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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
des alten Geschlechtes eiferte; allen seinen Genossen blieb es unvergeßlich,
mit welchem höhnischen Hochmuth er die Verse zu singen pflegte: Du
mußt dann unter seidenen Decken, unter Mercur und Latwergen verrecken!
Der heidnische Dünkel, der rationalistische Stolz auf die unbefleckte Würde
des freien sich selber behauptenden Ich vertrug sich aber in diesem armen
Kopfe mit einer mystischen Schwärmerei, die verzückt zu Jesu Vorbild
aufblickte und den Finger Gottes in jedem kleinen Tageserlebniß zu er-
kennen wähnte: mit Gebet und frommen Betrachtungen bereitete er sich
selbst auf die harmlosen studentischen Duellspiele vor, und oft lud er
nach einem geringfügigen Wortwechsel seinen Gegner feierlich vor Gottes
Gericht.

Erfahrenen Menschenkennern hinterließ der verschlossene, im per-
sönlichen Verkehre freundliche und gutmüthige Jüngling doch einen un-
heimlichen Eindruck; als Wangenheim, sein alter Gönner von Tübingen
her, eines Tages in Frankfurt erfuhr, Karl Sand habe ihn auf der Durch-
reise besuchen wollen, da überkam ihn sofort die Ahnung, daß etwas
Gräßliches im Werke sei, er warf sich aufs Pferd und eilte dem Wan-
derer auf der Bergstraße nach ohne ihn zu finden. Sand hatte als bairi-
scher Freiwilliger an dem Feldzuge von 1815 theilgenommen, aber den
Feind nie zu Gesicht bekommen und voll Verachtung gegen die Soldaterei
alsbald nach der Heimkehr den bunten Rock wieder ausgezogen. Um so
eifriger stürzte er sich mit Leib und Seele in das Treiben der Burschen-
schaft; die Verbindung war ihm Staat und Kirche, Haus und Liebe,
Eines und Alles, die ganze Welt sah er zertheilt in zwei große Heerlager:
hier die reinen, freien, keuschen Burschen, dort die feilen Schergen der
Zwingherrschaft. In Tübingen, in Erlangen, endlich in Jena war er
überall mit dabei, wo feurige Teutonen Rütli-Schwüre tauschten und von
St. Georgen-Thaten schwärmten, ein unbeholfener Redner, wenig ange-
sehen bei den Genossen, nur als rüstiger Turner wohl gelitten; aber was
der laute Schwarm gedankenlos herauspolterte, das erschütterte diese schwere
Natur bis ins Mark, ihm war es kein leeres Wort, wenn die Burschen
sangen:

Und in der Widerischen Herzen tauchen,
Thut's noth, das deutsche Schwert!

Als er in Erlangen einen geliebten Freund dicht vor seinen Augen
ertrinken sah und die Landsmannschaften sich weigerten dem Todten das
letzte Geleite zu geben, da schwand der letzte Schimmer jugendlicher Heiter-
keit aus seinem umnachteten Gemüthe; er sah sich umringt von einer
Welt von Feinden und kündete dieser verrotteten Welt in seinem Herzen
offene Fehde an: "Ihr Fürsten Deutschlands, warum mußtet Ihr mich
aus meinem Frieden aufstören?" Haß, glühender Haß wider die unbe-
kannten Gegner der Burschenschaft und des einen untheilbaren deutschen
Freistaats erfüllte ihm die Seele, und nun wies Luden durch seinen

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
des alten Geſchlechtes eiferte; allen ſeinen Genoſſen blieb es unvergeßlich,
mit welchem höhniſchen Hochmuth er die Verſe zu ſingen pflegte: Du
mußt dann unter ſeidenen Decken, unter Mercur und Latwergen verrecken!
Der heidniſche Dünkel, der rationaliſtiſche Stolz auf die unbefleckte Würde
des freien ſich ſelber behauptenden Ich vertrug ſich aber in dieſem armen
Kopfe mit einer myſtiſchen Schwärmerei, die verzückt zu Jeſu Vorbild
aufblickte und den Finger Gottes in jedem kleinen Tageserlebniß zu er-
kennen wähnte: mit Gebet und frommen Betrachtungen bereitete er ſich
ſelbſt auf die harmloſen ſtudentiſchen Duellſpiele vor, und oft lud er
nach einem geringfügigen Wortwechſel ſeinen Gegner feierlich vor Gottes
Gericht.

Erfahrenen Menſchenkennern hinterließ der verſchloſſene, im per-
ſönlichen Verkehre freundliche und gutmüthige Jüngling doch einen un-
heimlichen Eindruck; als Wangenheim, ſein alter Gönner von Tübingen
her, eines Tages in Frankfurt erfuhr, Karl Sand habe ihn auf der Durch-
reiſe beſuchen wollen, da überkam ihn ſofort die Ahnung, daß etwas
Gräßliches im Werke ſei, er warf ſich aufs Pferd und eilte dem Wan-
derer auf der Bergſtraße nach ohne ihn zu finden. Sand hatte als bairi-
ſcher Freiwilliger an dem Feldzuge von 1815 theilgenommen, aber den
Feind nie zu Geſicht bekommen und voll Verachtung gegen die Soldaterei
alsbald nach der Heimkehr den bunten Rock wieder ausgezogen. Um ſo
eifriger ſtürzte er ſich mit Leib und Seele in das Treiben der Burſchen-
ſchaft; die Verbindung war ihm Staat und Kirche, Haus und Liebe,
Eines und Alles, die ganze Welt ſah er zertheilt in zwei große Heerlager:
hier die reinen, freien, keuſchen Burſchen, dort die feilen Schergen der
Zwingherrſchaft. In Tübingen, in Erlangen, endlich in Jena war er
überall mit dabei, wo feurige Teutonen Rütli-Schwüre tauſchten und von
St. Georgen-Thaten ſchwärmten, ein unbeholfener Redner, wenig ange-
ſehen bei den Genoſſen, nur als rüſtiger Turner wohl gelitten; aber was
der laute Schwarm gedankenlos herauspolterte, das erſchütterte dieſe ſchwere
Natur bis ins Mark, ihm war es kein leeres Wort, wenn die Burſchen
ſangen:

Und in der Wideriſchen Herzen tauchen,
Thut’s noth, das deutſche Schwert!

Als er in Erlangen einen geliebten Freund dicht vor ſeinen Augen
ertrinken ſah und die Landsmannſchaften ſich weigerten dem Todten das
letzte Geleite zu geben, da ſchwand der letzte Schimmer jugendlicher Heiter-
keit aus ſeinem umnachteten Gemüthe; er ſah ſich umringt von einer
Welt von Feinden und kündete dieſer verrotteten Welt in ſeinem Herzen
offene Fehde an: „Ihr Fürſten Deutſchlands, warum mußtet Ihr mich
aus meinem Frieden aufſtören?“ Haß, glühender Haß wider die unbe-
kannten Gegner der Burſchenſchaft und des einen untheilbaren deutſchen
Freiſtaats erfüllte ihm die Seele, und nun wies Luden durch ſeinen

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[520/0534] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. des alten Geſchlechtes eiferte; allen ſeinen Genoſſen blieb es unvergeßlich, mit welchem höhniſchen Hochmuth er die Verſe zu ſingen pflegte: Du mußt dann unter ſeidenen Decken, unter Mercur und Latwergen verrecken! Der heidniſche Dünkel, der rationaliſtiſche Stolz auf die unbefleckte Würde des freien ſich ſelber behauptenden Ich vertrug ſich aber in dieſem armen Kopfe mit einer myſtiſchen Schwärmerei, die verzückt zu Jeſu Vorbild aufblickte und den Finger Gottes in jedem kleinen Tageserlebniß zu er- kennen wähnte: mit Gebet und frommen Betrachtungen bereitete er ſich ſelbſt auf die harmloſen ſtudentiſchen Duellſpiele vor, und oft lud er nach einem geringfügigen Wortwechſel ſeinen Gegner feierlich vor Gottes Gericht. Erfahrenen Menſchenkennern hinterließ der verſchloſſene, im per- ſönlichen Verkehre freundliche und gutmüthige Jüngling doch einen un- heimlichen Eindruck; als Wangenheim, ſein alter Gönner von Tübingen her, eines Tages in Frankfurt erfuhr, Karl Sand habe ihn auf der Durch- reiſe beſuchen wollen, da überkam ihn ſofort die Ahnung, daß etwas Gräßliches im Werke ſei, er warf ſich aufs Pferd und eilte dem Wan- derer auf der Bergſtraße nach ohne ihn zu finden. Sand hatte als bairi- ſcher Freiwilliger an dem Feldzuge von 1815 theilgenommen, aber den Feind nie zu Geſicht bekommen und voll Verachtung gegen die Soldaterei alsbald nach der Heimkehr den bunten Rock wieder ausgezogen. Um ſo eifriger ſtürzte er ſich mit Leib und Seele in das Treiben der Burſchen- ſchaft; die Verbindung war ihm Staat und Kirche, Haus und Liebe, Eines und Alles, die ganze Welt ſah er zertheilt in zwei große Heerlager: hier die reinen, freien, keuſchen Burſchen, dort die feilen Schergen der Zwingherrſchaft. In Tübingen, in Erlangen, endlich in Jena war er überall mit dabei, wo feurige Teutonen Rütli-Schwüre tauſchten und von St. Georgen-Thaten ſchwärmten, ein unbeholfener Redner, wenig ange- ſehen bei den Genoſſen, nur als rüſtiger Turner wohl gelitten; aber was der laute Schwarm gedankenlos herauspolterte, das erſchütterte dieſe ſchwere Natur bis ins Mark, ihm war es kein leeres Wort, wenn die Burſchen ſangen: Und in der Wideriſchen Herzen tauchen, Thut’s noth, das deutſche Schwert! Als er in Erlangen einen geliebten Freund dicht vor ſeinen Augen ertrinken ſah und die Landsmannſchaften ſich weigerten dem Todten das letzte Geleite zu geben, da ſchwand der letzte Schimmer jugendlicher Heiter- keit aus ſeinem umnachteten Gemüthe; er ſah ſich umringt von einer Welt von Feinden und kündete dieſer verrotteten Welt in ſeinem Herzen offene Fehde an: „Ihr Fürſten Deutſchlands, warum mußtet Ihr mich aus meinem Frieden aufſtören?“ Haß, glühender Haß wider die unbe- kannten Gegner der Burſchenſchaft und des einen untheilbaren deutſchen Freiſtaats erfüllte ihm die Seele, und nun wies Luden durch ſeinen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/534>, abgerufen am 22.11.2024.