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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Reform der Landwehr.
der Linie verbinden, ihr schon im Frieden die für den Krieg bestimmte
Formation geben. Boyen aber konnte sich mit dem zweckmäßigen, durch-
aus unverfänglichen Unternehmen nicht befreunden; er meinte, dadurch
werde "der eigentliche Geist, der die Landwehr halte", verloren gehen. Auf-
geregt durch die Kämpfe im Staatsministerium, erbittert über die schlechten
Künste der Demagogenverfolger, begann er den finsteren Gerüchten Glauben
zu schenken, welche von der nahen Aufhebung der Landwehr erzählten. Im
diplomatischen Corps glaubte man allgemein, daß der Wiener Hof insge-
heim gegen die verhaßte demokratische Truppe arbeiten lasse;*) und wahr-
scheinlich hat auch Herzog Karl von Mecklenburg mit seinem Anhang diese
günstige Zeit der reaktionären Springfluth benutzt, um seine alten Bedenken
gegen das Landwehrsystem noch einmal geltend zu machen. Andererseits
hatten die Parteiphrasen des Liberalismus das Ihrige gethan, um eine
streng sachliche Beurtheilung der Fragen der Heeresverfassung zu erschweren.
Wohl lag ein kühner demokratischer Gedanke dem preußischen Wehrgesetze
zum Grunde; eine Nation mit solchem Heerwesen konnte nicht gegen ihren
entschiedenen Willen regiert werden, auch die unmittelbare Theilnahme an
der Gesetzgebung und Verwaltung ließ sich ihr auf die Dauer nicht ver-
sagen. Aber wie verzerrt und entstellt erschienen diese Wahrheiten in allen
den thörichten Zeitungsartikeln, welche das Volksheer der Landwehr als ein
Bollwerk gegen den Miethlingsgeist der Linienoffiziere verherrlichten. Die
wohlgemeinte Schrift des Hauptmanns v. Schmeling über Landwehr und
Turnkunst erklärte die Kreisausschüsse, welche das Ersatzgeschäft besorgten,
gradezu für den ersten Keim der preußischen Verfassung und veranlaßte
die Gegner zu der entrüsteten Frage, ob ein großer Staat mit hunderten
kleiner Kreisparlamente noch regiert werden könne.

Der König selbst ließ sich von den Verirrungen des Parteigeistes
nicht anfechten; er hielt die Landwehr, um der Sicherheit des Staates
willen, für unentbehrlich, nur auf die Erhöhung ihrer Kriegstüchtigkeit war
sein Plan berechnet. Aber in diesen schwülen Tagen lag das Mißtrauen
in der Luft. Die österreichische Partei hatte den Kriegsminister schon seit
langem verdächtigt, nun übermannte ihn selber ein grundloser Argwohn.
Der Organisator des preußischen Volksheeres befürchtete, der neuen Forma-
tion der Landwehr werde die Zerstörung seines großen Werkes folgen, und
forderte erzürnt seine Entlassung. Er wollte, wie er dem Staatskanzler
(13. Dec.) gestand, "aus Verhältnissen heraustreten, in denen es mir zu-
weilen schwer sein könnte meine Grundsätze mit dem Wechsel der Begeben-
heiten zu vereinigen", und beschwor den leitenden Staatsmann zum Ab-
schied noch einmal, bei allen Veränderungen der Landwehrverfassung mit
der größten Behutsamkeit zu verfahren, "da sie für die besondere Lage
unseres Staates, für die Erhaltung des Wohlstands der Gewerbe und für

*) Bericht des badischen Gesandten General v. Stockhorn, Berlin 21. Dec. 1819.

Die Reform der Landwehr.
der Linie verbinden, ihr ſchon im Frieden die für den Krieg beſtimmte
Formation geben. Boyen aber konnte ſich mit dem zweckmäßigen, durch-
aus unverfänglichen Unternehmen nicht befreunden; er meinte, dadurch
werde „der eigentliche Geiſt, der die Landwehr halte“, verloren gehen. Auf-
geregt durch die Kämpfe im Staatsminiſterium, erbittert über die ſchlechten
Künſte der Demagogenverfolger, begann er den finſteren Gerüchten Glauben
zu ſchenken, welche von der nahen Aufhebung der Landwehr erzählten. Im
diplomatiſchen Corps glaubte man allgemein, daß der Wiener Hof insge-
heim gegen die verhaßte demokratiſche Truppe arbeiten laſſe;*) und wahr-
ſcheinlich hat auch Herzog Karl von Mecklenburg mit ſeinem Anhang dieſe
günſtige Zeit der reaktionären Springfluth benutzt, um ſeine alten Bedenken
gegen das Landwehrſyſtem noch einmal geltend zu machen. Andererſeits
hatten die Parteiphraſen des Liberalismus das Ihrige gethan, um eine
ſtreng ſachliche Beurtheilung der Fragen der Heeresverfaſſung zu erſchweren.
Wohl lag ein kühner demokratiſcher Gedanke dem preußiſchen Wehrgeſetze
zum Grunde; eine Nation mit ſolchem Heerweſen konnte nicht gegen ihren
entſchiedenen Willen regiert werden, auch die unmittelbare Theilnahme an
der Geſetzgebung und Verwaltung ließ ſich ihr auf die Dauer nicht ver-
ſagen. Aber wie verzerrt und entſtellt erſchienen dieſe Wahrheiten in allen
den thörichten Zeitungsartikeln, welche das Volksheer der Landwehr als ein
Bollwerk gegen den Miethlingsgeiſt der Linienoffiziere verherrlichten. Die
wohlgemeinte Schrift des Hauptmanns v. Schmeling über Landwehr und
Turnkunſt erklärte die Kreisausſchüſſe, welche das Erſatzgeſchäft beſorgten,
gradezu für den erſten Keim der preußiſchen Verfaſſung und veranlaßte
die Gegner zu der entrüſteten Frage, ob ein großer Staat mit hunderten
kleiner Kreisparlamente noch regiert werden könne.

Der König ſelbſt ließ ſich von den Verirrungen des Parteigeiſtes
nicht anfechten; er hielt die Landwehr, um der Sicherheit des Staates
willen, für unentbehrlich, nur auf die Erhöhung ihrer Kriegstüchtigkeit war
ſein Plan berechnet. Aber in dieſen ſchwülen Tagen lag das Mißtrauen
in der Luft. Die öſterreichiſche Partei hatte den Kriegsminiſter ſchon ſeit
langem verdächtigt, nun übermannte ihn ſelber ein grundloſer Argwohn.
Der Organiſator des preußiſchen Volksheeres befürchtete, der neuen Forma-
tion der Landwehr werde die Zerſtörung ſeines großen Werkes folgen, und
forderte erzürnt ſeine Entlaſſung. Er wollte, wie er dem Staatskanzler
(13. Dec.) geſtand, „aus Verhältniſſen heraustreten, in denen es mir zu-
weilen ſchwer ſein könnte meine Grundſätze mit dem Wechſel der Begeben-
heiten zu vereinigen“, und beſchwor den leitenden Staatsmann zum Ab-
ſchied noch einmal, bei allen Veränderungen der Landwehrverfaſſung mit
der größten Behutſamkeit zu verfahren, „da ſie für die beſondere Lage
unſeres Staates, für die Erhaltung des Wohlſtands der Gewerbe und für

*) Bericht des badiſchen Geſandten General v. Stockhorn, Berlin 21. Dec. 1819.
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[601/0615] Die Reform der Landwehr. der Linie verbinden, ihr ſchon im Frieden die für den Krieg beſtimmte Formation geben. Boyen aber konnte ſich mit dem zweckmäßigen, durch- aus unverfänglichen Unternehmen nicht befreunden; er meinte, dadurch werde „der eigentliche Geiſt, der die Landwehr halte“, verloren gehen. Auf- geregt durch die Kämpfe im Staatsminiſterium, erbittert über die ſchlechten Künſte der Demagogenverfolger, begann er den finſteren Gerüchten Glauben zu ſchenken, welche von der nahen Aufhebung der Landwehr erzählten. Im diplomatiſchen Corps glaubte man allgemein, daß der Wiener Hof insge- heim gegen die verhaßte demokratiſche Truppe arbeiten laſſe; *) und wahr- ſcheinlich hat auch Herzog Karl von Mecklenburg mit ſeinem Anhang dieſe günſtige Zeit der reaktionären Springfluth benutzt, um ſeine alten Bedenken gegen das Landwehrſyſtem noch einmal geltend zu machen. Andererſeits hatten die Parteiphraſen des Liberalismus das Ihrige gethan, um eine ſtreng ſachliche Beurtheilung der Fragen der Heeresverfaſſung zu erſchweren. Wohl lag ein kühner demokratiſcher Gedanke dem preußiſchen Wehrgeſetze zum Grunde; eine Nation mit ſolchem Heerweſen konnte nicht gegen ihren entſchiedenen Willen regiert werden, auch die unmittelbare Theilnahme an der Geſetzgebung und Verwaltung ließ ſich ihr auf die Dauer nicht ver- ſagen. Aber wie verzerrt und entſtellt erſchienen dieſe Wahrheiten in allen den thörichten Zeitungsartikeln, welche das Volksheer der Landwehr als ein Bollwerk gegen den Miethlingsgeiſt der Linienoffiziere verherrlichten. Die wohlgemeinte Schrift des Hauptmanns v. Schmeling über Landwehr und Turnkunſt erklärte die Kreisausſchüſſe, welche das Erſatzgeſchäft beſorgten, gradezu für den erſten Keim der preußiſchen Verfaſſung und veranlaßte die Gegner zu der entrüſteten Frage, ob ein großer Staat mit hunderten kleiner Kreisparlamente noch regiert werden könne. Der König ſelbſt ließ ſich von den Verirrungen des Parteigeiſtes nicht anfechten; er hielt die Landwehr, um der Sicherheit des Staates willen, für unentbehrlich, nur auf die Erhöhung ihrer Kriegstüchtigkeit war ſein Plan berechnet. Aber in dieſen ſchwülen Tagen lag das Mißtrauen in der Luft. Die öſterreichiſche Partei hatte den Kriegsminiſter ſchon ſeit langem verdächtigt, nun übermannte ihn ſelber ein grundloſer Argwohn. Der Organiſator des preußiſchen Volksheeres befürchtete, der neuen Forma- tion der Landwehr werde die Zerſtörung ſeines großen Werkes folgen, und forderte erzürnt ſeine Entlaſſung. Er wollte, wie er dem Staatskanzler (13. Dec.) geſtand, „aus Verhältniſſen heraustreten, in denen es mir zu- weilen ſchwer ſein könnte meine Grundſätze mit dem Wechſel der Begeben- heiten zu vereinigen“, und beſchwor den leitenden Staatsmann zum Ab- ſchied noch einmal, bei allen Veränderungen der Landwehrverfaſſung mit der größten Behutſamkeit zu verfahren, „da ſie für die beſondere Lage unſeres Staates, für die Erhaltung des Wohlſtands der Gewerbe und für *) Bericht des badiſchen Geſandten General v. Stockhorn, Berlin 21. Dec. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/615>, abgerufen am 09.05.2024.