Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. zwanzig Jahre lang gar keine Erneuerungswahlen für die Stadtverord-netenversammlung ausschrieb. Aber auch in dieser Frage blieb die Mehr- heit der Commission den Wünschen der Conservativen unzugänglich. Bei ihren Berathungen über die Städteordnung pflegte Geh. Rath Streckfuß das entscheidende Wort zu sprechen, ein aus Sachsen herübergekommener ausgezeichneter Beamter, der einst daheim ein in Heimlichkeit und Nepo- tismus verkommenes Städtewesen verachten gelernt hatte und nun das kräftige bürgerliche Leben der preußischen Städte als ein Ideal bewunderte. Wie war er stolz auf diese "preußische Freiheit"; "sehr wunderlich" er- schien ihm dagegen die Freiheit Frankreichs, die der Nation zwar gestatte, die Minister abzusetzen, aber ihr jede Mitwirkung bei ihren nächsten An- legenheiten versage. Ein warmer Vertheidiger der Städteordnung Stein's führte er acht Jahre später einen lebhaften Federkrieg gegen F. v. Raumer. Auf seinen Rath beschloß die Commission, das Aufsichtsrecht des Staates scharf zu beschränken: besser immerhin, daß die Communen einige Miß- griffe begehen, als daß die Regierung verhaßte Willkür übe; nur die Lan- desgesetze und die Grundgedanken des neuen Steuersystems durfte die Communalverwaltung nicht antasten. Erst ein späteres Geschlecht sollte er- fahren, daß diese allgemeinen Sätze keineswegs genügten um die Grenzen zwischen Staat und Gemeinde abzustecken. Das Besteuerungsrecht der Communen bedurfte einer genauen gesetzlichen Regelung, sonst konnte der Staat auf die Dauer sein eigenes Steuersystem nicht zugleich sicher und beweglich erhalten. Aber solche Erwägungen lagen noch ganz außerhalb des Gesichtskreises der Zeit. Sehr heftig wurden die Verhandlungen, als eine schon längst von *) Köhler, Separatvotum zur Städteordnung.
III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs. zwanzig Jahre lang gar keine Erneuerungswahlen für die Stadtverord-netenverſammlung ausſchrieb. Aber auch in dieſer Frage blieb die Mehr- heit der Commiſſion den Wünſchen der Conſervativen unzugänglich. Bei ihren Berathungen über die Städteordnung pflegte Geh. Rath Streckfuß das entſcheidende Wort zu ſprechen, ein aus Sachſen herübergekommener ausgezeichneter Beamter, der einſt daheim ein in Heimlichkeit und Nepo- tismus verkommenes Städteweſen verachten gelernt hatte und nun das kräftige bürgerliche Leben der preußiſchen Städte als ein Ideal bewunderte. Wie war er ſtolz auf dieſe „preußiſche Freiheit“; „ſehr wunderlich“ er- ſchien ihm dagegen die Freiheit Frankreichs, die der Nation zwar geſtatte, die Miniſter abzuſetzen, aber ihr jede Mitwirkung bei ihren nächſten An- legenheiten verſage. Ein warmer Vertheidiger der Städteordnung Stein’s führte er acht Jahre ſpäter einen lebhaften Federkrieg gegen F. v. Raumer. Auf ſeinen Rath beſchloß die Commiſſion, das Aufſichtsrecht des Staates ſcharf zu beſchränken: beſſer immerhin, daß die Communen einige Miß- griffe begehen, als daß die Regierung verhaßte Willkür übe; nur die Lan- desgeſetze und die Grundgedanken des neuen Steuerſyſtems durfte die Communalverwaltung nicht antaſten. Erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſollte er- fahren, daß dieſe allgemeinen Sätze keineswegs genügten um die Grenzen zwiſchen Staat und Gemeinde abzuſtecken. Das Beſteuerungsrecht der Communen bedurfte einer genauen geſetzlichen Regelung, ſonſt konnte der Staat auf die Dauer ſein eigenes Steuerſyſtem nicht zugleich ſicher und beweglich erhalten. Aber ſolche Erwägungen lagen noch ganz außerhalb des Geſichtskreiſes der Zeit. Sehr heftig wurden die Verhandlungen, als eine ſchon längſt von *) Köhler, Separatvotum zur Städteordnung.
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III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.
zwanzig Jahre lang gar keine Erneuerungswahlen für die Stadtverord-
netenverſammlung ausſchrieb. Aber auch in dieſer Frage blieb die Mehr-
heit der Commiſſion den Wünſchen der Conſervativen unzugänglich. Bei
ihren Berathungen über die Städteordnung pflegte Geh. Rath Streckfuß
das entſcheidende Wort zu ſprechen, ein aus Sachſen herübergekommener
ausgezeichneter Beamter, der einſt daheim ein in Heimlichkeit und Nepo-
tismus verkommenes Städteweſen verachten gelernt hatte und nun das
kräftige bürgerliche Leben der preußiſchen Städte als ein Ideal bewunderte.
Wie war er ſtolz auf dieſe „preußiſche Freiheit“; „ſehr wunderlich“ er-
ſchien ihm dagegen die Freiheit Frankreichs, die der Nation zwar geſtatte,
die Miniſter abzuſetzen, aber ihr jede Mitwirkung bei ihren nächſten An-
legenheiten verſage. Ein warmer Vertheidiger der Städteordnung Stein’s
führte er acht Jahre ſpäter einen lebhaften Federkrieg gegen F. v. Raumer.
Auf ſeinen Rath beſchloß die Commiſſion, das Aufſichtsrecht des Staates
ſcharf zu beſchränken: beſſer immerhin, daß die Communen einige Miß-
griffe begehen, als daß die Regierung verhaßte Willkür übe; nur die Lan-
desgeſetze und die Grundgedanken des neuen Steuerſyſtems durfte die
Communalverwaltung nicht antaſten. Erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſollte er-
fahren, daß dieſe allgemeinen Sätze keineswegs genügten um die Grenzen
zwiſchen Staat und Gemeinde abzuſtecken. Das Beſteuerungsrecht der
Communen bedurfte einer genauen geſetzlichen Regelung, ſonſt konnte der
Staat auf die Dauer ſein eigenes Steuerſyſtem nicht zugleich ſicher und
beweglich erhalten. Aber ſolche Erwägungen lagen noch ganz außerhalb
des Geſichtskreiſes der Zeit.
Sehr heftig wurden die Verhandlungen, als eine ſchon längſt von
allen Seiten beklagte Lücke der Städteordnung zur Sprache kam. Stein
hatte in ſeinem Geſetze nicht geſagt, wie die Streitigkeiten zwiſchen Ma-
giſtrat und Stadtverordneten auszugleichen ſeien; jetzt wünſchte er leb-
haft, daß in ſolchen Fällen der Schiedsſpruch von Obmännern eingeholt
werden ſolle. Streckfuß aber betrachtete den Stadtrath nur als den
Diener der Bürgerſchaft und erkannte die Gefahr, daß ſich aus den be-
ſoldeten Berufsbeamten der Magiſtrate eine neue Communal-Bureaukratie
herausbilde. In dieſen Kreiſen, ſo erklärten die hohen Beamten der
Commiſſion mit ſeltener Unbefangenheit, entſtehe leicht „der Beamtengeiſt,
der nur zu oft theils zu gänzlicher Schlaffheit, theils zur Aufopferung
des Weſens um der Form, der Sache um des Amtes willen verleite“.
Darum beantragten ſie, daß der Magiſtrat der Regel nach nur die Be-
ſchlüſſe der Stadtverordneten auszuführen habe und lediglich bei Anleihen,
bei Veräußerung der Gemeindegüter ſowie bei ungeſetzlichen Zumuthungen
ſeine Beiſtimmung verweigern dürfe. Der Antrag ſchoß weit über das
Ziel hinaus, und vergeblich warnte Geh. Rath Köhler: das heiße die
Magiſtrate jeder Kraft berauben, die Gemeinden demokratiſiren. *) Von
*) Köhler, Separatvotum zur Städteordnung.
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