blieben ist. Er behauptete, daß die Preßvergehen eine eigene Art von Delicten bildeten, die mit anderen Gesetzesverletzungen nichts gemein habe, während doch Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung und ähnliche Ver- brechen durch das gesprochene Wort oder durch Thätlichkeiten ebensowohl wie durch das Mittel der Presse begangen werden können und durch die Verschiedenheit des Mittels ihr Wesen nicht verändern. Seine kecken Sophismen fanden Anklang nicht blos bei der Aengstlichkeit der Cabinette, sondern auch bei dem Standesgefühl der Schriftsteller, die in ihrer Eitel- keit nicht bemerkten, daß Gentz der Presse nur darum eine stolze Aus- nahmestellung außerhalb des gemeinen Rechtes zuwies, weil er sie durch Ausnahmegesetze knebeln wollte.
Den Ruhm des ersten deutschen Publicisten durfte ihm noch immer Niemand streitig machen; mit der classischen Schönheit seines so kunstvoll durchgebildeten und doch so einfachen Stiles, mit der gedrungenen Kraft seiner Dialektik schlug er jeden Nebenbuhler aus dem Felde. Aber wohin war der sittliche Zorn und der Gedankenreichthum seiner großen Jahre, wohin jener weitherzige Freisinn, der einst die nationale Eigenart der Völker so mannhaft gegen den vernunftwidrigen Zwang des Weltreichs vertheidigt hatte? Nur der eine Gedanke der Erhaltung des Bestehenden kehrte jetzt mit trostloser Eintönigkeit in allen seinen Schriften wieder. Der greisen- hafte Wahn, als ob die ewige Bewegung der Geschichte auf den Wink der Hofburg nun für immer aufhören müßte, brachte die schöpferische Kraft dieses einst so fruchtbaren Geistes zum Versiegen und schlug den Mann, der einst der Ritter Europas geheißen hatte, mit jämmerlicher Angst, da Gentz doch zu scharf sah um an jenen Widersinn in vollem Ernst zu glauben. Er hatte sich nach und nach ganz in Oesterreich eingelebt, fast mit allen Freunden seiner Jugend den Verkehr abgebrochen und fand bald eine boshafte Freude daran, seine alte Heimath als das Land des hohlen Verstandesdünkels zu verhöhnen, den fanatischen preußischen Renegaten Adam Müller, der so tief unter ihm selber stand, als Deutschlands größten Schriftsteller zu verherrlichen.
Wie einst Platon und seine politischen Schüler den ganzen Reich- thum attischer Sprache und attischen Geistes aufboten um die unmenschliche Rauheit des Spartanerstaats zu preisen, so stellte Gentz das schwere Rüstzeug seiner protestantisch-norddeutschen Bildung in den Dienst einer undeutschen Staatskunst, die alle Freiheit unserer Kultur zu vernichten drohte. Wie Jene ward auch er zunächst durch einen politischen Irrthum mißleitet, da er in der Hofburg den Hort und Halt der conservativen Sache Europas zu finden glaubte; doch auch die unersättliche Genußsucht bannte ihn im österreichischen Lager fest. Er zählte zu jenen geborenen Vir- tuosen des Genusses, welche ihre Kraft nur in der weichen Luft eines verfeinerten sinnlichen Daseins entfalten können und darum berechtigt sind sich den Boden zu erobern, der ihrer Begabung zusagt. Aber wie
II. 8. Der Aachener Congreß.
blieben iſt. Er behauptete, daß die Preßvergehen eine eigene Art von Delicten bildeten, die mit anderen Geſetzesverletzungen nichts gemein habe, während doch Majeſtätsbeleidigung, Gottesläſterung und ähnliche Ver- brechen durch das geſprochene Wort oder durch Thätlichkeiten ebenſowohl wie durch das Mittel der Preſſe begangen werden können und durch die Verſchiedenheit des Mittels ihr Weſen nicht verändern. Seine kecken Sophismen fanden Anklang nicht blos bei der Aengſtlichkeit der Cabinette, ſondern auch bei dem Standesgefühl der Schriftſteller, die in ihrer Eitel- keit nicht bemerkten, daß Gentz der Preſſe nur darum eine ſtolze Aus- nahmeſtellung außerhalb des gemeinen Rechtes zuwies, weil er ſie durch Ausnahmegeſetze knebeln wollte.
Den Ruhm des erſten deutſchen Publiciſten durfte ihm noch immer Niemand ſtreitig machen; mit der claſſiſchen Schönheit ſeines ſo kunſtvoll durchgebildeten und doch ſo einfachen Stiles, mit der gedrungenen Kraft ſeiner Dialektik ſchlug er jeden Nebenbuhler aus dem Felde. Aber wohin war der ſittliche Zorn und der Gedankenreichthum ſeiner großen Jahre, wohin jener weitherzige Freiſinn, der einſt die nationale Eigenart der Völker ſo mannhaft gegen den vernunftwidrigen Zwang des Weltreichs vertheidigt hatte? Nur der eine Gedanke der Erhaltung des Beſtehenden kehrte jetzt mit troſtloſer Eintönigkeit in allen ſeinen Schriften wieder. Der greiſen- hafte Wahn, als ob die ewige Bewegung der Geſchichte auf den Wink der Hofburg nun für immer aufhören müßte, brachte die ſchöpferiſche Kraft dieſes einſt ſo fruchtbaren Geiſtes zum Verſiegen und ſchlug den Mann, der einſt der Ritter Europas geheißen hatte, mit jämmerlicher Angſt, da Gentz doch zu ſcharf ſah um an jenen Widerſinn in vollem Ernſt zu glauben. Er hatte ſich nach und nach ganz in Oeſterreich eingelebt, faſt mit allen Freunden ſeiner Jugend den Verkehr abgebrochen und fand bald eine boshafte Freude daran, ſeine alte Heimath als das Land des hohlen Verſtandesdünkels zu verhöhnen, den fanatiſchen preußiſchen Renegaten Adam Müller, der ſo tief unter ihm ſelber ſtand, als Deutſchlands größten Schriftſteller zu verherrlichen.
Wie einſt Platon und ſeine politiſchen Schüler den ganzen Reich- thum attiſcher Sprache und attiſchen Geiſtes aufboten um die unmenſchliche Rauheit des Spartanerſtaats zu preiſen, ſo ſtellte Gentz das ſchwere Rüſtzeug ſeiner proteſtantiſch-norddeutſchen Bildung in den Dienſt einer undeutſchen Staatskunſt, die alle Freiheit unſerer Kultur zu vernichten drohte. Wie Jene ward auch er zunächſt durch einen politiſchen Irrthum mißleitet, da er in der Hofburg den Hort und Halt der conſervativen Sache Europas zu finden glaubte; doch auch die unerſättliche Genußſucht bannte ihn im öſterreichiſchen Lager feſt. Er zählte zu jenen geborenen Vir- tuoſen des Genuſſes, welche ihre Kraft nur in der weichen Luft eines verfeinerten ſinnlichen Daſeins entfalten können und darum berechtigt ſind ſich den Boden zu erobern, der ihrer Begabung zuſagt. Aber wie
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II. 8. Der Aachener Congreß.
blieben iſt. Er behauptete, daß die Preßvergehen eine eigene Art von
Delicten bildeten, die mit anderen Geſetzesverletzungen nichts gemein habe,
während doch Majeſtätsbeleidigung, Gottesläſterung und ähnliche Ver-
brechen durch das geſprochene Wort oder durch Thätlichkeiten ebenſowohl
wie durch das Mittel der Preſſe begangen werden können und durch die
Verſchiedenheit des Mittels ihr Weſen nicht verändern. Seine kecken
Sophismen fanden Anklang nicht blos bei der Aengſtlichkeit der Cabinette,
ſondern auch bei dem Standesgefühl der Schriftſteller, die in ihrer Eitel-
keit nicht bemerkten, daß Gentz der Preſſe nur darum eine ſtolze Aus-
nahmeſtellung außerhalb des gemeinen Rechtes zuwies, weil er ſie durch
Ausnahmegeſetze knebeln wollte.
Den Ruhm des erſten deutſchen Publiciſten durfte ihm noch immer
Niemand ſtreitig machen; mit der claſſiſchen Schönheit ſeines ſo kunſtvoll
durchgebildeten und doch ſo einfachen Stiles, mit der gedrungenen Kraft
ſeiner Dialektik ſchlug er jeden Nebenbuhler aus dem Felde. Aber wohin
war der ſittliche Zorn und der Gedankenreichthum ſeiner großen Jahre,
wohin jener weitherzige Freiſinn, der einſt die nationale Eigenart der Völker
ſo mannhaft gegen den vernunftwidrigen Zwang des Weltreichs vertheidigt
hatte? Nur der eine Gedanke der Erhaltung des Beſtehenden kehrte jetzt
mit troſtloſer Eintönigkeit in allen ſeinen Schriften wieder. Der greiſen-
hafte Wahn, als ob die ewige Bewegung der Geſchichte auf den Wink
der Hofburg nun für immer aufhören müßte, brachte die ſchöpferiſche
Kraft dieſes einſt ſo fruchtbaren Geiſtes zum Verſiegen und ſchlug den
Mann, der einſt der Ritter Europas geheißen hatte, mit jämmerlicher Angſt,
da Gentz doch zu ſcharf ſah um an jenen Widerſinn in vollem Ernſt zu
glauben. Er hatte ſich nach und nach ganz in Oeſterreich eingelebt, faſt
mit allen Freunden ſeiner Jugend den Verkehr abgebrochen und fand bald
eine boshafte Freude daran, ſeine alte Heimath als das Land des hohlen
Verſtandesdünkels zu verhöhnen, den fanatiſchen preußiſchen Renegaten
Adam Müller, der ſo tief unter ihm ſelber ſtand, als Deutſchlands größten
Schriftſteller zu verherrlichen.
Wie einſt Platon und ſeine politiſchen Schüler den ganzen Reich-
thum attiſcher Sprache und attiſchen Geiſtes aufboten um die unmenſchliche
Rauheit des Spartanerſtaats zu preiſen, ſo ſtellte Gentz das ſchwere Rüſtzeug
ſeiner proteſtantiſch-norddeutſchen Bildung in den Dienſt einer undeutſchen
Staatskunſt, die alle Freiheit unſerer Kultur zu vernichten drohte. Wie
Jene ward auch er zunächſt durch einen politiſchen Irrthum mißleitet,
da er in der Hofburg den Hort und Halt der conſervativen Sache
Europas zu finden glaubte; doch auch die unerſättliche Genußſucht bannte
ihn im öſterreichiſchen Lager feſt. Er zählte zu jenen geborenen Vir-
tuoſen des Genuſſes, welche ihre Kraft nur in der weichen Luft eines
verfeinerten ſinnlichen Daſeins entfalten können und darum berechtigt
ſind ſich den Boden zu erobern, der ihrer Begabung zuſagt. Aber wie
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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