesmal, um Frankreich zu
ſchonen, nicht wieder förmliche Conferenzen unter ſich abhielten; die Fran-
zoſen ſtimmten in der Regel nachträglich zu, und Lord Stewart nahm das
Meiſte ſchweigend zu Bericht.
Mit dem Czaren war Metternich allmählich auf vertrauten Fuß ge-
kommen; faſt jeden Abend trank er bei ihm allein Thee, was als ein
beſonderes Zeichen kaiſerlicher Gunſt galt; und obwohl Kapodiſtrias dem
Oeſterreicher abermals allerhand Bedenken und Gegenanträge in den Weg
ſchob, ſo war doch das Geſtirn des Griechen erſichtlich im Sinken. Der
Freund der Hofburg, Neſſelrode, gewann wieder das Ohr des Kaiſers,
und da auch die Preußen ſich in Allem, was ihren Staat nicht unmittel-
bar anging, willfährig zeigten, ſo konnte die Tragikomödie, welche Metter-
nich zum Beſten des Hauſes Bourbon erſonnen, ganz nach dem Plane
ihres Dichters über die Bretter gehen.
Der Held des Stückes hatte inzwiſchen ſeinen Sohn zum Regenten
ernannt und nachdem der Kronprinz ebenfalls mit bourboniſcher Gewiſſens-
ruhe die ſpaniſche Verfaſſung noch einmal beſchworen, ſich von ſeinem ge-
liebten Volke verabſchiedet. So lange das Schiff auf hoher See ſegelte,
behielt er die Farben der Carbonari auf der Bruſt, denn wie leicht konnte
ihn ein Sturm wieder an die Küſte ſeines Landes verſchlagen! Erſt als
er ſich im Hafen von Livorno geborgen ſah, riß er das Abzeichen der Re-
volution herunter und trat es mit Füßen. Dann ergoß er die Gefühle
ſeines landesväterlichen Herzens in Briefen an die fünf Monarchen. „End-
lich bin ich frei, ſchrieb er an den König von Preußen, endlich mir ſelbſt
zurückgegeben. Ohne Ihren Schutz wäre mein Leben den Gewaltthaten
erlegen, welche mich zur Anerkennung von Beſchlüſſen nöthigten, wogegen
ich unaufhörlich vor Gott und vor den Menſchen, die mir noch zu nahen
wagten, proteſtirt habe.“ Indem er ſeinen Proteſt hiermit erneuerte, bat
er zugleich den Brief noch geheim zu halten, damit nicht ſeine Kinder der
Rachgier einer ſcheußlichen Sekte zum Opfer fielen. *) Das war der
Mann, der zwiſchen den Großmächten und ſeinem Volke vermitteln ſollte!
Der hohe, hagere, ſehnige alte Herr machte den Eindruck eines biederen
Landedelmannes, und die unſchuldige junge Prinzeſſin Amalie von Sachſen,
die ihn auf dieſer Reiſe kennen lernte, erfreute ſich herzlich an ſeiner gut-
müthigen Offenheit. Die Staatsmänner in Laibach erſchraken doch, als
der Bourbone nun vor ihnen erſchien, von Neuem gebunden durch heilige
Eide, Alles verdammend, Alles beſchimpfend was er ſelber gethan und
*) Schreiben König Ferdinand’s an König Friedrich Wilhelm aus Livorno.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 12
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/193>, abgerufen am 23.11.2024.
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