Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. Dünkel des jungen Geschlechts nicht ganz so nachsichtig äußerte wie Groß-herzog Karl August, aber mit den praktischen Vorschlägen des Weima- rischen Antrags fast vollständig übereinstimmte. Er fand die wesentlichen Institutionen der deutschen Hochschulen, wie sie sich historisch entwickelt hätten, durchaus gesund; er warnte die Regierungen vor dem Versuche, durch Drohungen und Ermahnungen in diese Welt der Freiheit einzu- greifen: "die Aeußerung einer Regierung muß zugleich That sein;" er wagte sogar den einfachen, in jenem Augenblicke sehr kühnen Gedanken auszusprechen, ob man nicht die akademischen Verbindungen unter gewissen Vorbehalten gradezu erlauben solle, da die zahllosen Verbote seit Jahr- hunderten doch nichts geholfen hätten, und erklärte sich endlich sehr nach- drücklich gegen den Vorschlag, daß ein entlassener Professor niemals wieder angestellt werden dürfe: genug, wenn die Regierungen einander die Gründe solcher Entlassungen gewissenhaft mittheilten, einen Verderber der Jugend werde doch sicher kein deutscher Fürst in seine Dienste ziehen wollen. In der Commission des Bundestags drang Preußen allerdings nicht mit allen seinen Vorschlägen durch; der Antrag Oesterreichs auf Nichtwieder- anstellung der entlassenen Professoren wurde von Baiern, Hannover und Baden gegen Preußens Widerspruch angenommen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen aber begegnete Oesterreich überall der Abneigung des Partikularismus, der nirgends so wohl berechtigt ist wie auf dem Gebiete des akademischen Lebens. Selbst diese ängstlichen kleinen Kronen wollten sich die Eigenart ihrer Hochschulen nicht ganz verkümmern lassen und verstanden sich nur zu wenigen gemeinsamen Vorschriften; ihr Widerstand war um so schwerer zu besiegen, da das Universitätswesen unzweifelhaft nicht zur Competenz des Bundes gehörte. Metternich fühlte, daß er durch den Bundestag nie zu seinem Ziele *) Goltz's Bericht an den König, 9. März 1819.
II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. Dünkel des jungen Geſchlechts nicht ganz ſo nachſichtig äußerte wie Groß-herzog Karl Auguſt, aber mit den praktiſchen Vorſchlägen des Weima- riſchen Antrags faſt vollſtändig übereinſtimmte. Er fand die weſentlichen Inſtitutionen der deutſchen Hochſchulen, wie ſie ſich hiſtoriſch entwickelt hätten, durchaus geſund; er warnte die Regierungen vor dem Verſuche, durch Drohungen und Ermahnungen in dieſe Welt der Freiheit einzu- greifen: „die Aeußerung einer Regierung muß zugleich That ſein;“ er wagte ſogar den einfachen, in jenem Augenblicke ſehr kühnen Gedanken auszuſprechen, ob man nicht die akademiſchen Verbindungen unter gewiſſen Vorbehalten gradezu erlauben ſolle, da die zahlloſen Verbote ſeit Jahr- hunderten doch nichts geholfen hätten, und erklärte ſich endlich ſehr nach- drücklich gegen den Vorſchlag, daß ein entlaſſener Profeſſor niemals wieder angeſtellt werden dürfe: genug, wenn die Regierungen einander die Gründe ſolcher Entlaſſungen gewiſſenhaft mittheilten, einen Verderber der Jugend werde doch ſicher kein deutſcher Fürſt in ſeine Dienſte ziehen wollen. In der Commiſſion des Bundestags drang Preußen allerdings nicht mit allen ſeinen Vorſchlägen durch; der Antrag Oeſterreichs auf Nichtwieder- anſtellung der entlaſſenen Profeſſoren wurde von Baiern, Hannover und Baden gegen Preußens Widerſpruch angenommen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen aber begegnete Oeſterreich überall der Abneigung des Partikularismus, der nirgends ſo wohl berechtigt iſt wie auf dem Gebiete des akademiſchen Lebens. Selbſt dieſe ängſtlichen kleinen Kronen wollten ſich die Eigenart ihrer Hochſchulen nicht ganz verkümmern laſſen und verſtanden ſich nur zu wenigen gemeinſamen Vorſchriften; ihr Widerſtand war um ſo ſchwerer zu beſiegen, da das Univerſitätsweſen unzweifelhaft nicht zur Competenz des Bundes gehörte. Metternich fühlte, daß er durch den Bundestag nie zu ſeinem Ziele *) Goltz’s Bericht an den König, 9. März 1819.
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II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
Dünkel des jungen Geſchlechts nicht ganz ſo nachſichtig äußerte wie Groß-
herzog Karl Auguſt, aber mit den praktiſchen Vorſchlägen des Weima-
riſchen Antrags faſt vollſtändig übereinſtimmte. Er fand die weſentlichen
Inſtitutionen der deutſchen Hochſchulen, wie ſie ſich hiſtoriſch entwickelt
hätten, durchaus geſund; er warnte die Regierungen vor dem Verſuche,
durch Drohungen und Ermahnungen in dieſe Welt der Freiheit einzu-
greifen: „die Aeußerung einer Regierung muß zugleich That ſein;“ er
wagte ſogar den einfachen, in jenem Augenblicke ſehr kühnen Gedanken
auszuſprechen, ob man nicht die akademiſchen Verbindungen unter gewiſſen
Vorbehalten gradezu erlauben ſolle, da die zahlloſen Verbote ſeit Jahr-
hunderten doch nichts geholfen hätten, und erklärte ſich endlich ſehr nach-
drücklich gegen den Vorſchlag, daß ein entlaſſener Profeſſor niemals wieder
angeſtellt werden dürfe: genug, wenn die Regierungen einander die
Gründe ſolcher Entlaſſungen gewiſſenhaft mittheilten, einen Verderber der
Jugend werde doch ſicher kein deutſcher Fürſt in ſeine Dienſte ziehen wollen.
In der Commiſſion des Bundestags drang Preußen allerdings nicht mit
allen ſeinen Vorſchlägen durch; der Antrag Oeſterreichs auf Nichtwieder-
anſtellung der entlaſſenen Profeſſoren wurde von Baiern, Hannover und
Baden gegen Preußens Widerſpruch angenommen. Im weiteren Verlauf
der Verhandlungen aber begegnete Oeſterreich überall der Abneigung des
Partikularismus, der nirgends ſo wohl berechtigt iſt wie auf dem Gebiete
des akademiſchen Lebens. Selbſt dieſe ängſtlichen kleinen Kronen wollten
ſich die Eigenart ihrer Hochſchulen nicht ganz verkümmern laſſen und
verſtanden ſich nur zu wenigen gemeinſamen Vorſchriften; ihr Widerſtand
war um ſo ſchwerer zu beſiegen, da das Univerſitätsweſen unzweifelhaft
nicht zur Competenz des Bundes gehörte.
Metternich fühlte, daß er durch den Bundestag nie zu ſeinem Ziele
gelangen konnte; ohnehin hatte der anarchiſche Zuſtand der Frankfurter
Verſammlung ſchon längſt den Unwillen des Wiener Hofes hervorgerufen.
Graf Buol mit ſeiner Gedankenarmuth, ſeiner taktloſen Heftigkeit ver-
mochte die Verſammlung nicht zu leiten. Der gutmüthige Goltz zeigte ſich
ſeiner Stellung ebenſo wenig gewachſen, er hatte ſoeben wegen einer un-
geſchickten Indiskretion ſeine Abberufung erhalten und nur mit Mühe
die Verzeihung ſeines Hofes wieder erlangt. *) So konnte es geſchehen,
daß einige Geſandte der kleineren Staaten, Wangenheim, die beiden Heſſen
Harnier und Lepel, der Bremer Smidt u. A., insgeheim unterſtützt durch
den liſtigen Baiern Aretin, eine liberale Oppoſitionspartei bildeten, welche
in einer Diplomatenverſammlung durchaus unberechtigt war, weil ſie ſich
nicht auf die Inſtruktionen der Höfe, ſondern lediglich auf die perſönlichen
Ueberzeugungen der Geſandten ſtützte. Nicht ohne Uebermuth pflegten
dieſe Kleinen in den Commiſſionsſitzungen den Geſandten der beiden Groß-
*) Goltz’s Bericht an den König, 9. März 1819.
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