Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Der württembergische Landtag.
seine Volksvertreter vor Verführung zu sichern, ließ der König den eifrigen
Altrechtler Paulus, der auf Besuch in sein Heimathland gekommen war,
kurzerhand ausweisen. Der Todfeind der württembergischen Schreiber,
der freimüthige F. List, wurde durch ein ungemein einfaches Verfahren
von dem Landtage ausgeschlossen. Da er am Tage der Wahl sein drei-
ßigstes Lebensjahr noch nicht ganz vollendet hatte, so erklärte das Oberamt
Reutlingen, auf Befehl der Regierung, seinen Wählern kurzweg: ihre
Stimmzettel seien ungiltig, es solle ihnen aber gestattet werden "am
nächsten Montag frisch zu wählen".*) Als er darauf, nunmehr un-
zweifelhaft wählbar, in einem anderen Bezirke gewählt werden sollte,
verwickelte man ihn in eine Untersuchung wegen der revolutionären
Sprache seines Wahlaufrufs, und so gelang es, den unbequemen Mann
während des ganzen Landtags fern zu halten. Die Vorsicht war kaum
nöthig; denn die Oligarchie der Altrechtler hatte bereits in der Stille
ihren Frieden mit dem Ministerium geschlossen. Die Versammlung be-
gann sogleich mit Beweisen der Ergebenheit, welche von dem alten
Trotze seltsam abstachen und wenig geeignet waren den Monarchen von
seiner cynischen Menschenverachtung zu heilen. Sie dankte dem Könige,
weil er "von Neuem den Weg des Vertrages betreten, auf dem sich
von jeher die Verfassung des Landes entwickelt hat," und ernannte
alsbald eine Commission zur Berathung der neuen Verfassungsvorlage,
welche sich von der letzten, verworfenen, wesentlich nur durch ihre ge-
drängtere, zweckmäßigere Form unterschied. Am 2. Sept. erstattete die
Commission ihren Bericht, und hatte der alte Landtag durch pedantische
Langsamkeit gesündigt, so betrieb der neue seine Arbeit in rasender Eile,
weil er den Karlsbader Beschlüssen durch eine vollendete Thatsache zuvor-
kommen wollte.

Schon am 18. September war die Berathung beendigt, in zwei
Tagen hatte man 121 Artikel erledigt. Das früher so leidenschaftlich
bekämpfte Zweikammersystem wurde jetzt fast ohne Streit angenommen,
weil die Frage bereits entschieden sei "durch Verhältnisse, deren Berück-
sichtigung unausweichlich ist." Alle Parteien fühlten, daß man den
von dieser Krone so ungerecht behandelten Mediatisirten irgend ein Zu-
geständniß bieten müsse um gefährliche Verhandlungen am Bundestage
zu vermeiden. Von solcher Furcht beherrscht, kam man dem hohen Adel
sogar allzuweit entgegen und gewährte der Krone nur das Recht, höchstens
ein Drittel der Mitglieder der ersten Kammer, die geheim tagen sollte,
zu ernennen, so daß unlösbare Streitigkeiten zwischen den beiden Kammern
sehr leicht eintreten konnten. Auch das Idol der Altrechtler, die ständische
Steuerkasse ward nur noch von Uhland und einer kleinen Minderzahl matt

*) Erlaß des Oberamts Reutlingen an den Kupferschmid Peter Votteler u. A.,
10. Juli 1819.
35*

Der württembergiſche Landtag.
ſeine Volksvertreter vor Verführung zu ſichern, ließ der König den eifrigen
Altrechtler Paulus, der auf Beſuch in ſein Heimathland gekommen war,
kurzerhand ausweiſen. Der Todfeind der württembergiſchen Schreiber,
der freimüthige F. Liſt, wurde durch ein ungemein einfaches Verfahren
von dem Landtage ausgeſchloſſen. Da er am Tage der Wahl ſein drei-
ßigſtes Lebensjahr noch nicht ganz vollendet hatte, ſo erklärte das Oberamt
Reutlingen, auf Befehl der Regierung, ſeinen Wählern kurzweg: ihre
Stimmzettel ſeien ungiltig, es ſolle ihnen aber geſtattet werden „am
nächſten Montag friſch zu wählen“.*) Als er darauf, nunmehr un-
zweifelhaft wählbar, in einem anderen Bezirke gewählt werden ſollte,
verwickelte man ihn in eine Unterſuchung wegen der revolutionären
Sprache ſeines Wahlaufrufs, und ſo gelang es, den unbequemen Mann
während des ganzen Landtags fern zu halten. Die Vorſicht war kaum
nöthig; denn die Oligarchie der Altrechtler hatte bereits in der Stille
ihren Frieden mit dem Miniſterium geſchloſſen. Die Verſammlung be-
gann ſogleich mit Beweiſen der Ergebenheit, welche von dem alten
Trotze ſeltſam abſtachen und wenig geeignet waren den Monarchen von
ſeiner cyniſchen Menſchenverachtung zu heilen. Sie dankte dem Könige,
weil er „von Neuem den Weg des Vertrages betreten, auf dem ſich
von jeher die Verfaſſung des Landes entwickelt hat,“ und ernannte
alsbald eine Commiſſion zur Berathung der neuen Verfaſſungsvorlage,
welche ſich von der letzten, verworfenen, weſentlich nur durch ihre ge-
drängtere, zweckmäßigere Form unterſchied. Am 2. Sept. erſtattete die
Commiſſion ihren Bericht, und hatte der alte Landtag durch pedantiſche
Langſamkeit geſündigt, ſo betrieb der neue ſeine Arbeit in raſender Eile,
weil er den Karlsbader Beſchlüſſen durch eine vollendete Thatſache zuvor-
kommen wollte.

Schon am 18. September war die Berathung beendigt, in zwei
Tagen hatte man 121 Artikel erledigt. Das früher ſo leidenſchaftlich
bekämpfte Zweikammerſyſtem wurde jetzt faſt ohne Streit angenommen,
weil die Frage bereits entſchieden ſei „durch Verhältniſſe, deren Berück-
ſichtigung unausweichlich iſt.“ Alle Parteien fühlten, daß man den
von dieſer Krone ſo ungerecht behandelten Mediatiſirten irgend ein Zu-
geſtändniß bieten müſſe um gefährliche Verhandlungen am Bundestage
zu vermeiden. Von ſolcher Furcht beherrſcht, kam man dem hohen Adel
ſogar allzuweit entgegen und gewährte der Krone nur das Recht, höchſtens
ein Drittel der Mitglieder der erſten Kammer, die geheim tagen ſollte,
zu ernennen, ſo daß unlösbare Streitigkeiten zwiſchen den beiden Kammern
ſehr leicht eintreten konnten. Auch das Idol der Altrechtler, die ſtändiſche
Steuerkaſſe ward nur noch von Uhland und einer kleinen Minderzahl matt

*) Erlaß des Oberamts Reutlingen an den Kupferſchmid Peter Votteler u. A.,
10. Juli 1819.
35*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0561" n="547"/><fw place="top" type="header">Der württembergi&#x017F;che Landtag.</fw><lb/>
&#x017F;eine Volksvertreter vor Verführung zu &#x017F;ichern, ließ der König den eifrigen<lb/>
Altrechtler Paulus, der auf Be&#x017F;uch in &#x017F;ein Heimathland gekommen war,<lb/>
kurzerhand auswei&#x017F;en. Der Todfeind der württembergi&#x017F;chen Schreiber,<lb/>
der freimüthige F. Li&#x017F;t, wurde durch ein ungemein einfaches Verfahren<lb/>
von dem Landtage ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Da er am Tage der Wahl &#x017F;ein drei-<lb/>
ßig&#x017F;tes Lebensjahr noch nicht ganz vollendet hatte, &#x017F;o erklärte das Oberamt<lb/>
Reutlingen, auf Befehl der Regierung, &#x017F;einen Wählern kurzweg: ihre<lb/>
Stimmzettel &#x017F;eien ungiltig, es &#x017F;olle ihnen aber ge&#x017F;tattet werden &#x201E;am<lb/>
näch&#x017F;ten Montag fri&#x017F;ch zu wählen&#x201C;.<note place="foot" n="*)">Erlaß des Oberamts Reutlingen an den Kupfer&#x017F;chmid Peter Votteler u. A.,<lb/>
10. Juli 1819.</note> Als er darauf, nunmehr un-<lb/>
zweifelhaft wählbar, in einem anderen Bezirke gewählt werden &#x017F;ollte,<lb/>
verwickelte man ihn in eine Unter&#x017F;uchung wegen der revolutionären<lb/>
Sprache &#x017F;eines Wahlaufrufs, und &#x017F;o gelang es, den unbequemen Mann<lb/>
während des ganzen Landtags fern zu halten. Die Vor&#x017F;icht war kaum<lb/>
nöthig; denn die Oligarchie der Altrechtler hatte bereits in der Stille<lb/>
ihren Frieden mit dem Mini&#x017F;terium ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Die Ver&#x017F;ammlung be-<lb/>
gann &#x017F;ogleich mit Bewei&#x017F;en der Ergebenheit, welche von dem alten<lb/>
Trotze &#x017F;elt&#x017F;am ab&#x017F;tachen und wenig geeignet waren den Monarchen von<lb/>
&#x017F;einer cyni&#x017F;chen Men&#x017F;chenverachtung zu heilen. Sie dankte dem Könige,<lb/>
weil er &#x201E;von Neuem den Weg des Vertrages betreten, auf dem &#x017F;ich<lb/>
von jeher die Verfa&#x017F;&#x017F;ung des Landes entwickelt hat,&#x201C; und ernannte<lb/>
alsbald eine Commi&#x017F;&#x017F;ion zur Berathung der neuen Verfa&#x017F;&#x017F;ungsvorlage,<lb/>
welche &#x017F;ich von der letzten, verworfenen, we&#x017F;entlich nur durch ihre ge-<lb/>
drängtere, zweckmäßigere Form unter&#x017F;chied. Am 2. Sept. er&#x017F;tattete die<lb/>
Commi&#x017F;&#x017F;ion ihren Bericht, und hatte der alte Landtag durch pedanti&#x017F;che<lb/>
Lang&#x017F;amkeit ge&#x017F;ündigt, &#x017F;o betrieb der neue &#x017F;eine Arbeit in ra&#x017F;ender Eile,<lb/>
weil er den Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en durch eine vollendete That&#x017F;ache zuvor-<lb/>
kommen wollte.</p><lb/>
          <p>Schon am 18. September war die Berathung beendigt, in zwei<lb/>
Tagen hatte man 121 Artikel erledigt. Das früher &#x017F;o leiden&#x017F;chaftlich<lb/>
bekämpfte Zweikammer&#x017F;y&#x017F;tem wurde jetzt fa&#x017F;t ohne Streit angenommen,<lb/>
weil die Frage bereits ent&#x017F;chieden &#x017F;ei &#x201E;durch Verhältni&#x017F;&#x017F;e, deren Berück-<lb/>
&#x017F;ichtigung unausweichlich i&#x017F;t.&#x201C; Alle Parteien fühlten, daß man den<lb/>
von die&#x017F;er Krone &#x017F;o ungerecht behandelten Mediati&#x017F;irten irgend ein Zu-<lb/>
ge&#x017F;tändniß bieten mü&#x017F;&#x017F;e um gefährliche Verhandlungen am Bundestage<lb/>
zu vermeiden. Von &#x017F;olcher Furcht beherr&#x017F;cht, kam man dem hohen Adel<lb/>
&#x017F;ogar allzuweit entgegen und gewährte der Krone nur das Recht, höch&#x017F;tens<lb/>
ein Drittel der Mitglieder der er&#x017F;ten Kammer, die geheim tagen &#x017F;ollte,<lb/>
zu ernennen, &#x017F;o daß unlösbare Streitigkeiten zwi&#x017F;chen den beiden Kammern<lb/>
&#x017F;ehr leicht eintreten konnten. Auch das Idol der Altrechtler, die &#x017F;tändi&#x017F;che<lb/>
Steuerka&#x017F;&#x017F;e ward nur noch von Uhland und einer kleinen Minderzahl matt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">35*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[547/0561] Der württembergiſche Landtag. ſeine Volksvertreter vor Verführung zu ſichern, ließ der König den eifrigen Altrechtler Paulus, der auf Beſuch in ſein Heimathland gekommen war, kurzerhand ausweiſen. Der Todfeind der württembergiſchen Schreiber, der freimüthige F. Liſt, wurde durch ein ungemein einfaches Verfahren von dem Landtage ausgeſchloſſen. Da er am Tage der Wahl ſein drei- ßigſtes Lebensjahr noch nicht ganz vollendet hatte, ſo erklärte das Oberamt Reutlingen, auf Befehl der Regierung, ſeinen Wählern kurzweg: ihre Stimmzettel ſeien ungiltig, es ſolle ihnen aber geſtattet werden „am nächſten Montag friſch zu wählen“. *) Als er darauf, nunmehr un- zweifelhaft wählbar, in einem anderen Bezirke gewählt werden ſollte, verwickelte man ihn in eine Unterſuchung wegen der revolutionären Sprache ſeines Wahlaufrufs, und ſo gelang es, den unbequemen Mann während des ganzen Landtags fern zu halten. Die Vorſicht war kaum nöthig; denn die Oligarchie der Altrechtler hatte bereits in der Stille ihren Frieden mit dem Miniſterium geſchloſſen. Die Verſammlung be- gann ſogleich mit Beweiſen der Ergebenheit, welche von dem alten Trotze ſeltſam abſtachen und wenig geeignet waren den Monarchen von ſeiner cyniſchen Menſchenverachtung zu heilen. Sie dankte dem Könige, weil er „von Neuem den Weg des Vertrages betreten, auf dem ſich von jeher die Verfaſſung des Landes entwickelt hat,“ und ernannte alsbald eine Commiſſion zur Berathung der neuen Verfaſſungsvorlage, welche ſich von der letzten, verworfenen, weſentlich nur durch ihre ge- drängtere, zweckmäßigere Form unterſchied. Am 2. Sept. erſtattete die Commiſſion ihren Bericht, und hatte der alte Landtag durch pedantiſche Langſamkeit geſündigt, ſo betrieb der neue ſeine Arbeit in raſender Eile, weil er den Karlsbader Beſchlüſſen durch eine vollendete Thatſache zuvor- kommen wollte. Schon am 18. September war die Berathung beendigt, in zwei Tagen hatte man 121 Artikel erledigt. Das früher ſo leidenſchaftlich bekämpfte Zweikammerſyſtem wurde jetzt faſt ohne Streit angenommen, weil die Frage bereits entſchieden ſei „durch Verhältniſſe, deren Berück- ſichtigung unausweichlich iſt.“ Alle Parteien fühlten, daß man den von dieſer Krone ſo ungerecht behandelten Mediatiſirten irgend ein Zu- geſtändniß bieten müſſe um gefährliche Verhandlungen am Bundestage zu vermeiden. Von ſolcher Furcht beherrſcht, kam man dem hohen Adel ſogar allzuweit entgegen und gewährte der Krone nur das Recht, höchſtens ein Drittel der Mitglieder der erſten Kammer, die geheim tagen ſollte, zu ernennen, ſo daß unlösbare Streitigkeiten zwiſchen den beiden Kammern ſehr leicht eintreten konnten. Auch das Idol der Altrechtler, die ſtändiſche Steuerkaſſe ward nur noch von Uhland und einer kleinen Minderzahl matt *) Erlaß des Oberamts Reutlingen an den Kupferſchmid Peter Votteler u. A., 10. Juli 1819. 35*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/561
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/561>, abgerufen am 09.05.2024.