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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Kronprinz Ludwig. Cornelius.
Künstler genossen einer königlichen Freigebigkeit, welche von der preußischen
Sparsamkeit glänzend abstach, doch sie fühlten sich in der Fremde und
hatten noch lange unter dem Mißtrauen der einheimischen Bevölkerung
zu leiden; über Allem schaltete der launische, unberechenbare Wille Eines
Mannes, der in ungeduldiger Hast von Entwurf zu Entwurf hinüber-
sprang und was er bezahlte ganz unbefangen als sein eignes Werk be-
trachtete. Der friedliche Wettkampf der beiden Städte beförderte die viel-
seitige Entwicklung unserer Kunst. Er führte zuletzt zu dem natürlichen
Ergebniß, daß die wesentlich monumentalen Künste der Architektur und
Bildhauerei auf dem historischen Boden Berlins ihre größten Erfolge er-
rangen, während die freiere, von der Gunst der Umgebung minder ab-
hängige Malerei in München ihre Heimath fand.

Kronprinz Ludwig hatte schon seit Jahren Ausgrabungen in Grie-
chenland veranstaltet, dann in Italien zusammengebracht was von den
besten Werken der antiken Bildhauerkunst nur irgend aufzukaufen war, und
ließ nun für diese Sculpturensammlung, die schönste diesseits der Alpen,
draußen vor den Thoren des alten Münchens durch Klenze einen würdigen
Tempel errichten, die Glyptothek, ganz aus edlem Marmor, mit der ge-
diegenen Pracht südländischer Bauten. Das Gebäude selbst reichte an die
geniale Eigenthümlichkeit der Werke Schinkels nicht heran, jedoch an den
Wänden und Decken der prächtigen Säle offenbarte Cornelius zum ersten
male den ganzen Umfang seiner Begabung. Hier schuf er, als ein Epiker
in Farben, den ersten jener großen Gemälde-Cyklen, in denen der Ideen-
reichthum seines rastlos erfindenden Geistes allein den angemessenen Raum
fand: die grandiosen Bilder aus der hellenischen Sagenwelt. Die Masse
der Münchener spottete über das verrückte Kronprinzenhaus, sie wußte
nichts anzufangen mit der tiefsinnigen Symbolik dieser Gedankenmalerei,
die ihre Werke meist schon im Carton vollendete und auf den Reiz der
Farbe fast gänzlich verzichtete. Ernstere Naturen bewunderten, wie der
verwegene Idealist die keusche Hoheit der Antike so getreu wiedergab
und doch zugleich eine den Alten unfaßbare Macht der Leidenschaft aus
seinen Gemälden sprach; denn niemals hatte ein Künstler des Alterthums
eine so ganz von Seelenschmerz zerwühlte Gestalt geschaffen wie diese
trauernde Hecuba. Die christlich-germanischen Heißsporne des römischen
Künstlerkreises bemerkten mit Entsetzen, daß ihr erster Mann sich den ge-
haßten Heiden Winckelmann und Goethe wieder näherte und die von Berlin
ausgehende neuclassische Richtung überall den Sieg davon trug. Die einst
so fruchtbare Schule von S. Isidoro ging allmählich auseinander; ihre
Genossen kehrten heim, die Meisten widmeten sich einer streng kirchlichen
Kunst, die nur in Anachronismen lebte. Von den Namhaften hielt nur
Overbeck am Tiber aus, ein treuer Bekenner der alten nazarenischen
Grundsätze. Er aber wußte die enge Welt von christlichen Gestalten, die
ihm die einzige war, durch den Tiefsinn und die Wärme seines gläubigen

Kronprinz Ludwig. Cornelius.
Künſtler genoſſen einer königlichen Freigebigkeit, welche von der preußiſchen
Sparſamkeit glänzend abſtach, doch ſie fühlten ſich in der Fremde und
hatten noch lange unter dem Mißtrauen der einheimiſchen Bevölkerung
zu leiden; über Allem ſchaltete der launiſche, unberechenbare Wille Eines
Mannes, der in ungeduldiger Haſt von Entwurf zu Entwurf hinüber-
ſprang und was er bezahlte ganz unbefangen als ſein eignes Werk be-
trachtete. Der friedliche Wettkampf der beiden Städte beförderte die viel-
ſeitige Entwicklung unſerer Kunſt. Er führte zuletzt zu dem natürlichen
Ergebniß, daß die weſentlich monumentalen Künſte der Architektur und
Bildhauerei auf dem hiſtoriſchen Boden Berlins ihre größten Erfolge er-
rangen, während die freiere, von der Gunſt der Umgebung minder ab-
hängige Malerei in München ihre Heimath fand.

Kronprinz Ludwig hatte ſchon ſeit Jahren Ausgrabungen in Grie-
chenland veranſtaltet, dann in Italien zuſammengebracht was von den
beſten Werken der antiken Bildhauerkunſt nur irgend aufzukaufen war, und
ließ nun für dieſe Sculpturenſammlung, die ſchönſte dieſſeits der Alpen,
draußen vor den Thoren des alten Münchens durch Klenze einen würdigen
Tempel errichten, die Glyptothek, ganz aus edlem Marmor, mit der ge-
diegenen Pracht ſüdländiſcher Bauten. Das Gebäude ſelbſt reichte an die
geniale Eigenthümlichkeit der Werke Schinkels nicht heran, jedoch an den
Wänden und Decken der prächtigen Säle offenbarte Cornelius zum erſten
male den ganzen Umfang ſeiner Begabung. Hier ſchuf er, als ein Epiker
in Farben, den erſten jener großen Gemälde-Cyklen, in denen der Ideen-
reichthum ſeines raſtlos erfindenden Geiſtes allein den angemeſſenen Raum
fand: die grandioſen Bilder aus der helleniſchen Sagenwelt. Die Maſſe
der Münchener ſpottete über das verrückte Kronprinzenhaus, ſie wußte
nichts anzufangen mit der tiefſinnigen Symbolik dieſer Gedankenmalerei,
die ihre Werke meiſt ſchon im Carton vollendete und auf den Reiz der
Farbe faſt gänzlich verzichtete. Ernſtere Naturen bewunderten, wie der
verwegene Idealiſt die keuſche Hoheit der Antike ſo getreu wiedergab
und doch zugleich eine den Alten unfaßbare Macht der Leidenſchaft aus
ſeinen Gemälden ſprach; denn niemals hatte ein Künſtler des Alterthums
eine ſo ganz von Seelenſchmerz zerwühlte Geſtalt geſchaffen wie dieſe
trauernde Hecuba. Die chriſtlich-germaniſchen Heißſporne des römiſchen
Künſtlerkreiſes bemerkten mit Entſetzen, daß ihr erſter Mann ſich den ge-
haßten Heiden Winckelmann und Goethe wieder näherte und die von Berlin
ausgehende neuclaſſiſche Richtung überall den Sieg davon trug. Die einſt
ſo fruchtbare Schule von S. Iſidoro ging allmählich auseinander; ihre
Genoſſen kehrten heim, die Meiſten widmeten ſich einer ſtreng kirchlichen
Kunſt, die nur in Anachronismen lebte. Von den Namhaften hielt nur
Overbeck am Tiber aus, ein treuer Bekenner der alten nazareniſchen
Grundſätze. Er aber wußte die enge Welt von chriſtlichen Geſtalten, die
ihm die einzige war, durch den Tiefſinn und die Wärme ſeines gläubigen

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[53/0067] Kronprinz Ludwig. Cornelius. Künſtler genoſſen einer königlichen Freigebigkeit, welche von der preußiſchen Sparſamkeit glänzend abſtach, doch ſie fühlten ſich in der Fremde und hatten noch lange unter dem Mißtrauen der einheimiſchen Bevölkerung zu leiden; über Allem ſchaltete der launiſche, unberechenbare Wille Eines Mannes, der in ungeduldiger Haſt von Entwurf zu Entwurf hinüber- ſprang und was er bezahlte ganz unbefangen als ſein eignes Werk be- trachtete. Der friedliche Wettkampf der beiden Städte beförderte die viel- ſeitige Entwicklung unſerer Kunſt. Er führte zuletzt zu dem natürlichen Ergebniß, daß die weſentlich monumentalen Künſte der Architektur und Bildhauerei auf dem hiſtoriſchen Boden Berlins ihre größten Erfolge er- rangen, während die freiere, von der Gunſt der Umgebung minder ab- hängige Malerei in München ihre Heimath fand. Kronprinz Ludwig hatte ſchon ſeit Jahren Ausgrabungen in Grie- chenland veranſtaltet, dann in Italien zuſammengebracht was von den beſten Werken der antiken Bildhauerkunſt nur irgend aufzukaufen war, und ließ nun für dieſe Sculpturenſammlung, die ſchönſte dieſſeits der Alpen, draußen vor den Thoren des alten Münchens durch Klenze einen würdigen Tempel errichten, die Glyptothek, ganz aus edlem Marmor, mit der ge- diegenen Pracht ſüdländiſcher Bauten. Das Gebäude ſelbſt reichte an die geniale Eigenthümlichkeit der Werke Schinkels nicht heran, jedoch an den Wänden und Decken der prächtigen Säle offenbarte Cornelius zum erſten male den ganzen Umfang ſeiner Begabung. Hier ſchuf er, als ein Epiker in Farben, den erſten jener großen Gemälde-Cyklen, in denen der Ideen- reichthum ſeines raſtlos erfindenden Geiſtes allein den angemeſſenen Raum fand: die grandioſen Bilder aus der helleniſchen Sagenwelt. Die Maſſe der Münchener ſpottete über das verrückte Kronprinzenhaus, ſie wußte nichts anzufangen mit der tiefſinnigen Symbolik dieſer Gedankenmalerei, die ihre Werke meiſt ſchon im Carton vollendete und auf den Reiz der Farbe faſt gänzlich verzichtete. Ernſtere Naturen bewunderten, wie der verwegene Idealiſt die keuſche Hoheit der Antike ſo getreu wiedergab und doch zugleich eine den Alten unfaßbare Macht der Leidenſchaft aus ſeinen Gemälden ſprach; denn niemals hatte ein Künſtler des Alterthums eine ſo ganz von Seelenſchmerz zerwühlte Geſtalt geſchaffen wie dieſe trauernde Hecuba. Die chriſtlich-germaniſchen Heißſporne des römiſchen Künſtlerkreiſes bemerkten mit Entſetzen, daß ihr erſter Mann ſich den ge- haßten Heiden Winckelmann und Goethe wieder näherte und die von Berlin ausgehende neuclaſſiſche Richtung überall den Sieg davon trug. Die einſt ſo fruchtbare Schule von S. Iſidoro ging allmählich auseinander; ihre Genoſſen kehrten heim, die Meiſten widmeten ſich einer ſtreng kirchlichen Kunſt, die nur in Anachronismen lebte. Von den Namhaften hielt nur Overbeck am Tiber aus, ein treuer Bekenner der alten nazareniſchen Grundſätze. Er aber wußte die enge Welt von chriſtlichen Geſtalten, die ihm die einzige war, durch den Tiefſinn und die Wärme ſeines gläubigen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/67>, abgerufen am 23.11.2024.