Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Naturphilosophische Träume. Traumleben. Den alternden preußischen Staatskanzler lockte der gewandtejüdische Arzt Koreff in die Netze des Mesmerismus, aber auch Wangen- heim, der Führer der Liberalen am Bundestage, stand unter den Hohen- priestern der Naturphilosophie. Doch überwog der Rationalismus in der liberalen Welt; die Mehrzahl seiner Jünger fand der Wunderglaube in den Reihen der conservativen Parteien. Auch in Frankreich zählten die beiden eifrigsten Apostel des Somnambulismus, Bergasse und Puysegur zu den Heißspornen der Legitimität. Die akademischen Lehrkörper konnten das Mißtrauen gegen die phantastische Willkür der Naturphilosophen nie- mals ganz überwinden; die Berliner Universität weigerte sich hartnäckig den geistreichen Schwärmer Steffens zu berufen, und zum ersten male entbrannte ein ernster Streit zwischen der Staatsgewalt und der jungen Hochschule, als Hardenberg durch ein Machtgebot seine Günstlinge Koreff und Wohlfart zu ordentlichen Professoren ernannte. Ganz unbekümmert um den Beifall der großen Welt ging indessen Heinrich Schubert seinen bescheidenen Gang, der liebenswürdigste und harmloseste der philosophischen Naturforscher, altväterisch fromm wie es daheim im Pfarrhause des Erzge- birges der Brauch war, ein ehrwürdiges Vorbild christlicher Liebe und Duldsamkeit; wenn er in seiner sinnigen gemüthvollen Weise von der Symbolik des Traumes und den Nachtseiten der Naturwissenschaft sprach, dann erbauten sich die Stillen im Lande. Wie ein Berggipfel ragte aus dem Nebelmeere der romantischen Na- Naturphiloſophiſche Träume. Traumleben. Den alternden preußiſchen Staatskanzler lockte der gewandtejüdiſche Arzt Koreff in die Netze des Mesmerismus, aber auch Wangen- heim, der Führer der Liberalen am Bundestage, ſtand unter den Hohen- prieſtern der Naturphiloſophie. Doch überwog der Rationalismus in der liberalen Welt; die Mehrzahl ſeiner Jünger fand der Wunderglaube in den Reihen der conſervativen Parteien. Auch in Frankreich zählten die beiden eifrigſten Apoſtel des Somnambulismus, Bergaſſe und Puyſegur zu den Heißſpornen der Legitimität. Die akademiſchen Lehrkörper konnten das Mißtrauen gegen die phantaſtiſche Willkür der Naturphiloſophen nie- mals ganz überwinden; die Berliner Univerſität weigerte ſich hartnäckig den geiſtreichen Schwärmer Steffens zu berufen, und zum erſten male entbrannte ein ernſter Streit zwiſchen der Staatsgewalt und der jungen Hochſchule, als Hardenberg durch ein Machtgebot ſeine Günſtlinge Koreff und Wohlfart zu ordentlichen Profeſſoren ernannte. Ganz unbekümmert um den Beifall der großen Welt ging indeſſen Heinrich Schubert ſeinen beſcheidenen Gang, der liebenswürdigſte und harmloſeſte der philoſophiſchen Naturforſcher, altväteriſch fromm wie es daheim im Pfarrhauſe des Erzge- birges der Brauch war, ein ehrwürdiges Vorbild chriſtlicher Liebe und Duldſamkeit; wenn er in ſeiner ſinnigen gemüthvollen Weiſe von der Symbolik des Traumes und den Nachtſeiten der Naturwiſſenſchaft ſprach, dann erbauten ſich die Stillen im Lande. 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Seitdem hatten die Deutſchen längſt<lb/> erfahren, welche Macht der Phantaſie in dieſem Genius des empiriſchen<lb/> Wiſſens lebte; ſie vermaß ſich freilich nicht, den Gang der Forſchung mei-<lb/> ſternd vorherzubeſtimmen, aber ſie verband die tauſend und tauſend ſorgſam<lb/> erforſchten Einzelheiten zur lebendigen Einheit, und mit brüderlichem Stolze<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [79/0093]
Naturphiloſophiſche Träume.
Traumleben. Den alternden preußiſchen Staatskanzler lockte der gewandte
jüdiſche Arzt Koreff in die Netze des Mesmerismus, aber auch Wangen-
heim, der Führer der Liberalen am Bundestage, ſtand unter den Hohen-
prieſtern der Naturphiloſophie. Doch überwog der Rationalismus in der
liberalen Welt; die Mehrzahl ſeiner Jünger fand der Wunderglaube
in den Reihen der conſervativen Parteien. Auch in Frankreich zählten die
beiden eifrigſten Apoſtel des Somnambulismus, Bergaſſe und Puyſegur
zu den Heißſpornen der Legitimität. Die akademiſchen Lehrkörper konnten
das Mißtrauen gegen die phantaſtiſche Willkür der Naturphiloſophen nie-
mals ganz überwinden; die Berliner Univerſität weigerte ſich hartnäckig
den geiſtreichen Schwärmer Steffens zu berufen, und zum erſten male
entbrannte ein ernſter Streit zwiſchen der Staatsgewalt und der jungen
Hochſchule, als Hardenberg durch ein Machtgebot ſeine Günſtlinge Koreff
und Wohlfart zu ordentlichen Profeſſoren ernannte. Ganz unbekümmert
um den Beifall der großen Welt ging indeſſen Heinrich Schubert ſeinen
beſcheidenen Gang, der liebenswürdigſte und harmloſeſte der philoſophiſchen
Naturforſcher, altväteriſch fromm wie es daheim im Pfarrhauſe des Erzge-
birges der Brauch war, ein ehrwürdiges Vorbild chriſtlicher Liebe und
Duldſamkeit; wenn er in ſeiner ſinnigen gemüthvollen Weiſe von der
Symbolik des Traumes und den Nachtſeiten der Naturwiſſenſchaft ſprach,
dann erbauten ſich die Stillen im Lande.
Wie ein Berggipfel ragte aus dem Nebelmeere der romantiſchen Na-
turwiſſenſchaft Alexander v. Humboldt empor; ihn beſtrahlte ſchon die
Sonne eines neuen Tages. Bereits in ſeinen Jugendjahren war er, der
Zeit weit vorauseilend, ganz aus eigener Kraft von der äſthetiſchen zur
wiſſenſchaftlichen Weltanſchauung vorgeſchritten. Die treue Sorgfalt der
induktiven Forſchung, die der Naturwiſſenſchaft ganz abhanden gekommen
war und den Hiſtorikern erſt durch Savigny und Niebuhr wieder ge-
wonnen wurde, lag dieſem Manne im Blute. Sein Drang nach objek-
tiver Erkenntniß ließ von jeher ſchlechterdings nur die Thatſachen gelten,
ſchied das Erwieſene ſtreng von dem Vermutheten ab, und nichts verletzte
ihn tiefer als jener Dünkel der Speculation, der niemals ſeine Unkenntniß
eingeſtehen, niemals beſcheiden eine Erſcheinung unerklärt laſſen wollte.
Darum erſchien er in den Kreiſen der äſthetiſchen Idealiſten, wo man die
Wirklichkeit als eine läſtige Schranke des freien Geiſtes verachtete, zuerſt wie
ein Fremdling aus einer anderen Welt. Schiller hielt den Bruder ſeines
geliebten Wilhelm für einen ideenloſen Sammler und klagte: dieſer nackte,
ſchneidende, von der Einbildungskraft ganz verlaſſene Verſtand wolle die
Natur ſchamlos ausgemeſſen haben. Seitdem hatten die Deutſchen längſt
erfahren, welche Macht der Phantaſie in dieſem Genius des empiriſchen
Wiſſens lebte; ſie vermaß ſich freilich nicht, den Gang der Forſchung mei-
ſternd vorherzubeſtimmen, aber ſie verband die tauſend und tauſend ſorgſam
erforſchten Einzelheiten zur lebendigen Einheit, und mit brüderlichem Stolze
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