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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Der erste bairische Landtag.
zeichnen, denen er sein Vertrauen schenken solle. Das Alles blieb ver-
lorene Arbeit, vergrub sich in der Masse der aufgethürmten Materialien. --

Während also das Schicksal der preußischen Verfassung noch ganz im
Dunkel lag, liefen aus den neuen constitutionellen Staaten des Südens
bedenkliche Nachrichten ein. In München wie in Karlsruhe war der Land-
tag zum erstenmale zusammengetreten, und hier wie dort bestand der
Parlamentarismus seine Probe recht unglücklich. Am Münchener Hofe
hielt die Entrüstung über die Beschlüsse des Aachener Congresses noch
lange an; waren die pfälzischen Pläne der Wittelsbacher gescheitert, so
sollten die großen Mächte zum Mindesten erfahren, daß Baiern sich selbst
genüge und dem ganzen Deutschland das glänzende Beispiel verfassungs-
mäßiger Freiheit gebe. Mit der Ruhmredigkeit, welche den bairischen Hof
auszeichnete, eröffnete der König am 5. Februar den Landtag: nun sei
vollendet, was er schon vor der Bundesakte geplant habe; und als er
die dankbare Adresse seiner Stände in Empfang nahm, nannte er diesen
Tag den glücklichsten seines Lebens. Die Nation blickte anfangs mit
Spannung auf die unerhörten Auftritte in München, denn es war die
erste öffentliche Ständeversammlung der deutschen Geschichte. Die Kammer
der Reichsräthe tagte freilich geheim und nannte selbst in den dürftigen
veröffentlichten Protokollen die Namen nicht, sodaß die Leser es bald müde
wurden zu enträthseln, was "ein Herr Reichsrath" gesagt und "ein anderer
Herr Reichsrath" erwidert hatte. Aber auch die Theilnahme für die
zweite Kammer erkaltete schnell, denn die Zahl der rednerischen Talente
war gering, und die Debatten, obwohl keineswegs arm an Kundgebungen
urwüchsiger Grobheit, entbehrten doch des dramatischen Reizes, da die
schwerfällige Geschäftsordnung die Redner nur nach einer festbestimmten
Reihenfolge zu Worte kommen ließ.

Politische Parteien bestanden noch nicht; die staatsbildende Kraft
dieses Königreichs war so schwach, daß die Abgeordneten sich zumeist in
kleine Landsmannschaften zerspalteten. Selbst die Würzburger und die
Aschaffenburger wollten einander noch kaum als Landsleute gelten lassen,
während die Ansbacher und die Baireuther als gute Brandenburger zu-
sammenhielten; vornehmlich die Pfälzer sonderten sich, im Vollgefühle
ihrer französischen Freiheit, mißtrauisch von den Anderen ab. Als feu-
riger Redner that sich vor Allen der Würzburger Behr hervor, der Lieb-
ling seiner fränkischen Landsleute, ein ehrlicher radikaler Doktrinär, der
in seinen staatsrechtlichen Schriften die Lehren Rottecks noch überbot und
sogar den Monarchen persönlich der Strafgewalt der Volksvertreter unter-
werfen wollte. Auch der Bamberger Bürgermeister v. Hornthal, ein ge-
wandter Advokat jüdischen Stammes, war bei Sieyes und der Verfas-
sung von 1791 in die Schule gegangen, ein flacher Kopf von geringer
Bildung, aber betriebsam, kaltblütig, nie verlegen, und reich gesegnet mit
jener unaufhaltsamen Geschwätzigkeit, welche in parlamentarischen Ver-

Der erſte bairiſche Landtag.
zeichnen, denen er ſein Vertrauen ſchenken ſolle. Das Alles blieb ver-
lorene Arbeit, vergrub ſich in der Maſſe der aufgethürmten Materialien. —

Während alſo das Schickſal der preußiſchen Verfaſſung noch ganz im
Dunkel lag, liefen aus den neuen conſtitutionellen Staaten des Südens
bedenkliche Nachrichten ein. In München wie in Karlsruhe war der Land-
tag zum erſtenmale zuſammengetreten, und hier wie dort beſtand der
Parlamentarismus ſeine Probe recht unglücklich. Am Münchener Hofe
hielt die Entrüſtung über die Beſchlüſſe des Aachener Congreſſes noch
lange an; waren die pfälziſchen Pläne der Wittelsbacher geſcheitert, ſo
ſollten die großen Mächte zum Mindeſten erfahren, daß Baiern ſich ſelbſt
genüge und dem ganzen Deutſchland das glänzende Beiſpiel verfaſſungs-
mäßiger Freiheit gebe. Mit der Ruhmredigkeit, welche den bairiſchen Hof
auszeichnete, eröffnete der König am 5. Februar den Landtag: nun ſei
vollendet, was er ſchon vor der Bundesakte geplant habe; und als er
die dankbare Adreſſe ſeiner Stände in Empfang nahm, nannte er dieſen
Tag den glücklichſten ſeines Lebens. Die Nation blickte anfangs mit
Spannung auf die unerhörten Auftritte in München, denn es war die
erſte öffentliche Ständeverſammlung der deutſchen Geſchichte. Die Kammer
der Reichsräthe tagte freilich geheim und nannte ſelbſt in den dürftigen
veröffentlichten Protokollen die Namen nicht, ſodaß die Leſer es bald müde
wurden zu enträthſeln, was „ein Herr Reichsrath“ geſagt und „ein anderer
Herr Reichsrath“ erwidert hatte. Aber auch die Theilnahme für die
zweite Kammer erkaltete ſchnell, denn die Zahl der redneriſchen Talente
war gering, und die Debatten, obwohl keineswegs arm an Kundgebungen
urwüchſiger Grobheit, entbehrten doch des dramatiſchen Reizes, da die
ſchwerfällige Geſchäftsordnung die Redner nur nach einer feſtbeſtimmten
Reihenfolge zu Worte kommen ließ.

Politiſche Parteien beſtanden noch nicht; die ſtaatsbildende Kraft
dieſes Königreichs war ſo ſchwach, daß die Abgeordneten ſich zumeiſt in
kleine Landsmannſchaften zerſpalteten. Selbſt die Würzburger und die
Aſchaffenburger wollten einander noch kaum als Landsleute gelten laſſen,
während die Ansbacher und die Baireuther als gute Brandenburger zu-
ſammenhielten; vornehmlich die Pfälzer ſonderten ſich, im Vollgefühle
ihrer franzöſiſchen Freiheit, mißtrauiſch von den Anderen ab. Als feu-
riger Redner that ſich vor Allen der Würzburger Behr hervor, der Lieb-
ling ſeiner fränkiſchen Landsleute, ein ehrlicher radikaler Doktrinär, der
in ſeinen ſtaatsrechtlichen Schriften die Lehren Rottecks noch überbot und
ſogar den Monarchen perſönlich der Strafgewalt der Volksvertreter unter-
werfen wollte. Auch der Bamberger Bürgermeiſter v. Hornthal, ein ge-
wandter Advokat jüdiſchen Stammes, war bei Sieyes und der Verfaſ-
ſung von 1791 in die Schule gegangen, ein flacher Kopf von geringer
Bildung, aber betriebſam, kaltblütig, nie verlegen, und reich geſegnet mit
jener unaufhaltſamen Geſchwätzigkeit, welche in parlamentariſchen Ver-

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[501/0515] Der erſte bairiſche Landtag. zeichnen, denen er ſein Vertrauen ſchenken ſolle. Das Alles blieb ver- lorene Arbeit, vergrub ſich in der Maſſe der aufgethürmten Materialien. — Während alſo das Schickſal der preußiſchen Verfaſſung noch ganz im Dunkel lag, liefen aus den neuen conſtitutionellen Staaten des Südens bedenkliche Nachrichten ein. In München wie in Karlsruhe war der Land- tag zum erſtenmale zuſammengetreten, und hier wie dort beſtand der Parlamentarismus ſeine Probe recht unglücklich. Am Münchener Hofe hielt die Entrüſtung über die Beſchlüſſe des Aachener Congreſſes noch lange an; waren die pfälziſchen Pläne der Wittelsbacher geſcheitert, ſo ſollten die großen Mächte zum Mindeſten erfahren, daß Baiern ſich ſelbſt genüge und dem ganzen Deutſchland das glänzende Beiſpiel verfaſſungs- mäßiger Freiheit gebe. Mit der Ruhmredigkeit, welche den bairiſchen Hof auszeichnete, eröffnete der König am 5. Februar den Landtag: nun ſei vollendet, was er ſchon vor der Bundesakte geplant habe; und als er die dankbare Adreſſe ſeiner Stände in Empfang nahm, nannte er dieſen Tag den glücklichſten ſeines Lebens. Die Nation blickte anfangs mit Spannung auf die unerhörten Auftritte in München, denn es war die erſte öffentliche Ständeverſammlung der deutſchen Geſchichte. Die Kammer der Reichsräthe tagte freilich geheim und nannte ſelbſt in den dürftigen veröffentlichten Protokollen die Namen nicht, ſodaß die Leſer es bald müde wurden zu enträthſeln, was „ein Herr Reichsrath“ geſagt und „ein anderer Herr Reichsrath“ erwidert hatte. Aber auch die Theilnahme für die zweite Kammer erkaltete ſchnell, denn die Zahl der redneriſchen Talente war gering, und die Debatten, obwohl keineswegs arm an Kundgebungen urwüchſiger Grobheit, entbehrten doch des dramatiſchen Reizes, da die ſchwerfällige Geſchäftsordnung die Redner nur nach einer feſtbeſtimmten Reihenfolge zu Worte kommen ließ. Politiſche Parteien beſtanden noch nicht; die ſtaatsbildende Kraft dieſes Königreichs war ſo ſchwach, daß die Abgeordneten ſich zumeiſt in kleine Landsmannſchaften zerſpalteten. Selbſt die Würzburger und die Aſchaffenburger wollten einander noch kaum als Landsleute gelten laſſen, während die Ansbacher und die Baireuther als gute Brandenburger zu- ſammenhielten; vornehmlich die Pfälzer ſonderten ſich, im Vollgefühle ihrer franzöſiſchen Freiheit, mißtrauiſch von den Anderen ab. Als feu- riger Redner that ſich vor Allen der Würzburger Behr hervor, der Lieb- ling ſeiner fränkiſchen Landsleute, ein ehrlicher radikaler Doktrinär, der in ſeinen ſtaatsrechtlichen Schriften die Lehren Rottecks noch überbot und ſogar den Monarchen perſönlich der Strafgewalt der Volksvertreter unter- werfen wollte. Auch der Bamberger Bürgermeiſter v. Hornthal, ein ge- wandter Advokat jüdiſchen Stammes, war bei Sieyes und der Verfaſ- ſung von 1791 in die Schule gegangen, ein flacher Kopf von geringer Bildung, aber betriebſam, kaltblütig, nie verlegen, und reich geſegnet mit jener unaufhaltſamen Geſchwätzigkeit, welche in parlamentariſchen Ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/515>, abgerufen am 22.11.2024.