von St. Helena konnte sie unmöglich errathen, wie unwürdig dieser Mann des Mitleids war -- oder sie verglich boshaft anspielend das Genie des Entthronten mit den Erben seiner Weltherrschaft. Ein Spottbild, das in Süddeutschland umlief, stellte die drei Monarchen der Ostmächte dar, neben ihnen ein Thier mit drei Leibern und einem Kopfe; über dem Ungethüm erhob sich die Gestalt Napoleon's; dazu die Frage: "nun rathe, welchem von uns Dreien der eine Kopf gehört." Als endlich im Sommer 1821 die Nachricht von dem Ableben des Verbannten nach Europa kam, da übte der Tod seinen verklärenden Zauber, und Viele, die dem Lebenden geflucht, fühlten sich erschüttert von der Tragik seines Schicksals. Sogar Papst Pius VII., der unter der Roheit des Impe- rators so schwer gelitten, richtete an die greise Lätitia Buonaparte einen warmen Trostbrief und bekundete mit rührenden Worten, wie unaus- löschlich das Bild des großen Landsmanns in die Herzen der Italiener eingegraben war.
Unwillkürlich entsann sich die Welt wieder des kaiserlichen Knaben, der in Oesterreich aufwuchs, seinem Hause, seinem Vaterlande absichtlich entfremdet. Auf dem zweiten Pariser Friedenscongresse hatten die Staats- männer der fünf Mächte sich in dem Wunsche vereinigt, daß der Erbe Napoleon's, zur Beruhigung der Zukunft Europas, für den geistlichen Beruf erzogen werden möge. Nun da die Begabung des frühreifen Kindes sich entfaltete, mußte der Wiener Hof bald einsehen, wie wenig dieser Feuergeist zum Priester taugte. Jedoch die Absicht, den Stamm des Imperators aussterben zu lassen, wurde festgehalten, am zähesten von dem Berliner Cabinet, das sich gegen die Napoleoniden stets ganz unversöhnlich zeigte. Als Kaiser Franz seinen Enkel zum Herzog von Reichstadt ernannte, verlieh er die Würde, auf Preußens dringende Vor- stellungen, ausdrücklich nur dem Prinzen persönlich, nicht seinen Nach- kommen.*) So reifte der Sohn des Weltherrschers zum Manne heran, mißtrauisch überwacht von den Todfeinden seines Geschlechts. Und welch eine Rolle spielte in der furchtbaren Tragödie dieses Hauses das flache Weib, das einst in den vier Jahren cäsarischer Herrlichkeit alle heimischen Erinnerungen verleugnet und selbst die Muttersprache fast verlernt hatte! Als wäre nichts geschehen führte Marie Luise in Parma noch bei Leb- zeiten ihres Gemahls ihr leichtfertiges Wittwenleben, und empört über die Herzlosigkeit der Oesterreicherin fragte Byron: warum sollen die Fürsten das Gefühl der Völker schonen, wenn ihre eigenen Gefühle Possen sind?
Die neue Ordnung der Staatengesellschaft begann schon überall zu schwanken; der Wiener Congreß hatte den Zweck seiner großen Friedens- arbeit nur halb erreicht, das Zeitalter der Revolutionen war noch nicht
*) Weisung an Krusemark, 24. Jan. Dessen Berichte, 4., 11. Febr. 1818.
III. 3. Troppau und Laibach.
von St. Helena konnte ſie unmöglich errathen, wie unwürdig dieſer Mann des Mitleids war — oder ſie verglich boshaft anſpielend das Genie des Entthronten mit den Erben ſeiner Weltherrſchaft. Ein Spottbild, das in Süddeutſchland umlief, ſtellte die drei Monarchen der Oſtmächte dar, neben ihnen ein Thier mit drei Leibern und einem Kopfe; über dem Ungethüm erhob ſich die Geſtalt Napoleon’s; dazu die Frage: „nun rathe, welchem von uns Dreien der eine Kopf gehört.“ Als endlich im Sommer 1821 die Nachricht von dem Ableben des Verbannten nach Europa kam, da übte der Tod ſeinen verklärenden Zauber, und Viele, die dem Lebenden geflucht, fühlten ſich erſchüttert von der Tragik ſeines Schickſals. Sogar Papſt Pius VII., der unter der Roheit des Impe- rators ſo ſchwer gelitten, richtete an die greiſe Lätitia Buonaparte einen warmen Troſtbrief und bekundete mit rührenden Worten, wie unaus- löſchlich das Bild des großen Landsmanns in die Herzen der Italiener eingegraben war.
Unwillkürlich entſann ſich die Welt wieder des kaiſerlichen Knaben, der in Oeſterreich aufwuchs, ſeinem Hauſe, ſeinem Vaterlande abſichtlich entfremdet. Auf dem zweiten Pariſer Friedenscongreſſe hatten die Staats- männer der fünf Mächte ſich in dem Wunſche vereinigt, daß der Erbe Napoleon’s, zur Beruhigung der Zukunft Europas, für den geiſtlichen Beruf erzogen werden möge. Nun da die Begabung des frühreifen Kindes ſich entfaltete, mußte der Wiener Hof bald einſehen, wie wenig dieſer Feuergeiſt zum Prieſter taugte. Jedoch die Abſicht, den Stamm des Imperators ausſterben zu laſſen, wurde feſtgehalten, am zäheſten von dem Berliner Cabinet, das ſich gegen die Napoleoniden ſtets ganz unverſöhnlich zeigte. Als Kaiſer Franz ſeinen Enkel zum Herzog von Reichſtadt ernannte, verlieh er die Würde, auf Preußens dringende Vor- ſtellungen, ausdrücklich nur dem Prinzen perſönlich, nicht ſeinen Nach- kommen.*) So reifte der Sohn des Weltherrſchers zum Manne heran, mißtrauiſch überwacht von den Todfeinden ſeines Geſchlechts. Und welch eine Rolle ſpielte in der furchtbaren Tragödie dieſes Hauſes das flache Weib, das einſt in den vier Jahren cäſariſcher Herrlichkeit alle heimiſchen Erinnerungen verleugnet und ſelbſt die Mutterſprache faſt verlernt hatte! Als wäre nichts geſchehen führte Marie Luiſe in Parma noch bei Leb- zeiten ihres Gemahls ihr leichtfertiges Wittwenleben, und empört über die Herzloſigkeit der Oeſterreicherin fragte Byron: warum ſollen die Fürſten das Gefühl der Völker ſchonen, wenn ihre eigenen Gefühle Poſſen ſind?
Die neue Ordnung der Staatengeſellſchaft begann ſchon überall zu ſchwanken; der Wiener Congreß hatte den Zweck ſeiner großen Friedens- arbeit nur halb erreicht, das Zeitalter der Revolutionen war noch nicht
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III. 3. Troppau und Laibach.
von St. Helena konnte ſie unmöglich errathen, wie unwürdig dieſer
Mann des Mitleids war — oder ſie verglich boshaft anſpielend das
Genie des Entthronten mit den Erben ſeiner Weltherrſchaft. Ein
Spottbild, das in Süddeutſchland umlief, ſtellte die drei Monarchen der
Oſtmächte dar, neben ihnen ein Thier mit drei Leibern und einem Kopfe;
über dem Ungethüm erhob ſich die Geſtalt Napoleon’s; dazu die Frage:
„nun rathe, welchem von uns Dreien der eine Kopf gehört.“ Als endlich
im Sommer 1821 die Nachricht von dem Ableben des Verbannten nach
Europa kam, da übte der Tod ſeinen verklärenden Zauber, und Viele,
die dem Lebenden geflucht, fühlten ſich erſchüttert von der Tragik ſeines
Schickſals. Sogar Papſt Pius VII., der unter der Roheit des Impe-
rators ſo ſchwer gelitten, richtete an die greiſe Lätitia Buonaparte einen
warmen Troſtbrief und bekundete mit rührenden Worten, wie unaus-
löſchlich das Bild des großen Landsmanns in die Herzen der Italiener
eingegraben war.
Unwillkürlich entſann ſich die Welt wieder des kaiſerlichen Knaben,
der in Oeſterreich aufwuchs, ſeinem Hauſe, ſeinem Vaterlande abſichtlich
entfremdet. Auf dem zweiten Pariſer Friedenscongreſſe hatten die Staats-
männer der fünf Mächte ſich in dem Wunſche vereinigt, daß der Erbe
Napoleon’s, zur Beruhigung der Zukunft Europas, für den geiſtlichen
Beruf erzogen werden möge. Nun da die Begabung des frühreifen
Kindes ſich entfaltete, mußte der Wiener Hof bald einſehen, wie wenig
dieſer Feuergeiſt zum Prieſter taugte. Jedoch die Abſicht, den Stamm
des Imperators ausſterben zu laſſen, wurde feſtgehalten, am zäheſten
von dem Berliner Cabinet, das ſich gegen die Napoleoniden ſtets ganz
unverſöhnlich zeigte. Als Kaiſer Franz ſeinen Enkel zum Herzog von
Reichſtadt ernannte, verlieh er die Würde, auf Preußens dringende Vor-
ſtellungen, ausdrücklich nur dem Prinzen perſönlich, nicht ſeinen Nach-
kommen. *) So reifte der Sohn des Weltherrſchers zum Manne heran,
mißtrauiſch überwacht von den Todfeinden ſeines Geſchlechts. Und welch
eine Rolle ſpielte in der furchtbaren Tragödie dieſes Hauſes das flache
Weib, das einſt in den vier Jahren cäſariſcher Herrlichkeit alle heimiſchen
Erinnerungen verleugnet und ſelbſt die Mutterſprache faſt verlernt hatte!
Als wäre nichts geſchehen führte Marie Luiſe in Parma noch bei Leb-
zeiten ihres Gemahls ihr leichtfertiges Wittwenleben, und empört über
die Herzloſigkeit der Oeſterreicherin fragte Byron: warum ſollen die
Fürſten das Gefühl der Völker ſchonen, wenn ihre eigenen Gefühle
Poſſen ſind?
Die neue Ordnung der Staatengeſellſchaft begann ſchon überall zu
ſchwanken; der Wiener Congreß hatte den Zweck ſeiner großen Friedens-
arbeit nur halb erreicht, das Zeitalter der Revolutionen war noch nicht
*) Weiſung an Kruſemark, 24. Jan. Deſſen Berichte, 4., 11. Febr. 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/166>, abgerufen am 26.11.2024.
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