Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Haller. De Maistre.
selben Literatori, die auch in Deutschland schreiend und schreibend an den
Thronen rütteln. Haller scheute sich nicht, den Eidbruch offen zu pre-
digen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und mensch-
lichen Gesetze verpflichtet, ist ein Scandal, eine Lästerung Gottes und mit-
hin unverbindlich. Zugleich sprach er nochmals aus, daß sein "gottge-
wollter" Staat nur eine privatrechtliche Gesellschaft sein und auf alle
Kulturzwecke verzichten solle; er verwarf die allgemeine Besteuerung, die
Conscription, die Staatsschule und klagte: "so nimmt die Sekte uns zu-
gleich Eigenthum, Körper und Seele!" Zum Schluß wendete er sich an
Europas Könige, die deutschen zumal: "Fliehet das Wort Constitution;
es ist Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratische Grundlage
voraussetzt, den inneren Krieg organisirt und zwei auf Leben und Tod
gegen einander kämpfende Elemente schafft." Nur "Land- oder Provin-
zialstände, wie die Natur sie schuf", ziemen der Monarchie, auf daß die
Idee der Macht durch die freie und freudige Zustimmung der unmittel-
baren Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußische
Kronfideicommiß ward mit angebracht: "veräußert jene ursprünglichen
Stammgüter, die Zierden Eures Hauses nicht." Vor Allem aber: "Krieg,
heiligen Krieg gegen die Sophisten, die sich selbst durch ihre Grundsätze
und ihre Verbindung von Eurem Volke gesondert haben!" Jeder Satz
schien darauf berechnet, die Kluft zwischen den deutschen Parteien gewalt-
sam zu erweitern, und in der That hat Haller zur Vergiftung unseres
politischen Lebens mehr als irgend ein anderer Publicist beigetragen.

So fanatische Grundsätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen
sich nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreisung des Eidbruchs
mußte ihn abstoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieser Restaurator,
der die drei großen preußischen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht,
Schulpflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preu-
ßischen Staates nichts ahnen konnte. Die Unterscheidung der naturge-
mäßen Landstände und der demokratischen Constitutionen sagte ihm zu,
und an das Dasein der über Europa verzweigten Sophistenverschwörung
glaubte er alles Ernstes. Der Name Haller's stand eben jetzt, da er dies
wüthende Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaste hoch in
Ehren, und es scheint sicher, daß man in den Hofkreisen ernstlich daran
dachte, den großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde
zum Glück Haller's Abfall von der protestantischen Kirche ruchbar, und
nunmehr wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu sprechen.
Auch der Kronprinz hätte den Restaurator jetzt nicht mehr in seiner Um-
gebung geduldet, denn die evangelische Kirche blieb ihm heilig, obschon er
manchen Gedanken des Katholicismus sehr weit entgegenkam.

Noch weiter ab von der Gedankenwelt des protestantischen Nordens
lag die Schrift des Grafen de Maistre "vom Papste", ein Buch, das
schon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,

Haller. De Maiſtre.
ſelben Literatori, die auch in Deutſchland ſchreiend und ſchreibend an den
Thronen rütteln. Haller ſcheute ſich nicht, den Eidbruch offen zu pre-
digen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und menſch-
lichen Geſetze verpflichtet, iſt ein Scandal, eine Läſterung Gottes und mit-
hin unverbindlich. Zugleich ſprach er nochmals aus, daß ſein „gottge-
wollter“ Staat nur eine privatrechtliche Geſellſchaft ſein und auf alle
Kulturzwecke verzichten ſolle; er verwarf die allgemeine Beſteuerung, die
Conſcription, die Staatsſchule und klagte: „ſo nimmt die Sekte uns zu-
gleich Eigenthum, Körper und Seele!“ Zum Schluß wendete er ſich an
Europas Könige, die deutſchen zumal: „Fliehet das Wort Conſtitution;
es iſt Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratiſche Grundlage
vorausſetzt, den inneren Krieg organiſirt und zwei auf Leben und Tod
gegen einander kämpfende Elemente ſchafft.“ Nur „Land- oder Provin-
zialſtände, wie die Natur ſie ſchuf“, ziemen der Monarchie, auf daß die
Idee der Macht durch die freie und freudige Zuſtimmung der unmittel-
baren Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußiſche
Kronfideicommiß ward mit angebracht: „veräußert jene urſprünglichen
Stammgüter, die Zierden Eures Hauſes nicht.“ Vor Allem aber: „Krieg,
heiligen Krieg gegen die Sophiſten, die ſich ſelbſt durch ihre Grundſätze
und ihre Verbindung von Eurem Volke geſondert haben!“ Jeder Satz
ſchien darauf berechnet, die Kluft zwiſchen den deutſchen Parteien gewalt-
ſam zu erweitern, und in der That hat Haller zur Vergiftung unſeres
politiſchen Lebens mehr als irgend ein anderer Publiciſt beigetragen.

So fanatiſche Grundſätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen
ſich nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreiſung des Eidbruchs
mußte ihn abſtoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieſer Reſtaurator,
der die drei großen preußiſchen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht,
Schulpflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preu-
ßiſchen Staates nichts ahnen konnte. Die Unterſcheidung der naturge-
mäßen Landſtände und der demokratiſchen Conſtitutionen ſagte ihm zu,
und an das Daſein der über Europa verzweigten Sophiſtenverſchwörung
glaubte er alles Ernſtes. Der Name Haller’s ſtand eben jetzt, da er dies
wüthende Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaſte hoch in
Ehren, und es ſcheint ſicher, daß man in den Hofkreiſen ernſtlich daran
dachte, den großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde
zum Glück Haller’s Abfall von der proteſtantiſchen Kirche ruchbar, und
nunmehr wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu ſprechen.
Auch der Kronprinz hätte den Reſtaurator jetzt nicht mehr in ſeiner Um-
gebung geduldet, denn die evangeliſche Kirche blieb ihm heilig, obſchon er
manchen Gedanken des Katholicismus ſehr weit entgegenkam.

Noch weiter ab von der Gedankenwelt des proteſtantiſchen Nordens
lag die Schrift des Grafen de Maiſtre „vom Papſte“, ein Buch, das
ſchon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="127"/><fw place="top" type="header">Haller. De Mai&#x017F;tre.</fw><lb/>
&#x017F;elben Literatori, die auch in Deut&#x017F;chland &#x017F;chreiend und &#x017F;chreibend an den<lb/>
Thronen rütteln. Haller &#x017F;cheute &#x017F;ich nicht, den Eidbruch offen zu pre-<lb/>
digen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Ge&#x017F;etze verpflichtet, i&#x017F;t ein Scandal, eine Lä&#x017F;terung Gottes und mit-<lb/>
hin unverbindlich. Zugleich &#x017F;prach er nochmals aus, daß &#x017F;ein &#x201E;gottge-<lb/>
wollter&#x201C; Staat nur eine privatrechtliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ein und auf alle<lb/>
Kulturzwecke verzichten &#x017F;olle; er verwarf die allgemeine Be&#x017F;teuerung, die<lb/>
Con&#x017F;cription, die Staats&#x017F;chule und klagte: &#x201E;&#x017F;o nimmt die Sekte uns zu-<lb/>
gleich Eigenthum, Körper und Seele!&#x201C; Zum Schluß wendete er &#x017F;ich an<lb/>
Europas Könige, die deut&#x017F;chen zumal: &#x201E;Fliehet das Wort Con&#x017F;titution;<lb/>
es i&#x017F;t Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokrati&#x017F;che Grundlage<lb/>
voraus&#x017F;etzt, den inneren Krieg organi&#x017F;irt und zwei auf Leben und Tod<lb/>
gegen einander kämpfende Elemente &#x017F;chafft.&#x201C; Nur &#x201E;Land- oder Provin-<lb/>
zial&#x017F;tände, wie die Natur &#x017F;ie &#x017F;chuf&#x201C;, ziemen der Monarchie, auf daß die<lb/>
Idee der Macht durch die freie und freudige Zu&#x017F;timmung der unmittel-<lb/>
baren Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußi&#x017F;che<lb/>
Kronfideicommiß ward mit angebracht: &#x201E;veräußert jene ur&#x017F;prünglichen<lb/>
Stammgüter, die Zierden Eures Hau&#x017F;es nicht.&#x201C; Vor Allem aber: &#x201E;Krieg,<lb/>
heiligen Krieg gegen die Sophi&#x017F;ten, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t durch ihre Grund&#x017F;ätze<lb/>
und ihre Verbindung von Eurem Volke ge&#x017F;ondert haben!&#x201C; Jeder Satz<lb/>
&#x017F;chien darauf berechnet, die Kluft zwi&#x017F;chen den deut&#x017F;chen Parteien gewalt-<lb/>
&#x017F;am zu erweitern, und in der That hat Haller zur Vergiftung un&#x017F;eres<lb/>
politi&#x017F;chen Lebens mehr als irgend ein anderer Publici&#x017F;t beigetragen.</p><lb/>
          <p>So fanati&#x017F;che Grund&#x017F;ätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen<lb/>
&#x017F;ich nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anprei&#x017F;ung des Eidbruchs<lb/>
mußte ihn ab&#x017F;toßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß die&#x017F;er Re&#x017F;taurator,<lb/>
der die drei großen preußi&#x017F;chen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht,<lb/>
Schulpflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preu-<lb/>
ßi&#x017F;chen Staates nichts ahnen konnte. Die Unter&#x017F;cheidung der naturge-<lb/>
mäßen Land&#x017F;tände und der demokrati&#x017F;chen Con&#x017F;titutionen &#x017F;agte ihm zu,<lb/>
und an das Da&#x017F;ein der über Europa verzweigten Sophi&#x017F;tenver&#x017F;chwörung<lb/>
glaubte er alles Ern&#x017F;tes. Der Name Haller&#x2019;s &#x017F;tand eben jetzt, da er dies<lb/>
wüthende Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Pala&#x017F;te hoch in<lb/>
Ehren, und es &#x017F;cheint &#x017F;icher, daß man in den Hofkrei&#x017F;en ern&#x017F;tlich daran<lb/>
dachte, den großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde<lb/>
zum Glück Haller&#x2019;s Abfall von der prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Kirche ruchbar, und<lb/>
nunmehr wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu &#x017F;prechen.<lb/>
Auch der Kronprinz hätte den Re&#x017F;taurator jetzt nicht mehr in &#x017F;einer Um-<lb/>
gebung geduldet, denn die evangeli&#x017F;che Kirche blieb ihm heilig, ob&#x017F;chon er<lb/>
manchen Gedanken des Katholicismus &#x017F;ehr weit entgegenkam.</p><lb/>
          <p>Noch weiter ab von der Gedankenwelt des prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Nordens<lb/>
lag die Schrift des Grafen de Mai&#x017F;tre &#x201E;vom Pap&#x017F;te&#x201C;, ein Buch, das<lb/>
&#x017F;chon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0143] Haller. De Maiſtre. ſelben Literatori, die auch in Deutſchland ſchreiend und ſchreibend an den Thronen rütteln. Haller ſcheute ſich nicht, den Eidbruch offen zu pre- digen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und menſch- lichen Geſetze verpflichtet, iſt ein Scandal, eine Läſterung Gottes und mit- hin unverbindlich. Zugleich ſprach er nochmals aus, daß ſein „gottge- wollter“ Staat nur eine privatrechtliche Geſellſchaft ſein und auf alle Kulturzwecke verzichten ſolle; er verwarf die allgemeine Beſteuerung, die Conſcription, die Staatsſchule und klagte: „ſo nimmt die Sekte uns zu- gleich Eigenthum, Körper und Seele!“ Zum Schluß wendete er ſich an Europas Könige, die deutſchen zumal: „Fliehet das Wort Conſtitution; es iſt Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratiſche Grundlage vorausſetzt, den inneren Krieg organiſirt und zwei auf Leben und Tod gegen einander kämpfende Elemente ſchafft.“ Nur „Land- oder Provin- zialſtände, wie die Natur ſie ſchuf“, ziemen der Monarchie, auf daß die Idee der Macht durch die freie und freudige Zuſtimmung der unmittel- baren Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußiſche Kronfideicommiß ward mit angebracht: „veräußert jene urſprünglichen Stammgüter, die Zierden Eures Hauſes nicht.“ Vor Allem aber: „Krieg, heiligen Krieg gegen die Sophiſten, die ſich ſelbſt durch ihre Grundſätze und ihre Verbindung von Eurem Volke geſondert haben!“ Jeder Satz ſchien darauf berechnet, die Kluft zwiſchen den deutſchen Parteien gewalt- ſam zu erweitern, und in der That hat Haller zur Vergiftung unſeres politiſchen Lebens mehr als irgend ein anderer Publiciſt beigetragen. So fanatiſche Grundſätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen ſich nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreiſung des Eidbruchs mußte ihn abſtoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieſer Reſtaurator, der die drei großen preußiſchen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht, Schulpflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preu- ßiſchen Staates nichts ahnen konnte. Die Unterſcheidung der naturge- mäßen Landſtände und der demokratiſchen Conſtitutionen ſagte ihm zu, und an das Daſein der über Europa verzweigten Sophiſtenverſchwörung glaubte er alles Ernſtes. Der Name Haller’s ſtand eben jetzt, da er dies wüthende Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaſte hoch in Ehren, und es ſcheint ſicher, daß man in den Hofkreiſen ernſtlich daran dachte, den großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde zum Glück Haller’s Abfall von der proteſtantiſchen Kirche ruchbar, und nunmehr wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu ſprechen. Auch der Kronprinz hätte den Reſtaurator jetzt nicht mehr in ſeiner Um- gebung geduldet, denn die evangeliſche Kirche blieb ihm heilig, obſchon er manchen Gedanken des Katholicismus ſehr weit entgegenkam. Noch weiter ab von der Gedankenwelt des proteſtantiſchen Nordens lag die Schrift des Grafen de Maiſtre „vom Papſte“, ein Buch, das ſchon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/143
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/143>, abgerufen am 28.11.2024.