Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Vorladung König Ferdinands. Entschloß sich das Parlament in Neapel rechtzeitig, statt der unbrauchbaren,von den Großmächten verworfenen spanischen Verfassung ein verständiges Grundgesetz anzunehmen, so war eine Versöhnung vielleicht noch möglich. Aber auf die Nachrichten aus Troppau flammten die revolutionären Lei- denschaften wird auf; eingeschüchtert durch die Drohungen der Carbonari beschloß die Kammer an ihrem heiligen Codex unverbrüchlich festzuhalten und zwang die muratistischen Minister einem radikalen Cabinet den Platz zu räumen. Indem sie also die großen Mächte tödlich reizte, drückte sie ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: sie erlaubte dem Kö- nige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlassen durfte, nach Laibach zu reisen, nur sollte er zuvor die schon zweimal beschworene Ver- fassung zum dritten male eidlich bekräftigen. So stand dies Herrscher- haus zu seinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der schimpf- lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments stellten sich an, als ob sie ihm glaubten; sie wähnten durch ihre zur Schau getragene Sicherheit die großen Mächte abzuschrecken. Die österreichischen Staats- männer aber ahnten, daß diese Ueberschlauheit, die den Südländern so oft verderblich wird, an der eisernen Stirn des Bourbonen ihren Meister finden sollte; sie wußten, wie dieser dreifach Meineidige in Laibach reden würde, und sahen ihr Spiel schon halb gewonnen. Minder glücklich fuhr Metternich mit seinen Vorschlägen für den Alexander zeigte sich so bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt, *) Oesterreichische Denkschrift Sur quelques mesures generales etc., 28. Nov.
1820. Viele dieser Troppauer und Laibacher Aktenstücke sind schon von Gervinus (Gesch. des neunzehnten Jahrh. VII. 783 f.) benutzt. Vorladung König Ferdinands. Entſchloß ſich das Parlament in Neapel rechtzeitig, ſtatt der unbrauchbaren,von den Großmächten verworfenen ſpaniſchen Verfaſſung ein verſtändiges Grundgeſetz anzunehmen, ſo war eine Verſöhnung vielleicht noch möglich. Aber auf die Nachrichten aus Troppau flammten die revolutionären Lei- denſchaften wird auf; eingeſchüchtert durch die Drohungen der Carbonari beſchloß die Kammer an ihrem heiligen Codex unverbrüchlich feſtzuhalten und zwang die muratiſtiſchen Miniſter einem radikalen Cabinet den Platz zu räumen. Indem ſie alſo die großen Mächte tödlich reizte, drückte ſie ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: ſie erlaubte dem Kö- nige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlaſſen durfte, nach Laibach zu reiſen, nur ſollte er zuvor die ſchon zweimal beſchworene Ver- faſſung zum dritten male eidlich bekräftigen. So ſtand dies Herrſcher- haus zu ſeinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der ſchimpf- lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments ſtellten ſich an, als ob ſie ihm glaubten; ſie wähnten durch ihre zur Schau getragene Sicherheit die großen Mächte abzuſchrecken. Die öſterreichiſchen Staats- männer aber ahnten, daß dieſe Ueberſchlauheit, die den Südländern ſo oft verderblich wird, an der eiſernen Stirn des Bourbonen ihren Meiſter finden ſollte; ſie wußten, wie dieſer dreifach Meineidige in Laibach reden würde, und ſahen ihr Spiel ſchon halb gewonnen. Minder glücklich fuhr Metternich mit ſeinen Vorſchlägen für den Alexander zeigte ſich ſo bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt, *) Oeſterreichiſche Denkſchrift Sur quelques mesures générales etc., 28. Nov.
1820. Viele dieſer Troppauer und Laibacher Aktenſtücke ſind ſchon von Gervinus (Geſch. des neunzehnten Jahrh. VII. 783 f.) benutzt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0183" n="167"/><fw place="top" type="header">Vorladung König Ferdinands.</fw><lb/> Entſchloß ſich das Parlament in Neapel rechtzeitig, ſtatt der unbrauchbaren,<lb/> von den Großmächten verworfenen ſpaniſchen Verfaſſung ein verſtändiges<lb/> Grundgeſetz anzunehmen, ſo war eine Verſöhnung vielleicht noch möglich.<lb/> Aber auf die Nachrichten aus Troppau flammten die revolutionären Lei-<lb/> denſchaften wird auf; eingeſchüchtert durch die Drohungen der Carbonari<lb/> beſchloß die Kammer an ihrem heiligen Codex unverbrüchlich feſtzuhalten<lb/> und zwang die muratiſtiſchen Miniſter einem radikalen Cabinet den Platz<lb/> zu räumen. Indem ſie alſo die großen Mächte tödlich reizte, drückte ſie<lb/> ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: ſie erlaubte dem Kö-<lb/> nige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlaſſen durfte, nach<lb/> Laibach zu reiſen, nur ſollte er zuvor die ſchon zweimal beſchworene Ver-<lb/> faſſung zum dritten male eidlich bekräftigen. So ſtand dies Herrſcher-<lb/> haus zu ſeinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der ſchimpf-<lb/> lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments ſtellten ſich an,<lb/> als ob ſie ihm glaubten; ſie wähnten durch ihre zur Schau getragene<lb/> Sicherheit die großen Mächte abzuſchrecken. Die öſterreichiſchen Staats-<lb/> männer aber ahnten, daß dieſe Ueberſchlauheit, die den Südländern ſo<lb/> oft verderblich wird, an der eiſernen Stirn des Bourbonen ihren Meiſter<lb/> finden ſollte; ſie wußten, wie dieſer dreifach Meineidige in Laibach reden<lb/> würde, und ſahen ihr Spiel ſchon halb gewonnen.</p><lb/> <p>Minder glücklich fuhr Metternich mit ſeinen Vorſchlägen für den<lb/> europäiſchen Garantie-Vertrag. In einer langen Denkſchrift vom 28. Nov.<lb/> führte er zunächſt ſeine vierte Metapher, die große Waſſerfluth, vor und zeigte<lb/> die Nothwendigkeit, „um jeden Preis wirkſame Dämme zu errichten gegen<lb/> dieſen revolutionären Strom, der, wenn er nicht in ſeinen Ueberfluthungen<lb/> aufgehalten wird, ſchließlich Alles zu verſchlingen droht.“ Darum muß<lb/> die legitime Souveränität durch einen allgemeinen Vertrag unter die Bürg-<lb/> ſchaft der europäiſchen Mächte geſtellt werden, ſo zwar, daß jede durch<lb/> eine angemaßte Gewalt bewirkte Revolution die Mächte ohne Weiteres<lb/> zum Einſchreiten berechtigt; wird der Umſturz hingegen durch den legi-<lb/> timen Souverän ſelber vollzogen, dann dürfen die Mächte nur einſchreiten<lb/> falls er die Nachbarſtaaten gefährdet.<note place="foot" n="*)">Oeſterreichiſche Denkſchrift <hi rendition="#aq">Sur quelques mesures générales etc.,</hi> 28. Nov.<lb/> 1820. Viele dieſer Troppauer und Laibacher Aktenſtücke ſind ſchon von Gervinus (Geſch.<lb/> des neunzehnten Jahrh. <hi rendition="#aq">VII.</hi> 783 f.) benutzt.</note> Die Arbeit führte im Grunde<lb/> nur ſchärfer aus, was in dem Protokoll vom 19. Nov. ſchon vorläufig<lb/> angedeutet war. Der Czar aber war inzwiſchen über die Folgen ſeiner<lb/> eigenen Vorſchläge beſorgt geworden; er konnte ſich nicht verhehlen, daß<lb/> weder die Weſtmächte noch ſelbſt die conſtitutionellen Kleinſtaaten Deutſch-<lb/> lands einen Vertrag unterzeichnen durften, der ihre Verfaſſungen der<lb/> oberſtrichterlichen Gewalt europäiſcher Congreſſe förmlich unterworfen hätte.</p><lb/> <p>Alexander zeigte ſich ſo bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt,<lb/> ſein ſchweres Geſchütz aufzufahren. Im tiefſten Vertrauen überreichte er dem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [167/0183]
Vorladung König Ferdinands.
Entſchloß ſich das Parlament in Neapel rechtzeitig, ſtatt der unbrauchbaren,
von den Großmächten verworfenen ſpaniſchen Verfaſſung ein verſtändiges
Grundgeſetz anzunehmen, ſo war eine Verſöhnung vielleicht noch möglich.
Aber auf die Nachrichten aus Troppau flammten die revolutionären Lei-
denſchaften wird auf; eingeſchüchtert durch die Drohungen der Carbonari
beſchloß die Kammer an ihrem heiligen Codex unverbrüchlich feſtzuhalten
und zwang die muratiſtiſchen Miniſter einem radikalen Cabinet den Platz
zu räumen. Indem ſie alſo die großen Mächte tödlich reizte, drückte ſie
ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: ſie erlaubte dem Kö-
nige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlaſſen durfte, nach
Laibach zu reiſen, nur ſollte er zuvor die ſchon zweimal beſchworene Ver-
faſſung zum dritten male eidlich bekräftigen. So ſtand dies Herrſcher-
haus zu ſeinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der ſchimpf-
lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments ſtellten ſich an,
als ob ſie ihm glaubten; ſie wähnten durch ihre zur Schau getragene
Sicherheit die großen Mächte abzuſchrecken. Die öſterreichiſchen Staats-
männer aber ahnten, daß dieſe Ueberſchlauheit, die den Südländern ſo
oft verderblich wird, an der eiſernen Stirn des Bourbonen ihren Meiſter
finden ſollte; ſie wußten, wie dieſer dreifach Meineidige in Laibach reden
würde, und ſahen ihr Spiel ſchon halb gewonnen.
Minder glücklich fuhr Metternich mit ſeinen Vorſchlägen für den
europäiſchen Garantie-Vertrag. In einer langen Denkſchrift vom 28. Nov.
führte er zunächſt ſeine vierte Metapher, die große Waſſerfluth, vor und zeigte
die Nothwendigkeit, „um jeden Preis wirkſame Dämme zu errichten gegen
dieſen revolutionären Strom, der, wenn er nicht in ſeinen Ueberfluthungen
aufgehalten wird, ſchließlich Alles zu verſchlingen droht.“ Darum muß
die legitime Souveränität durch einen allgemeinen Vertrag unter die Bürg-
ſchaft der europäiſchen Mächte geſtellt werden, ſo zwar, daß jede durch
eine angemaßte Gewalt bewirkte Revolution die Mächte ohne Weiteres
zum Einſchreiten berechtigt; wird der Umſturz hingegen durch den legi-
timen Souverän ſelber vollzogen, dann dürfen die Mächte nur einſchreiten
falls er die Nachbarſtaaten gefährdet. *) Die Arbeit führte im Grunde
nur ſchärfer aus, was in dem Protokoll vom 19. Nov. ſchon vorläufig
angedeutet war. Der Czar aber war inzwiſchen über die Folgen ſeiner
eigenen Vorſchläge beſorgt geworden; er konnte ſich nicht verhehlen, daß
weder die Weſtmächte noch ſelbſt die conſtitutionellen Kleinſtaaten Deutſch-
lands einen Vertrag unterzeichnen durften, der ihre Verfaſſungen der
oberſtrichterlichen Gewalt europäiſcher Congreſſe förmlich unterworfen hätte.
Alexander zeigte ſich ſo bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt,
ſein ſchweres Geſchütz aufzufahren. Im tiefſten Vertrauen überreichte er dem
*) Oeſterreichiſche Denkſchrift Sur quelques mesures générales etc., 28. Nov.
1820. Viele dieſer Troppauer und Laibacher Aktenſtücke ſind ſchon von Gervinus (Geſch.
des neunzehnten Jahrh. VII. 783 f.) benutzt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |