Bundestage und von den meisten Höfen kamen verwunderte Anfragen: ob denn in Baden Alles aus Rand und Band gehe, da der Commissar der Regierung selber die Opposition zum Kampfe gegen den Bund und das Ministerium führen dürfe? *) Graf Buol rief, auf die Nachricht von Liebensteins Rede: ohne Zweifel liegt der Redner bereits in Ketten! Minister Berstett aber war nicht der Mann diesen Sturm zu beschwören; er ließ sich im Zorne zu dem Vorwurfe jakobinischer Gesinnung gegen die Kammer hinreißen und steigerte nur den Unwillen. Da verlor der Großherzog endlich die Geduld. Am 28. Juli wurden die Kammern plötzlich bis zum nächsten Jahre vertragt. Der dreimonatliche Redekampf ging ohne jedes Ergebniß zu Ende, kein einziges Gesetz war vereinbart.
Zugleich brach auch über den Mann, der so lange schon in Karls- ruhe dem preußischen Namen Unehre bereitet hatte, die Vergeltung her- ein. Seit zwei Jahren war Varnhagens Amtsführung nur eine Kette von Unbotmäßigkeit und Gewissenlosigkeit. Als Berichterstatter unzuver- lässig, parteiisch, schlecht unterrichtet, hatte er seine Regierung sogar frech belogen, als er jene Briefe der Souveräne von Baiern und Baden an die Zeitungen verrieth und sich nachher über diesen Verrath entrüstet stellte; seinen Weisungen entgegen, hatte er sich zuerst in die bairisch-ba- dischen Händel eingemischt, dann liberale Parteipolitik getrieben und schließ- lich die Rechtsansprüche der Mediatisirten, welche der Berliner Hof un- terstützte, geradezu bekämpft. Es war eine Pflichtvergessenheit, die in der Geschichte der preußischen Diplomatie wohl nur einmal ein Seitenstück fand: an dem Verhalten des Grafen Haugwitz zur Zeit der Austerlitzer Schlacht. Auf die wohlberechtigte Klage des badischen Hofes wurde Varn- hagen abberufen und hatte es nur der Gutmüthigkeit Hardenbergs und Bernstorffs zu verdanken, daß er nicht die einfache Entlassung, sondern ein ganz unverdientes Wartegeld erhielt. Er fiel als das Opfer seiner Eitel- keit und seines Ungehorsams. Doch da seine Abberufung zufällig mit dem Beginn der Demagogenverfolgung zusammentraf, und die uneingeweihten Zeitungen bald von seiner Verhaftung, bald von seinen jakobinischen Plänen fabelten, so spielte er in Berlin den liberalen Märtyrer, und nachdem er viele Jahre hindurch bei allen Ministern des Auswärtigen, von Bernstorff bis auf Manteuffel, immer vergeblich um Wiederanstellung gebeten hatte, rächte er sich endlich durch eine literarische Giftmischerei, die seiner politischen Thaten würdig war.
In Baden arbeitete unterdessen Minister Fischer, wie kurz zuvor Rech- berg in München, an dem Plane eines Staatsstreichs. Er schlug seinem Fürsten in einer Denkschrift vor: die Krone möge die Domänen wieder an sich nehmen und wenn der Landtag darauf nicht eingehe, die Ver-
Bundestage und von den meiſten Höfen kamen verwunderte Anfragen: ob denn in Baden Alles aus Rand und Band gehe, da der Commiſſar der Regierung ſelber die Oppoſition zum Kampfe gegen den Bund und das Miniſterium führen dürfe? *) Graf Buol rief, auf die Nachricht von Liebenſteins Rede: ohne Zweifel liegt der Redner bereits in Ketten! Miniſter Berſtett aber war nicht der Mann dieſen Sturm zu beſchwören; er ließ ſich im Zorne zu dem Vorwurfe jakobiniſcher Geſinnung gegen die Kammer hinreißen und ſteigerte nur den Unwillen. Da verlor der Großherzog endlich die Geduld. Am 28. Juli wurden die Kammern plötzlich bis zum nächſten Jahre vertragt. Der dreimonatliche Redekampf ging ohne jedes Ergebniß zu Ende, kein einziges Geſetz war vereinbart.
Zugleich brach auch über den Mann, der ſo lange ſchon in Karls- ruhe dem preußiſchen Namen Unehre bereitet hatte, die Vergeltung her- ein. Seit zwei Jahren war Varnhagens Amtsführung nur eine Kette von Unbotmäßigkeit und Gewiſſenloſigkeit. Als Berichterſtatter unzuver- läſſig, parteiiſch, ſchlecht unterrichtet, hatte er ſeine Regierung ſogar frech belogen, als er jene Briefe der Souveräne von Baiern und Baden an die Zeitungen verrieth und ſich nachher über dieſen Verrath entrüſtet ſtellte; ſeinen Weiſungen entgegen, hatte er ſich zuerſt in die bairiſch-ba- diſchen Händel eingemiſcht, dann liberale Parteipolitik getrieben und ſchließ- lich die Rechtsanſprüche der Mediatiſirten, welche der Berliner Hof un- terſtützte, geradezu bekämpft. Es war eine Pflichtvergeſſenheit, die in der Geſchichte der preußiſchen Diplomatie wohl nur einmal ein Seitenſtück fand: an dem Verhalten des Grafen Haugwitz zur Zeit der Auſterlitzer Schlacht. Auf die wohlberechtigte Klage des badiſchen Hofes wurde Varn- hagen abberufen und hatte es nur der Gutmüthigkeit Hardenbergs und Bernſtorffs zu verdanken, daß er nicht die einfache Entlaſſung, ſondern ein ganz unverdientes Wartegeld erhielt. Er fiel als das Opfer ſeiner Eitel- keit und ſeines Ungehorſams. Doch da ſeine Abberufung zufällig mit dem Beginn der Demagogenverfolgung zuſammentraf, und die uneingeweihten Zeitungen bald von ſeiner Verhaftung, bald von ſeinen jakobiniſchen Plänen fabelten, ſo ſpielte er in Berlin den liberalen Märtyrer, und nachdem er viele Jahre hindurch bei allen Miniſtern des Auswärtigen, von Bernſtorff bis auf Manteuffel, immer vergeblich um Wiederanſtellung gebeten hatte, rächte er ſich endlich durch eine literariſche Giftmiſcherei, die ſeiner politiſchen Thaten würdig war.
In Baden arbeitete unterdeſſen Miniſter Fiſcher, wie kurz zuvor Rech- berg in München, an dem Plane eines Staatsſtreichs. Er ſchlug ſeinem Fürſten in einer Denkſchrift vor: die Krone möge die Domänen wieder an ſich nehmen und wenn der Landtag darauf nicht eingehe, die Ver-
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II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
Bundestage und von den meiſten Höfen kamen verwunderte Anfragen:
ob denn in Baden Alles aus Rand und Band gehe, da der Commiſſar
der Regierung ſelber die Oppoſition zum Kampfe gegen den Bund und
das Miniſterium führen dürfe? *) Graf Buol rief, auf die Nachricht
von Liebenſteins Rede: ohne Zweifel liegt der Redner bereits in Ketten!
Miniſter Berſtett aber war nicht der Mann dieſen Sturm zu beſchwören;
er ließ ſich im Zorne zu dem Vorwurfe jakobiniſcher Geſinnung gegen
die Kammer hinreißen und ſteigerte nur den Unwillen. Da verlor der
Großherzog endlich die Geduld. Am 28. Juli wurden die Kammern
plötzlich bis zum nächſten Jahre vertragt. Der dreimonatliche Redekampf
ging ohne jedes Ergebniß zu Ende, kein einziges Geſetz war vereinbart.
Zugleich brach auch über den Mann, der ſo lange ſchon in Karls-
ruhe dem preußiſchen Namen Unehre bereitet hatte, die Vergeltung her-
ein. Seit zwei Jahren war Varnhagens Amtsführung nur eine Kette
von Unbotmäßigkeit und Gewiſſenloſigkeit. Als Berichterſtatter unzuver-
läſſig, parteiiſch, ſchlecht unterrichtet, hatte er ſeine Regierung ſogar frech
belogen, als er jene Briefe der Souveräne von Baiern und Baden an
die Zeitungen verrieth und ſich nachher über dieſen Verrath entrüſtet
ſtellte; ſeinen Weiſungen entgegen, hatte er ſich zuerſt in die bairiſch-ba-
diſchen Händel eingemiſcht, dann liberale Parteipolitik getrieben und ſchließ-
lich die Rechtsanſprüche der Mediatiſirten, welche der Berliner Hof un-
terſtützte, geradezu bekämpft. Es war eine Pflichtvergeſſenheit, die in der
Geſchichte der preußiſchen Diplomatie wohl nur einmal ein Seitenſtück
fand: an dem Verhalten des Grafen Haugwitz zur Zeit der Auſterlitzer
Schlacht. Auf die wohlberechtigte Klage des badiſchen Hofes wurde Varn-
hagen abberufen und hatte es nur der Gutmüthigkeit Hardenbergs und
Bernſtorffs zu verdanken, daß er nicht die einfache Entlaſſung, ſondern
ein ganz unverdientes Wartegeld erhielt. Er fiel als das Opfer ſeiner Eitel-
keit und ſeines Ungehorſams. Doch da ſeine Abberufung zufällig mit dem
Beginn der Demagogenverfolgung zuſammentraf, und die uneingeweihten
Zeitungen bald von ſeiner Verhaftung, bald von ſeinen jakobiniſchen
Plänen fabelten, ſo ſpielte er in Berlin den liberalen Märtyrer, und
nachdem er viele Jahre hindurch bei allen Miniſtern des Auswärtigen,
von Bernſtorff bis auf Manteuffel, immer vergeblich um Wiederanſtellung
gebeten hatte, rächte er ſich endlich durch eine literariſche Giftmiſcherei,
die ſeiner politiſchen Thaten würdig war.
In Baden arbeitete unterdeſſen Miniſter Fiſcher, wie kurz zuvor Rech-
berg in München, an dem Plane eines Staatsſtreichs. Er ſchlug ſeinem
Fürſten in einer Denkſchrift vor: die Krone möge die Domänen wieder
an ſich nehmen und wenn der Landtag darauf nicht eingehe, die Ver-
*) Berkheims Bericht, Frankfurt 25. Juni; Blittersdorffs Bericht, Petersburg
14. Auguſt 1819.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/532>, abgerufen am 16.07.2024.
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