Solchen Köpfen vermochte Müffling allerdings nicht zu erweisen, wie wichtig der freundnachbarliche Vorschlag Preußens für die Erhaltung des niederländischen Gesammtstaats werden konnte. Er verbrachte den ganzen Winter in unerquicklichen Verhandlungen und kehrte im Frühjahr unver- richteter Dinge heim.
So gelangten zwar nicht alle Pläne der Aachener Verbündeten zur Vollendung. Aber das Wesentliche war erreicht; die Quadrupel-Allianz blieb aufrecht, fester, einträchtiger denn je zuvor. Frankreich dagegen unterlag noch immer der polizeilichen Aufsicht der vier Mächte, obwohl die Pariser Gesandtenconferenz nunmehr, der Form halber, aufgelöst wurde.*) Jeden Augenblick, sobald der Parteikampf in Frankreich bedroh- lich zu werden schien, konnte der Rath der Vier zusammentreten und nach dem verabredeten Plane sofort zur bewaffneten Intervention schreiten. Richelieu erhielt nur die vertrauliche Mittheilung, daß der Vierbund nicht aufgelöst sei, und hütete sich wohl dies dem französischen Selbstgefühle so peinliche Geheimniß zu verrathen. Von dem Ernst und dem Umfang der getroffenen Vorsichtsmaßregeln ahnte er gar nichts; ebenso wenig von der veränderten Gesinnung des Czaren Alexander, dem er alle seine Dank- barkeit zuwendete. Entzückt schrieb er über den russischen Monarchen: "man sollte die Spuren seiner Füße küssen;" er wußte nicht, daß grade dieser Wohl- thäter Frankreichs den Verbündeten zuerst die Einsetzung eines militärischen Ausschusses vorgeschlagen und bei den Verhandlungen über das Heerwesen der Coalition sich neben den Preußen am Allereifrigsten gezeigt hatte.
Wie viele Demüthigungen mußte doch das stolze Frankreich auf diesem Congresse hinnehmen. Auch nachdem der französische Minister zur regel- mäßigen Mitwirkung eingeladen war, hörten die Sitzungen des Vier- bundes nicht auf; von den 47 Sitzungen des Congresses fanden fünfzehn, fast ein Drittel, ohne Richelieus Theilnahme statt. Am Jahrestage der Leipziger Schlacht veranstalteten die Verbündeten ein glänzendes Fest, dem sich der französische Minister und sein Gefolge nur durch eine plötzliche Reise entziehen konnten; und welche sonderbare Rolle spielte nachher der Herzog von Angouleme, als er incognito auf kurze Zeit in Aachen er- schien, um den Pariser Besuch den beiden Monarchen zurückzugeben. Die unwürdige Stellung Frankreichs im hohen Rathe Europas war die natür- liche Folge der Sünden der hundert Tage; wer durfte den vier Mächten verargen, wenn sie einer neuen Störung des Weltfriedens, der dieser todmüden Zeit schlechthin als der Güter höchstes galt, mit jedem Mittel vorzubeugen suchten? Doch auf die Dauer konnte eine große Nation eine so beschämende Behandlung unmöglich ertragen.
Im Verlaufe dieser Unterhandlungen enthüllte sich auch das letzte Ziel, welches dem Czaren bei allen den räthselhaften Wendungen seiner
*) Protokoll der 47. Sitzung vom 22. Nov. 1818.
Geheimer Kriegsplan gegen Frankreich.
Solchen Köpfen vermochte Müffling allerdings nicht zu erweiſen, wie wichtig der freundnachbarliche Vorſchlag Preußens für die Erhaltung des niederländiſchen Geſammtſtaats werden konnte. Er verbrachte den ganzen Winter in unerquicklichen Verhandlungen und kehrte im Frühjahr unver- richteter Dinge heim.
So gelangten zwar nicht alle Pläne der Aachener Verbündeten zur Vollendung. Aber das Weſentliche war erreicht; die Quadrupel-Allianz blieb aufrecht, feſter, einträchtiger denn je zuvor. Frankreich dagegen unterlag noch immer der polizeilichen Aufſicht der vier Mächte, obwohl die Pariſer Geſandtenconferenz nunmehr, der Form halber, aufgelöſt wurde.*) Jeden Augenblick, ſobald der Parteikampf in Frankreich bedroh- lich zu werden ſchien, konnte der Rath der Vier zuſammentreten und nach dem verabredeten Plane ſofort zur bewaffneten Intervention ſchreiten. Richelieu erhielt nur die vertrauliche Mittheilung, daß der Vierbund nicht aufgelöſt ſei, und hütete ſich wohl dies dem franzöſiſchen Selbſtgefühle ſo peinliche Geheimniß zu verrathen. Von dem Ernſt und dem Umfang der getroffenen Vorſichtsmaßregeln ahnte er gar nichts; ebenſo wenig von der veränderten Geſinnung des Czaren Alexander, dem er alle ſeine Dank- barkeit zuwendete. Entzückt ſchrieb er über den ruſſiſchen Monarchen: „man ſollte die Spuren ſeiner Füße küſſen;“ er wußte nicht, daß grade dieſer Wohl- thäter Frankreichs den Verbündeten zuerſt die Einſetzung eines militäriſchen Ausſchuſſes vorgeſchlagen und bei den Verhandlungen über das Heerweſen der Coalition ſich neben den Preußen am Allereifrigſten gezeigt hatte.
Wie viele Demüthigungen mußte doch das ſtolze Frankreich auf dieſem Congreſſe hinnehmen. Auch nachdem der franzöſiſche Miniſter zur regel- mäßigen Mitwirkung eingeladen war, hörten die Sitzungen des Vier- bundes nicht auf; von den 47 Sitzungen des Congreſſes fanden fünfzehn, faſt ein Drittel, ohne Richelieus Theilnahme ſtatt. Am Jahrestage der Leipziger Schlacht veranſtalteten die Verbündeten ein glänzendes Feſt, dem ſich der franzöſiſche Miniſter und ſein Gefolge nur durch eine plötzliche Reiſe entziehen konnten; und welche ſonderbare Rolle ſpielte nachher der Herzog von Angouleme, als er incognito auf kurze Zeit in Aachen er- ſchien, um den Pariſer Beſuch den beiden Monarchen zurückzugeben. Die unwürdige Stellung Frankreichs im hohen Rathe Europas war die natür- liche Folge der Sünden der hundert Tage; wer durfte den vier Mächten verargen, wenn ſie einer neuen Störung des Weltfriedens, der dieſer todmüden Zeit ſchlechthin als der Güter höchſtes galt, mit jedem Mittel vorzubeugen ſuchten? Doch auf die Dauer konnte eine große Nation eine ſo beſchämende Behandlung unmöglich ertragen.
Im Verlaufe dieſer Unterhandlungen enthüllte ſich auch das letzte Ziel, welches dem Czaren bei allen den räthſelhaften Wendungen ſeiner
*) Protokoll der 47. Sitzung vom 22. Nov. 1818.
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[473/0487]
Geheimer Kriegsplan gegen Frankreich.
Solchen Köpfen vermochte Müffling allerdings nicht zu erweiſen, wie
wichtig der freundnachbarliche Vorſchlag Preußens für die Erhaltung des
niederländiſchen Geſammtſtaats werden konnte. Er verbrachte den ganzen
Winter in unerquicklichen Verhandlungen und kehrte im Frühjahr unver-
richteter Dinge heim.
So gelangten zwar nicht alle Pläne der Aachener Verbündeten zur
Vollendung. Aber das Weſentliche war erreicht; die Quadrupel-Allianz
blieb aufrecht, feſter, einträchtiger denn je zuvor. Frankreich dagegen
unterlag noch immer der polizeilichen Aufſicht der vier Mächte, obwohl
die Pariſer Geſandtenconferenz nunmehr, der Form halber, aufgelöſt
wurde. *) Jeden Augenblick, ſobald der Parteikampf in Frankreich bedroh-
lich zu werden ſchien, konnte der Rath der Vier zuſammentreten und
nach dem verabredeten Plane ſofort zur bewaffneten Intervention ſchreiten.
Richelieu erhielt nur die vertrauliche Mittheilung, daß der Vierbund nicht
aufgelöſt ſei, und hütete ſich wohl dies dem franzöſiſchen Selbſtgefühle ſo
peinliche Geheimniß zu verrathen. Von dem Ernſt und dem Umfang der
getroffenen Vorſichtsmaßregeln ahnte er gar nichts; ebenſo wenig von der
veränderten Geſinnung des Czaren Alexander, dem er alle ſeine Dank-
barkeit zuwendete. Entzückt ſchrieb er über den ruſſiſchen Monarchen: „man
ſollte die Spuren ſeiner Füße küſſen;“ er wußte nicht, daß grade dieſer Wohl-
thäter Frankreichs den Verbündeten zuerſt die Einſetzung eines militäriſchen
Ausſchuſſes vorgeſchlagen und bei den Verhandlungen über das Heerweſen
der Coalition ſich neben den Preußen am Allereifrigſten gezeigt hatte.
Wie viele Demüthigungen mußte doch das ſtolze Frankreich auf dieſem
Congreſſe hinnehmen. Auch nachdem der franzöſiſche Miniſter zur regel-
mäßigen Mitwirkung eingeladen war, hörten die Sitzungen des Vier-
bundes nicht auf; von den 47 Sitzungen des Congreſſes fanden fünfzehn,
faſt ein Drittel, ohne Richelieus Theilnahme ſtatt. Am Jahrestage der
Leipziger Schlacht veranſtalteten die Verbündeten ein glänzendes Feſt, dem
ſich der franzöſiſche Miniſter und ſein Gefolge nur durch eine plötzliche
Reiſe entziehen konnten; und welche ſonderbare Rolle ſpielte nachher der
Herzog von Angouleme, als er incognito auf kurze Zeit in Aachen er-
ſchien, um den Pariſer Beſuch den beiden Monarchen zurückzugeben. Die
unwürdige Stellung Frankreichs im hohen Rathe Europas war die natür-
liche Folge der Sünden der hundert Tage; wer durfte den vier Mächten
verargen, wenn ſie einer neuen Störung des Weltfriedens, der dieſer
todmüden Zeit ſchlechthin als der Güter höchſtes galt, mit jedem Mittel
vorzubeugen ſuchten? Doch auf die Dauer konnte eine große Nation eine
ſo beſchämende Behandlung unmöglich ertragen.
Im Verlaufe dieſer Unterhandlungen enthüllte ſich auch das letzte
Ziel, welches dem Czaren bei allen den räthſelhaften Wendungen ſeiner
*) Protokoll der 47. Sitzung vom 22. Nov. 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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