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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
Sein ganzer Lebensgang hatte ihn vorbereitet auf die Rolle des friedlichen
Bändigers der Kleinstaaterei. Im Löwensteinischen Wertheim war er auf-
gewachsen, an der lieblichen Ecke des Mainthales und des Taubergrundes,
so recht im Herzen der verkommenen Staatenwelt des alten Reichs, und
sein tagelang blieb es ihm unvergeßlich, wie er dort noch den Boten des
Reichskammergerichts in seiner altfränkischen Tracht die Befehle von Kaiser
und Reich hatte vollstrecken sehen. Begeistert von den Thaten Friedrichs
war er dann gen Norden gegangen, um dem Staate seiner Wahl zu dienen,
und auch an ihm bewährte sich, daß Preußen die wärmste Liebe bei jenen
Deutschen findet, die sich dies Gefühl erst erarbeitet haben. Er mußte
in Cleve den Zusammenbruch der preußischen Herrschaft, dann in Hannover
1806 die fiscalischen Künste einer kleinlichen Annexionspolitik mit ansehen
und ward trotz alledem nicht irr an seinem Staate. Dann nahm er theil
an Schills abenteuerlichem Zuge und trat zu Berlin mit Stein und Gnei-
senau, mit Humboldt, Altenstein, Kircheisen in vertrauten Verkehr; sie Alle
ließen den unbekannten jungen Fremdling sofort als einen Ebenbürtigen
gelten. Ein Schüler Spittlers, gründlich und vielseitig gebildet, ward er
als erster Syndicus der Berliner Universität auch persönlich mit der ge-
lehrten Welt näher bekannt; mit Schleiermacher verband den tief religiösen
Mann eine treue Freundschaft, der großen Theologenfamilie der Sack ge-
hörte er durch seine Heirath an. Die Zeiten des Befreiungskrieges verlebte
er gehobenen Herzens erst als Offizier in Blüchers Stabe, dann als Mit-
glied von Steins Centralverwaltung; hier fand er reiche Gelegenheit den
kleinen deutschen Regierungen bis in das Innerste der Seele zu blicken.
Unerschüttert trug er die Begeisterung jener großen Jahre hinüber in die
stille Zeit des Friedens.

Als er in seinem vierzigsten Jahre die wichtige Stellung im Aus-
wärtigen Amte erhielt, da beseelte ihn die Hoffnung, eine solche Ver-
bindung, wie sie einst unter der Centralverwaltung nur zeitweilig, unfertig,
unbeliebt bestanden hatte, auf die Dauer zu begründen, die deutschen
Staaten durch die Bande des Rechts, des Vertrauens, des Interesses
für immer an die Krone Preußen anzuschließen. Dies galt ihm als die
Vollendung, als die Läuterung der Träume von 1813. Er erkannte in
dem Art. 19 der Bundesakte "die gutgemeinte Absicht der deutschen Für-
sten, daß unbeschadet ihrer Souveränität den deutschen Unterthanen die
Wohlthat eines gemeinsamen Vaterlandes gewährt werden müsse", und er
traute seinem Preußen die Kraft zu, die dem Bunde fehlte, diese Wohlthat
eines Vaterlandes den Deutschen zu spenden. Neben der schneidigen Kühn-
heit, die man oft an den großen Epochen unserer Geschichte bewundert
hat, übersieht man leicht jene kalte, zähe, ausdauernde Geduld, welche der
preußischen Staatskunst in den endlos langweiligen Händeln deutscher
Kleinstaaterei zur anderen Natur geworden war. Wohl keiner unserer
Staatsmänner hat diese altpreußische Tugend mit solcher Meisterschaft

II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe.
Sein ganzer Lebensgang hatte ihn vorbereitet auf die Rolle des friedlichen
Bändigers der Kleinſtaaterei. Im Löwenſteiniſchen Wertheim war er auf-
gewachſen, an der lieblichen Ecke des Mainthales und des Taubergrundes,
ſo recht im Herzen der verkommenen Staatenwelt des alten Reichs, und
ſein tagelang blieb es ihm unvergeßlich, wie er dort noch den Boten des
Reichskammergerichts in ſeiner altfränkiſchen Tracht die Befehle von Kaiſer
und Reich hatte vollſtrecken ſehen. Begeiſtert von den Thaten Friedrichs
war er dann gen Norden gegangen, um dem Staate ſeiner Wahl zu dienen,
und auch an ihm bewährte ſich, daß Preußen die wärmſte Liebe bei jenen
Deutſchen findet, die ſich dies Gefühl erſt erarbeitet haben. Er mußte
in Cleve den Zuſammenbruch der preußiſchen Herrſchaft, dann in Hannover
1806 die fiscaliſchen Künſte einer kleinlichen Annexionspolitik mit anſehen
und ward trotz alledem nicht irr an ſeinem Staate. Dann nahm er theil
an Schills abenteuerlichem Zuge und trat zu Berlin mit Stein und Gnei-
ſenau, mit Humboldt, Altenſtein, Kircheiſen in vertrauten Verkehr; ſie Alle
ließen den unbekannten jungen Fremdling ſofort als einen Ebenbürtigen
gelten. Ein Schüler Spittlers, gründlich und vielſeitig gebildet, ward er
als erſter Syndicus der Berliner Univerſität auch perſönlich mit der ge-
lehrten Welt näher bekannt; mit Schleiermacher verband den tief religiöſen
Mann eine treue Freundſchaft, der großen Theologenfamilie der Sack ge-
hörte er durch ſeine Heirath an. Die Zeiten des Befreiungskrieges verlebte
er gehobenen Herzens erſt als Offizier in Blüchers Stabe, dann als Mit-
glied von Steins Centralverwaltung; hier fand er reiche Gelegenheit den
kleinen deutſchen Regierungen bis in das Innerſte der Seele zu blicken.
Unerſchüttert trug er die Begeiſterung jener großen Jahre hinüber in die
ſtille Zeit des Friedens.

Als er in ſeinem vierzigſten Jahre die wichtige Stellung im Aus-
wärtigen Amte erhielt, da beſeelte ihn die Hoffnung, eine ſolche Ver-
bindung, wie ſie einſt unter der Centralverwaltung nur zeitweilig, unfertig,
unbeliebt beſtanden hatte, auf die Dauer zu begründen, die deutſchen
Staaten durch die Bande des Rechts, des Vertrauens, des Intereſſes
für immer an die Krone Preußen anzuſchließen. Dies galt ihm als die
Vollendung, als die Läuterung der Träume von 1813. Er erkannte in
dem Art. 19 der Bundesakte „die gutgemeinte Abſicht der deutſchen Für-
ſten, daß unbeſchadet ihrer Souveränität den deutſchen Unterthanen die
Wohlthat eines gemeinſamen Vaterlandes gewährt werden müſſe“, und er
traute ſeinem Preußen die Kraft zu, die dem Bunde fehlte, dieſe Wohlthat
eines Vaterlandes den Deutſchen zu ſpenden. Neben der ſchneidigen Kühn-
heit, die man oft an den großen Epochen unſerer Geſchichte bewundert
hat, überſieht man leicht jene kalte, zähe, ausdauernde Geduld, welche der
preußiſchen Staatskunſt in den endlos langweiligen Händeln deutſcher
Kleinſtaaterei zur anderen Natur geworden war. Wohl keiner unſerer
Staatsmänner hat dieſe altpreußiſche Tugend mit ſolcher Meiſterſchaft

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[618/0632] II. 10. Der Umſchwung am preußiſchen Hofe. Sein ganzer Lebensgang hatte ihn vorbereitet auf die Rolle des friedlichen Bändigers der Kleinſtaaterei. Im Löwenſteiniſchen Wertheim war er auf- gewachſen, an der lieblichen Ecke des Mainthales und des Taubergrundes, ſo recht im Herzen der verkommenen Staatenwelt des alten Reichs, und ſein tagelang blieb es ihm unvergeßlich, wie er dort noch den Boten des Reichskammergerichts in ſeiner altfränkiſchen Tracht die Befehle von Kaiſer und Reich hatte vollſtrecken ſehen. Begeiſtert von den Thaten Friedrichs war er dann gen Norden gegangen, um dem Staate ſeiner Wahl zu dienen, und auch an ihm bewährte ſich, daß Preußen die wärmſte Liebe bei jenen Deutſchen findet, die ſich dies Gefühl erſt erarbeitet haben. Er mußte in Cleve den Zuſammenbruch der preußiſchen Herrſchaft, dann in Hannover 1806 die fiscaliſchen Künſte einer kleinlichen Annexionspolitik mit anſehen und ward trotz alledem nicht irr an ſeinem Staate. Dann nahm er theil an Schills abenteuerlichem Zuge und trat zu Berlin mit Stein und Gnei- ſenau, mit Humboldt, Altenſtein, Kircheiſen in vertrauten Verkehr; ſie Alle ließen den unbekannten jungen Fremdling ſofort als einen Ebenbürtigen gelten. Ein Schüler Spittlers, gründlich und vielſeitig gebildet, ward er als erſter Syndicus der Berliner Univerſität auch perſönlich mit der ge- lehrten Welt näher bekannt; mit Schleiermacher verband den tief religiöſen Mann eine treue Freundſchaft, der großen Theologenfamilie der Sack ge- hörte er durch ſeine Heirath an. Die Zeiten des Befreiungskrieges verlebte er gehobenen Herzens erſt als Offizier in Blüchers Stabe, dann als Mit- glied von Steins Centralverwaltung; hier fand er reiche Gelegenheit den kleinen deutſchen Regierungen bis in das Innerſte der Seele zu blicken. Unerſchüttert trug er die Begeiſterung jener großen Jahre hinüber in die ſtille Zeit des Friedens. Als er in ſeinem vierzigſten Jahre die wichtige Stellung im Aus- wärtigen Amte erhielt, da beſeelte ihn die Hoffnung, eine ſolche Ver- bindung, wie ſie einſt unter der Centralverwaltung nur zeitweilig, unfertig, unbeliebt beſtanden hatte, auf die Dauer zu begründen, die deutſchen Staaten durch die Bande des Rechts, des Vertrauens, des Intereſſes für immer an die Krone Preußen anzuſchließen. Dies galt ihm als die Vollendung, als die Läuterung der Träume von 1813. Er erkannte in dem Art. 19 der Bundesakte „die gutgemeinte Abſicht der deutſchen Für- ſten, daß unbeſchadet ihrer Souveränität den deutſchen Unterthanen die Wohlthat eines gemeinſamen Vaterlandes gewährt werden müſſe“, und er traute ſeinem Preußen die Kraft zu, die dem Bunde fehlte, dieſe Wohlthat eines Vaterlandes den Deutſchen zu ſpenden. Neben der ſchneidigen Kühn- heit, die man oft an den großen Epochen unſerer Geſchichte bewundert hat, überſieht man leicht jene kalte, zähe, ausdauernde Geduld, welche der preußiſchen Staatskunſt in den endlos langweiligen Händeln deutſcher Kleinſtaaterei zur anderen Natur geworden war. Wohl keiner unſerer Staatsmänner hat dieſe altpreußiſche Tugend mit ſolcher Meiſterſchaft

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/632>, abgerufen am 22.11.2024.