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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Gemüths also zu verklären, daß selbst die Italiener ihn endlich wie einen
neuen Fra Angelico ehrten und dem frommen Convertiten noch die Freude
ward das Bethaus des heiligen Franciscus in der Portiuncula-Kirche zu
Assisi mit seinen ernsten Bildern zu schmücken. -- Wie Berlin so sollte
auch München seine große Gemäldegalerie erhalten. Die Boissereesche
Sammlung, die den Preußen zu theuer gewesen, wurde nach Jahren
endlich für Baiern erworben. Ihre Hauptwerke bildeten mit denen der
Düsseldorfer Galerie, die man während der Revolutionskriege widerrecht-
lich dem bergischen Lande entfremdet hatte, den Stamm für die Mün-
chener Pinakothek.

Dergestalt war binnen weniger Jahre ein vielgestaltiges neues Leben
in der bildenden Kunst erwacht, und nach und nach begannen fast alle
deutschen Höfe diese jungen Kräfte sorgsam zu pflegen; man fühlte sich
verpflichtet die Nation für ihre so bitterlich getäuschten politischen Hoff-
nungen irgendwie zu entschädigen. Auch die ehrwürdigen Ueberreste alt-
heimischer Kunst, die unter dem Aufklärungswahne des vergangenen Jahr-
hunderts so schwer hatten leiden müssen, fanden jetzt allenthalben treue
Beschützer, und es galt schon als ein unerhörtes Zeichen vandalischer
Roheit, daß die Stadt Goslar ihren Dom, den erinnerungsreichsten der
Sachsenlande, noch im Jahre 1820 abtragen ließ. --

Keine andere Kunst aber hat in der Epoche der deutschen Romantik
so reife und durchweg gesunde Früchte gezeitigt wie die Musik. Sie stand
dem deutschen Genius von jeher am nächsten; in ihr bethätigte sich der
Formensinn der Germanen immer mit naiver Ursprünglichkeit, ganz un-
getrübt durch jene leidige Kritik, die ihn sonst so oft im freien Schaffen
störte. Sie blieb den Deutschen treu auch als unser geistiges Leben fast
erstorben schien; selbst das öde Jahrhundert, das dem Westphälischen Frie-
den voranging, erhob sich das Herz an den seelenvollen Klängen des
lutherischen Kirchenlieds. Nachher, in einer Zeit da die neue Bildung
der Nation kaum im Entstehen war, schufen Händel und Bach ihre classi-
schen Werke, bis endlich während der Blüthezeit unserer Dichtung die
deutsche Musik durch Gluck, Haydn, Mozart zu einer Höhe emporge-
hoben wurde, die kein anderes Volk je erreicht hat. Dem vielseitigsten
der Dichter trat der vielseitigste aller Tonsetzer an die Seite. Beide dank-
ten der geheimnißvollen Kraft der unmittelbaren Eingebung eine wunder-
bare Leichtigkeit des Schaffens; aber wie viel einfacher und natürlicher war
Mozarts Loos! Er schuf für eine Hörerschaft, die ihm mit dankbarer
Empfänglichkeit folgte, und lebte in traulichem Verkehre mit den Sängern
und Musikern, denen er seine Rollen auf den Leib schrieb. So ward
jedes seiner Werke ein abgerundetes Ganzes; alle die fragmentarischen
Versuche und halben Anläufe, welche Goethe in seiner Einsamkeit nicht
vermeiden konnte, blieben ihm erspart. Die Musik vereinigte, mehr noch
als die Literatur, Alles was deutschen Blutes war zu gemeinsamer Freude;

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Gemüths alſo zu verklären, daß ſelbſt die Italiener ihn endlich wie einen
neuen Fra Angelico ehrten und dem frommen Convertiten noch die Freude
ward das Bethaus des heiligen Franciscus in der Portiuncula-Kirche zu
Aſſiſi mit ſeinen ernſten Bildern zu ſchmücken. — Wie Berlin ſo ſollte
auch München ſeine große Gemäldegalerie erhalten. Die Boiſſereeſche
Sammlung, die den Preußen zu theuer geweſen, wurde nach Jahren
endlich für Baiern erworben. Ihre Hauptwerke bildeten mit denen der
Düſſeldorfer Galerie, die man während der Revolutionskriege widerrecht-
lich dem bergiſchen Lande entfremdet hatte, den Stamm für die Mün-
chener Pinakothek.

Dergeſtalt war binnen weniger Jahre ein vielgeſtaltiges neues Leben
in der bildenden Kunſt erwacht, und nach und nach begannen faſt alle
deutſchen Höfe dieſe jungen Kräfte ſorgſam zu pflegen; man fühlte ſich
verpflichtet die Nation für ihre ſo bitterlich getäuſchten politiſchen Hoff-
nungen irgendwie zu entſchädigen. Auch die ehrwürdigen Ueberreſte alt-
heimiſcher Kunſt, die unter dem Aufklärungswahne des vergangenen Jahr-
hunderts ſo ſchwer hatten leiden müſſen, fanden jetzt allenthalben treue
Beſchützer, und es galt ſchon als ein unerhörtes Zeichen vandaliſcher
Roheit, daß die Stadt Goslar ihren Dom, den erinnerungsreichſten der
Sachſenlande, noch im Jahre 1820 abtragen ließ. —

Keine andere Kunſt aber hat in der Epoche der deutſchen Romantik
ſo reife und durchweg geſunde Früchte gezeitigt wie die Muſik. Sie ſtand
dem deutſchen Genius von jeher am nächſten; in ihr bethätigte ſich der
Formenſinn der Germanen immer mit naiver Urſprünglichkeit, ganz un-
getrübt durch jene leidige Kritik, die ihn ſonſt ſo oft im freien Schaffen
ſtörte. Sie blieb den Deutſchen treu auch als unſer geiſtiges Leben faſt
erſtorben ſchien; ſelbſt das öde Jahrhundert, das dem Weſtphäliſchen Frie-
den voranging, erhob ſich das Herz an den ſeelenvollen Klängen des
lutheriſchen Kirchenlieds. Nachher, in einer Zeit da die neue Bildung
der Nation kaum im Entſtehen war, ſchufen Händel und Bach ihre claſſi-
ſchen Werke, bis endlich während der Blüthezeit unſerer Dichtung die
deutſche Muſik durch Gluck, Haydn, Mozart zu einer Höhe emporge-
hoben wurde, die kein anderes Volk je erreicht hat. Dem vielſeitigſten
der Dichter trat der vielſeitigſte aller Tonſetzer an die Seite. Beide dank-
ten der geheimnißvollen Kraft der unmittelbaren Eingebung eine wunder-
bare Leichtigkeit des Schaffens; aber wie viel einfacher und natürlicher war
Mozarts Loos! Er ſchuf für eine Hörerſchaft, die ihm mit dankbarer
Empfänglichkeit folgte, und lebte in traulichem Verkehre mit den Sängern
und Muſikern, denen er ſeine Rollen auf den Leib ſchrieb. So ward
jedes ſeiner Werke ein abgerundetes Ganzes; alle die fragmentariſchen
Verſuche und halben Anläufe, welche Goethe in ſeiner Einſamkeit nicht
vermeiden konnte, blieben ihm erſpart. Die Muſik vereinigte, mehr noch
als die Literatur, Alles was deutſchen Blutes war zu gemeinſamer Freude;

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[54/0068] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. Gemüths alſo zu verklären, daß ſelbſt die Italiener ihn endlich wie einen neuen Fra Angelico ehrten und dem frommen Convertiten noch die Freude ward das Bethaus des heiligen Franciscus in der Portiuncula-Kirche zu Aſſiſi mit ſeinen ernſten Bildern zu ſchmücken. — Wie Berlin ſo ſollte auch München ſeine große Gemäldegalerie erhalten. Die Boiſſereeſche Sammlung, die den Preußen zu theuer geweſen, wurde nach Jahren endlich für Baiern erworben. Ihre Hauptwerke bildeten mit denen der Düſſeldorfer Galerie, die man während der Revolutionskriege widerrecht- lich dem bergiſchen Lande entfremdet hatte, den Stamm für die Mün- chener Pinakothek. Dergeſtalt war binnen weniger Jahre ein vielgeſtaltiges neues Leben in der bildenden Kunſt erwacht, und nach und nach begannen faſt alle deutſchen Höfe dieſe jungen Kräfte ſorgſam zu pflegen; man fühlte ſich verpflichtet die Nation für ihre ſo bitterlich getäuſchten politiſchen Hoff- nungen irgendwie zu entſchädigen. Auch die ehrwürdigen Ueberreſte alt- heimiſcher Kunſt, die unter dem Aufklärungswahne des vergangenen Jahr- hunderts ſo ſchwer hatten leiden müſſen, fanden jetzt allenthalben treue Beſchützer, und es galt ſchon als ein unerhörtes Zeichen vandaliſcher Roheit, daß die Stadt Goslar ihren Dom, den erinnerungsreichſten der Sachſenlande, noch im Jahre 1820 abtragen ließ. — Keine andere Kunſt aber hat in der Epoche der deutſchen Romantik ſo reife und durchweg geſunde Früchte gezeitigt wie die Muſik. Sie ſtand dem deutſchen Genius von jeher am nächſten; in ihr bethätigte ſich der Formenſinn der Germanen immer mit naiver Urſprünglichkeit, ganz un- getrübt durch jene leidige Kritik, die ihn ſonſt ſo oft im freien Schaffen ſtörte. Sie blieb den Deutſchen treu auch als unſer geiſtiges Leben faſt erſtorben ſchien; ſelbſt das öde Jahrhundert, das dem Weſtphäliſchen Frie- den voranging, erhob ſich das Herz an den ſeelenvollen Klängen des lutheriſchen Kirchenlieds. Nachher, in einer Zeit da die neue Bildung der Nation kaum im Entſtehen war, ſchufen Händel und Bach ihre claſſi- ſchen Werke, bis endlich während der Blüthezeit unſerer Dichtung die deutſche Muſik durch Gluck, Haydn, Mozart zu einer Höhe emporge- hoben wurde, die kein anderes Volk je erreicht hat. Dem vielſeitigſten der Dichter trat der vielſeitigſte aller Tonſetzer an die Seite. Beide dank- ten der geheimnißvollen Kraft der unmittelbaren Eingebung eine wunder- bare Leichtigkeit des Schaffens; aber wie viel einfacher und natürlicher war Mozarts Loos! Er ſchuf für eine Hörerſchaft, die ihm mit dankbarer Empfänglichkeit folgte, und lebte in traulichem Verkehre mit den Sängern und Muſikern, denen er ſeine Rollen auf den Leib ſchrieb. So ward jedes ſeiner Werke ein abgerundetes Ganzes; alle die fragmentariſchen Verſuche und halben Anläufe, welche Goethe in ſeiner Einſamkeit nicht vermeiden konnte, blieben ihm erſpart. Die Muſik vereinigte, mehr noch als die Literatur, Alles was deutſchen Blutes war zu gemeinſamer Freude;

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/68>, abgerufen am 28.04.2024.