Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Portugal. Neapel.
verkündigte, daß hier vor'm Jahre der ruhmvolle Kaiser Franz gewohnt
habe. Und jetzt kam die Schreckenskunde, daß am 2. Juli auch das nea-
politanische Heer aufgestanden war. Die Demüthigung des Neffen in
Madrid erschütterte durch einen natürlichen Rückschlag auch den Thron
des Oheims in Neapel. So grausam wie sein spanischer Verwandter
war König Ferdinand von Neapel nach seiner letzten Rückkehr allerdings
nicht aufgetreten. Aber nachdem das mißhandelte Volk unter König Mu-
rat zum ersten male den Segen einer streng geordneten bureaukratischen
Verwaltung kennen gelernt hatte, vermochte der geistlose, zwischen Schlaff-
heit und Willkür schwankende Absolutismus der Bourbonen, der um des
lieben Friedens willen sogar mit den Räuberbanden Verträge schloß, sein
altes Ansehen nicht wieder zu gewinnen.

Ein finsterer Geist des Mißtrauens, das arge Vermächtniß langer
Jahrhunderte der Fremdherrschaft, lag wie ein Fluch über dem Lande.
Die Sicilianer verziehen dem Bourbonen nicht, daß er zum Dank für
ihre bewährte Treue die uralte Selbständigkeit ihrer ruhmreichen Krone
vernichtet, ihre kaum begründete neue Verfassung wieder aufgehoben und
die Insel widerrechtlich mit den verhaßten Continentalen zu einem König-
reiche beider Sicilien zusammengeschweißt hatte. Die gebildeten Klassen
der Hauptstadt dachten noch immer mit unversöhnlicher Rachsucht an das
gräßliche Jahr 1799, an den Verrath und den Massenmord, welche da-
mals die erste Rückkehr der Bourbonen geschändet hatten, und rechneten
die ganze Blutschuld jener Frevel dem königlichen Hause zu, denn ihr
eigentlicher Urheber, Nelson, war vergessen. An den Personen des Hofes
bekundete sich hier wie in Madrid schon jene stumpfsinnige Nichtigkeit,
welche die späteren Geschlechter uralter Fürstenhäuser so häufig auszeichnet,
nur daß der Angler Ferdinand von Neapel immerhin noch etwas männ-
licher erschien als der Sticker Ferdinand von Spanien. Von allen den
constitutionellen Verheißungen, die der Bourbone einst aus Palermo seinen
Neapolitanern zugesendet, verlautete jetzt kein Wort mehr. Das Heer
hatte unter Napoleon's Fahnen zuerst den diesem Volke ganz unbekannten
Feuertrank kriegerischen Ruhmes gekostet und sah sich jetzt mißachtet und ver-
nachlässigt, seine schönsten Erinnerungen verhöhnt, seine bewährten Führer
durch die Günstlinge des Hofes angefeindet oder verdrängt. Gesetzlicher
Sinn war unmöglich in einem Lande, das binnen weniger Jahre so viele
Herren hatte kommen und gehen sehen. Das Sektenwesen der geheimen
Gesellschaften stand in üppiger Blüthe. Die aus Frankreich eingedrungene
maurerische Gesellschaft der Carbonari, die in Italien bald den Charakter
eines revolutionären Geheimbundes angenommen hatte, wetteiferte mit
der reaktionären Verschwörung der Keßler in schlechten demagogischen
Künsten.

Also von allen Seiten her unterhöhlt brach die Selbstherrlichkeit der
Bourbonen jählings zusammen, als die Dragoner in Nola den Aufstand

Portugal. Neapel.
verkündigte, daß hier vor’m Jahre der ruhmvolle Kaiſer Franz gewohnt
habe. Und jetzt kam die Schreckenskunde, daß am 2. Juli auch das nea-
politaniſche Heer aufgeſtanden war. Die Demüthigung des Neffen in
Madrid erſchütterte durch einen natürlichen Rückſchlag auch den Thron
des Oheims in Neapel. So grauſam wie ſein ſpaniſcher Verwandter
war König Ferdinand von Neapel nach ſeiner letzten Rückkehr allerdings
nicht aufgetreten. Aber nachdem das mißhandelte Volk unter König Mu-
rat zum erſten male den Segen einer ſtreng geordneten bureaukratiſchen
Verwaltung kennen gelernt hatte, vermochte der geiſtloſe, zwiſchen Schlaff-
heit und Willkür ſchwankende Abſolutismus der Bourbonen, der um des
lieben Friedens willen ſogar mit den Räuberbanden Verträge ſchloß, ſein
altes Anſehen nicht wieder zu gewinnen.

Ein finſterer Geiſt des Mißtrauens, das arge Vermächtniß langer
Jahrhunderte der Fremdherrſchaft, lag wie ein Fluch über dem Lande.
Die Sicilianer verziehen dem Bourbonen nicht, daß er zum Dank für
ihre bewährte Treue die uralte Selbſtändigkeit ihrer ruhmreichen Krone
vernichtet, ihre kaum begründete neue Verfaſſung wieder aufgehoben und
die Inſel widerrechtlich mit den verhaßten Continentalen zu einem König-
reiche beider Sicilien zuſammengeſchweißt hatte. Die gebildeten Klaſſen
der Hauptſtadt dachten noch immer mit unverſöhnlicher Rachſucht an das
gräßliche Jahr 1799, an den Verrath und den Maſſenmord, welche da-
mals die erſte Rückkehr der Bourbonen geſchändet hatten, und rechneten
die ganze Blutſchuld jener Frevel dem königlichen Hauſe zu, denn ihr
eigentlicher Urheber, Nelſon, war vergeſſen. An den Perſonen des Hofes
bekundete ſich hier wie in Madrid ſchon jene ſtumpfſinnige Nichtigkeit,
welche die ſpäteren Geſchlechter uralter Fürſtenhäuſer ſo häufig auszeichnet,
nur daß der Angler Ferdinand von Neapel immerhin noch etwas männ-
licher erſchien als der Sticker Ferdinand von Spanien. Von allen den
conſtitutionellen Verheißungen, die der Bourbone einſt aus Palermo ſeinen
Neapolitanern zugeſendet, verlautete jetzt kein Wort mehr. Das Heer
hatte unter Napoleon’s Fahnen zuerſt den dieſem Volke ganz unbekannten
Feuertrank kriegeriſchen Ruhmes gekoſtet und ſah ſich jetzt mißachtet und ver-
nachläſſigt, ſeine ſchönſten Erinnerungen verhöhnt, ſeine bewährten Führer
durch die Günſtlinge des Hofes angefeindet oder verdrängt. Geſetzlicher
Sinn war unmöglich in einem Lande, das binnen weniger Jahre ſo viele
Herren hatte kommen und gehen ſehen. Das Sektenweſen der geheimen
Geſellſchaften ſtand in üppiger Blüthe. Die aus Frankreich eingedrungene
maureriſche Geſellſchaft der Carbonari, die in Italien bald den Charakter
eines revolutionären Geheimbundes angenommen hatte, wetteiferte mit
der reaktionären Verſchwörung der Keßler in ſchlechten demagogiſchen
Künſten.

Alſo von allen Seiten her unterhöhlt brach die Selbſtherrlichkeit der
Bourbonen jählings zuſammen, als die Dragoner in Nola den Aufſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="139"/><fw place="top" type="header">Portugal. Neapel.</fw><lb/>
verkündigte, daß hier vor&#x2019;m Jahre der ruhmvolle Kai&#x017F;er Franz gewohnt<lb/>
habe. Und jetzt kam die Schreckenskunde, daß am 2. Juli auch das nea-<lb/>
politani&#x017F;che Heer aufge&#x017F;tanden war. Die Demüthigung des Neffen in<lb/>
Madrid er&#x017F;chütterte durch einen natürlichen Rück&#x017F;chlag auch den Thron<lb/>
des Oheims in Neapel. So grau&#x017F;am wie &#x017F;ein &#x017F;pani&#x017F;cher Verwandter<lb/>
war König Ferdinand von Neapel nach &#x017F;einer letzten Rückkehr allerdings<lb/>
nicht aufgetreten. Aber nachdem das mißhandelte Volk unter König Mu-<lb/>
rat zum er&#x017F;ten male den Segen einer &#x017F;treng geordneten bureaukrati&#x017F;chen<lb/>
Verwaltung kennen gelernt hatte, vermochte der gei&#x017F;tlo&#x017F;e, zwi&#x017F;chen Schlaff-<lb/>
heit und Willkür &#x017F;chwankende Ab&#x017F;olutismus der Bourbonen, der um des<lb/>
lieben Friedens willen &#x017F;ogar mit den Räuberbanden Verträge &#x017F;chloß, &#x017F;ein<lb/>
altes An&#x017F;ehen nicht wieder zu gewinnen.</p><lb/>
          <p>Ein fin&#x017F;terer Gei&#x017F;t des Mißtrauens, das arge Vermächtniß langer<lb/>
Jahrhunderte der Fremdherr&#x017F;chaft, lag wie ein Fluch über dem Lande.<lb/>
Die Sicilianer verziehen dem Bourbonen nicht, daß er zum Dank für<lb/>
ihre bewährte Treue die uralte Selb&#x017F;tändigkeit ihrer ruhmreichen Krone<lb/>
vernichtet, ihre kaum begründete neue Verfa&#x017F;&#x017F;ung wieder aufgehoben und<lb/>
die In&#x017F;el widerrechtlich mit den verhaßten Continentalen zu einem König-<lb/>
reiche beider Sicilien zu&#x017F;ammenge&#x017F;chweißt hatte. Die gebildeten Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der Haupt&#x017F;tadt dachten noch immer mit unver&#x017F;öhnlicher Rach&#x017F;ucht an das<lb/>
gräßliche Jahr 1799, an den Verrath und den Ma&#x017F;&#x017F;enmord, welche da-<lb/>
mals die er&#x017F;te Rückkehr der Bourbonen ge&#x017F;chändet hatten, und rechneten<lb/>
die ganze Blut&#x017F;chuld jener Frevel dem königlichen Hau&#x017F;e zu, denn ihr<lb/>
eigentlicher Urheber, Nel&#x017F;on, war verge&#x017F;&#x017F;en. An den Per&#x017F;onen des Hofes<lb/>
bekundete &#x017F;ich hier wie in Madrid &#x017F;chon jene &#x017F;tumpf&#x017F;innige Nichtigkeit,<lb/>
welche die &#x017F;päteren Ge&#x017F;chlechter uralter Für&#x017F;tenhäu&#x017F;er &#x017F;o häufig auszeichnet,<lb/>
nur daß der Angler Ferdinand von Neapel immerhin noch etwas männ-<lb/>
licher er&#x017F;chien als der Sticker Ferdinand von Spanien. Von allen den<lb/>
con&#x017F;titutionellen Verheißungen, die der Bourbone ein&#x017F;t aus Palermo &#x017F;einen<lb/>
Neapolitanern zuge&#x017F;endet, verlautete jetzt kein Wort mehr. Das Heer<lb/>
hatte unter Napoleon&#x2019;s Fahnen zuer&#x017F;t den die&#x017F;em Volke ganz unbekannten<lb/>
Feuertrank kriegeri&#x017F;chen Ruhmes geko&#x017F;tet und &#x017F;ah &#x017F;ich jetzt mißachtet und ver-<lb/>
nachlä&#x017F;&#x017F;igt, &#x017F;eine &#x017F;chön&#x017F;ten Erinnerungen verhöhnt, &#x017F;eine bewährten Führer<lb/>
durch die Gün&#x017F;tlinge des Hofes angefeindet oder verdrängt. Ge&#x017F;etzlicher<lb/>
Sinn war unmöglich in einem Lande, das binnen weniger Jahre &#x017F;o viele<lb/>
Herren hatte kommen und gehen &#x017F;ehen. Das Sektenwe&#x017F;en der geheimen<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;tand in üppiger Blüthe. Die aus Frankreich eingedrungene<lb/>
maureri&#x017F;che Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft der Carbonari, die in Italien bald den Charakter<lb/>
eines revolutionären Geheimbundes angenommen hatte, wetteiferte mit<lb/>
der reaktionären Ver&#x017F;chwörung der Keßler in &#x017F;chlechten demagogi&#x017F;chen<lb/>
Kün&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o von allen Seiten her unterhöhlt brach die Selb&#x017F;therrlichkeit der<lb/>
Bourbonen jählings zu&#x017F;ammen, als die Dragoner in Nola den Auf&#x017F;tand<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0155] Portugal. Neapel. verkündigte, daß hier vor’m Jahre der ruhmvolle Kaiſer Franz gewohnt habe. Und jetzt kam die Schreckenskunde, daß am 2. Juli auch das nea- politaniſche Heer aufgeſtanden war. Die Demüthigung des Neffen in Madrid erſchütterte durch einen natürlichen Rückſchlag auch den Thron des Oheims in Neapel. So grauſam wie ſein ſpaniſcher Verwandter war König Ferdinand von Neapel nach ſeiner letzten Rückkehr allerdings nicht aufgetreten. Aber nachdem das mißhandelte Volk unter König Mu- rat zum erſten male den Segen einer ſtreng geordneten bureaukratiſchen Verwaltung kennen gelernt hatte, vermochte der geiſtloſe, zwiſchen Schlaff- heit und Willkür ſchwankende Abſolutismus der Bourbonen, der um des lieben Friedens willen ſogar mit den Räuberbanden Verträge ſchloß, ſein altes Anſehen nicht wieder zu gewinnen. Ein finſterer Geiſt des Mißtrauens, das arge Vermächtniß langer Jahrhunderte der Fremdherrſchaft, lag wie ein Fluch über dem Lande. Die Sicilianer verziehen dem Bourbonen nicht, daß er zum Dank für ihre bewährte Treue die uralte Selbſtändigkeit ihrer ruhmreichen Krone vernichtet, ihre kaum begründete neue Verfaſſung wieder aufgehoben und die Inſel widerrechtlich mit den verhaßten Continentalen zu einem König- reiche beider Sicilien zuſammengeſchweißt hatte. Die gebildeten Klaſſen der Hauptſtadt dachten noch immer mit unverſöhnlicher Rachſucht an das gräßliche Jahr 1799, an den Verrath und den Maſſenmord, welche da- mals die erſte Rückkehr der Bourbonen geſchändet hatten, und rechneten die ganze Blutſchuld jener Frevel dem königlichen Hauſe zu, denn ihr eigentlicher Urheber, Nelſon, war vergeſſen. An den Perſonen des Hofes bekundete ſich hier wie in Madrid ſchon jene ſtumpfſinnige Nichtigkeit, welche die ſpäteren Geſchlechter uralter Fürſtenhäuſer ſo häufig auszeichnet, nur daß der Angler Ferdinand von Neapel immerhin noch etwas männ- licher erſchien als der Sticker Ferdinand von Spanien. Von allen den conſtitutionellen Verheißungen, die der Bourbone einſt aus Palermo ſeinen Neapolitanern zugeſendet, verlautete jetzt kein Wort mehr. Das Heer hatte unter Napoleon’s Fahnen zuerſt den dieſem Volke ganz unbekannten Feuertrank kriegeriſchen Ruhmes gekoſtet und ſah ſich jetzt mißachtet und ver- nachläſſigt, ſeine ſchönſten Erinnerungen verhöhnt, ſeine bewährten Führer durch die Günſtlinge des Hofes angefeindet oder verdrängt. Geſetzlicher Sinn war unmöglich in einem Lande, das binnen weniger Jahre ſo viele Herren hatte kommen und gehen ſehen. Das Sektenweſen der geheimen Geſellſchaften ſtand in üppiger Blüthe. Die aus Frankreich eingedrungene maureriſche Geſellſchaft der Carbonari, die in Italien bald den Charakter eines revolutionären Geheimbundes angenommen hatte, wetteiferte mit der reaktionären Verſchwörung der Keßler in ſchlechten demagogiſchen Künſten. Alſo von allen Seiten her unterhöhlt brach die Selbſtherrlichkeit der Bourbonen jählings zuſammen, als die Dragoner in Nola den Aufſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/155
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/155>, abgerufen am 04.05.2024.