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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 8. Der Aachener Congreß.
gebungen Hardenbergs, und nun brach auf den Universitäten ein Sturm los,
noch lauter und wilder als vor'm Jahre das Wuthgeschrei gegen Kotzebue.
Also bereits der dritte Halbrusse, der sich gegen die deutsche Burschen-
herrlichkeit erhob! Der federfertige Leipziger Philosoph Krug trat als
literarischer Gegner in die Schranken; die Jenenser Burschenschaft beschloß
den Walachen zu züchtigen und ließ ihn, damit er sich nicht hinter Stan-
desrücksichten verschanze, durch zwei junge Grafen aus ihrer Verbindung
auf Pistolen fordern. Stourdza lehnte gleichwohl ab, weil sein Aufsatz
eine amtliche Denkschrift sei, und beeilte sich den ungastlichen Boden
Deutschlands zu verlassen. An den Höfen erregte dies terroristische Ge-
bahren der Burschen, das nach altem Studentenbrauch doch gar nicht
ungewöhnlich war, neuen Schrecken; Gentz glaubte fortan steif und fest,
daß in Jena eine geheime Vehme hause, die ihre Assassinen durch Deutsch-
land sende. Zu allem Unheil warf Kotzebue nochmals Scheiter in die
Flammen, indem er deutlich zu verstehen gab, die Denkschrift Stourdzas
spräche die Ansichten des Czaren selber aus. Seitdem wähnten die Stu-
denten allesammt, daß die deutsche Reaktion von Petersburg ausgehe;
der Haß der Burschen gegen Rußland kannte keine Grenzen mehr, und der
triviale Spötter in Weimar, dem die Jenenser einen mächtigen Einfluß auf
die moskowitische Politik andichteten, ward durch Schimpf und Drohungen
dermaßen mißhandelt, daß er nach Mannheim überzusiedeln beschloß.

Der Verdacht der jungen Leute entbehrte jedes Grundes. Kaiser
Alexander enthielt sich auf dem Congresse sorgsam aller Vorschläge für
die deutsche Bundespolitik und äußerte nur gelegentlich, wie Richelieu und
Wellington, seine Angst vor der deutschen Revolution. Seit seiner plötz-
lichen Bekehrung war die Leitung der Quadrupel-Allianz thatsächlich auf
die Wiener Hofburg übergegangen, obgleich die klugen österreichischen
Staatsmänner dem Czaren gern gestatteten, daß er vor der Welt noch
zuweilen die Rolle des Führers spielte. Metternich war das Haupt der
Reaktion, in Deutschland wie in Europa, und bot noch in Aachen Alles
auf, um zunächst Preußen dem Liberalismus zu entreißen. In freund-
schaftlichen Unterredungen stellte er dem Staatskanzler vor, wie bedrohlich
der Geist des Besserwissens und der rücksichtslosen Kritik im preußischen
Beamtenthum überhandnehme; dazu der Uebermuth der Jugend und die
Zuchtlosigkeit der Presse. Hardenberg besprach sich darauf mit Bernstorff
und Altenstein, der nach Aachen berufen ward, und da Beide jene Miß-
stände nicht ganz in Abrede stellen konnten, so sagte er seinem österreichi-
schen Freunde zu, die Krone selbst werde dawider einschreiten.*)

Minder glücklich verlief ein schüchterner Versuch Metternichs, die
preußische Zollreform, noch bevor sie in Kraft getreten war, zu hinter-
treiben. Die zwingenden staatswirthschaftlichen Gründe, welche das neue

*) Hardenbergs Tagebuch, 11. Jan. 1819.

II. 8. Der Aachener Congreß.
gebungen Hardenbergs, und nun brach auf den Univerſitäten ein Sturm los,
noch lauter und wilder als vor’m Jahre das Wuthgeſchrei gegen Kotzebue.
Alſo bereits der dritte Halbruſſe, der ſich gegen die deutſche Burſchen-
herrlichkeit erhob! Der federfertige Leipziger Philoſoph Krug trat als
literariſcher Gegner in die Schranken; die Jenenſer Burſchenſchaft beſchloß
den Walachen zu züchtigen und ließ ihn, damit er ſich nicht hinter Stan-
desrückſichten verſchanze, durch zwei junge Grafen aus ihrer Verbindung
auf Piſtolen fordern. Stourdza lehnte gleichwohl ab, weil ſein Aufſatz
eine amtliche Denkſchrift ſei, und beeilte ſich den ungaſtlichen Boden
Deutſchlands zu verlaſſen. An den Höfen erregte dies terroriſtiſche Ge-
bahren der Burſchen, das nach altem Studentenbrauch doch gar nicht
ungewöhnlich war, neuen Schrecken; Gentz glaubte fortan ſteif und feſt,
daß in Jena eine geheime Vehme hauſe, die ihre Aſſaſſinen durch Deutſch-
land ſende. Zu allem Unheil warf Kotzebue nochmals Scheiter in die
Flammen, indem er deutlich zu verſtehen gab, die Denkſchrift Stourdzas
ſpräche die Anſichten des Czaren ſelber aus. Seitdem wähnten die Stu-
denten alleſammt, daß die deutſche Reaktion von Petersburg ausgehe;
der Haß der Burſchen gegen Rußland kannte keine Grenzen mehr, und der
triviale Spötter in Weimar, dem die Jenenſer einen mächtigen Einfluß auf
die moskowitiſche Politik andichteten, ward durch Schimpf und Drohungen
dermaßen mißhandelt, daß er nach Mannheim überzuſiedeln beſchloß.

Der Verdacht der jungen Leute entbehrte jedes Grundes. Kaiſer
Alexander enthielt ſich auf dem Congreſſe ſorgſam aller Vorſchläge für
die deutſche Bundespolitik und äußerte nur gelegentlich, wie Richelieu und
Wellington, ſeine Angſt vor der deutſchen Revolution. Seit ſeiner plötz-
lichen Bekehrung war die Leitung der Quadrupel-Allianz thatſächlich auf
die Wiener Hofburg übergegangen, obgleich die klugen öſterreichiſchen
Staatsmänner dem Czaren gern geſtatteten, daß er vor der Welt noch
zuweilen die Rolle des Führers ſpielte. Metternich war das Haupt der
Reaktion, in Deutſchland wie in Europa, und bot noch in Aachen Alles
auf, um zunächſt Preußen dem Liberalismus zu entreißen. In freund-
ſchaftlichen Unterredungen ſtellte er dem Staatskanzler vor, wie bedrohlich
der Geiſt des Beſſerwiſſens und der rückſichtsloſen Kritik im preußiſchen
Beamtenthum überhandnehme; dazu der Uebermuth der Jugend und die
Zuchtloſigkeit der Preſſe. Hardenberg beſprach ſich darauf mit Bernſtorff
und Altenſtein, der nach Aachen berufen ward, und da Beide jene Miß-
ſtände nicht ganz in Abrede ſtellen konnten, ſo ſagte er ſeinem öſterreichi-
ſchen Freunde zu, die Krone ſelbſt werde dawider einſchreiten.*)

Minder glücklich verlief ein ſchüchterner Verſuch Metternichs, die
preußiſche Zollreform, noch bevor ſie in Kraft getreten war, zu hinter-
treiben. Die zwingenden ſtaatswirthſchaftlichen Gründe, welche das neue

*) Hardenbergs Tagebuch, 11. Jan. 1819.
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[486/0500] II. 8. Der Aachener Congreß. gebungen Hardenbergs, und nun brach auf den Univerſitäten ein Sturm los, noch lauter und wilder als vor’m Jahre das Wuthgeſchrei gegen Kotzebue. Alſo bereits der dritte Halbruſſe, der ſich gegen die deutſche Burſchen- herrlichkeit erhob! Der federfertige Leipziger Philoſoph Krug trat als literariſcher Gegner in die Schranken; die Jenenſer Burſchenſchaft beſchloß den Walachen zu züchtigen und ließ ihn, damit er ſich nicht hinter Stan- desrückſichten verſchanze, durch zwei junge Grafen aus ihrer Verbindung auf Piſtolen fordern. Stourdza lehnte gleichwohl ab, weil ſein Aufſatz eine amtliche Denkſchrift ſei, und beeilte ſich den ungaſtlichen Boden Deutſchlands zu verlaſſen. An den Höfen erregte dies terroriſtiſche Ge- bahren der Burſchen, das nach altem Studentenbrauch doch gar nicht ungewöhnlich war, neuen Schrecken; Gentz glaubte fortan ſteif und feſt, daß in Jena eine geheime Vehme hauſe, die ihre Aſſaſſinen durch Deutſch- land ſende. Zu allem Unheil warf Kotzebue nochmals Scheiter in die Flammen, indem er deutlich zu verſtehen gab, die Denkſchrift Stourdzas ſpräche die Anſichten des Czaren ſelber aus. Seitdem wähnten die Stu- denten alleſammt, daß die deutſche Reaktion von Petersburg ausgehe; der Haß der Burſchen gegen Rußland kannte keine Grenzen mehr, und der triviale Spötter in Weimar, dem die Jenenſer einen mächtigen Einfluß auf die moskowitiſche Politik andichteten, ward durch Schimpf und Drohungen dermaßen mißhandelt, daß er nach Mannheim überzuſiedeln beſchloß. Der Verdacht der jungen Leute entbehrte jedes Grundes. Kaiſer Alexander enthielt ſich auf dem Congreſſe ſorgſam aller Vorſchläge für die deutſche Bundespolitik und äußerte nur gelegentlich, wie Richelieu und Wellington, ſeine Angſt vor der deutſchen Revolution. Seit ſeiner plötz- lichen Bekehrung war die Leitung der Quadrupel-Allianz thatſächlich auf die Wiener Hofburg übergegangen, obgleich die klugen öſterreichiſchen Staatsmänner dem Czaren gern geſtatteten, daß er vor der Welt noch zuweilen die Rolle des Führers ſpielte. Metternich war das Haupt der Reaktion, in Deutſchland wie in Europa, und bot noch in Aachen Alles auf, um zunächſt Preußen dem Liberalismus zu entreißen. In freund- ſchaftlichen Unterredungen ſtellte er dem Staatskanzler vor, wie bedrohlich der Geiſt des Beſſerwiſſens und der rückſichtsloſen Kritik im preußiſchen Beamtenthum überhandnehme; dazu der Uebermuth der Jugend und die Zuchtloſigkeit der Preſſe. Hardenberg beſprach ſich darauf mit Bernſtorff und Altenſtein, der nach Aachen berufen ward, und da Beide jene Miß- ſtände nicht ganz in Abrede ſtellen konnten, ſo ſagte er ſeinem öſterreichi- ſchen Freunde zu, die Krone ſelbſt werde dawider einſchreiten. *) Minder glücklich verlief ein ſchüchterner Verſuch Metternichs, die preußiſche Zollreform, noch bevor ſie in Kraft getreten war, zu hinter- treiben. Die zwingenden ſtaatswirthſchaftlichen Gründe, welche das neue *) Hardenbergs Tagebuch, 11. Jan. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/500>, abgerufen am 22.11.2024.