Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
II. 8. Der Aachener Congreß.

Also nach zwei Jahren ein Entwurf der Grundzüge -- welch ein
schimpflicher Gegensatz zu dem patriotischen Einmuth der französischen
Kammern, die allen Parteihader sofort vergaßen wenn die Stärke des
Heeres in Frage stand! Ob und wann der Bundestag den Entwurf
seines Ausschusses genehmigen würde, blieb noch völlig zweifelhaft, da
nunmehr wieder der anmuthige Zeitvertreib der Instruktionseinholung
begann; wer den Charakter dieser Versammlung kannte, mußte vorher
wissen, daß die unveränderte Annahme ganz undenkbar war. Metternich
aber in seiner unersättlichen Eitelkeit hatte die Stirn seinem Kaiser zu
schreiben: in dem Augenblicke der Räumung Frankreichs erlebe Deutschland
die Genugthuung, daß seine Kriegsverfassung vollendet, seine Wehrfähigkeit
gesichert sei -- und empfing dafür den Dank des Monarchen, weil er
"die Militärangelegenheit dem erwünschten Ende zugeführt habe". Neun
Tage nachdem er diesen Lobspruch eingestrichen hatte, gestand er dem
Staatskanzler vertraulich (5. Nov.), alle Verhandlungen des Bundestags
über das Heerwesen seien bisher "nur Vorarbeiten" gewesen!*)

So geringfügig das unmittelbare Ergebniß seines Frankfurter Aufent-
haltes blieb, eine Befestigung seines Ansehens hatte Metternich allerdings
erreicht. Er galt jetzt allgemein als das weise Haupt der deutschen
Staatsmänner, selbst Wangenheim nannte ihn einen Heros der Politik.
Und als nun gar Kaiser Franz selber den Rhein hinab reiste, da erdröhnte
in den alten Krummstabslanden ein Jubel, der unwidersprechlich be-
wies, daß der Preußenhaß der Rheinländer nicht im Liberalismus, son-
dern in der clericalen Gesinnung wurzelte. Stundenweit waren ihm die
Kölner entgegengezogen; Franz aber ließ sich die Huldigungen mit schlecht
verhehlter Schadenfreude wohl gefallen und schrieb unter einen Bericht
Metternichs, der ihm von der Kaisertreue des Rheinlands erzählte, zu-
frieden sein: "Dient zur angenehmen Wissenschaft." In dem bigotten
Aachen wurde der Oesterreicher wo er sich zeigte mit stürmischem Hochruf
begrüßt, um den König und den Czaren kümmerte sich Niemand; "der
Kaiser, sagte man laut, ist hier in seinem Land, de Prüß ist hier fremd."
Als König Friedrich Wilhelm seinen österreichischen Gast in das Münster
führte, empfing die gesammte Clerisei den Kaiser am Portale -- wie der
Oesterreichische Beobachter in einem unverschämten Artikel behaglich schil-
derte -- und geleitete ihn zum Grabe Karls des Großen, wo ein Bet-
stuhl für ihn bereit stand und ihm die berühmten Reliquien dargereicht
wurden; währenddem stand der evangelische Landesherr dieser Geistlichen
mit seinem Kronprinzen unbeachtet zur Seite. Welch ein Auftritt! Dank
und Ehrfurcht für diesen Lothringer, der die Krone der Karolinger in
den Koth geworfen hatte, hier am Grabe des ersten Kaisers, in derselben
alten Krönungsstadt, wo er vierzehn Jahre zuvor eidbrüchig dem Kaiser-

*) Metternich an Hardenberg, 5. Nov. 1818.
II. 8. Der Aachener Congreß.

Alſo nach zwei Jahren ein Entwurf der Grundzüge — welch ein
ſchimpflicher Gegenſatz zu dem patriotiſchen Einmuth der franzöſiſchen
Kammern, die allen Parteihader ſofort vergaßen wenn die Stärke des
Heeres in Frage ſtand! Ob und wann der Bundestag den Entwurf
ſeines Ausſchuſſes genehmigen würde, blieb noch völlig zweifelhaft, da
nunmehr wieder der anmuthige Zeitvertreib der Inſtruktionseinholung
begann; wer den Charakter dieſer Verſammlung kannte, mußte vorher
wiſſen, daß die unveränderte Annahme ganz undenkbar war. Metternich
aber in ſeiner unerſättlichen Eitelkeit hatte die Stirn ſeinem Kaiſer zu
ſchreiben: in dem Augenblicke der Räumung Frankreichs erlebe Deutſchland
die Genugthuung, daß ſeine Kriegsverfaſſung vollendet, ſeine Wehrfähigkeit
geſichert ſei — und empfing dafür den Dank des Monarchen, weil er
„die Militärangelegenheit dem erwünſchten Ende zugeführt habe“. Neun
Tage nachdem er dieſen Lobſpruch eingeſtrichen hatte, geſtand er dem
Staatskanzler vertraulich (5. Nov.), alle Verhandlungen des Bundestags
über das Heerweſen ſeien bisher „nur Vorarbeiten“ geweſen!*)

So geringfügig das unmittelbare Ergebniß ſeines Frankfurter Aufent-
haltes blieb, eine Befeſtigung ſeines Anſehens hatte Metternich allerdings
erreicht. Er galt jetzt allgemein als das weiſe Haupt der deutſchen
Staatsmänner, ſelbſt Wangenheim nannte ihn einen Heros der Politik.
Und als nun gar Kaiſer Franz ſelber den Rhein hinab reiſte, da erdröhnte
in den alten Krummſtabslanden ein Jubel, der unwiderſprechlich be-
wies, daß der Preußenhaß der Rheinländer nicht im Liberalismus, ſon-
dern in der clericalen Geſinnung wurzelte. Stundenweit waren ihm die
Kölner entgegengezogen; Franz aber ließ ſich die Huldigungen mit ſchlecht
verhehlter Schadenfreude wohl gefallen und ſchrieb unter einen Bericht
Metternichs, der ihm von der Kaiſertreue des Rheinlands erzählte, zu-
frieden ſein: „Dient zur angenehmen Wiſſenſchaft.“ In dem bigotten
Aachen wurde der Oeſterreicher wo er ſich zeigte mit ſtürmiſchem Hochruf
begrüßt, um den König und den Czaren kümmerte ſich Niemand; „der
Kaiſer, ſagte man laut, iſt hier in ſeinem Land, de Prüß iſt hier fremd.“
Als König Friedrich Wilhelm ſeinen öſterreichiſchen Gaſt in das Münſter
führte, empfing die geſammte Cleriſei den Kaiſer am Portale — wie der
Oeſterreichiſche Beobachter in einem unverſchämten Artikel behaglich ſchil-
derte — und geleitete ihn zum Grabe Karls des Großen, wo ein Bet-
ſtuhl für ihn bereit ſtand und ihm die berühmten Reliquien dargereicht
wurden; währenddem ſtand der evangeliſche Landesherr dieſer Geiſtlichen
mit ſeinem Kronprinzen unbeachtet zur Seite. Welch ein Auftritt! Dank
und Ehrfurcht für dieſen Lothringer, der die Krone der Karolinger in
den Koth geworfen hatte, hier am Grabe des erſten Kaiſers, in derſelben
alten Krönungsſtadt, wo er vierzehn Jahre zuvor eidbrüchig dem Kaiſer-

*) Metternich an Hardenberg, 5. Nov. 1818.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0480" n="466"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 8. Der Aachener Congreß.</fw><lb/>
          <p>Al&#x017F;o nach zwei Jahren ein Entwurf der Grundzüge &#x2014; welch ein<lb/>
&#x017F;chimpflicher Gegen&#x017F;atz zu dem patrioti&#x017F;chen Einmuth der franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Kammern, die allen Parteihader &#x017F;ofort vergaßen wenn die Stärke des<lb/>
Heeres in Frage &#x017F;tand! Ob und wann der Bundestag den Entwurf<lb/>
&#x017F;eines Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es genehmigen würde, blieb noch völlig zweifelhaft, da<lb/>
nunmehr wieder der anmuthige Zeitvertreib der In&#x017F;truktionseinholung<lb/>
begann; wer den Charakter die&#x017F;er Ver&#x017F;ammlung kannte, mußte vorher<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß die unveränderte Annahme ganz undenkbar war. Metternich<lb/>
aber in &#x017F;einer uner&#x017F;ättlichen Eitelkeit hatte die Stirn &#x017F;einem Kai&#x017F;er zu<lb/>
&#x017F;chreiben: in dem Augenblicke der Räumung Frankreichs erlebe Deut&#x017F;chland<lb/>
die Genugthuung, daß &#x017F;eine Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung vollendet, &#x017F;eine Wehrfähigkeit<lb/>
ge&#x017F;ichert &#x017F;ei &#x2014; und empfing dafür den Dank des Monarchen, weil er<lb/>
&#x201E;die Militärangelegenheit dem erwün&#x017F;chten Ende zugeführt habe&#x201C;. Neun<lb/>
Tage nachdem er die&#x017F;en Lob&#x017F;pruch einge&#x017F;trichen hatte, ge&#x017F;tand er dem<lb/>
Staatskanzler vertraulich (5. Nov.), alle Verhandlungen des Bundestags<lb/>
über das Heerwe&#x017F;en &#x017F;eien bisher &#x201E;nur Vorarbeiten&#x201C; gewe&#x017F;en!<note place="foot" n="*)">Metternich an Hardenberg, 5. Nov. 1818.</note></p><lb/>
          <p>So geringfügig das unmittelbare Ergebniß &#x017F;eines Frankfurter Aufent-<lb/>
haltes blieb, eine Befe&#x017F;tigung &#x017F;eines An&#x017F;ehens hatte Metternich allerdings<lb/>
erreicht. Er galt jetzt allgemein als das wei&#x017F;e Haupt der deut&#x017F;chen<lb/>
Staatsmänner, &#x017F;elb&#x017F;t Wangenheim nannte ihn einen Heros der Politik.<lb/>
Und als nun gar Kai&#x017F;er Franz &#x017F;elber den Rhein hinab rei&#x017F;te, da erdröhnte<lb/>
in den alten Krumm&#x017F;tabslanden ein Jubel, der unwider&#x017F;prechlich be-<lb/>
wies, daß der Preußenhaß der Rheinländer nicht im Liberalismus, &#x017F;on-<lb/>
dern in der clericalen Ge&#x017F;innung wurzelte. Stundenweit waren ihm die<lb/>
Kölner entgegengezogen; Franz aber ließ &#x017F;ich die Huldigungen mit &#x017F;chlecht<lb/>
verhehlter Schadenfreude wohl gefallen und &#x017F;chrieb unter einen Bericht<lb/>
Metternichs, der ihm von der Kai&#x017F;ertreue des Rheinlands erzählte, zu-<lb/>
frieden &#x017F;ein: &#x201E;Dient zur angenehmen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.&#x201C; In dem bigotten<lb/>
Aachen wurde der Oe&#x017F;terreicher wo er &#x017F;ich zeigte mit &#x017F;türmi&#x017F;chem Hochruf<lb/>
begrüßt, um den König und den Czaren kümmerte &#x017F;ich Niemand; &#x201E;der<lb/>
Kai&#x017F;er, &#x017F;agte man laut, i&#x017F;t hier in &#x017F;einem Land, de Prüß i&#x017F;t hier fremd.&#x201C;<lb/>
Als König Friedrich Wilhelm &#x017F;einen ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Ga&#x017F;t in das Mün&#x017F;ter<lb/>
führte, empfing die ge&#x017F;ammte Cleri&#x017F;ei den Kai&#x017F;er am Portale &#x2014; wie der<lb/>
Oe&#x017F;terreichi&#x017F;che Beobachter in einem unver&#x017F;chämten Artikel behaglich &#x017F;chil-<lb/>
derte &#x2014; und geleitete ihn zum Grabe Karls des Großen, wo ein Bet-<lb/>
&#x017F;tuhl für ihn bereit &#x017F;tand und ihm die berühmten Reliquien dargereicht<lb/>
wurden; währenddem &#x017F;tand der evangeli&#x017F;che Landesherr die&#x017F;er Gei&#x017F;tlichen<lb/>
mit &#x017F;einem Kronprinzen unbeachtet zur Seite. Welch ein Auftritt! Dank<lb/>
und Ehrfurcht für die&#x017F;en Lothringer, der die Krone der Karolinger in<lb/>
den Koth geworfen hatte, hier am Grabe des er&#x017F;ten Kai&#x017F;ers, in der&#x017F;elben<lb/>
alten Krönungs&#x017F;tadt, wo er vierzehn Jahre zuvor eidbrüchig dem Kai&#x017F;er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[466/0480] II. 8. Der Aachener Congreß. Alſo nach zwei Jahren ein Entwurf der Grundzüge — welch ein ſchimpflicher Gegenſatz zu dem patriotiſchen Einmuth der franzöſiſchen Kammern, die allen Parteihader ſofort vergaßen wenn die Stärke des Heeres in Frage ſtand! Ob und wann der Bundestag den Entwurf ſeines Ausſchuſſes genehmigen würde, blieb noch völlig zweifelhaft, da nunmehr wieder der anmuthige Zeitvertreib der Inſtruktionseinholung begann; wer den Charakter dieſer Verſammlung kannte, mußte vorher wiſſen, daß die unveränderte Annahme ganz undenkbar war. Metternich aber in ſeiner unerſättlichen Eitelkeit hatte die Stirn ſeinem Kaiſer zu ſchreiben: in dem Augenblicke der Räumung Frankreichs erlebe Deutſchland die Genugthuung, daß ſeine Kriegsverfaſſung vollendet, ſeine Wehrfähigkeit geſichert ſei — und empfing dafür den Dank des Monarchen, weil er „die Militärangelegenheit dem erwünſchten Ende zugeführt habe“. Neun Tage nachdem er dieſen Lobſpruch eingeſtrichen hatte, geſtand er dem Staatskanzler vertraulich (5. Nov.), alle Verhandlungen des Bundestags über das Heerweſen ſeien bisher „nur Vorarbeiten“ geweſen! *) So geringfügig das unmittelbare Ergebniß ſeines Frankfurter Aufent- haltes blieb, eine Befeſtigung ſeines Anſehens hatte Metternich allerdings erreicht. Er galt jetzt allgemein als das weiſe Haupt der deutſchen Staatsmänner, ſelbſt Wangenheim nannte ihn einen Heros der Politik. Und als nun gar Kaiſer Franz ſelber den Rhein hinab reiſte, da erdröhnte in den alten Krummſtabslanden ein Jubel, der unwiderſprechlich be- wies, daß der Preußenhaß der Rheinländer nicht im Liberalismus, ſon- dern in der clericalen Geſinnung wurzelte. Stundenweit waren ihm die Kölner entgegengezogen; Franz aber ließ ſich die Huldigungen mit ſchlecht verhehlter Schadenfreude wohl gefallen und ſchrieb unter einen Bericht Metternichs, der ihm von der Kaiſertreue des Rheinlands erzählte, zu- frieden ſein: „Dient zur angenehmen Wiſſenſchaft.“ In dem bigotten Aachen wurde der Oeſterreicher wo er ſich zeigte mit ſtürmiſchem Hochruf begrüßt, um den König und den Czaren kümmerte ſich Niemand; „der Kaiſer, ſagte man laut, iſt hier in ſeinem Land, de Prüß iſt hier fremd.“ Als König Friedrich Wilhelm ſeinen öſterreichiſchen Gaſt in das Münſter führte, empfing die geſammte Cleriſei den Kaiſer am Portale — wie der Oeſterreichiſche Beobachter in einem unverſchämten Artikel behaglich ſchil- derte — und geleitete ihn zum Grabe Karls des Großen, wo ein Bet- ſtuhl für ihn bereit ſtand und ihm die berühmten Reliquien dargereicht wurden; währenddem ſtand der evangeliſche Landesherr dieſer Geiſtlichen mit ſeinem Kronprinzen unbeachtet zur Seite. Welch ein Auftritt! Dank und Ehrfurcht für dieſen Lothringer, der die Krone der Karolinger in den Koth geworfen hatte, hier am Grabe des erſten Kaiſers, in derſelben alten Krönungsſtadt, wo er vierzehn Jahre zuvor eidbrüchig dem Kaiſer- *) Metternich an Hardenberg, 5. Nov. 1818.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/480
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/480>, abgerufen am 09.05.2024.