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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
schaft der Markgräfin fühlte sich beleidigt, die Mutter des Czaren Alexan-
der rief dem badischen Geschäftsträger zu: "so wenig kann man auf die
Dankbarkeit der Völker zählen!"*)

Durch das Uebermaß seiner Wünsche und die Kleinlichkeit seiner Be-
willigungen hatte der Landtag bereits alle Höfe tief verstimmt. Da be-
ging er noch einen letzten, unbegreiflichen Fehler: er lehnte sich wider den
Bundestag auf und leider auch wider das klare Recht. Im April 1818
hatte der badische Hof die Rechtsverhältnisse der Mediatisirten und der
Reichsritterschaft durch ein Adels-Edikt geordnet, das ganz im Geiste der
rheinbündischen Bureaukratie gehalten war und offenbar wider die Vor-
schriften des Art. 14 der Bundesakte verstieß. Das Edikt wurde nachher
für einen Bestandtheil der neuen Verfassung erklärt, doch der in seinem
Rechte schwer verletzte hohe Adel ließ sich nicht beschwichtigen, und die
Regierung gerieth bald in peinliche Verlegenheit. Ganz so großmüthig
wie der König von Preußen konnte diese kleine Krone die Verheißungen
der Bundesakte freilich nicht verwirklichen; aber wenngleich einzelne For-
derungen des Adels über alles Maß hinaus gingen und das Haus Löwen-
stein sogar die Erhebung der Mainzölle für sich verlangte, so waren die
Mediatisirten doch auf Grund der Bundesakte und zahlreicher europäischer
Verträge unzweifelhaft berechtigt die Patrimonialgerichtsbarkeit und die
Ortspolizei zu beanspruchen. Die Regierung begann ihr Unrecht einzu-
sehen; sie wußte auch, daß sie die Ungunst, die ihr auf dem Wiener Congreß
zu theil geworden, zumeist den beständigen Beschwerden des Adels zu
verdanken hatte. Vergeblich berief sie sich, gegen den Führer der Reichs-
ritter, Frhrn. v. Venningen, auf "den Geist der Zeit, der in Süddeutsch-
land dem Adel nicht günstig sei;"**) die Mediatisirten bestanden auf ihrem
guten Recht und erlangten, wie früher erzählt, bei dem Aachener Con-
gresse freundliches Gehör. In ernsten Schreiben mahnten die vier Mächte
den Karlsruher Hof an seine Vertragspflicht. "Wahrlich, schrieb Kapo-
distrias an Berstett, in diesem Augenblicke, wo alle Rechte des badischen
Hofes wieder unter eine doppelte Bürgschaft gestellt worden sind, kann
ein Appell an die Rechtschaffenheit seiner Politik unmöglich fruchtlos
bleiben!"***)

So stand es in der That. Die Regierung durfte sich den recht-
mäßigen Anforderungen des Vierbundes, der die ganze Zukunft dieser
Dynastie soeben erst gesichert hatte, nicht versagen. Nach kurzem Schwanken
knüpfte sie neue Verhandlungen mit den Mediatisirten an, obgleich der
erbitterte Feind des hohen Adels, König Wilhelm von Württemberg, sie
dringend zum Widerstande gegen den Aachener Congreß aufforderte.+)

*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 11. Aug. 1819.
**) Reizenstein an Venningen, 22. Okt. 1818.
***) Kapodistrias an Berstett, Aachen Nov. 1818.
+) Varnhagens Bericht, 10. Jan. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchaft der Markgräfin fühlte ſich beleidigt, die Mutter des Czaren Alexan-
der rief dem badiſchen Geſchäftsträger zu: „ſo wenig kann man auf die
Dankbarkeit der Völker zählen!“*)

Durch das Uebermaß ſeiner Wünſche und die Kleinlichkeit ſeiner Be-
willigungen hatte der Landtag bereits alle Höfe tief verſtimmt. Da be-
ging er noch einen letzten, unbegreiflichen Fehler: er lehnte ſich wider den
Bundestag auf und leider auch wider das klare Recht. Im April 1818
hatte der badiſche Hof die Rechtsverhältniſſe der Mediatiſirten und der
Reichsritterſchaft durch ein Adels-Edikt geordnet, das ganz im Geiſte der
rheinbündiſchen Bureaukratie gehalten war und offenbar wider die Vor-
ſchriften des Art. 14 der Bundesakte verſtieß. Das Edikt wurde nachher
für einen Beſtandtheil der neuen Verfaſſung erklärt, doch der in ſeinem
Rechte ſchwer verletzte hohe Adel ließ ſich nicht beſchwichtigen, und die
Regierung gerieth bald in peinliche Verlegenheit. Ganz ſo großmüthig
wie der König von Preußen konnte dieſe kleine Krone die Verheißungen
der Bundesakte freilich nicht verwirklichen; aber wenngleich einzelne For-
derungen des Adels über alles Maß hinaus gingen und das Haus Löwen-
ſtein ſogar die Erhebung der Mainzölle für ſich verlangte, ſo waren die
Mediatiſirten doch auf Grund der Bundesakte und zahlreicher europäiſcher
Verträge unzweifelhaft berechtigt die Patrimonialgerichtsbarkeit und die
Ortspolizei zu beanſpruchen. Die Regierung begann ihr Unrecht einzu-
ſehen; ſie wußte auch, daß ſie die Ungunſt, die ihr auf dem Wiener Congreß
zu theil geworden, zumeiſt den beſtändigen Beſchwerden des Adels zu
verdanken hatte. Vergeblich berief ſie ſich, gegen den Führer der Reichs-
ritter, Frhrn. v. Venningen, auf „den Geiſt der Zeit, der in Süddeutſch-
land dem Adel nicht günſtig ſei;“**) die Mediatiſirten beſtanden auf ihrem
guten Recht und erlangten, wie früher erzählt, bei dem Aachener Con-
greſſe freundliches Gehör. In ernſten Schreiben mahnten die vier Mächte
den Karlsruher Hof an ſeine Vertragspflicht. „Wahrlich, ſchrieb Kapo-
diſtrias an Berſtett, in dieſem Augenblicke, wo alle Rechte des badiſchen
Hofes wieder unter eine doppelte Bürgſchaft geſtellt worden ſind, kann
ein Appell an die Rechtſchaffenheit ſeiner Politik unmöglich fruchtlos
bleiben!“***)

So ſtand es in der That. Die Regierung durfte ſich den recht-
mäßigen Anforderungen des Vierbundes, der die ganze Zukunft dieſer
Dynaſtie ſoeben erſt geſichert hatte, nicht verſagen. Nach kurzem Schwanken
knüpfte ſie neue Verhandlungen mit den Mediatiſirten an, obgleich der
erbitterte Feind des hohen Adels, König Wilhelm von Württemberg, ſie
dringend zum Widerſtande gegen den Aachener Congreß aufforderte.†)

*) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 11. Aug. 1819.
**) Reizenſtein an Venningen, 22. Okt. 1818.
***) Kapodiſtrias an Berſtett, Aachen Nov. 1818.
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[514/0528] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. ſchaft der Markgräfin fühlte ſich beleidigt, die Mutter des Czaren Alexan- der rief dem badiſchen Geſchäftsträger zu: „ſo wenig kann man auf die Dankbarkeit der Völker zählen!“ *) Durch das Uebermaß ſeiner Wünſche und die Kleinlichkeit ſeiner Be- willigungen hatte der Landtag bereits alle Höfe tief verſtimmt. Da be- ging er noch einen letzten, unbegreiflichen Fehler: er lehnte ſich wider den Bundestag auf und leider auch wider das klare Recht. Im April 1818 hatte der badiſche Hof die Rechtsverhältniſſe der Mediatiſirten und der Reichsritterſchaft durch ein Adels-Edikt geordnet, das ganz im Geiſte der rheinbündiſchen Bureaukratie gehalten war und offenbar wider die Vor- ſchriften des Art. 14 der Bundesakte verſtieß. Das Edikt wurde nachher für einen Beſtandtheil der neuen Verfaſſung erklärt, doch der in ſeinem Rechte ſchwer verletzte hohe Adel ließ ſich nicht beſchwichtigen, und die Regierung gerieth bald in peinliche Verlegenheit. Ganz ſo großmüthig wie der König von Preußen konnte dieſe kleine Krone die Verheißungen der Bundesakte freilich nicht verwirklichen; aber wenngleich einzelne For- derungen des Adels über alles Maß hinaus gingen und das Haus Löwen- ſtein ſogar die Erhebung der Mainzölle für ſich verlangte, ſo waren die Mediatiſirten doch auf Grund der Bundesakte und zahlreicher europäiſcher Verträge unzweifelhaft berechtigt die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Ortspolizei zu beanſpruchen. Die Regierung begann ihr Unrecht einzu- ſehen; ſie wußte auch, daß ſie die Ungunſt, die ihr auf dem Wiener Congreß zu theil geworden, zumeiſt den beſtändigen Beſchwerden des Adels zu verdanken hatte. Vergeblich berief ſie ſich, gegen den Führer der Reichs- ritter, Frhrn. v. Venningen, auf „den Geiſt der Zeit, der in Süddeutſch- land dem Adel nicht günſtig ſei;“ **) die Mediatiſirten beſtanden auf ihrem guten Recht und erlangten, wie früher erzählt, bei dem Aachener Con- greſſe freundliches Gehör. In ernſten Schreiben mahnten die vier Mächte den Karlsruher Hof an ſeine Vertragspflicht. „Wahrlich, ſchrieb Kapo- diſtrias an Berſtett, in dieſem Augenblicke, wo alle Rechte des badiſchen Hofes wieder unter eine doppelte Bürgſchaft geſtellt worden ſind, kann ein Appell an die Rechtſchaffenheit ſeiner Politik unmöglich fruchtlos bleiben!“ ***) So ſtand es in der That. Die Regierung durfte ſich den recht- mäßigen Anforderungen des Vierbundes, der die ganze Zukunft dieſer Dynaſtie ſoeben erſt geſichert hatte, nicht verſagen. Nach kurzem Schwanken knüpfte ſie neue Verhandlungen mit den Mediatiſirten an, obgleich der erbitterte Feind des hohen Adels, König Wilhelm von Württemberg, ſie dringend zum Widerſtande gegen den Aachener Congreß aufforderte. †) *) Blittersdorffs Bericht, Petersburg 11. Aug. 1819. **) Reizenſtein an Venningen, 22. Okt. 1818. ***) Kapodiſtrias an Berſtett, Aachen Nov. 1818. †) Varnhagens Bericht, 10. Jan. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/528>, abgerufen am 21.11.2024.