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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Oesterreich und Neapel.
wüstetes Land müßten alle Nachbarn sich durch eine strenge Quarantäne
decken; nur eine Rettung bleibe noch, wenn die ehrlichen Leute in Neapel
ihren König bäten: nehmen Sie die Zügel der Regierung wieder, be-
rufen Sie ein Kriegsgericht über General Pepe, dann können Sie auf
den Beistand von 100,000 Oesterreichern zählen.*)

Den kleinen deutschen Regierungen wurde am 25. Juli mitgetheilt,
daß Kaiser Franz, durch die Verträge zur Ueberwachung Italiens ver-
pflichtet, im äußersten Falle entschlossen sei, die bewaffnete Rebellion mit
Gewalt niederzuschlagen, und inzwischen auf unverbrüchliche Ruhe in
Deutschland zähle. Es bedurfte der Mahnung kaum. Die Kleinen hielten
sich alle untadelhaft gehorsam, die meisten aus Angst vor der Revolution,
einige aus Furcht vor den Großmächten. Der König von Baiern sprach
seine Entrüstung über die Jakobiner des Südens ganz ebenso heftig aus
wie der Kurfürst von Hessen, der sich mehrmals erbot, seine Truppen
wider die wälschen Rebellen marschiren zu lassen. Auf den Stuttgarter
Hof hatten die Carbonari große Hoffnungen gesetzt, weil die Wundermähr
von der schwäbischen Freiheit bis in den fernen Süden gedrungen war.
Zwei Agenten aus Neapel kamen nach Stuttgart um mit dem freien
Württemberg Freundschaft zu schließen und seine Institutionen kennen zu
lernen. Wintzingerode aber wies sie aus und bemerkte ihnen trocken:
wir haben von Neapel nichts, von den Großmächten viel zu erwarten.
Die neue neapolitanische Regierung war von der Staatengesellschaft ge-
ächtet, sie fand in ganz Europa nur bei zwei Mächten Anerkennung:
bei dem unberechenbaren Brüsseler Hofe, der dafür von Kaiser Alexan-
der scharf zurechtgewiesen wurde, und bei ihren Gesinnungsgenossen in
Madrid; dort hatte der Triumphzug der Cortesverfassung einen Freuden-
sturm erregt, der spanische Stolz wallte hoch auf und die radikalen Parteien
schöpften frischen Muth.**)

Ueber die Mittel und Wege aber, die zur Vernichtung der Revo-
lution führen sollten, gingen die Ansichten der Großmächte noch weit
auseinander. Oesterreich wünschte freie Hand für seine Unterhändler
und für seine Waffen, um in Neapel, den Verträgen gemäß, den alten
Zustand wieder herzustellen; am besten also, wenn sich die Mitwirkung
Europas, die man doch nicht ganz umgehen konnte, auf einen "mora-
lischen Beistand" beschränkte, wenn die Gesandten der großen Mächte
in Wien, wie früher in Paris, zu einer ständigen Conferenz zusammen-
träten und das allein handelnde Oesterreich mit ihren unmaßgeblichen
Rathschlägen unterstützten. Derselben Meinung war der preußische Hof,

*) Ministerialschreiben an Krusemark, 9. Sept. Gespräch des Fürsten Metternich
mit Fürst Cimitille, für die verbündeten Mächte lithographirt, Sept. 1820.
**) Hänlein's Bericht, Kassel 17. Dec.; Küster's Berichte, Stuttgart 23. September,
25. Nov. Kapodistrias an den russischen Gesandten v. Phull in Brüssel, Okt. 1820.

Oeſterreich und Neapel.
wüſtetes Land müßten alle Nachbarn ſich durch eine ſtrenge Quarantäne
decken; nur eine Rettung bleibe noch, wenn die ehrlichen Leute in Neapel
ihren König bäten: nehmen Sie die Zügel der Regierung wieder, be-
rufen Sie ein Kriegsgericht über General Pepe, dann können Sie auf
den Beiſtand von 100,000 Oeſterreichern zählen.*)

Den kleinen deutſchen Regierungen wurde am 25. Juli mitgetheilt,
daß Kaiſer Franz, durch die Verträge zur Ueberwachung Italiens ver-
pflichtet, im äußerſten Falle entſchloſſen ſei, die bewaffnete Rebellion mit
Gewalt niederzuſchlagen, und inzwiſchen auf unverbrüchliche Ruhe in
Deutſchland zähle. Es bedurfte der Mahnung kaum. Die Kleinen hielten
ſich alle untadelhaft gehorſam, die meiſten aus Angſt vor der Revolution,
einige aus Furcht vor den Großmächten. Der König von Baiern ſprach
ſeine Entrüſtung über die Jakobiner des Südens ganz ebenſo heftig aus
wie der Kurfürſt von Heſſen, der ſich mehrmals erbot, ſeine Truppen
wider die wälſchen Rebellen marſchiren zu laſſen. Auf den Stuttgarter
Hof hatten die Carbonari große Hoffnungen geſetzt, weil die Wundermähr
von der ſchwäbiſchen Freiheit bis in den fernen Süden gedrungen war.
Zwei Agenten aus Neapel kamen nach Stuttgart um mit dem freien
Württemberg Freundſchaft zu ſchließen und ſeine Inſtitutionen kennen zu
lernen. Wintzingerode aber wies ſie aus und bemerkte ihnen trocken:
wir haben von Neapel nichts, von den Großmächten viel zu erwarten.
Die neue neapolitaniſche Regierung war von der Staatengeſellſchaft ge-
ächtet, ſie fand in ganz Europa nur bei zwei Mächten Anerkennung:
bei dem unberechenbaren Brüſſeler Hofe, der dafür von Kaiſer Alexan-
der ſcharf zurechtgewieſen wurde, und bei ihren Geſinnungsgenoſſen in
Madrid; dort hatte der Triumphzug der Cortesverfaſſung einen Freuden-
ſturm erregt, der ſpaniſche Stolz wallte hoch auf und die radikalen Parteien
ſchöpften friſchen Muth.**)

Ueber die Mittel und Wege aber, die zur Vernichtung der Revo-
lution führen ſollten, gingen die Anſichten der Großmächte noch weit
auseinander. Oeſterreich wünſchte freie Hand für ſeine Unterhändler
und für ſeine Waffen, um in Neapel, den Verträgen gemäß, den alten
Zuſtand wieder herzuſtellen; am beſten alſo, wenn ſich die Mitwirkung
Europas, die man doch nicht ganz umgehen konnte, auf einen „mora-
liſchen Beiſtand“ beſchränkte, wenn die Geſandten der großen Mächte
in Wien, wie früher in Paris, zu einer ſtändigen Conferenz zuſammen-
träten und das allein handelnde Oeſterreich mit ihren unmaßgeblichen
Rathſchlägen unterſtützten. Derſelben Meinung war der preußiſche Hof,

*) Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 9. Sept. Geſpräch des Fürſten Metternich
mit Fürſt Cimitille, für die verbündeten Mächte lithographirt, Sept. 1820.
**) Hänlein’s Bericht, Kaſſel 17. Dec.; Küſter’s Berichte, Stuttgart 23. September,
25. Nov. Kapodiſtrias an den ruſſiſchen Geſandten v. Phull in Brüſſel, Okt. 1820.
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[157/0173] Oeſterreich und Neapel. wüſtetes Land müßten alle Nachbarn ſich durch eine ſtrenge Quarantäne decken; nur eine Rettung bleibe noch, wenn die ehrlichen Leute in Neapel ihren König bäten: nehmen Sie die Zügel der Regierung wieder, be- rufen Sie ein Kriegsgericht über General Pepe, dann können Sie auf den Beiſtand von 100,000 Oeſterreichern zählen. *) Den kleinen deutſchen Regierungen wurde am 25. Juli mitgetheilt, daß Kaiſer Franz, durch die Verträge zur Ueberwachung Italiens ver- pflichtet, im äußerſten Falle entſchloſſen ſei, die bewaffnete Rebellion mit Gewalt niederzuſchlagen, und inzwiſchen auf unverbrüchliche Ruhe in Deutſchland zähle. Es bedurfte der Mahnung kaum. Die Kleinen hielten ſich alle untadelhaft gehorſam, die meiſten aus Angſt vor der Revolution, einige aus Furcht vor den Großmächten. Der König von Baiern ſprach ſeine Entrüſtung über die Jakobiner des Südens ganz ebenſo heftig aus wie der Kurfürſt von Heſſen, der ſich mehrmals erbot, ſeine Truppen wider die wälſchen Rebellen marſchiren zu laſſen. Auf den Stuttgarter Hof hatten die Carbonari große Hoffnungen geſetzt, weil die Wundermähr von der ſchwäbiſchen Freiheit bis in den fernen Süden gedrungen war. Zwei Agenten aus Neapel kamen nach Stuttgart um mit dem freien Württemberg Freundſchaft zu ſchließen und ſeine Inſtitutionen kennen zu lernen. Wintzingerode aber wies ſie aus und bemerkte ihnen trocken: wir haben von Neapel nichts, von den Großmächten viel zu erwarten. Die neue neapolitaniſche Regierung war von der Staatengeſellſchaft ge- ächtet, ſie fand in ganz Europa nur bei zwei Mächten Anerkennung: bei dem unberechenbaren Brüſſeler Hofe, der dafür von Kaiſer Alexan- der ſcharf zurechtgewieſen wurde, und bei ihren Geſinnungsgenoſſen in Madrid; dort hatte der Triumphzug der Cortesverfaſſung einen Freuden- ſturm erregt, der ſpaniſche Stolz wallte hoch auf und die radikalen Parteien ſchöpften friſchen Muth. **) Ueber die Mittel und Wege aber, die zur Vernichtung der Revo- lution führen ſollten, gingen die Anſichten der Großmächte noch weit auseinander. Oeſterreich wünſchte freie Hand für ſeine Unterhändler und für ſeine Waffen, um in Neapel, den Verträgen gemäß, den alten Zuſtand wieder herzuſtellen; am beſten alſo, wenn ſich die Mitwirkung Europas, die man doch nicht ganz umgehen konnte, auf einen „mora- liſchen Beiſtand“ beſchränkte, wenn die Geſandten der großen Mächte in Wien, wie früher in Paris, zu einer ſtändigen Conferenz zuſammen- träten und das allein handelnde Oeſterreich mit ihren unmaßgeblichen Rathſchlägen unterſtützten. Derſelben Meinung war der preußiſche Hof, *) Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 9. Sept. Geſpräch des Fürſten Metternich mit Fürſt Cimitille, für die verbündeten Mächte lithographirt, Sept. 1820. **) Hänlein’s Bericht, Kaſſel 17. Dec.; Küſter’s Berichte, Stuttgart 23. September, 25. Nov. Kapodiſtrias an den ruſſiſchen Geſandten v. Phull in Brüſſel, Okt. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/173>, abgerufen am 25.11.2024.