übersah nicht minder, daß der beste Theil seiner Denkschrift lediglich als Wunsch aussprach, was Preußen durch die That schon vollzogen hatte. Ihm gebührt nur das große Verdienst, daß er, gleichzeitig mit den preußi- schen Staatsmännern und unabhängig von ihnen, für einige wichtige Fragen deutscher Handelspolitik die rechte Lösung erdachte; jedoch die ent- scheidende Frage: "Bundeszölle oder Anschluß an das preußische System?" wurde in Berlin richtig, von Nebenius falsch beantwortet. Nebenius kam der Wahrheit näher als List. Darf man diesen mit Görres vergleichen, so läßt sich von Jenem sagen, er habe von dem Zollvereine der Zukunft etwa so viel geahnt wie Paul Pfizer von dem heutigen deutschen Reiche.
Eine klare Vorstellung von dem Handelsbunde, der anderthalb Jahr- zehnte später ins Leben trat, hegte im Jahre 1819 noch Niemand. "Die Idee hatte sich noch gar nicht entwickelt", pflegte Eichhorn späterhin zu sagen. Der Aufzug des großen Gewebes war bereits ausgespannt. Es bestand das preußische Zollsystem, es bestand der ausgesprochene Wille Preußens, dies System zu erweitern und den deutschen Nachbarn ohne Kleinsinn reichlichen Antheil an den gemeinsamen Zolleinkünften zu ge- währen. Noch fehlte der Einschlag. Es fehlte der gute Wille der Nach- barstaaten; es fehlte hüben wie drüben ein deutlicher Begriff von den losen und lockeren bündischen Formen, welche allein einen dauernden Handels- bund zwischen eifersüchtigen souveränen Staaten -- dies noch niemals ge- wagte Unternehmen ermöglichen konnten. Jenen guten Willen hat nachher die Noth gezeitigt. Diese Verfassungs-Formen des Zollvereins sind nicht von Nebenius, noch von irgend einem Denker im Voraus ersonnen worden, da die Theorie solche Aufgaben niemals lösen kann; sie sind gefunden worden auf den Wegen praktischer Politik, durch Verhandlungen und ge- genseitige Zugeständnisse zwischen den deutschen Staaten. Der badische Denker schrieb als ein unverantwortlicher Privatmann, er durfte kühn sofort die Einheit des ganzen Vaterlandes ins Auge fassen. Er hat an diesem Ideale unverbrüchlich festgehalten, und weil er so hohen Flug nahm, verfiel er auf den unmöglichen Plan der Bundeszölle. Preußens Staats- männer hatten ein köstliches Gut zu hüten: die schwer errungene und noch immer hart bedrohte handelspolitische Einheit ihres Staates. Sie mußten sich von den Schwärmern bald des zaghaften Kleinsinns, bald des selbst- zufriedenen Dünkels zeihen lassen, und indem sie bedachtsam auf dem Be- stehenden fortbauten, erreichten sie das hohe Ziel. --
Zur rechten Stunde fanden die Urheber des preußischen Zollgesetzes einen mächtigen diplomatischen Bundesgenossen an dem neuen Referenten für die deutschen Angelegenheiten, J. A. F. Eichhorn, den sein Chef Graf Bernstorff auf dem Gebiete der Handelspolitik völlig frei schalten ließ. Unter den Helden der Arbeit, welche in müden Tagen die großen Ueber- lieferungen Preußens muthig aufrecht hielten, in friedlichem Schaffen den Grund legten für seine neue Größe, steht Eichhorn in vorderster Reihe.
Eichhorn.
überſah nicht minder, daß der beſte Theil ſeiner Denkſchrift lediglich als Wunſch ausſprach, was Preußen durch die That ſchon vollzogen hatte. Ihm gebührt nur das große Verdienſt, daß er, gleichzeitig mit den preußi- ſchen Staatsmännern und unabhängig von ihnen, für einige wichtige Fragen deutſcher Handelspolitik die rechte Löſung erdachte; jedoch die ent- ſcheidende Frage: „Bundeszölle oder Anſchluß an das preußiſche Syſtem?“ wurde in Berlin richtig, von Nebenius falſch beantwortet. Nebenius kam der Wahrheit näher als Liſt. Darf man dieſen mit Görres vergleichen, ſo läßt ſich von Jenem ſagen, er habe von dem Zollvereine der Zukunft etwa ſo viel geahnt wie Paul Pfizer von dem heutigen deutſchen Reiche.
Eine klare Vorſtellung von dem Handelsbunde, der anderthalb Jahr- zehnte ſpäter ins Leben trat, hegte im Jahre 1819 noch Niemand. „Die Idee hatte ſich noch gar nicht entwickelt“, pflegte Eichhorn ſpäterhin zu ſagen. Der Aufzug des großen Gewebes war bereits ausgeſpannt. Es beſtand das preußiſche Zollſyſtem, es beſtand der ausgeſprochene Wille Preußens, dies Syſtem zu erweitern und den deutſchen Nachbarn ohne Kleinſinn reichlichen Antheil an den gemeinſamen Zolleinkünften zu ge- währen. Noch fehlte der Einſchlag. Es fehlte der gute Wille der Nach- barſtaaten; es fehlte hüben wie drüben ein deutlicher Begriff von den loſen und lockeren bündiſchen Formen, welche allein einen dauernden Handels- bund zwiſchen eiferſüchtigen ſouveränen Staaten — dies noch niemals ge- wagte Unternehmen ermöglichen konnten. Jenen guten Willen hat nachher die Noth gezeitigt. Dieſe Verfaſſungs-Formen des Zollvereins ſind nicht von Nebenius, noch von irgend einem Denker im Voraus erſonnen worden, da die Theorie ſolche Aufgaben niemals löſen kann; ſie ſind gefunden worden auf den Wegen praktiſcher Politik, durch Verhandlungen und ge- genſeitige Zugeſtändniſſe zwiſchen den deutſchen Staaten. Der badiſche Denker ſchrieb als ein unverantwortlicher Privatmann, er durfte kühn ſofort die Einheit des ganzen Vaterlandes ins Auge faſſen. Er hat an dieſem Ideale unverbrüchlich feſtgehalten, und weil er ſo hohen Flug nahm, verfiel er auf den unmöglichen Plan der Bundeszölle. Preußens Staats- männer hatten ein köſtliches Gut zu hüten: die ſchwer errungene und noch immer hart bedrohte handelspolitiſche Einheit ihres Staates. Sie mußten ſich von den Schwärmern bald des zaghaften Kleinſinns, bald des ſelbſt- zufriedenen Dünkels zeihen laſſen, und indem ſie bedachtſam auf dem Be- ſtehenden fortbauten, erreichten ſie das hohe Ziel. —
Zur rechten Stunde fanden die Urheber des preußiſchen Zollgeſetzes einen mächtigen diplomatiſchen Bundesgenoſſen an dem neuen Referenten für die deutſchen Angelegenheiten, J. A. F. Eichhorn, den ſein Chef Graf Bernſtorff auf dem Gebiete der Handelspolitik völlig frei ſchalten ließ. Unter den Helden der Arbeit, welche in müden Tagen die großen Ueber- lieferungen Preußens muthig aufrecht hielten, in friedlichem Schaffen den Grund legten für ſeine neue Größe, ſteht Eichhorn in vorderſter Reihe.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0631"n="617"/><fwplace="top"type="header">Eichhorn.</fw><lb/>
überſah nicht minder, daß der beſte Theil ſeiner Denkſchrift lediglich als<lb/>
Wunſch ausſprach, was Preußen durch die That ſchon vollzogen hatte.<lb/>
Ihm gebührt nur das große Verdienſt, daß er, gleichzeitig mit den preußi-<lb/>ſchen Staatsmännern und unabhängig von ihnen, für einige wichtige<lb/>
Fragen deutſcher Handelspolitik die rechte Löſung erdachte; jedoch die ent-<lb/>ſcheidende Frage: „Bundeszölle oder Anſchluß an das preußiſche Syſtem?“<lb/>
wurde in Berlin richtig, von Nebenius falſch beantwortet. Nebenius kam<lb/>
der Wahrheit näher als Liſt. Darf man dieſen mit Görres vergleichen,<lb/>ſo läßt ſich von Jenem ſagen, er habe von dem Zollvereine der Zukunft<lb/>
etwa ſo viel geahnt wie Paul Pfizer von dem heutigen deutſchen Reiche.</p><lb/><p>Eine klare Vorſtellung von dem Handelsbunde, der anderthalb Jahr-<lb/>
zehnte ſpäter ins Leben trat, hegte im Jahre 1819 noch Niemand. „Die<lb/>
Idee hatte ſich noch gar nicht entwickelt“, pflegte Eichhorn ſpäterhin zu<lb/>ſagen. Der Aufzug des großen Gewebes war bereits ausgeſpannt. Es<lb/>
beſtand das preußiſche Zollſyſtem, es beſtand der ausgeſprochene Wille<lb/>
Preußens, dies Syſtem zu erweitern und den deutſchen Nachbarn ohne<lb/>
Kleinſinn reichlichen Antheil an den gemeinſamen Zolleinkünften zu ge-<lb/>
währen. Noch fehlte der Einſchlag. Es fehlte der gute Wille der Nach-<lb/>
barſtaaten; es fehlte hüben wie drüben ein deutlicher Begriff von den loſen<lb/>
und lockeren bündiſchen Formen, welche allein einen dauernden Handels-<lb/>
bund zwiſchen eiferſüchtigen ſouveränen Staaten — dies noch niemals ge-<lb/>
wagte Unternehmen ermöglichen konnten. Jenen guten Willen hat nachher<lb/>
die Noth gezeitigt. Dieſe Verfaſſungs-Formen des Zollvereins ſind nicht<lb/>
von Nebenius, noch von irgend einem Denker im Voraus erſonnen worden,<lb/>
da die Theorie ſolche Aufgaben niemals löſen kann; ſie ſind gefunden<lb/>
worden auf den Wegen praktiſcher Politik, durch Verhandlungen und ge-<lb/>
genſeitige Zugeſtändniſſe zwiſchen den deutſchen Staaten. Der badiſche<lb/>
Denker ſchrieb als ein unverantwortlicher Privatmann, er durfte kühn<lb/>ſofort die Einheit des ganzen Vaterlandes ins Auge faſſen. Er hat an<lb/>
dieſem Ideale unverbrüchlich feſtgehalten, und weil er ſo hohen Flug nahm,<lb/>
verfiel er auf den unmöglichen Plan der Bundeszölle. Preußens Staats-<lb/>
männer hatten ein köſtliches Gut zu hüten: die ſchwer errungene und noch<lb/>
immer hart bedrohte handelspolitiſche Einheit ihres Staates. Sie mußten<lb/>ſich von den Schwärmern bald des zaghaften Kleinſinns, bald des ſelbſt-<lb/>
zufriedenen Dünkels zeihen laſſen, und indem ſie bedachtſam auf dem Be-<lb/>ſtehenden fortbauten, erreichten ſie das hohe Ziel. —</p><lb/><p>Zur rechten Stunde fanden die Urheber des preußiſchen Zollgeſetzes<lb/>
einen mächtigen diplomatiſchen Bundesgenoſſen an dem neuen Referenten<lb/>
für die deutſchen Angelegenheiten, J. A. F. Eichhorn, den ſein Chef Graf<lb/>
Bernſtorff auf dem Gebiete der Handelspolitik völlig frei ſchalten ließ.<lb/>
Unter den Helden der Arbeit, welche in müden Tagen die großen Ueber-<lb/>
lieferungen Preußens muthig aufrecht hielten, in friedlichem Schaffen den<lb/>
Grund legten für ſeine neue Größe, ſteht Eichhorn in vorderſter Reihe.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[617/0631]
Eichhorn.
überſah nicht minder, daß der beſte Theil ſeiner Denkſchrift lediglich als
Wunſch ausſprach, was Preußen durch die That ſchon vollzogen hatte.
Ihm gebührt nur das große Verdienſt, daß er, gleichzeitig mit den preußi-
ſchen Staatsmännern und unabhängig von ihnen, für einige wichtige
Fragen deutſcher Handelspolitik die rechte Löſung erdachte; jedoch die ent-
ſcheidende Frage: „Bundeszölle oder Anſchluß an das preußiſche Syſtem?“
wurde in Berlin richtig, von Nebenius falſch beantwortet. Nebenius kam
der Wahrheit näher als Liſt. Darf man dieſen mit Görres vergleichen,
ſo läßt ſich von Jenem ſagen, er habe von dem Zollvereine der Zukunft
etwa ſo viel geahnt wie Paul Pfizer von dem heutigen deutſchen Reiche.
Eine klare Vorſtellung von dem Handelsbunde, der anderthalb Jahr-
zehnte ſpäter ins Leben trat, hegte im Jahre 1819 noch Niemand. „Die
Idee hatte ſich noch gar nicht entwickelt“, pflegte Eichhorn ſpäterhin zu
ſagen. Der Aufzug des großen Gewebes war bereits ausgeſpannt. Es
beſtand das preußiſche Zollſyſtem, es beſtand der ausgeſprochene Wille
Preußens, dies Syſtem zu erweitern und den deutſchen Nachbarn ohne
Kleinſinn reichlichen Antheil an den gemeinſamen Zolleinkünften zu ge-
währen. Noch fehlte der Einſchlag. Es fehlte der gute Wille der Nach-
barſtaaten; es fehlte hüben wie drüben ein deutlicher Begriff von den loſen
und lockeren bündiſchen Formen, welche allein einen dauernden Handels-
bund zwiſchen eiferſüchtigen ſouveränen Staaten — dies noch niemals ge-
wagte Unternehmen ermöglichen konnten. Jenen guten Willen hat nachher
die Noth gezeitigt. Dieſe Verfaſſungs-Formen des Zollvereins ſind nicht
von Nebenius, noch von irgend einem Denker im Voraus erſonnen worden,
da die Theorie ſolche Aufgaben niemals löſen kann; ſie ſind gefunden
worden auf den Wegen praktiſcher Politik, durch Verhandlungen und ge-
genſeitige Zugeſtändniſſe zwiſchen den deutſchen Staaten. Der badiſche
Denker ſchrieb als ein unverantwortlicher Privatmann, er durfte kühn
ſofort die Einheit des ganzen Vaterlandes ins Auge faſſen. Er hat an
dieſem Ideale unverbrüchlich feſtgehalten, und weil er ſo hohen Flug nahm,
verfiel er auf den unmöglichen Plan der Bundeszölle. Preußens Staats-
männer hatten ein köſtliches Gut zu hüten: die ſchwer errungene und noch
immer hart bedrohte handelspolitiſche Einheit ihres Staates. Sie mußten
ſich von den Schwärmern bald des zaghaften Kleinſinns, bald des ſelbſt-
zufriedenen Dünkels zeihen laſſen, und indem ſie bedachtſam auf dem Be-
ſtehenden fortbauten, erreichten ſie das hohe Ziel. —
Zur rechten Stunde fanden die Urheber des preußiſchen Zollgeſetzes
einen mächtigen diplomatiſchen Bundesgenoſſen an dem neuen Referenten
für die deutſchen Angelegenheiten, J. A. F. Eichhorn, den ſein Chef Graf
Bernſtorff auf dem Gebiete der Handelspolitik völlig frei ſchalten ließ.
Unter den Helden der Arbeit, welche in müden Tagen die großen Ueber-
lieferungen Preußens muthig aufrecht hielten, in friedlichem Schaffen den
Grund legten für ſeine neue Größe, ſteht Eichhorn in vorderſter Reihe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/631>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.