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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 3. Troppau und Laibach.
beit, bis er endlich durch wiederholte vertraute Gespräche die Vorliebe
des Czaren für den liberalisirenden Kapodistrias etwas erschüttert hatte.
In diesem Griechen sah der Oesterreicher nur noch "einen gründlichen,
vollständigen Narren"; der wechselseitige Haß der beiden Staatsmänner
ließ die sachliche Meinungsverschiedenheit zwischen den Kaisermächten größer
erscheinen als sie im Grunde war. Um dem Czaren seine Ergebenheit
zu beweisen, ging Metternich alsbald auf jenen alten Lieblingsplan der
Petersburger Politik ein, welchen die russischen Staatsmänner schon in
Aachen und dann noch oftmals den verbündeten Mächten empfohlen hatten:
er erbot sich zur Unterzeichnung eines europäischen Garantie-Vertrages,
kraft dessen alle Souveräne einander wechselseitig ihren Besitzstand gegen
jede gewaltsame Störung von innen wie von außen verbürgen und also
der traumhafte Heilige Bund endlich einen greifbaren Inhalt erhalten
sollte.*) Aber der nüchterne Oesterreicher wollte vorher die praktische Frage
des Augenblicks, die Intervention in Neapel, entschieden sehen, während
der phantasiereiche Czar zuerst den Ausbau seiner Heiligen Allianz zu
vollenden und dann erst diese neuen Grundsätze des Völkerrechts auf
Italien anzuwenden dachte.

In der ersten Conferenz verlas Metternich mehrere Briefe, in denen
König Ferdinand von Neapel mit grellen Farben seine Nothlage schilderte
und sich feierlich gegen den ihm angethanen Zwang verwahrte; derselbe
Fürst, der soeben die neue Verfassung beschworen und dabei den Blitz
des Himmels auf sich herabgerufen, erklärte jetzt, daß er mit dem Messer
an der Kehle sein Parlament habe eröffnen müssen. Eine so schamlose
Zweizüngigkeit erregte selbst bei diesen voreingenommenen Hörern allge-
meinen Unwillen, und die Conferenz beschloß, die Briefe aus dem Journal
hinwegzulassen "um den unglücklichen König nicht noch mehr zu compro-
mittiren". Daran schloß sich die Verlesung einer langen österreichischen
Denkschrift, die sich auf den geheimen Wiener Vertrag von 1815 berief.
Metternich's Absicht war, mit Zustimmung der verbündeten Mächte dem
Könige, der seine Unfreiheit soeben eingestanden, zu Hilfe zu kommen,
Neapel alsbald zu besetzen und dann den Bourbonen unter dem Schutze
österreichischer Waffen die Ordnung herstellen zu lassen. Was galt es
ihm auch, daß der neapolitanische Minister Herzog von Campo-Chiaro
schon vor vier Wochen dem k. k. Geschäftsträger v. Menz versichert hatte,
seine Regierung werde sich freuen, die Frechheit der radikalen Sekten durch
die Großmächte gezähmt zu sehen? In Metternich's Augen war diese
muratistisch-constitutionelle Sekte, die im Cabinet zu Neapel saß, um nichts
besser als die Carbonari.**) Der Eindruck seiner Eröffnungen war sehr

*) Bernstorff's Bericht, 21. Okt. 1820. Vrgl. o. II. 474.
**) Oesterreichische Denkschrift, 23. Okt.; Bericht des k. k. Geschäftsträgers v. Menz,
Neapel 28. Sept. 1820.

III. 3. Troppau und Laibach.
beit, bis er endlich durch wiederholte vertraute Geſpräche die Vorliebe
des Czaren für den liberaliſirenden Kapodiſtrias etwas erſchüttert hatte.
In dieſem Griechen ſah der Oeſterreicher nur noch „einen gründlichen,
vollſtändigen Narren“; der wechſelſeitige Haß der beiden Staatsmänner
ließ die ſachliche Meinungsverſchiedenheit zwiſchen den Kaiſermächten größer
erſcheinen als ſie im Grunde war. Um dem Czaren ſeine Ergebenheit
zu beweiſen, ging Metternich alsbald auf jenen alten Lieblingsplan der
Petersburger Politik ein, welchen die ruſſiſchen Staatsmänner ſchon in
Aachen und dann noch oftmals den verbündeten Mächten empfohlen hatten:
er erbot ſich zur Unterzeichnung eines europäiſchen Garantie-Vertrages,
kraft deſſen alle Souveräne einander wechſelſeitig ihren Beſitzſtand gegen
jede gewaltſame Störung von innen wie von außen verbürgen und alſo
der traumhafte Heilige Bund endlich einen greifbaren Inhalt erhalten
ſollte.*) Aber der nüchterne Oeſterreicher wollte vorher die praktiſche Frage
des Augenblicks, die Intervention in Neapel, entſchieden ſehen, während
der phantaſiereiche Czar zuerſt den Ausbau ſeiner Heiligen Allianz zu
vollenden und dann erſt dieſe neuen Grundſätze des Völkerrechts auf
Italien anzuwenden dachte.

In der erſten Conferenz verlas Metternich mehrere Briefe, in denen
König Ferdinand von Neapel mit grellen Farben ſeine Nothlage ſchilderte
und ſich feierlich gegen den ihm angethanen Zwang verwahrte; derſelbe
Fürſt, der ſoeben die neue Verfaſſung beſchworen und dabei den Blitz
des Himmels auf ſich herabgerufen, erklärte jetzt, daß er mit dem Meſſer
an der Kehle ſein Parlament habe eröffnen müſſen. Eine ſo ſchamloſe
Zweizüngigkeit erregte ſelbſt bei dieſen voreingenommenen Hörern allge-
meinen Unwillen, und die Conferenz beſchloß, die Briefe aus dem Journal
hinwegzulaſſen „um den unglücklichen König nicht noch mehr zu compro-
mittiren“. Daran ſchloß ſich die Verleſung einer langen öſterreichiſchen
Denkſchrift, die ſich auf den geheimen Wiener Vertrag von 1815 berief.
Metternich’s Abſicht war, mit Zuſtimmung der verbündeten Mächte dem
Könige, der ſeine Unfreiheit ſoeben eingeſtanden, zu Hilfe zu kommen,
Neapel alsbald zu beſetzen und dann den Bourbonen unter dem Schutze
öſterreichiſcher Waffen die Ordnung herſtellen zu laſſen. Was galt es
ihm auch, daß der neapolitaniſche Miniſter Herzog von Campo-Chiaro
ſchon vor vier Wochen dem k. k. Geſchäftsträger v. Menz verſichert hatte,
ſeine Regierung werde ſich freuen, die Frechheit der radikalen Sekten durch
die Großmächte gezähmt zu ſehen? In Metternich’s Augen war dieſe
muratiſtiſch-conſtitutionelle Sekte, die im Cabinet zu Neapel ſaß, um nichts
beſſer als die Carbonari.**) Der Eindruck ſeiner Eröffnungen war ſehr

*) Bernſtorff’s Bericht, 21. Okt. 1820. Vrgl. o. II. 474.
**) Oeſterreichiſche Denkſchrift, 23. Okt.; Bericht des k. k. Geſchäftsträgers v. Menz,
Neapel 28. Sept. 1820.
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[162/0178] III. 3. Troppau und Laibach. beit, bis er endlich durch wiederholte vertraute Geſpräche die Vorliebe des Czaren für den liberaliſirenden Kapodiſtrias etwas erſchüttert hatte. In dieſem Griechen ſah der Oeſterreicher nur noch „einen gründlichen, vollſtändigen Narren“; der wechſelſeitige Haß der beiden Staatsmänner ließ die ſachliche Meinungsverſchiedenheit zwiſchen den Kaiſermächten größer erſcheinen als ſie im Grunde war. Um dem Czaren ſeine Ergebenheit zu beweiſen, ging Metternich alsbald auf jenen alten Lieblingsplan der Petersburger Politik ein, welchen die ruſſiſchen Staatsmänner ſchon in Aachen und dann noch oftmals den verbündeten Mächten empfohlen hatten: er erbot ſich zur Unterzeichnung eines europäiſchen Garantie-Vertrages, kraft deſſen alle Souveräne einander wechſelſeitig ihren Beſitzſtand gegen jede gewaltſame Störung von innen wie von außen verbürgen und alſo der traumhafte Heilige Bund endlich einen greifbaren Inhalt erhalten ſollte. *) Aber der nüchterne Oeſterreicher wollte vorher die praktiſche Frage des Augenblicks, die Intervention in Neapel, entſchieden ſehen, während der phantaſiereiche Czar zuerſt den Ausbau ſeiner Heiligen Allianz zu vollenden und dann erſt dieſe neuen Grundſätze des Völkerrechts auf Italien anzuwenden dachte. In der erſten Conferenz verlas Metternich mehrere Briefe, in denen König Ferdinand von Neapel mit grellen Farben ſeine Nothlage ſchilderte und ſich feierlich gegen den ihm angethanen Zwang verwahrte; derſelbe Fürſt, der ſoeben die neue Verfaſſung beſchworen und dabei den Blitz des Himmels auf ſich herabgerufen, erklärte jetzt, daß er mit dem Meſſer an der Kehle ſein Parlament habe eröffnen müſſen. Eine ſo ſchamloſe Zweizüngigkeit erregte ſelbſt bei dieſen voreingenommenen Hörern allge- meinen Unwillen, und die Conferenz beſchloß, die Briefe aus dem Journal hinwegzulaſſen „um den unglücklichen König nicht noch mehr zu compro- mittiren“. Daran ſchloß ſich die Verleſung einer langen öſterreichiſchen Denkſchrift, die ſich auf den geheimen Wiener Vertrag von 1815 berief. Metternich’s Abſicht war, mit Zuſtimmung der verbündeten Mächte dem Könige, der ſeine Unfreiheit ſoeben eingeſtanden, zu Hilfe zu kommen, Neapel alsbald zu beſetzen und dann den Bourbonen unter dem Schutze öſterreichiſcher Waffen die Ordnung herſtellen zu laſſen. Was galt es ihm auch, daß der neapolitaniſche Miniſter Herzog von Campo-Chiaro ſchon vor vier Wochen dem k. k. Geſchäftsträger v. Menz verſichert hatte, ſeine Regierung werde ſich freuen, die Frechheit der radikalen Sekten durch die Großmächte gezähmt zu ſehen? In Metternich’s Augen war dieſe muratiſtiſch-conſtitutionelle Sekte, die im Cabinet zu Neapel ſaß, um nichts beſſer als die Carbonari. **) Der Eindruck ſeiner Eröffnungen war ſehr *) Bernſtorff’s Bericht, 21. Okt. 1820. Vrgl. o. II. 474. **) Oeſterreichiſche Denkſchrift, 23. Okt.; Bericht des k. k. Geſchäftsträgers v. Menz, Neapel 28. Sept. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/178>, abgerufen am 25.11.2024.