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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Opposition im Staatsrathe.
werde, ob sich die Steuererhöhung nicht durch Ersparnisse vermeiden lasse.
Wie diese Ersparnisse möglich werden sollten, das wußte er freilich nicht
einmal anzudeuten. Die ungewohnte Lebhaftigkeit des sanftmüthigen Theo-
logen bewies genugsam, daß seine Pfeile sich nicht gegen die Steuergesetze,
sondern gegen den Staatskanzler selber richteten. Eine verständige Ent-
gegnung des Finanzministers verfehlte ihren Zweck, da Klewiz im Eifer
der Rede die ganz unhaltbare Behauptung aufstellte, das Budget sei jetzt
nicht höher als im Jahre 1803.*) Der ängstliche Altenstein, der den
Vorsitz führte, wußte sich endlich nur dadurch zu helfen, daß er den An-
trag Ancillon's als unzulässig zurückwies. Gegen diese Erklärung ließ
sich rechtlich nichts einwenden; denn der Etat war nach dem alten Staats-
rechte kein Gesetz, sondern ein Voranschlag der Finanzverwaltung, und der
Staatsrath mithin nicht befugt, dessen Abänderung zu beantragen. Aber
welch eine widerwärtige Zumuthung an seine Mitglieder, daß sie den
Etat als eine gegebene Größe hinnehmen sollten, während doch mehrere
von ihnen hofften, nach Verminderung des Budgets könne die Erhöhung
der Abgaben vielleicht überflüssig werden. Die Versammlung vermochte
ihren Unmuth nicht zu verhehlen; der Antrag Ancillon's ward vor den
Sitzungen in erregter Unterhaltung besprochen, und da das Amtsgeheimniß
wieder schlecht gewahrt wurde, so erzählten sich bald alle bösen Zungen
Berlins, wie jämmerlich die verschwenderische Verwaltung vor dem Rich-
terstuhle des Staatsraths bestehe.

Dem Staatskanzler aber gingen endlich die Augen auf: das also
war der treue Freund, den er vor fünf Monaten gegen Humboldt zu
Hilfe gerufen hatte! Er glaubte zu wissen, daß Ancillon die Prinzen zu
einer Kabale verleite, und sendete am 27. April, mit Genehmigung des
Königs**), dem Präsidenten des Staatsraths ein Schreiben, das dem
salbungsvollen Gegner die ganze Ueberlegenheit des praktischen Staats-
mannes zu fühlen gab. Ironisch wies er auf Ancillon's erbauliche Ge-
meinplätze hin: wohl sei es leicht ausgesprochen: "man muß nicht mehr
ausgeben als man einnimmt, Geben ist seliger als Nehmen." Aber Preu-
ßens Schuldenlast rühre her von den großen Unglücksfällen seit 1806
und von dem rühmlichen Kampfe um die Freiheit. Jetzt gelte es den
Verpflichtungen des Staates vollständig zu genügen und außer den lau-
fenden auch die außerordentlichen Ausgaben, welche die Wiederherstellung
der Monarchie erheische, zu decken. Nach dem neuen Abstrich von 5 Mill.
sei eine weitere Herabsetzung des Etats unmöglich. "Es liegt in der That
ein höchst ungerechter Tadel der Verwaltung darin, wenn man den Satz:
"keine Auflagen, Ersparen, mit den Einnahmen auskommen!" im ver-
sammelten Staatsrath ohne gründliche Sachkenntniß ausspricht und Be-

*) Protokolle des Staatsraths, 20. April; Hardenberg's Tagebuch, 20. April 1820.
**) Hardenberg's Tagebuch, 27. April 1820.

Die Oppoſition im Staatsrathe.
werde, ob ſich die Steuererhöhung nicht durch Erſparniſſe vermeiden laſſe.
Wie dieſe Erſparniſſe möglich werden ſollten, das wußte er freilich nicht
einmal anzudeuten. Die ungewohnte Lebhaftigkeit des ſanftmüthigen Theo-
logen bewies genugſam, daß ſeine Pfeile ſich nicht gegen die Steuergeſetze,
ſondern gegen den Staatskanzler ſelber richteten. Eine verſtändige Ent-
gegnung des Finanzminiſters verfehlte ihren Zweck, da Klewiz im Eifer
der Rede die ganz unhaltbare Behauptung aufſtellte, das Budget ſei jetzt
nicht höher als im Jahre 1803.*) Der ängſtliche Altenſtein, der den
Vorſitz führte, wußte ſich endlich nur dadurch zu helfen, daß er den An-
trag Ancillon’s als unzuläſſig zurückwies. Gegen dieſe Erklärung ließ
ſich rechtlich nichts einwenden; denn der Etat war nach dem alten Staats-
rechte kein Geſetz, ſondern ein Voranſchlag der Finanzverwaltung, und der
Staatsrath mithin nicht befugt, deſſen Abänderung zu beantragen. Aber
welch eine widerwärtige Zumuthung an ſeine Mitglieder, daß ſie den
Etat als eine gegebene Größe hinnehmen ſollten, während doch mehrere
von ihnen hofften, nach Verminderung des Budgets könne die Erhöhung
der Abgaben vielleicht überflüſſig werden. Die Verſammlung vermochte
ihren Unmuth nicht zu verhehlen; der Antrag Ancillon’s ward vor den
Sitzungen in erregter Unterhaltung beſprochen, und da das Amtsgeheimniß
wieder ſchlecht gewahrt wurde, ſo erzählten ſich bald alle böſen Zungen
Berlins, wie jämmerlich die verſchwenderiſche Verwaltung vor dem Rich-
terſtuhle des Staatsraths beſtehe.

Dem Staatskanzler aber gingen endlich die Augen auf: das alſo
war der treue Freund, den er vor fünf Monaten gegen Humboldt zu
Hilfe gerufen hatte! Er glaubte zu wiſſen, daß Ancillon die Prinzen zu
einer Kabale verleite, und ſendete am 27. April, mit Genehmigung des
Königs**), dem Präſidenten des Staatsraths ein Schreiben, das dem
ſalbungsvollen Gegner die ganze Ueberlegenheit des praktiſchen Staats-
mannes zu fühlen gab. Ironiſch wies er auf Ancillon’s erbauliche Ge-
meinplätze hin: wohl ſei es leicht ausgeſprochen: „man muß nicht mehr
ausgeben als man einnimmt, Geben iſt ſeliger als Nehmen.“ Aber Preu-
ßens Schuldenlaſt rühre her von den großen Unglücksfällen ſeit 1806
und von dem rühmlichen Kampfe um die Freiheit. Jetzt gelte es den
Verpflichtungen des Staates vollſtändig zu genügen und außer den lau-
fenden auch die außerordentlichen Ausgaben, welche die Wiederherſtellung
der Monarchie erheiſche, zu decken. Nach dem neuen Abſtrich von 5 Mill.
ſei eine weitere Herabſetzung des Etats unmöglich. „Es liegt in der That
ein höchſt ungerechter Tadel der Verwaltung darin, wenn man den Satz:
„keine Auflagen, Erſparen, mit den Einnahmen auskommen!“ im ver-
ſammelten Staatsrath ohne gründliche Sachkenntniß ausſpricht und Be-

*) Protokolle des Staatsraths, 20. April; Hardenberg’s Tagebuch, 20. April 1820.
**) Hardenberg’s Tagebuch, 27. April 1820.
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[91/0107] Die Oppoſition im Staatsrathe. werde, ob ſich die Steuererhöhung nicht durch Erſparniſſe vermeiden laſſe. Wie dieſe Erſparniſſe möglich werden ſollten, das wußte er freilich nicht einmal anzudeuten. Die ungewohnte Lebhaftigkeit des ſanftmüthigen Theo- logen bewies genugſam, daß ſeine Pfeile ſich nicht gegen die Steuergeſetze, ſondern gegen den Staatskanzler ſelber richteten. Eine verſtändige Ent- gegnung des Finanzminiſters verfehlte ihren Zweck, da Klewiz im Eifer der Rede die ganz unhaltbare Behauptung aufſtellte, das Budget ſei jetzt nicht höher als im Jahre 1803. *) Der ängſtliche Altenſtein, der den Vorſitz führte, wußte ſich endlich nur dadurch zu helfen, daß er den An- trag Ancillon’s als unzuläſſig zurückwies. Gegen dieſe Erklärung ließ ſich rechtlich nichts einwenden; denn der Etat war nach dem alten Staats- rechte kein Geſetz, ſondern ein Voranſchlag der Finanzverwaltung, und der Staatsrath mithin nicht befugt, deſſen Abänderung zu beantragen. Aber welch eine widerwärtige Zumuthung an ſeine Mitglieder, daß ſie den Etat als eine gegebene Größe hinnehmen ſollten, während doch mehrere von ihnen hofften, nach Verminderung des Budgets könne die Erhöhung der Abgaben vielleicht überflüſſig werden. Die Verſammlung vermochte ihren Unmuth nicht zu verhehlen; der Antrag Ancillon’s ward vor den Sitzungen in erregter Unterhaltung beſprochen, und da das Amtsgeheimniß wieder ſchlecht gewahrt wurde, ſo erzählten ſich bald alle böſen Zungen Berlins, wie jämmerlich die verſchwenderiſche Verwaltung vor dem Rich- terſtuhle des Staatsraths beſtehe. Dem Staatskanzler aber gingen endlich die Augen auf: das alſo war der treue Freund, den er vor fünf Monaten gegen Humboldt zu Hilfe gerufen hatte! Er glaubte zu wiſſen, daß Ancillon die Prinzen zu einer Kabale verleite, und ſendete am 27. April, mit Genehmigung des Königs **), dem Präſidenten des Staatsraths ein Schreiben, das dem ſalbungsvollen Gegner die ganze Ueberlegenheit des praktiſchen Staats- mannes zu fühlen gab. Ironiſch wies er auf Ancillon’s erbauliche Ge- meinplätze hin: wohl ſei es leicht ausgeſprochen: „man muß nicht mehr ausgeben als man einnimmt, Geben iſt ſeliger als Nehmen.“ Aber Preu- ßens Schuldenlaſt rühre her von den großen Unglücksfällen ſeit 1806 und von dem rühmlichen Kampfe um die Freiheit. Jetzt gelte es den Verpflichtungen des Staates vollſtändig zu genügen und außer den lau- fenden auch die außerordentlichen Ausgaben, welche die Wiederherſtellung der Monarchie erheiſche, zu decken. Nach dem neuen Abſtrich von 5 Mill. ſei eine weitere Herabſetzung des Etats unmöglich. „Es liegt in der That ein höchſt ungerechter Tadel der Verwaltung darin, wenn man den Satz: „keine Auflagen, Erſparen, mit den Einnahmen auskommen!“ im ver- ſammelten Staatsrath ohne gründliche Sachkenntniß ausſpricht und Be- *) Protokolle des Staatsraths, 20. April; Hardenberg’s Tagebuch, 20. April 1820. **) Hardenberg’s Tagebuch, 27. April 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/107>, abgerufen am 28.04.2024.