gradezu bestritten hatte -- so dürfe man auch ihre Wirksamkeit nicht lähmen und am Wenigsten den König mit sich selber in Widerspruch bringen. Alle übrigen Minister erklärten sich bedingt oder unbedingt gegen Humboldts Entwurf; Altenstein in einem charakteristischen Gutachten, das den Unmuth des feinen Gelehrten über die Beschimpfung der Universitäten sehr deutlich verrieth. "Alles was ich besorge ist einiger Druck -- so lautete der deutsche Trost des wohlmeinenden Mannes -- allein ist er nur nicht ganz ver- nichtend, so schadet er wohl nicht viel. Die Wissenschaft erträgt solchen und gedeihet oft unter demselben gleich der Palme."*)
Mittlerweile war Bernstorff zu den Wiener Conferenzen abgereist. Ohne ihn noch einmal zu befragen schritt das Ministerium am 3. Novem- ber zur Abstimmung. Humboldts Bericht ward verworfen, aber auch über die förmliche Billigung der Karlsbader Beschlüsse konnten sich die Minister nicht einigen. Das klägliche nunmehr seit Monaten anhaltende Schauspiel rathloser Uneinigkeit fand endlich damit seinen würdigen Schluß, daß man einfach das Protokoll dieser drei Ministerialsitzungen nebst einigen der vor- gelesenen Gutachten, aber ohne einen Beschluß und ohne einen Bericht, dem Könige übersendete. Eine solche Regierung durfte nicht dauern, ein Wechsel, der ihr wieder Kraft und Einheit gab, war unabweisbar geboten.
Hardenberg erkannte, daß er ein Ende machen mußte. Um den König für einen strengen Entschluß zu gewinnen, rief er Ancillon zu Hilfe (11. November), sendete ihm die Protokolle des Ministeriums und schrieb: unter dem Vorwand die Souveränität der Krone und die Rechte ihrer Bürger zu vertheidigen, stelle sich die Partei Humboldts thatsächlich auf die Seite der Revolutionäre; sie versuche die Grundlagen unserer auswärtigen Politik umzustoßen, den Staatskanzler und Bernstorff zu stürzen. Er selber sei entschlossen, nicht bei halben Maßregeln stehen zu bleiben, denn "schwanken wir, so rennen wir unzweifelhaft in unser Verderben und wir werden Deutschland, vielleicht Europa mit hineinreißen". Aber um nicht Richter in eigener Sache zu sein, bitte er Ancillon um "das Gutachten eines auf- geklärten und unparteiischen Patrioten". Also Ancillon als unparteiischer Schiedsrichter über Bernstorff! Es war genau das Nämliche, wie wenn man Bernstorff selber angerufen hätte. Mit welchem faunischen Lächeln mag der schlaue alte Staatskanzler die Antwort gelesen haben, welche ihm Ancillon nach vier Tagen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegen- heit übersendete. Den Inhalt kannte er im Voraus.
Bernstorffs Mentor gab sich kaum die Mühe, die Maske des Unpar- teiischen beizubehalten. Er redete geradezu in Bernstorffs Namen: "der Graf zählt auf die Festigkeit des Königs und auf die Unterstützung Ew. Durchlaucht. Vereinigt sind Sie unbesiegbar, und Deutschlands böser
*) Humboldts Bericht, 5. Okt. Vota von Bernstorff, Anfang Okt., von Beyme 20. Okt., von Boyen 26. Okt., von Altenstein 3. Nov. 1819.
Die Oppoſition der drei Miniſter.
gradezu beſtritten hatte — ſo dürfe man auch ihre Wirkſamkeit nicht lähmen und am Wenigſten den König mit ſich ſelber in Widerſpruch bringen. Alle übrigen Miniſter erklärten ſich bedingt oder unbedingt gegen Humboldts Entwurf; Altenſtein in einem charakteriſtiſchen Gutachten, das den Unmuth des feinen Gelehrten über die Beſchimpfung der Univerſitäten ſehr deutlich verrieth. „Alles was ich beſorge iſt einiger Druck — ſo lautete der deutſche Troſt des wohlmeinenden Mannes — allein iſt er nur nicht ganz ver- nichtend, ſo ſchadet er wohl nicht viel. Die Wiſſenſchaft erträgt ſolchen und gedeihet oft unter demſelben gleich der Palme.“*)
Mittlerweile war Bernſtorff zu den Wiener Conferenzen abgereiſt. Ohne ihn noch einmal zu befragen ſchritt das Miniſterium am 3. Novem- ber zur Abſtimmung. Humboldts Bericht ward verworfen, aber auch über die förmliche Billigung der Karlsbader Beſchlüſſe konnten ſich die Miniſter nicht einigen. Das klägliche nunmehr ſeit Monaten anhaltende Schauſpiel rathloſer Uneinigkeit fand endlich damit ſeinen würdigen Schluß, daß man einfach das Protokoll dieſer drei Miniſterialſitzungen nebſt einigen der vor- geleſenen Gutachten, aber ohne einen Beſchluß und ohne einen Bericht, dem Könige überſendete. Eine ſolche Regierung durfte nicht dauern, ein Wechſel, der ihr wieder Kraft und Einheit gab, war unabweisbar geboten.
Hardenberg erkannte, daß er ein Ende machen mußte. Um den König für einen ſtrengen Entſchluß zu gewinnen, rief er Ancillon zu Hilfe (11. November), ſendete ihm die Protokolle des Miniſteriums und ſchrieb: unter dem Vorwand die Souveränität der Krone und die Rechte ihrer Bürger zu vertheidigen, ſtelle ſich die Partei Humboldts thatſächlich auf die Seite der Revolutionäre; ſie verſuche die Grundlagen unſerer auswärtigen Politik umzuſtoßen, den Staatskanzler und Bernſtorff zu ſtürzen. Er ſelber ſei entſchloſſen, nicht bei halben Maßregeln ſtehen zu bleiben, denn „ſchwanken wir, ſo rennen wir unzweifelhaft in unſer Verderben und wir werden Deutſchland, vielleicht Europa mit hineinreißen“. Aber um nicht Richter in eigener Sache zu ſein, bitte er Ancillon um „das Gutachten eines auf- geklärten und unparteiiſchen Patrioten“. Alſo Ancillon als unparteiiſcher Schiedsrichter über Bernſtorff! Es war genau das Nämliche, wie wenn man Bernſtorff ſelber angerufen hätte. Mit welchem fauniſchen Lächeln mag der ſchlaue alte Staatskanzler die Antwort geleſen haben, welche ihm Ancillon nach vier Tagen unter dem Siegel der tiefſten Verſchwiegen- heit überſendete. Den Inhalt kannte er im Voraus.
Bernſtorffs Mentor gab ſich kaum die Mühe, die Maske des Unpar- teiiſchen beizubehalten. Er redete geradezu in Bernſtorffs Namen: „der Graf zählt auf die Feſtigkeit des Königs und auf die Unterſtützung Ew. Durchlaucht. Vereinigt ſind Sie unbeſiegbar, und Deutſchlands böſer
*) Humboldts Bericht, 5. Okt. Vota von Bernſtorff, Anfang Okt., von Beyme 20. Okt., von Boyen 26. Okt., von Altenſtein 3. Nov. 1819.
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und am Wenigſten den König mit ſich ſelber in Widerſpruch bringen. Alle
übrigen Miniſter erklärten ſich bedingt oder unbedingt gegen Humboldts
Entwurf; Altenſtein in einem charakteriſtiſchen Gutachten, das den Unmuth
des feinen Gelehrten über die Beſchimpfung der Univerſitäten ſehr deutlich
verrieth. „Alles was ich beſorge iſt einiger Druck — ſo lautete der deutſche
Troſt des wohlmeinenden Mannes — allein iſt er nur nicht ganz ver-
nichtend, ſo ſchadet er wohl nicht viel. Die Wiſſenſchaft erträgt ſolchen
und gedeihet oft unter demſelben gleich der Palme.“ *)
Mittlerweile war Bernſtorff zu den Wiener Conferenzen abgereiſt.
Ohne ihn noch einmal zu befragen ſchritt das Miniſterium am 3. Novem-
ber zur Abſtimmung. Humboldts Bericht ward verworfen, aber auch über
die förmliche Billigung der Karlsbader Beſchlüſſe konnten ſich die Miniſter
nicht einigen. Das klägliche nunmehr ſeit Monaten anhaltende Schauſpiel
rathloſer Uneinigkeit fand endlich damit ſeinen würdigen Schluß, daß man
einfach das Protokoll dieſer drei Miniſterialſitzungen nebſt einigen der vor-
geleſenen Gutachten, aber ohne einen Beſchluß und ohne einen Bericht,
dem Könige überſendete. Eine ſolche Regierung durfte nicht dauern, ein
Wechſel, der ihr wieder Kraft und Einheit gab, war unabweisbar geboten.
Hardenberg erkannte, daß er ein Ende machen mußte. Um den König
für einen ſtrengen Entſchluß zu gewinnen, rief er Ancillon zu Hilfe (11.
November), ſendete ihm die Protokolle des Miniſteriums und ſchrieb: unter
dem Vorwand die Souveränität der Krone und die Rechte ihrer Bürger
zu vertheidigen, ſtelle ſich die Partei Humboldts thatſächlich auf die Seite
der Revolutionäre; ſie verſuche die Grundlagen unſerer auswärtigen Politik
umzuſtoßen, den Staatskanzler und Bernſtorff zu ſtürzen. Er ſelber ſei
entſchloſſen, nicht bei halben Maßregeln ſtehen zu bleiben, denn „ſchwanken
wir, ſo rennen wir unzweifelhaft in unſer Verderben und wir werden
Deutſchland, vielleicht Europa mit hineinreißen“. Aber um nicht Richter
in eigener Sache zu ſein, bitte er Ancillon um „das Gutachten eines auf-
geklärten und unparteiiſchen Patrioten“. Alſo Ancillon als unparteiiſcher
Schiedsrichter über Bernſtorff! Es war genau das Nämliche, wie wenn
man Bernſtorff ſelber angerufen hätte. Mit welchem fauniſchen Lächeln
mag der ſchlaue alte Staatskanzler die Antwort geleſen haben, welche
ihm Ancillon nach vier Tagen unter dem Siegel der tiefſten Verſchwiegen-
heit überſendete. Den Inhalt kannte er im Voraus.
Bernſtorffs Mentor gab ſich kaum die Mühe, die Maske des Unpar-
teiiſchen beizubehalten. Er redete geradezu in Bernſtorffs Namen: „der
Graf zählt auf die Feſtigkeit des Königs und auf die Unterſtützung Ew.
Durchlaucht. Vereinigt ſind Sie unbeſiegbar, und Deutſchlands böſer
*) Humboldts Bericht, 5. Okt. Vota von Bernſtorff, Anfang Okt., von Beyme
20. Okt., von Boyen 26. Okt., von Altenſtein 3. Nov. 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/613>, abgerufen am 16.07.2024.
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