Bundesakte", schrieb Wangenheim arglos, "ist nichts, gar nichts ohne In- stitutionen, welche die Anwendung des Gesetzes und seine Vollziehung verbürgen;" nur ein Bund im Bunde kann die völlige Rechtsgleichheit aller Bundesglieder sichern und die rein deutschen Staaten den euro- päischen Kriegen der beiden Großmächte fern halten. Daß dieser Bund jemals mit dem Auslande sich verschwören und "etliche und dreißig Staaten in Klein-Octav und Duodez" über einen Eroberungsplan gegen Preußen und Oesterreich einig werden sollten, ist eine "läppische Besorg- niß politischer Don Quixotes."
Metternich würdigte den unschuldigen Briefschreiber keiner Erwi- derung, sondern suchte sofort eine Verständigung mit Preußen; wenn nur die Einheit des Bundesheeres, und damit der österreichische Ober- befehl gesichert blieb, so kam ihm auf die Zusammensetzung der gemisch- ten Armeecorps wenig an. Er begab sich von Frankfurt nach seinem herrlichen Dotationsgute, dem Johannisberg, wo er die einträglichen Rebgärten der alten Fuldaer Fürstäbte mit großer Sorgfalt pflegen, ihre Festsäle unanständig kahl und häßlich wieder herstellen ließ. Dort hielt er am 17. Sept., von Langenau unterstützt, eine große Berathung mit Hardenberg, Goltz und Wolzogen, welche zur Annahme der preußischen Vorschläge führte: außer drei österreichischen, drei preußischen und einem bairischen Armeecorps sollten drei gemischte Corps gebildet werden, ein achtes für Sachsen, Württemberg und Baden, ein neuntes für beide Hessen, Nassau und Thüringen, ein zehntes für Hannover und die niederdeutschen Kleinstaaten. Der preußische Staatskanzler war über- glücklich. Hundertmal getäuscht wollte er die Traumgebilde seiner dua- listischen Politik auch jetzt noch nicht aufgeben und meldete seinem Könige, nunmehr sei es gewiß, daß ganz Norddeutschland außer Sachsen im Kriegsfalle unter Preußens Führung stehen werde.*) Und doch hatte man über eine Zweitheilung des Bundesheeres kein Wort verabredet, vielmehr war Oesterreich fest entschlossen, von dem früheren Bundesbe- schlusse, welcher die Ernennung eines einzigen Bundesfeldherrn vorschrieb, niemals abzugehen. In Frankfurt währte unterdessen der alte Zank unaufhaltsam fort, die beiden Hessen wollten durchaus in das Armee- corps der süddeutschen Mittelstaaten eintreten. Aber da der König von Württemberg über das eigenmächtige, herausfordernde Gebahren seines heißblütigen Gesandten denn doch erschrak**) und die beiden Hessen nur lau unterstützte, so wurde endlich die Johannisberger Vereinbarung von dem militärischen Ausschuß angenommen und am 12. Oktbr. der Ent- wurf der "Grundzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes" dem Bundestage vorgelegt.
*) Hardenbergs Bericht an den König, Kreuznach 18. Sept. 1818.
**) Ministerialschreiben Berstetts an Berkheim, 29. Aug. 1818.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 30
Metternich am Bundestage.
Bundesakte“, ſchrieb Wangenheim arglos, „iſt nichts, gar nichts ohne In- ſtitutionen, welche die Anwendung des Geſetzes und ſeine Vollziehung verbürgen;“ nur ein Bund im Bunde kann die völlige Rechtsgleichheit aller Bundesglieder ſichern und die rein deutſchen Staaten den euro- päiſchen Kriegen der beiden Großmächte fern halten. Daß dieſer Bund jemals mit dem Auslande ſich verſchwören und „etliche und dreißig Staaten in Klein-Octav und Duodez“ über einen Eroberungsplan gegen Preußen und Oeſterreich einig werden ſollten, iſt eine „läppiſche Beſorg- niß politiſcher Don Quixotes.“
Metternich würdigte den unſchuldigen Briefſchreiber keiner Erwi- derung, ſondern ſuchte ſofort eine Verſtändigung mit Preußen; wenn nur die Einheit des Bundesheeres, und damit der öſterreichiſche Ober- befehl geſichert blieb, ſo kam ihm auf die Zuſammenſetzung der gemiſch- ten Armeecorps wenig an. Er begab ſich von Frankfurt nach ſeinem herrlichen Dotationsgute, dem Johannisberg, wo er die einträglichen Rebgärten der alten Fuldaer Fürſtäbte mit großer Sorgfalt pflegen, ihre Feſtſäle unanſtändig kahl und häßlich wieder herſtellen ließ. Dort hielt er am 17. Sept., von Langenau unterſtützt, eine große Berathung mit Hardenberg, Goltz und Wolzogen, welche zur Annahme der preußiſchen Vorſchläge führte: außer drei öſterreichiſchen, drei preußiſchen und einem bairiſchen Armeecorps ſollten drei gemiſchte Corps gebildet werden, ein achtes für Sachſen, Württemberg und Baden, ein neuntes für beide Heſſen, Naſſau und Thüringen, ein zehntes für Hannover und die niederdeutſchen Kleinſtaaten. Der preußiſche Staatskanzler war über- glücklich. Hundertmal getäuſcht wollte er die Traumgebilde ſeiner dua- liſtiſchen Politik auch jetzt noch nicht aufgeben und meldete ſeinem Könige, nunmehr ſei es gewiß, daß ganz Norddeutſchland außer Sachſen im Kriegsfalle unter Preußens Führung ſtehen werde.*) Und doch hatte man über eine Zweitheilung des Bundesheeres kein Wort verabredet, vielmehr war Oeſterreich feſt entſchloſſen, von dem früheren Bundesbe- ſchluſſe, welcher die Ernennung eines einzigen Bundesfeldherrn vorſchrieb, niemals abzugehen. In Frankfurt währte unterdeſſen der alte Zank unaufhaltſam fort, die beiden Heſſen wollten durchaus in das Armee- corps der ſüddeutſchen Mittelſtaaten eintreten. Aber da der König von Württemberg über das eigenmächtige, herausfordernde Gebahren ſeines heißblütigen Geſandten denn doch erſchrak**) und die beiden Heſſen nur lau unterſtützte, ſo wurde endlich die Johannisberger Vereinbarung von dem militäriſchen Ausſchuß angenommen und am 12. Oktbr. der Ent- wurf der „Grundzüge der Kriegsverfaſſung des Deutſchen Bundes“ dem Bundestage vorgelegt.
*) Hardenbergs Bericht an den König, Kreuznach 18. Sept. 1818.
**) Miniſterialſchreiben Berſtetts an Berkheim, 29. Aug. 1818.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 30
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Metternich am Bundestage.
Bundesakte“, ſchrieb Wangenheim arglos, „iſt nichts, gar nichts ohne In-
ſtitutionen, welche die Anwendung des Geſetzes und ſeine Vollziehung
verbürgen;“ nur ein Bund im Bunde kann die völlige Rechtsgleichheit
aller Bundesglieder ſichern und die rein deutſchen Staaten den euro-
päiſchen Kriegen der beiden Großmächte fern halten. Daß dieſer Bund
jemals mit dem Auslande ſich verſchwören und „etliche und dreißig
Staaten in Klein-Octav und Duodez“ über einen Eroberungsplan gegen
Preußen und Oeſterreich einig werden ſollten, iſt eine „läppiſche Beſorg-
niß politiſcher Don Quixotes.“
Metternich würdigte den unſchuldigen Briefſchreiber keiner Erwi-
derung, ſondern ſuchte ſofort eine Verſtändigung mit Preußen; wenn
nur die Einheit des Bundesheeres, und damit der öſterreichiſche Ober-
befehl geſichert blieb, ſo kam ihm auf die Zuſammenſetzung der gemiſch-
ten Armeecorps wenig an. Er begab ſich von Frankfurt nach ſeinem
herrlichen Dotationsgute, dem Johannisberg, wo er die einträglichen
Rebgärten der alten Fuldaer Fürſtäbte mit großer Sorgfalt pflegen, ihre
Feſtſäle unanſtändig kahl und häßlich wieder herſtellen ließ. Dort hielt
er am 17. Sept., von Langenau unterſtützt, eine große Berathung mit
Hardenberg, Goltz und Wolzogen, welche zur Annahme der preußiſchen
Vorſchläge führte: außer drei öſterreichiſchen, drei preußiſchen und einem
bairiſchen Armeecorps ſollten drei gemiſchte Corps gebildet werden, ein
achtes für Sachſen, Württemberg und Baden, ein neuntes für beide
Heſſen, Naſſau und Thüringen, ein zehntes für Hannover und die
niederdeutſchen Kleinſtaaten. Der preußiſche Staatskanzler war über-
glücklich. Hundertmal getäuſcht wollte er die Traumgebilde ſeiner dua-
liſtiſchen Politik auch jetzt noch nicht aufgeben und meldete ſeinem Könige,
nunmehr ſei es gewiß, daß ganz Norddeutſchland außer Sachſen im
Kriegsfalle unter Preußens Führung ſtehen werde. *) Und doch hatte
man über eine Zweitheilung des Bundesheeres kein Wort verabredet,
vielmehr war Oeſterreich feſt entſchloſſen, von dem früheren Bundesbe-
ſchluſſe, welcher die Ernennung eines einzigen Bundesfeldherrn vorſchrieb,
niemals abzugehen. In Frankfurt währte unterdeſſen der alte Zank
unaufhaltſam fort, die beiden Heſſen wollten durchaus in das Armee-
corps der ſüddeutſchen Mittelſtaaten eintreten. Aber da der König von
Württemberg über das eigenmächtige, herausfordernde Gebahren ſeines
heißblütigen Geſandten denn doch erſchrak **) und die beiden Heſſen nur
lau unterſtützte, ſo wurde endlich die Johannisberger Vereinbarung von
dem militäriſchen Ausſchuß angenommen und am 12. Oktbr. der Ent-
wurf der „Grundzüge der Kriegsverfaſſung des Deutſchen Bundes“ dem
Bundestage vorgelegt.
*) Hardenbergs Bericht an den König, Kreuznach 18. Sept. 1818.
**) Miniſterialſchreiben Berſtetts an Berkheim, 29. Aug. 1818.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 30
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/479>, abgerufen am 09.05.2024.
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