Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
ciation wollte der Czar freilich keinen Glauben schenken; die deutschen
Zustände aber beurtheilte er wie Nesselrode. Er empfand den Russenhaß,
der aus den Angriffen der Jenenser gegen Kotzebue und Stourdza
sprach, wie eine persönliche Beleidigung und tadelte lebhaft, daß Karl
August die Untersuchungen gegen die Demagogen so schlaff betreibe. *)
Genug, der österreichische Hof hatte völlig freie Hand für den Kampf wider
die deutsche Revolution. --

Eine Zeit lang schien es, als ob der erste Schlag durch den Bundes-
tag geführt werden sollte. Bei allem Wohlwollen hatte Großherzog Karl
August nach Sands That seiner Hochschule einige harte Maßregeln nicht
ersparen können. Er befahl eine strengere Handhabung der Disciplin
und schritt endlich, da die Isis in ihrem Toben fortfuhr, auch gegen Oken
ein. Der Senat mußte, nachdem er sich vergeblich dawider verwahrt, dem
ehrlichen Polterer die Wahl stellen, ob er auf sein Lehramt verzichten
oder die Zeitschrift aufgeben wolle. Da Oken nach seiner Weise erwiderte,
er habe darauf keine Antwort, so wurde er unter lebhaften Beileidsbe-
zeigungen seiner Amtsgenossen entlassen. Sein Blatt mußte bald darauf
nach Leipzig übersiedeln; er selbst versuchte sich in Würzburg niederzu-
lassen, was auf unmittelbaren Befehl des Königs verboten wurde, **) und
verbrachte dann einige Zeit in gelehrten Arbeiten zu Paris, der erste Flücht-
ling der deutschen Bewegung. Um Aergeres zu verhüten und sein Jena
gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen, ließ der Großherzog inzwischen
am Bundestage eine Vereinbarung über gemeinsame Grundsätze der akade-
mischen Disciplin beantragen. Aber niemals, fügte der Gesandte v. Hendrich
hinzu, dürften die Universitäten, welche Graf Buol selber in seiner Er-
öffnungsrede ein stolzes Denkmal deutscher Entwicklung genannt habe,
in Schulen umgewandelt werden: "auch Freiheit der Meinungen und
der Lehre muß ihnen verbleiben; denn im offenen Kampfe der Mei-
nungen soll hier das Wahre gefunden, gegen das Einseitige, gegen das
Vertrauen auf Autoritäten soll hier der Schüler bewahrt, zur Selbstän-
digkeit soll er erhoben werden." Daran schloß sich eine warme Verthei-
digung der Studenten: in ihrer Burschenschaft hätten sie die schöne Idee
der Einigkeit der Deutschen verwirklichen wollen; die man im Kriege
als Wehrhafte gebraucht habe dürfe man nicht sogleich wieder als Un-
mündige behandeln. Zugleich hatte der Großherzog einen eigenen Bevoll-
mächtigten, Geh.-Rath Conta, nach Frankfurt geschickt um mit den Ge-
sandten der anderen Staaten, welche Universitäten besaßen, das Nähere
zu verabreden. ***)

Mit Entsetzen vernahmen Gentz und Nesselrode die verwegene Sprache

*) Krusemarks Berichte, 21. Mai, 30. Juni; Blittersdorffs Berichte, Petersburg
21. April, 30. Mai 1819.
**) Zastrows Bericht, 9. Okt. 1819.
***) Goltz's Bericht, Frankf. 17. Mai; Blittersdorffs Bericht, Petersburg 8. Mai 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ciation wollte der Czar freilich keinen Glauben ſchenken; die deutſchen
Zuſtände aber beurtheilte er wie Neſſelrode. Er empfand den Ruſſenhaß,
der aus den Angriffen der Jenenſer gegen Kotzebue und Stourdza
ſprach, wie eine perſönliche Beleidigung und tadelte lebhaft, daß Karl
Auguſt die Unterſuchungen gegen die Demagogen ſo ſchlaff betreibe. *)
Genug, der öſterreichiſche Hof hatte völlig freie Hand für den Kampf wider
die deutſche Revolution. —

Eine Zeit lang ſchien es, als ob der erſte Schlag durch den Bundes-
tag geführt werden ſollte. Bei allem Wohlwollen hatte Großherzog Karl
Auguſt nach Sands That ſeiner Hochſchule einige harte Maßregeln nicht
erſparen können. Er befahl eine ſtrengere Handhabung der Disciplin
und ſchritt endlich, da die Iſis in ihrem Toben fortfuhr, auch gegen Oken
ein. Der Senat mußte, nachdem er ſich vergeblich dawider verwahrt, dem
ehrlichen Polterer die Wahl ſtellen, ob er auf ſein Lehramt verzichten
oder die Zeitſchrift aufgeben wolle. Da Oken nach ſeiner Weiſe erwiderte,
er habe darauf keine Antwort, ſo wurde er unter lebhaften Beileidsbe-
zeigungen ſeiner Amtsgenoſſen entlaſſen. Sein Blatt mußte bald darauf
nach Leipzig überſiedeln; er ſelbſt verſuchte ſich in Würzburg niederzu-
laſſen, was auf unmittelbaren Befehl des Königs verboten wurde, **) und
verbrachte dann einige Zeit in gelehrten Arbeiten zu Paris, der erſte Flücht-
ling der deutſchen Bewegung. Um Aergeres zu verhüten und ſein Jena
gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen, ließ der Großherzog inzwiſchen
am Bundestage eine Vereinbarung über gemeinſame Grundſätze der akade-
miſchen Disciplin beantragen. Aber niemals, fügte der Geſandte v. Hendrich
hinzu, dürften die Univerſitäten, welche Graf Buol ſelber in ſeiner Er-
öffnungsrede ein ſtolzes Denkmal deutſcher Entwicklung genannt habe,
in Schulen umgewandelt werden: „auch Freiheit der Meinungen und
der Lehre muß ihnen verbleiben; denn im offenen Kampfe der Mei-
nungen ſoll hier das Wahre gefunden, gegen das Einſeitige, gegen das
Vertrauen auf Autoritäten ſoll hier der Schüler bewahrt, zur Selbſtän-
digkeit ſoll er erhoben werden.“ Daran ſchloß ſich eine warme Verthei-
digung der Studenten: in ihrer Burſchenſchaft hätten ſie die ſchöne Idee
der Einigkeit der Deutſchen verwirklichen wollen; die man im Kriege
als Wehrhafte gebraucht habe dürfe man nicht ſogleich wieder als Un-
mündige behandeln. Zugleich hatte der Großherzog einen eigenen Bevoll-
mächtigten, Geh.-Rath Conta, nach Frankfurt geſchickt um mit den Ge-
ſandten der anderen Staaten, welche Univerſitäten beſaßen, das Nähere
zu verabreden. ***)

Mit Entſetzen vernahmen Gentz und Neſſelrode die verwegene Sprache

*) Kruſemarks Berichte, 21. Mai, 30. Juni; Blittersdorffs Berichte, Petersburg
21. April, 30. Mai 1819.
**) Zaſtrows Bericht, 9. Okt. 1819.
***) Goltz’s Bericht, Frankf. 17. Mai; Blittersdorffs Bericht, Petersburg 8. Mai 1819.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0548" n="534"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 9. Die Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e.</fw><lb/>
ciation wollte der Czar freilich keinen Glauben &#x017F;chenken; die deut&#x017F;chen<lb/>
Zu&#x017F;tände aber beurtheilte er wie Ne&#x017F;&#x017F;elrode. Er empfand den Ru&#x017F;&#x017F;enhaß,<lb/>
der aus den Angriffen der Jenen&#x017F;er gegen Kotzebue und Stourdza<lb/>
&#x017F;prach, wie eine per&#x017F;önliche Beleidigung und tadelte lebhaft, daß Karl<lb/>
Augu&#x017F;t die Unter&#x017F;uchungen gegen die Demagogen &#x017F;o &#x017F;chlaff betreibe. <note place="foot" n="*)">Kru&#x017F;emarks Berichte, 21. Mai, 30. Juni; Blittersdorffs Berichte, Petersburg<lb/>
21. April, 30. Mai 1819.</note><lb/>
Genug, der ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Hof hatte völlig freie Hand für den Kampf wider<lb/>
die deut&#x017F;che Revolution. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Eine Zeit lang &#x017F;chien es, als ob der er&#x017F;te Schlag durch den Bundes-<lb/>
tag geführt werden &#x017F;ollte. Bei allem Wohlwollen hatte Großherzog Karl<lb/>
Augu&#x017F;t nach Sands That &#x017F;einer Hoch&#x017F;chule einige harte Maßregeln nicht<lb/>
er&#x017F;paren können. Er befahl eine &#x017F;trengere Handhabung der Disciplin<lb/>
und &#x017F;chritt endlich, da die I&#x017F;is in ihrem Toben fortfuhr, auch gegen Oken<lb/>
ein. Der Senat mußte, nachdem er &#x017F;ich vergeblich dawider verwahrt, dem<lb/>
ehrlichen Polterer die Wahl &#x017F;tellen, ob er auf &#x017F;ein Lehramt verzichten<lb/>
oder die Zeit&#x017F;chrift aufgeben wolle. Da Oken nach &#x017F;einer Wei&#x017F;e erwiderte,<lb/>
er habe darauf keine Antwort, &#x017F;o wurde er unter lebhaften Beileidsbe-<lb/>
zeigungen &#x017F;einer Amtsgeno&#x017F;&#x017F;en entla&#x017F;&#x017F;en. Sein Blatt mußte bald darauf<lb/>
nach Leipzig über&#x017F;iedeln; er &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;uchte &#x017F;ich in Würzburg niederzu-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, was auf unmittelbaren Befehl des Königs verboten wurde, <note place="foot" n="**)">Za&#x017F;trows Bericht, 9. Okt. 1819.</note> und<lb/>
verbrachte dann einige Zeit in gelehrten Arbeiten zu Paris, der er&#x017F;te Flücht-<lb/>
ling der deut&#x017F;chen Bewegung. Um Aergeres zu verhüten und &#x017F;ein Jena<lb/>
gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen, ließ der Großherzog inzwi&#x017F;chen<lb/>
am Bundestage eine Vereinbarung über gemein&#x017F;ame Grund&#x017F;ätze der akade-<lb/>
mi&#x017F;chen Disciplin beantragen. Aber niemals, fügte der Ge&#x017F;andte v. Hendrich<lb/>
hinzu, dürften die Univer&#x017F;itäten, welche Graf Buol &#x017F;elber in &#x017F;einer Er-<lb/>
öffnungsrede ein &#x017F;tolzes Denkmal deut&#x017F;cher Entwicklung genannt habe,<lb/>
in Schulen umgewandelt werden: &#x201E;auch Freiheit der Meinungen und<lb/>
der Lehre muß ihnen verbleiben; denn im offenen Kampfe der Mei-<lb/>
nungen &#x017F;oll hier das Wahre gefunden, gegen das Ein&#x017F;eitige, gegen das<lb/>
Vertrauen auf Autoritäten &#x017F;oll hier der Schüler bewahrt, zur Selb&#x017F;tän-<lb/>
digkeit &#x017F;oll er erhoben werden.&#x201C; Daran &#x017F;chloß &#x017F;ich eine warme Verthei-<lb/>
digung der Studenten: in ihrer Bur&#x017F;chen&#x017F;chaft hätten &#x017F;ie die &#x017F;chöne Idee<lb/>
der Einigkeit der Deut&#x017F;chen verwirklichen wollen; die man im Kriege<lb/>
als Wehrhafte gebraucht habe dürfe man nicht &#x017F;ogleich wieder als Un-<lb/>
mündige behandeln. Zugleich hatte der Großherzog einen eigenen Bevoll-<lb/>
mächtigten, Geh.-Rath Conta, nach Frankfurt ge&#x017F;chickt um mit den Ge-<lb/>
&#x017F;andten der anderen Staaten, welche Univer&#x017F;itäten be&#x017F;aßen, das Nähere<lb/>
zu verabreden. <note place="foot" n="***)">Goltz&#x2019;s Bericht, Frankf. 17. Mai; <choice><sic>Blitttersdorffs</sic><corr>Blittersdorffs</corr></choice> Bericht, Petersburg 8. Mai 1819.</note></p><lb/>
          <p>Mit Ent&#x017F;etzen vernahmen Gentz und Ne&#x017F;&#x017F;elrode die verwegene Sprache<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[534/0548] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ciation wollte der Czar freilich keinen Glauben ſchenken; die deutſchen Zuſtände aber beurtheilte er wie Neſſelrode. Er empfand den Ruſſenhaß, der aus den Angriffen der Jenenſer gegen Kotzebue und Stourdza ſprach, wie eine perſönliche Beleidigung und tadelte lebhaft, daß Karl Auguſt die Unterſuchungen gegen die Demagogen ſo ſchlaff betreibe. *) Genug, der öſterreichiſche Hof hatte völlig freie Hand für den Kampf wider die deutſche Revolution. — Eine Zeit lang ſchien es, als ob der erſte Schlag durch den Bundes- tag geführt werden ſollte. Bei allem Wohlwollen hatte Großherzog Karl Auguſt nach Sands That ſeiner Hochſchule einige harte Maßregeln nicht erſparen können. Er befahl eine ſtrengere Handhabung der Disciplin und ſchritt endlich, da die Iſis in ihrem Toben fortfuhr, auch gegen Oken ein. Der Senat mußte, nachdem er ſich vergeblich dawider verwahrt, dem ehrlichen Polterer die Wahl ſtellen, ob er auf ſein Lehramt verzichten oder die Zeitſchrift aufgeben wolle. Da Oken nach ſeiner Weiſe erwiderte, er habe darauf keine Antwort, ſo wurde er unter lebhaften Beileidsbe- zeigungen ſeiner Amtsgenoſſen entlaſſen. Sein Blatt mußte bald darauf nach Leipzig überſiedeln; er ſelbſt verſuchte ſich in Würzburg niederzu- laſſen, was auf unmittelbaren Befehl des Königs verboten wurde, **) und verbrachte dann einige Zeit in gelehrten Arbeiten zu Paris, der erſte Flücht- ling der deutſchen Bewegung. Um Aergeres zu verhüten und ſein Jena gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen, ließ der Großherzog inzwiſchen am Bundestage eine Vereinbarung über gemeinſame Grundſätze der akade- miſchen Disciplin beantragen. Aber niemals, fügte der Geſandte v. Hendrich hinzu, dürften die Univerſitäten, welche Graf Buol ſelber in ſeiner Er- öffnungsrede ein ſtolzes Denkmal deutſcher Entwicklung genannt habe, in Schulen umgewandelt werden: „auch Freiheit der Meinungen und der Lehre muß ihnen verbleiben; denn im offenen Kampfe der Mei- nungen ſoll hier das Wahre gefunden, gegen das Einſeitige, gegen das Vertrauen auf Autoritäten ſoll hier der Schüler bewahrt, zur Selbſtän- digkeit ſoll er erhoben werden.“ Daran ſchloß ſich eine warme Verthei- digung der Studenten: in ihrer Burſchenſchaft hätten ſie die ſchöne Idee der Einigkeit der Deutſchen verwirklichen wollen; die man im Kriege als Wehrhafte gebraucht habe dürfe man nicht ſogleich wieder als Un- mündige behandeln. Zugleich hatte der Großherzog einen eigenen Bevoll- mächtigten, Geh.-Rath Conta, nach Frankfurt geſchickt um mit den Ge- ſandten der anderen Staaten, welche Univerſitäten beſaßen, das Nähere zu verabreden. ***) Mit Entſetzen vernahmen Gentz und Neſſelrode die verwegene Sprache *) Kruſemarks Berichte, 21. Mai, 30. Juni; Blittersdorffs Berichte, Petersburg 21. April, 30. Mai 1819. **) Zaſtrows Bericht, 9. Okt. 1819. ***) Goltz’s Bericht, Frankf. 17. Mai; Blittersdorffs Bericht, Petersburg 8. Mai 1819.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/548
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/548>, abgerufen am 22.11.2024.