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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
auch dieser Staatskunst die Sicherung der deutschen Grenzen neben den
großen Culturaufgaben der Censur und der Studentenverfolgung? Und
wie die neuen Beherrscher Deutschlands unvergleichlich kleiner und nichtiger
waren als weiland die habsburgischen Helden des Schmalkaldener und des
dreißigjährigen Krieges, wie sie ihren Erfolg nicht der Macht siegreicher
Waffen, sondern allein der thörichten Angst der deutschen Höfe verdankten,
so trat auch der unvermeidliche Rückschlag nicht jäh und gewaltsam ein,
wie einst in den Tagen Moritz's und Gustav Adolfs; er erfogte langsam,
unmerklich, aber um so sicherer. Oesterreich hatte den Deutschen einen
Stein statt eines Brotes gereicht. Sobald dann Preußen den Entschluß
faßte, sich der Noth dieses Volkes ehrlich anzunehmen und ihm die wirth-
schaftliche Einheit zu bringen, welche allein Preußen schaffen konnte, von
diesem Augenblicke an versank das Gespenst des deutschen Dualismus,
das jetzt noch einmal seine grinsenden Züge gezeigt hatte, nach und nach
im Nebel, und der denkende Theil der Nation begann zu erkennen, daß der
in Karlsbad so übermüthig angedrohte Austritt Oesterreichs aus dem
Deutschen Bunde die einzig mögliche Rettung des Vaterlandes war.

Bis dahin war noch ein weiter Weg. Vorderhand schwelgte die
Hofburg im Siegesjubel. In einem zärtlichen Handbillet dankte Kaiser
Franz dem Könige von Preußen für das kräftige gemeinsame Wirken
"gegen die Störer der Ordnung der Dinge, auf welcher der Bestand der
Throne ruht."*) Gentz rühmte "diese größte retrograde Bewegung, die
seit dreißig Jahren in Europa stattgefunden," und Metternich sprach dem
Gesandten in London die Hoffnung aus, daß diese rettende That in ganz
Europa ihren Widerhall finden würde. Und wirklich hatten die Ideen
der reinen Reaktion bisher nur in Spanien einen so durschlagenden Er-
folg errungen. Unter den großen Culturvölkern gab Deutschland zuerst
das Beispiel eines Staatsstreichs von oben, ein Beispiel, das elf Jahre
nachher den französischen Juli-Ordonnanzen zum Vorbilde gedient hat.
Die Politik der Mäßigung, welche der Vierbund bis zum Aachener Con-
gresse eingehalten, ging zu Ende; die Macht, welche die Führerstelle in
der europäischen Allianz errungen hatte, bekannte sich fortan offen zu den
Grundsätzen der Unterdrückung. --

Noch blieb eine schwere geheime Arbeit übrig, bis -- nach Metternichs
Worten -- die Bombe in Frankfurt platzen konnte. Was man in Karls-
bad erreicht hatte war nur eine nach Bundesrecht ungiltige Verabredung
von neun Bundesstaaten, die allerdings über die Mehrheit des engeren
Raths geboten. Zu einer Erweiterung und Veränderung der Bundesakte,
wie sie in den Karlsbader Beschlüssen enthalten war, bedurfte man aber
der Einstimmigkeit. Es galt also, dreißig Bundesstaaten zur schweigenden
Unterwerfung unter die Befehle der Neun zu vermögen, die zu Teplitz

*) Kaiser Franz an König Friedrich Wilhelm, 29. August 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
auch dieſer Staatskunſt die Sicherung der deutſchen Grenzen neben den
großen Culturaufgaben der Cenſur und der Studentenverfolgung? Und
wie die neuen Beherrſcher Deutſchlands unvergleichlich kleiner und nichtiger
waren als weiland die habsburgiſchen Helden des Schmalkaldener und des
dreißigjährigen Krieges, wie ſie ihren Erfolg nicht der Macht ſiegreicher
Waffen, ſondern allein der thörichten Angſt der deutſchen Höfe verdankten,
ſo trat auch der unvermeidliche Rückſchlag nicht jäh und gewaltſam ein,
wie einſt in den Tagen Moritz’s und Guſtav Adolfs; er erfogte langſam,
unmerklich, aber um ſo ſicherer. Oeſterreich hatte den Deutſchen einen
Stein ſtatt eines Brotes gereicht. Sobald dann Preußen den Entſchluß
faßte, ſich der Noth dieſes Volkes ehrlich anzunehmen und ihm die wirth-
ſchaftliche Einheit zu bringen, welche allein Preußen ſchaffen konnte, von
dieſem Augenblicke an verſank das Geſpenſt des deutſchen Dualismus,
das jetzt noch einmal ſeine grinſenden Züge gezeigt hatte, nach und nach
im Nebel, und der denkende Theil der Nation begann zu erkennen, daß der
in Karlsbad ſo übermüthig angedrohte Austritt Oeſterreichs aus dem
Deutſchen Bunde die einzig mögliche Rettung des Vaterlandes war.

Bis dahin war noch ein weiter Weg. Vorderhand ſchwelgte die
Hofburg im Siegesjubel. In einem zärtlichen Handbillet dankte Kaiſer
Franz dem Könige von Preußen für das kräftige gemeinſame Wirken
„gegen die Störer der Ordnung der Dinge, auf welcher der Beſtand der
Throne ruht.“*) Gentz rühmte „dieſe größte retrograde Bewegung, die
ſeit dreißig Jahren in Europa ſtattgefunden,“ und Metternich ſprach dem
Geſandten in London die Hoffnung aus, daß dieſe rettende That in ganz
Europa ihren Widerhall finden würde. Und wirklich hatten die Ideen
der reinen Reaktion bisher nur in Spanien einen ſo durſchlagenden Er-
folg errungen. Unter den großen Culturvölkern gab Deutſchland zuerſt
das Beiſpiel eines Staatsſtreichs von oben, ein Beiſpiel, das elf Jahre
nachher den franzöſiſchen Juli-Ordonnanzen zum Vorbilde gedient hat.
Die Politik der Mäßigung, welche der Vierbund bis zum Aachener Con-
greſſe eingehalten, ging zu Ende; die Macht, welche die Führerſtelle in
der europäiſchen Allianz errungen hatte, bekannte ſich fortan offen zu den
Grundſätzen der Unterdrückung. —

Noch blieb eine ſchwere geheime Arbeit übrig, bis — nach Metternichs
Worten — die Bombe in Frankfurt platzen konnte. Was man in Karls-
bad erreicht hatte war nur eine nach Bundesrecht ungiltige Verabredung
von neun Bundesſtaaten, die allerdings über die Mehrheit des engeren
Raths geboten. Zu einer Erweiterung und Veränderung der Bundesakte,
wie ſie in den Karlsbader Beſchlüſſen enthalten war, bedurfte man aber
der Einſtimmigkeit. Es galt alſo, dreißig Bundesſtaaten zur ſchweigenden
Unterwerfung unter die Befehle der Neun zu vermögen, die zu Teplitz

*) Kaiſer Franz an König Friedrich Wilhelm, 29. Auguſt 1819.
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[568/0582] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. auch dieſer Staatskunſt die Sicherung der deutſchen Grenzen neben den großen Culturaufgaben der Cenſur und der Studentenverfolgung? Und wie die neuen Beherrſcher Deutſchlands unvergleichlich kleiner und nichtiger waren als weiland die habsburgiſchen Helden des Schmalkaldener und des dreißigjährigen Krieges, wie ſie ihren Erfolg nicht der Macht ſiegreicher Waffen, ſondern allein der thörichten Angſt der deutſchen Höfe verdankten, ſo trat auch der unvermeidliche Rückſchlag nicht jäh und gewaltſam ein, wie einſt in den Tagen Moritz’s und Guſtav Adolfs; er erfogte langſam, unmerklich, aber um ſo ſicherer. Oeſterreich hatte den Deutſchen einen Stein ſtatt eines Brotes gereicht. Sobald dann Preußen den Entſchluß faßte, ſich der Noth dieſes Volkes ehrlich anzunehmen und ihm die wirth- ſchaftliche Einheit zu bringen, welche allein Preußen ſchaffen konnte, von dieſem Augenblicke an verſank das Geſpenſt des deutſchen Dualismus, das jetzt noch einmal ſeine grinſenden Züge gezeigt hatte, nach und nach im Nebel, und der denkende Theil der Nation begann zu erkennen, daß der in Karlsbad ſo übermüthig angedrohte Austritt Oeſterreichs aus dem Deutſchen Bunde die einzig mögliche Rettung des Vaterlandes war. Bis dahin war noch ein weiter Weg. Vorderhand ſchwelgte die Hofburg im Siegesjubel. In einem zärtlichen Handbillet dankte Kaiſer Franz dem Könige von Preußen für das kräftige gemeinſame Wirken „gegen die Störer der Ordnung der Dinge, auf welcher der Beſtand der Throne ruht.“ *) Gentz rühmte „dieſe größte retrograde Bewegung, die ſeit dreißig Jahren in Europa ſtattgefunden,“ und Metternich ſprach dem Geſandten in London die Hoffnung aus, daß dieſe rettende That in ganz Europa ihren Widerhall finden würde. Und wirklich hatten die Ideen der reinen Reaktion bisher nur in Spanien einen ſo durſchlagenden Er- folg errungen. Unter den großen Culturvölkern gab Deutſchland zuerſt das Beiſpiel eines Staatsſtreichs von oben, ein Beiſpiel, das elf Jahre nachher den franzöſiſchen Juli-Ordonnanzen zum Vorbilde gedient hat. Die Politik der Mäßigung, welche der Vierbund bis zum Aachener Con- greſſe eingehalten, ging zu Ende; die Macht, welche die Führerſtelle in der europäiſchen Allianz errungen hatte, bekannte ſich fortan offen zu den Grundſätzen der Unterdrückung. — Noch blieb eine ſchwere geheime Arbeit übrig, bis — nach Metternichs Worten — die Bombe in Frankfurt platzen konnte. Was man in Karls- bad erreicht hatte war nur eine nach Bundesrecht ungiltige Verabredung von neun Bundesſtaaten, die allerdings über die Mehrheit des engeren Raths geboten. Zu einer Erweiterung und Veränderung der Bundesakte, wie ſie in den Karlsbader Beſchlüſſen enthalten war, bedurfte man aber der Einſtimmigkeit. Es galt alſo, dreißig Bundesſtaaten zur ſchweigenden Unterwerfung unter die Befehle der Neun zu vermögen, die zu Teplitz *) Kaiſer Franz an König Friedrich Wilhelm, 29. Auguſt 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/582>, abgerufen am 26.11.2024.